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Hertha Sturm, deren Wirken beim Südwestfunk und dem Zweiten Deutschen Fernsehen die Entwicklung von Jugend- und Bildungsprogrammen mitbestimmte, behielt auch in ihren wissenschaftlichen Arbeiten den unmittelbaren Kontakt zur Medienpraxis. In ihrem engagierten Buch über eine zuschauerfreundliche Mediendramaturgie, die sich an den emotionalen Bedürfnissen und den kognitiven Möglichkeiten der Hörer und Zuschauer orientiert, fasst die Psychologin ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen. Im Kontext ihrer Erfahrungen zeichnet sie zum einen Entwicklungsrichtungen der Medien auf und zieht zum…mehr

Produktbeschreibung
Hertha Sturm, deren Wirken beim Südwestfunk und dem Zweiten Deutschen Fernsehen die Entwicklung von Jugend- und Bildungsprogrammen mitbestimmte, behielt auch in ihren wissenschaftlichen Arbeiten den unmittelbaren Kontakt zur Medienpraxis. In ihrem engagierten Buch über eine zuschauerfreundliche Mediendramaturgie, die sich an den emotionalen Bedürfnissen und den kognitiven Möglichkeiten der Hörer und Zuschauer orientiert, fasst die Psychologin ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen. Im Kontext ihrer Erfahrungen zeichnet sie zum einen Entwicklungsrichtungen der Medien auf und zieht zum anderen für die Medienpraxis und Medienforschung sowie für die Medienpädagogik wegweisende Folgerungen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Wirkungen zwischen Medien und Rezipienten im Hinblick auf die Darbietung von Inhalten festzustellen und wie diese Wirkungen zu bewerten sind.
Autorenporträt
Hertha Sturm (1925-1998) leitete nach dem Studium von Psychologie und Jura die Abteilung Schul- und Jugendfunk des SWF. Aufbau und Leitung der Abteilung Bildung und Erziehung beim ZDF. 1968-1974 Professur für Psychologie und Massenkommunikation in Freiburg, 1974-1982 Professur für Psychologie und Kommunikationswissenschaften in München; Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen beim BR; Entwicklung und Leitung des Studiengangs Kommunikationspsychologie/ Medienpädagogik an der Universität Koblenz und Landau.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2000

Der Schneemann-Preis
Bibbern mit Bibi Bitter: Hertha Sturm verblüfft mit ihren Untersuchungen das Fernsehen

Das Feld der Massenmedien erweitert und verändert sich permanent. Das erschwert seine Erforschung immens. Zudem spielen Aspekte vieler anderer Disziplinen wie der Psychologie oder Kommunikation nicht zu vernachlässigende Rollen in der Wechselbeziehung zwischen Rezipient und Medium. Doch die vielleicht größte Hürde liegt darin begründet, daß Medienpraxis und -forschung sich nur selten ergänzen.

Im Fall Hertha Sturm haben wir es glücklicherweise mit einer ernsthaften Theoretikerin zu tun, die als Fundament ihrer Forschung fast durchgehend die eigenen Praxiserfahrungen nutzte. So baute sie nach ihrem Psychologiestudium von 1945 an für den Südwestfunk den Jugendfunk auf und wechselte später zum Fernsehen, wo sie bis 1968 beim ZDF die Abteilung "Bildung und Erziehung" etablierte und leitete. Erst danach widmete sie sich der Medientheorie und betrat mit ihrer Suche nach Parametern einer zuschauerfreundlicheren Dramaturgie größtenteils wissenschaftliches Neuland.

Als Aktualisierung und Neubearbeitung ihres Buches "Fernsehdiktate. Die Veränderung von Gedanken und Gefühlen" (Gütersloh 1991) erscheint nun "Der gestreßte Zuschauer", doch leider hat die Professorin die Veröffentlichung nicht mehr erlebt, da sie 1998 verstarb. Eine ihrer größten Sorgen war, daß es ihr nicht mehr gelingen könnte, das Werk zu beenden, doch auch wenn sich die Befürchtung bewahrheitete, war sie mit der Arbeit so weit fortgeschritten, daß Christian Doelker und Marianne Grewe-Partsch (letztere auch schon Mitarbeiterin bei der früheren Publikation) entschieden, ihr Manuskript, ergänzt um eine wenig bekannte autobiographische Veröffentlichung aus dem Jahr 1997, doch als Buch erscheinen zu lassen.

"Hetzigkeit und Fetzigkeit", unvorhersehbare Bild-/Wort-Umsprünge sind heutzutage alltägliche Tricks der Programmgestalter, um nicht weggezappt zu werden. Nichts ist tödlicher für die Einschaltquoten als Betulichkeit. Doch nicht nur beim actiongeladenen Fernsehfilm, auch beim Infotainment oder den Nachrichten wird es immer stressiger für den Betrachter. Hinzu kommen abstrakte Kommentare zu konkreten und manchmal kaum dazu in Beziehung stehenden Bilderfluten - all dies überfordert viele Zuschauer, die sich statt der nötigen Mehrfachdekodierung von Bild, Wort und Schrift nur noch am Bild "entlanghangeln" und dabei einbilden, sie hätten alles verstanden. Die "fehlende Halbsekunde", die der Betrachter manchmal bräuchte, um am Ball zu bleiben, kann gar zu Erregung und Aggression führen, aber Hertha Sturm deutet derlei Horrorszenarien allenfalls an. Statt die Mediendramaturgie zu verdammen, versucht sie zu ergründen, auf welche Art das "Wie der Präsentation" wieder zuschauerfreundlicher werden könnte.

Sie verglich Wirkungen geringfügig unterschiedlicher, eigens für die Forschung produzierter (aber später auch gesendeter) Fernsehbeiträge und erzielte erstaunliche Ergebnisse. Der Film "Bibi Bitter und der Schneemann" zum Beispiel erzählt von einem Jungen, der seinen Schneemann vor dem drohenden Frühling rettet, indem er ihn in die Berge bringt. Dieser stumme Film, der seine Geschichte fast ohne Schnitte schildert, wurde in zwei zusätzlichen Fassungen vertont, einmal sehr sachlich, einmal eher emotional. In mehreren Versuchsreihen sahen sich nun ausgewählte Kinder ähnlichen sozialen Hintergrunds und Alters jeweils eine der drei Versionen des Films an. Dabei wurden unter anderem Atemfrequenz und Atmungsamplitude, Hautwiderstandsniveau und Herzfrequenz gemessen, die Kinder wurden an bestimmten Stellen befragt, ob sie den Film momentan eher als heiter oder traurig einschätzen würden, und parallel sollten sie mit einem Drehregler angeben, ob ihnen die Geschichte eher angenehm oder unangenehm erscheine. Diese Versuche wurden dann drei Wochen später wiederholt, um auch noch bewerten zu können, welche Eindrücke sich bei einer Zweitdarbietung steigern oder schmälern.

Dabei erkannte Sturm unter anderem, daß die "sachlich" vertonte Fassung sowohl emotional als auch von der Informationsvermittlung her die schlechtesten Ergebnisse erzielte. Am verblüffendsten und für die Medienforschung vielleicht am bedeutendsten war jedoch, daß sich zwischen der mündlichen Befragung und dem zum Teil kontinuierlichen Bedienen des Drehreglers viele Diskrepanzen zeigten.

All diese und viele weitere Ergebnisse und Denkansätze können in einer Besprechung nicht befriedigend dargelegt werden, wünschenswert wäre es, wenn die im Medienbereich in Forschung und Praxis tätigen Personen sich anhand dieses und anderer Texte von Hertha Sturm selbst ein Bild schaffen. Und selbst wenn sich dann vielleicht einige ihrer Folgerungen als Trugschlüsse erweisen - die Bedeutung der Pionierleistungen dieser Wissenschaftlerin würde dies nicht schmälern.

THOMAS VORWERK

Hertha Sturm: "Der gestreßte Zuschauer". Folgerungen für eine rezipientenorientierte Dramaturgie. Klett-Cotta, Stuttgart 2000. 220 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Thomas Vorwerk zeigt sich beeindruckt von diesem Buch, nicht zuletzt, weil nur selten "Medienpraxis und -forschung" so Hand in Hand gehen wie bei Hertha Sturm. Der Autorin geht es hier, wie der Leser erfährt, weniger um eine Anklage aggressionsauslösender bzw. -fördernder Bilderfluten im Fernsehen, sondern vielmehr um eine Untersuchung, welche Auswirkungen die Mediendramaturgie auf die Wahrnehmung der Zuschauer ausübt und wie die Darstellungen "zuschauerfreundlicher" werden können. Vorwerk erwähnt in diesem Zusammenhang Untersuchungen bei Kindern, die zu ihnen vorgespielten Filmen sowohl befragt wurden, wie auch Drehregler bedienen konnten, um ihre Gefühle beim Zuschauen auszudrücken. Überraschend findet der Rezensent die Diskrepanz, die bisweilen zwischen der Befragung und den Äußerungen mittels dieses Drehreglers auftauchten. Vorwerk räumt ein, dass in einer Rezension diese und weitere Resultate nicht ausreichend behandelt werden können, jedoch empfiehlt er die Lektüre des Buchs allen, die in Medientheorie und -praxis tätig sind, nicht zuletzt, weil sich seiner Ansicht nach so manche "ihrer Folgerungen als Trugschlüsse erweisen".

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