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Produktdetails
  • Verlag: Klett-Cotta
  • Originaltitel: Fuegos con limon
  • 2000.
  • Seitenzahl: 739
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 740g
  • ISBN-13: 9783608934274
  • ISBN-10: 3608934278
  • Artikelnr.: 24827956
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2000

Wenn Ameisen saufen gehen
Fernando Aramburus Roman "Limonenfeuer"

Das Motto aus Maurice Maeterlincks "Leben der Ameisen" erinnert daran, daß "in der Unendlichkeit, in der wir uns befinden, die Größe nichts gilt und was sich in den Himmelsgewölben abspielt, denselben Gesetzen unterworfen ist wie das Leben in einem Wassertropfen". Was aber, wenn die Ameisen sich als Adler und Löwen gebärden, ohne daß das Gewimmel im Mikrokosmos etwas über die Gesetze des Makrokosmos verriete?

Die kleine Welt, die der baskische Autor Fernando Aramburu schildert, ist die einer Clique von surrealistischen Epigonen, die große die des nicht minder surrealen Euskadi-Nationalismus im San Sebastián der späten siebziger Jahre. Der Literatenzirkel erhebt den Anspruch, "die Methoden der ETA auf den Kulturbereich zu übertragen". Aber seine Höllenmaschinen sind Blindgänger und seine Attentate pubertäre Lausbubenstreiche. Die Reibung zwischen künstlerischer Revolte und politischem Terror, der Funke jugendlich-feurigen Anarchismus in einer trockenen Bürgerwelt erzeugt nicht den erhofften Steppenbrand: "Limonenfeuer", eine Art baskischer Glühwein, brennt auf Sparflamme. Einmal sind die Ameisen zu winzig, als daß ihr sinnloses Herumkrabbeln unser Interesse beanspruchen könnte; sodann bleibt das Himmelsgewölbe über ihrem Hügel eine schwach beleuchtete Kulisse. Vor allem aber ist der Roman gut fünfhundert Seiten zu lang.

Aramburu, wie sein Erzähler Hilario 1959 in einem Arbeiterviertel der baskischen Hafenstadt geboren, lebt seit 1985 in Deutschland. Von hier aus erzählt er eine vermutlich autobiographische Episode aus seiner Jugend: Im Sommer 1979 traf er im Café Goya eine Clique dilettierender Dichter, die mit dreisten Manifesten, Aktionen und Gedichten für einigen Wirbel sorgte und nach einigen Monaten auf Grund persönlicher und politischer Differenzen wieder zerfiel. "Die Platte" zählt ganze sechs Mitglieder, und ihre Literaturzeitschrift findet auch nicht mehr Käufer; aber sie macht bei ihrem Versuch, "gegen die eigene Belanglosigkeit zu rebellieren", mehr Lärm als zehn Bomben und hundert literarische Hooligans. "Schluß mit der Literatur!" heißt es in einer ihrer Proklamationen. "Klingen wir wie eine Schmorpfanne, an die man mit einem modrigen Steinbrocken schlägt."

Ihr philosophischer Kopf schwankt zwischen Nietzsche und Marx und bricht am Ende nach Nicaragua auf. Der Benjamin, das Enfant terrible des Sextetts, leidet unter seinem gewalttätigen Vater. Genaro, der Jesuit der Gruppe, hat wenigstens einiges lyrisches Talent; "Klimbim" ist der allseits verhätschelte und geneckte Außenseiter, Izaskun, das einzige Mädchen, eine Schlampe mit vulgärer Sprache und nymphomanischen Ambitionen. Der Erzähler ist hin und hergerissen zwischen Schüchternheit und maßlosem Ehrgeiz, Intrigantentum, feigem Opportunismus und einer bösartigen Brutalität, die sich unterschiedslos gegen wildfremde Passanten, Freunde und Familienmitglieder richtet.

Schon die Pariser Surrealisten unter ihrem Papst André Breton gefielen sich gelegentlich in wüsten Provokationen, albernem Klamauk und wechselseitigen Verletzungen; verglichen mit ihren baskischen Wiedergängern waren sie brave Ministranten oder würdige Kardinäle. Die Kunstrowdies stehen zwar noch unter der Fuchtel von reichem Elternhaus, Schule und Universität, aber sie bramarbasieren und dichten unverfroren im gestelzten Ton von Góngora, Guillén oder Lorca und überbieten einander im Saufen und Raufen, Pöbeln und Kiffen. Eine gewisse Leidenschaft für Literatur und Bücher ist ihnen nicht abzusprechen; allein, sie bestreiten ihren "ästhetischen Bürgerkrieg" vor allem mit den Waffen des Plagiats und vor allem des "Ulks". Aramburu zitiert nicht nur ausführlich aus ihren genialischen Pamphleten, Dramen, Gedichten, Tagebüchern und selbst Puppenspielen. Er schildert alle ihre Betriebsausflüge, Partys, Sticheleien und Streiche mit einem narzißtisch-wichtigtuerischen Behagen und einer Ausdauer, die, wenn nicht den "Platten"-Veteranen, so doch den geschwätzigen Anekdotenerzähler verrät. Noch im nachhinein kann er sich köstlich darüber amüsieren, wie man es allen Spießern, Kulturjournalisten und arroganten Spaniern heimgezahlt hat, die einst die "Platte" für eine Versammlung von harmlosen Rabauken oder großmäuligen Provinzlern zu halten wagten. So köchelt das "Limonenfeuer" vor sich hin, bis der Roman am Ende doch noch einmal Fahrt aufnimmt: Die politische Fraktion will die "Platte" zur marxistisch-leninistischen Kaderorganisation umschmieden, die andere Hälfte Solokarriere machen. Wenigstens das erinnert an die großen Brüder in Paris.

Der Roman ist ein Kompendium aller Straßen, Plätze und Kneipen San Sebastiáns; aber über das Leben draußen oder gar jenseits der Stadtgrenze erfährt man so gut wie nichts. Zwar sind der baskische Nationalismus und seine Folklore allgegenwärtig, aber von Spaßguerrilleros, die Kampfnamen wie Schöni, Schleimi, Kümmerling oder Klimbim tragen, darf man wohl keine allzu ernsthafte Befassung damit erwarten: "Leben heißt sich selbst lieben" und auf den literarischen Durchbruch warten. Der ETA-Terror ist gerade gut genug, um "Blödmännern" und "Obertrotteln" Angst einzujagen, die baskische Sprache Material für Nonsense-Lyrik, und auch die Charaktere bleiben so unreif und unfertig wie die Sprache eines Autors, der offenbar vergessen hat, "daß wütenden Tiraden im Mund von Puppen die Ausdruckskraft fehlt". Er interessiert sich nicht für die Gefühle, Gedanken oder familiären Konflikte seiner Helden; er ergötzt sich lieber an ihren kleinen Niederlagen und großen Bluffs. "Limonenfeuer" sollte offenbar sein Bildungsroman werden; so aber ist es nur ein groteskes Dokument nostalgischen Heimwehs und unaufhörlicher Regression geworden.

MARTIN HALTER

Fernando Aramburu: "Limonenfeuer". Roman. Aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000, 742 S., geb., 49,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In der Manier des Schreibtischtäters wünscht sich Rezensent Martin Halter vom baskischen Schriftsteller Aramburu wohl ein bisschen mehr Terror. Bedauernd stellt er nämlich fest, dass Aramburus Anspruch, "die Methoden der ETA auf den Kulturbereich zu übertragen", im Sande verliefen. Und wofür so manches Terroropfer im Baskenland dankbar wäre, der Rezensent ist äußerst unzufrieden: "Seine Höllenmaschinen sind Blindgänger", findet er, der "erhoffte Steppenbrand" bleibe aus. Dann erfahren wir ein paar biografische Details über den in Deutschland lebenden Aramburu, und landen mittendrin im Cafe Goya, im San Sebastian des Jahres 1979, wo wir ein paar dilettierende Dichter und Rebellen treffen. Halter begleitet sie ein Stück und verfestigt seine ziemlich schlechte Meinung von ihnen und dem Schriftsteller, der sie beschreibt, denn: "die Charaktere bleiben so unreif und unfertig, wie die Sprache des Autors". Zum Schluss dann ein finaler Rettungsschuss: "nur ein groteskes Dokument nostalgischen Heimwehs und unaufhörlicher Regression".

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