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Mit spitzer Feder geschrieben sind diese Einzelporträts von Schriftstellern, kleine, unterhaltsame und pointierte Skizzen, die den indiskreten Blick hinter die Kulissen der Kunst erlauben. Fortlaufend gelesen ergeben sie eine ziemlich gespenstische Geschichte - indem Marías Alltag mit Künstlerischem vermischt, zeigt er gewissermaßen das Gegengedächtnis zur Literatur: eine fragmentarische Literaturgeschichte. Faulkner zu Pferde, Joyce in seinen Posen, Stevenson unter Verbrechern, Conan Doyle und die Frauen, Isak Dinesen im hohen Alter, Thomas Mann und seine Gebrechen, Turgenjew und seine…mehr

Produktbeschreibung
Mit spitzer Feder geschrieben sind diese Einzelporträts von Schriftstellern, kleine, unterhaltsame und pointierte Skizzen, die den indiskreten Blick hinter die Kulissen der Kunst erlauben. Fortlaufend gelesen ergeben sie eine ziemlich gespenstische Geschichte - indem Marías Alltag mit Künstlerischem vermischt, zeigt er gewissermaßen das Gegengedächtnis zur Literatur: eine fragmentarische Literaturgeschichte.
Faulkner zu Pferde, Joyce in seinen Posen, Stevenson unter Verbrechern, Conan Doyle und die Frauen, Isak Dinesen im hohen Alter, Thomas Mann und seine Gebrechen, Turgenjew und seine Trauer, Lampedusa, Rilke, Nabokov, Madame de Deffand und die Dummköpfe, Rimbaud, Henry James, der große Laurence Sterne...
Zwanzig Autoren der Weltliteratur nehmen wieder Gestalt an in diesen kurzen und ungewöhnlichen Lebensbeschreibungen, die sich wie Geschichten lesen. Denn sie sind mit jener Präzision, der Leidenschaft und Eleganz erzählt, die Javier Marías Prosa auszeichnet.
Als Gegengewicht zu den geschriebenen Porträts folgt am Ende ein Phototeil, "Vollendete Künstler", in dem es ausschließlich um Gesten, Gesichter und Posen geht.
Zusammen mit dem Bildmaterial, das zum größten Teil vom Autor selbst stammt, ist "Geschriebenes Leben" eine Einladung zu einer höchst unterhaltsamen und anregenden Lektüre.
Autorenporträt
Javier Marías, 1951 als Sohn eines vom Franco-Regime verfolgten Philosophen geboren, veröffentlichte seinen ersten Roman mit neunzehn Jahren. Seit seinem Bestseller "Mein Herz so weiß" gilt er weltweit als interessantester Erzähler Spaniens. Sein umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Nelly-Sachs-Preis sowie dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Seine Bücher wurden in über vierzig Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Türchen auf, Türchen zu
Javier Marías kennt alle Dichterseelen und beschreibt sie auch

Henry James verabscheute Flaubert, aber seine Begeisterung für Maupassant war und blieb grenzenlos, denn der hatte ihn einmal zum Lunch in der Gesellschaft einer nackten Dame eingeladen; angeblich kam sie sogar aus besseren Kreisen. Leo Tolstoi mißbilligte, daß Turgenjew Cancan tanzte und, als türkischer Sultan verkleidet, in Operetten auftrat, deren Libretto er selbst verfaßt hatte. James Joyce war, wen wundert's, pingelig und detailverliebt, außerdem aber ein Kotfetischist, der seiner Frau gebot, stets angeschmutzte Unterwäsche zu tragen. Robert Louis Stevenson hatte zwar einen Kannibalen zum Freund, aber seine besondere Vorliebe galt Schmelzkäse mit Opium. Für Yukio Mishima wiederum war Harakiri der höchste Genuß als definitive Form der Masturbation, nur daß sein etwas ängstlicher Gefährte, der ihm anschließend den Kopf abschlagen sollte, wie das guter japanischer Sitte entsprach, ihn bloß auf Schultern, Rücken und Hals traf, so daß kompetentere Hilfe geholt werden mußte, um das Werk zu vollenden.

Emily Brontë hingegen fand Vergnügen daran, ihrem Hund Pfeffer auf die Schnauze zu streuen oder ihm mit der Faust ins Gesicht und auf die Augen zu schlagen. Ada Menken, Grande dame des amerikanischen Theaters, Dichterin und kämpferische Feministin, begann ihre Karriere als Hure in Havanna, während Djuna Barnes, vielseitige amerikanische Autorin und Kritikerin, eine Affäre mit Putzi Hanfstaengl hatte, jenem bayrischen Halbamerikaner aus Hitlers früher Entourage, wodurch sie erfuhr, daß der Führer "in seiner Hose nicht einmal das habe, was einem Mäuserich zusteht". Auch Fürst Tomasi di Lampedusa soll impotent gewesen sein; er war mit einer Psychoanalytikerin verheiratet. Und über Violet Hunt schließlich, der Geliebten unter anderen von Ford Madox Ford, Somerset Maugham und Herbert George Wells, hören wir, daß sie stets über den neuesten Gesellschaftsklatsch unterrichtet gewesen sei. Nur Violet Hunt?

So viel süffisantes Interesse an den Schwächen, Verirrungen, Lastern und Lüsten von Dichterinnen, Dichtern sowie anderen Kulturschaffenden kann nur aus Kollegenkreisen kommen. Und in der Tat: Es ist der Spanier Javier Marías, Verfasser von brillanten und höchst erfolgreichen Romanen wie "Mein Herz so weiß" und "Am Morgen in der Schlacht denk an mich", der hier auf seine Art Literaturgeschichte betreibt. Marías hat Anglistik studiert, wie man aus seinem in Oxford spielenden Roman "Alle Seelen" weiß, und außerdem Laurence Sterne, Thomas Hardy, Robert Louis Stevenson, Joseph Conrad, William Butler Yeats, William Faulkner und Vladimir Nabokov übersetzt, die denn auch Plätze in seiner Galerie scandaleuse erhalten haben. Aber die Auswahl dieser und anderer Namen bleibt subjektiv und allein von der Neigung des literarischen Galeriedirektors bestimmt. Das ist ihm schwerlich zum Vorwurf zu machen; es sorgt für Abwechslung.

Von Lampedusa heißt es an einer Stelle, er sei "ein zu Übertreibungen neigender Sonderling" gewesen "wie alle Schriftsteller". Daß die Künstler ein wunderliches, ichbesessenes, neurotisches, manchmal närrisches, manchmal trübsinniges, jedenfalls exzentrisches und von der eigenen Bedeutung bedingungslos überzeugtes Volk darstellen, sind Binsenweisheiten. Mit den Skurrilitäten ihrer Lebensführung ließen sich Bibliotheken füllen, besonders da sie selbst gern von sich zu berichten pflegen oder andere es aus Verehrung für sie tun. Die Frage ist nur, ob es wirklich zwischen den Eigenarten der Lebensführung und den Werken, für die allein die Dichter Aufmerksamkeit und Achtung verdienen, jene offenen oder geheimen Verbindungen gibt, die biographische Neugier rechtfertigen. Lampedusa, so schreibt Marías, habe sich für das Leben von Schriftstellern interessiert, weil er überzeugt gewesen sei, "daß darin beziehungsweise in ihren geheimsten Anekdoten der Schlüssel zu ihrem Werk liege". Wenn das nicht Marías eigene Überzeugung wäre, dann hätte er wenig Grund zu diesem Buch gehabt. Denn von den Werken seiner Heldinnen und Helden, vom "Leopard" oder "Ulysses", von "Sturmhöhe" oder "Schatzinsel" zum Beispiel, ist in den 26 Porträts nur wenig, ja meist gar nicht die Rede.

Marías spricht im Untertitel von "ironischen Halbporträts". Das mag aus dem schlechten Gewissen eines philologisch Geschulten herrühren, der sich nicht auf die Pflicht eines Biographen zur Vollständigkeit festlegen lassen möchte. Daß diese Bilder gezeichnet seien aus einer Mischung von "Zuneigung und Spott", merkt man ihnen an, und nicht zu ihrem Nachteil, aber auch das hat etwas von einer Ausrede an sich. Denn was alle diese Lebensskizzen prägt, ist die Freude ihres Erzählers am Erzählen. Es sind Geschichten, bestimmt zum intelligenten Vergnügen am Klatsch, was hier ausdrücklich als Empfehlung gemeint ist. Klatsch ist letztlich nichts anderes als eine Abart des Interesses für unsere Mitmenschen, wenngleich zuweilen gewiß an der Grenze zur Unart. Nur darf man die Erwartungen, daraus tiefere Einsichten gewinnen zu können, nicht zu hoch veranschlagen.

Daß das Werk der Dichter eines Schlüssels bedarf, wie Marías meint, ist eine Behauptung, die seit den Anfängen der Philologie den Literaturexegeten Lohn und Brot verschafft hat. Bloß haben sich Exegese und Interpretation inzwischen zu einer eigenen Kunst entwickelt, die oft eher verschlüsselt als Türen zu öffnen. Marías will aufschließen, und zwar zunächst die Häuser der Dichter und in ihnen nicht gleich die Arbeitszimmer, sondern Küche, Schlafzimmer und auch die Toilette. Ein indiskreter Blick in diese Örtlichkeiten sagt etwas über die Bewohner des Salons.

Von den Deutschen sind nur Rilke und Thomas Mann in Marías' Galerie vertreten. Der erstere ist für ihn der größte Dichter des Jahrhunderts. Sein Bestes habe er gegeben, wenn es um Hunde ging, im übrigen habe er sein Dasein "in Erwartung der Lyrik" verbracht und sich zwischendurch die Zeit mit Damen vertrieben. Immerhin scheint sich die Warterei auf Verse gelohnt zu haben. Thomas Mann muß mit Joyce und Mishima das Schicksal teilen, daß Marías sie nicht mag. Man spüre beim Lächeln über diese oder jene Perle des Mannschen Stils, daß der Autor dabei ebenfalls gelächelt habe - auch in der Poesie und nicht nur im Leben verstimmt es, wenn man die Absicht merkt. Der große Rest von Marías Abneigung geht auf das Konto von Thomas Manns Tagebüchern. Nun ist es sicher wahr, daß sich mit Zitaten daraus ein amüsanter Abend des Lächelns und Kopfschüttelns über so viel egomanische Exzentrik verbringen läßt. Aber gleichzeitig hat Mann, der "jeden x-beliebigen Jüngling mit Blicken verschlang", doch den "Tod in Venedig" und ein paar andere Werke geschrieben, die sich inzwischen die gesamte zivilisierte Welt dankbar angeeignet hat. Mein eigenes verwundertes Kopfschütteln gilt vielmehr der seltsamen Bemerkung, daß Thomas Mann Deutschland noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verließ, "wenn auch erst nach Verleihung des Nobelpreises im Jahr 1929, den er mit größter Selbstverständlichkeit entgegennahm", was so klingt, als hätten ihm den Preis die Nazis persönlich offeriert. Hier weist entweder Marías' Geschichtsbild oder die Sprachlogik der Übersetzerin einen Defekt auf.

Bei soviel Details - eine Bibliographie der Quellen findet sich am Ende - ist der eine oder andere Irrtum unvermeidlich. Am meisten überrascht hat mich die Mitteilung über Robert Louis Stevensons Grab "in viertausend Metern Höhe auf dem samoanischen Berg Vaea". Da ich einmal diesem Grab an einem Vormittag - vom Meeresspiegel hin und zurück - einen Besuch abgestattet habe, kann ich entweder beanspruchen, der schnellste Hochalpinist der Südsee gewesen zu sein, oder es ist hier des Autors Bild von der Welt ein wenig defekt. Aber Stimmigkeit hin, Stimmigkeit her - es hat mir Vergnügen bereitet, dieses Buch zu lesen, und Lust auf die Dichter macht es allemal.

GERHARD SCHULZ

Javier Marías: "Geschriebenes Leben". Ironische Halbporträts. Aus dem Spanischen übersetzt von Carina von Enzenberg. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2001. 315 S., geb., 39,50 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit "süffisantem Interesse" erfreut sich der Rezensent Gerhard Schulz an Javier Marias Klatschgeschichten aus dem Privatleben der Dichter. Weniger überzeugt dabei den Rezensenten der vermeintlich pseudowissenschaftliche Anspruch, der bei Marias ab und zu anklinge um Beziehungen zwischen Werk und Biografie herzustellen. Es ist viel mehr die Lust am Erzählen, mit der Marias teilweise ironisch seinen Kollegen auf den Leib rückt, lobt Schulz. Wenn auch die ein oder andere Ungereimtheit - Schulz vermag nicht zu sagen, ob hierfür eher der Autor oder die Übersetzerin verantwortlich zu machen ist - die Lesefreude ein wenig trübt, obsiegt abschließend doch das "Vergnügen" an der Lektüre. Ob allerdings die Ungerechtigkeiten vergessen sind, die nach Aussage des Rezensenten dem armen Thomas Mann durch seinen offen ablehnenden Kollegen hier wiederfahren, bleibt ein Geheimnis des vergnügten Rezensenten.

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