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Ein Band, der alle Erzählungen des großen Dramatikers und einfühlsamen Chronisten Amerikas versammelt. In seinen Stücken widmete sich Arthur Miller den großen Themen seiner Zeit, in seinen Stories galt seine Aufmerksamkeit den unauffälligen, intimen Ereignissen im Leben des Einzelnen.
»Arthur Miller lebt und atmet in diesen Geschichten ... Sie vervollständigen sein Werk. Mehr noch: Sie sind ein fesselndes Selbstporträt.« Jane Smiley

Produktbeschreibung
Ein Band, der alle Erzählungen des großen Dramatikers und einfühlsamen Chronisten Amerikas versammelt. In seinen Stücken widmete sich Arthur Miller den großen Themen seiner Zeit, in seinen Stories galt seine Aufmerksamkeit den unauffälligen, intimen Ereignissen im Leben des Einzelnen.

»Arthur Miller lebt und atmet in diesen Geschichten ... Sie vervollständigen sein Werk. Mehr noch: Sie sind ein fesselndes Selbstporträt.« Jane Smiley
Autorenporträt
Miller, ArthurArthur Miller wurde 1915 in New York City geboren. Sein erstes Theaterstück schrieb er 1936. 'Der Tod eines Handlungsreisenden' trug ihm 1949 Weltruhm ein. Es folgten das von allen seinen Stücken meistgespielte 'Hexenjagd' und weitere Dramen. Für sein umfangreiches literarisches Werk, das außerdem zahlreiche Essays, einen Roman und Lebenserinnerungen einschließt, wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Prinz-von-Asturien-Preis 2002, dem Jerusalem-Preis 2003 und posthum mit dem Anne Frank Human Writes Award 2005. Arthur Miller verstarb 2005.Literaturpreise:unter vielen anderen:Prinz-von-Asturien-Preis 2002Jerusalem-Preis 2003Anne Frank Human Writes Award 2005 (posthum)

Strätling, UdaUda Strätling lebt in Hamburg und hat u. a. Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, John Edgar Wideman, Aldous Huxley und Marilynne Robinson übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2015

Warten auf die Zukunft
Als Prosaist war der große amerikanische Dramatiker Arthur Miller
eher betulich. Das zeigen zwei Neuausgaben zum 100. Geburtstag
VON WILLI WINKLER
Acht Mal mindestens ist sein Drama vom „Tod eines Handlungsreisenden“ verfilmt worden, darunter von Volker Schlöndorff mit Dustin Hoffman in der Titelrolle. Beim ersten Mal, das war 1951, kurz nach dem Sensationserfolg am Broadway, graute der Filmgesellschaft so sehr vor dem eigenen Werk, dass sie eine Reihe willfähriger Professoren zusammentrieb und sie in einem extra produzierten Vorfilm erklären ließ, dass es solche Menschen wie Willy Loman in Amerika gar nicht gebe, dass die Arbeitsverhältnisse keineswegs so mörderisch seien wie vom Autor geschildert, dass es also schon überhaupt keinen Grund gebe, an Amerika und seinem Fortschrittsoptimismus zu zweifeln. Der arbeitslose Handlungsreisende brachte sich dennoch um – Willy Loman avancierte zur Kippfigur im amerikanischen Traum.
  Der Dramatiker Arthur Miller brachte Henrik Ibsen nach Amerika und konnte sogar, noch vaterlandsloser, die Namen Sigmund Freud und Karl Marx fehlerfrei buchstabieren. Bis heute, gut zehn Jahre nach seinem Tod, werden seine Stücke weltweit aufgeführt. Loman ist Weltbürger geworden. Er kommt aber wie sein Erfinder aus den amerikanischen Dreißigern, der red decade, als es, nach Börsenkrach und Depression, selbst in den USA nicht mehr undenkbar war, im Sozialismus die Rettung zu sehen.
  Miller ist 1915 geboren, nur wenige Wochen nach dem gerade zum Hundertsten fast besinnungslos gefeierten Franz Josef Strauß. Strauß strebte als Verteidigungsminister die Aufrüstung Westdeutschlands an; Miller arbeitete mit ähnlicher Wut an der Abrüstung des amerikanischen Selbstbewusstseins. Der eine scheiterte mit seinem Ehrgeiz an der eben entdeckten Pressefreiheit, der andere wurde zum Märtyrer der guten Sache, als die Freiheit beinahe preisgegeben worden wäre. Als er 1956 vor den McCarthy-Ausschuss geladen wurde, um sich nicht etwa wegen unamerikanischer Umtriebe zu rechtfertigen, sondern um andere zu denunzieren, redete Miller wie eine seiner Figuren: „Mein Gewissen erlaubt mir nicht, dass ich die Namen anderer nenne.“ Miller wurde selber angeklagt, kam aber mit einer Bewährungsstrafe davon. Dass er zum Zeitpunkt der Anhörung mit dem Inbegriff amerikanischer Schönheit, mit Marilyn Monroe, verheiratet war, hat seiner gerechten Sache nicht geschadet.
  Bereits im College hatte Miller Preise für seine Stücke gewonnen, doch den ersten Erfolg, Jahre vor dem Weltruhm, erlebte er mit einem Roman, der 1945 erschien und den tief eingewurzelten Rassismus zum Thema hatte. „Fokus“ ist ein in jeder Hinsicht altmodischer Roman, dabei erschreckend aktuell, weil er vorführt, wie man jederzeit zum Opfer von Vorurteil und nackter Missgunst werden kann.
  Weit effektvoller konnte er seine Anliegen auf dem Theater vortragen. Die Erzählung verstand er als „Vehikel für Gefühle und Geschichten“, als „freundliches, familiäres (gemeint ist: vertrautes) Genre“, mit dem er sich ebenso abgab, wie er sich als amerikanischer Schriftsteller mit eigener Hand eine Hütte baute und am selbstgezimmerten Tisch schrieb. Nur sieben der Erzählungen in dem neuen Band „Presence“ erscheinen hier zum ersten Mal auf Deutsch; die anderen, drei Fünftel des Buches, gab es bereits 1967 in der Übersetzung von Hermann Stiehl bei Rowohlt, der (unter dem besseren Titel „Brennpunkt“) auch „Fokus“ herausgebracht hatte.
  Als Erzähler fehlte Miller die Kühnheit eines Donald Barthelme, aber auch die Empfindsamkeit John Updikes, der sich mit einer pornografischen Liebe zum Detail dem weiblichen Körper widmen konnte; erst recht die Besessenheit John Cheevers, von der manischen Wortsucht von David Foster Wallace ganz zu schweigen. Die Erzählungen sind von einer gewissen Betulichkeit, die einen gerührt an die längst verschwundenen Westermanns Monatshefte denken lässt. Es geht, wie könnte es anders sein, ums Erwachsenwerden, um die Liebe also, ums Schreiben und nicht schreiben können, um Ideale und verlorene Illusionen.
  Kurzgeschichten, aber das ist banal, müssen in wenigen Worten nicht bloß Stimmungen erzeugen, sondern ganze Leben erfinden, pointillistisch fein sein und doch den Leser hinüber zur nächsten Seite tragen. So wie in der Geschichte von den Welpen, Bulldoggenwelpen möglicherweise, die in einer Anzeige zu haben sind, drei Dollar das Stück, um die es aber gar nicht geht, sondern um die Frau, die sie zum Kauf angeboten hat, um ihre raue Stimme, ihre langen schwarzen Haare und darum, dass sie einen offenen Morgenmantel trug, aus dem „Brüste wie halb volle Ballons“ hervorkamen, so dass nach bewährter Weise eins zum anderen kommt. Der dreizehnjährige „er“, dem so viel Gutes widerfährt, weiß natürlich nicht, wie ihm geschieht, außer „in ihr drin gewesen zu sein, wo es heiß war“. Abgesehen davon, dass auch der New Yorker eine solche Geschichte heute nicht mehr drucken würde, weil es sich (trotz Moravia, Nabokov, Proust und wem nicht alles) technisch um Kindesmissbrauch handelt, schafft Miller in dieser so wenig überraschenden sexuellen Erweckungsgeschichte immerhin einen ironischen Schnitt, den er sich sonst in seinem ganzen Werk nicht gestattet: „Gerade, als er in sie hineinglitt nämlich, hatte sie die Augen aufgemacht und gesagt: ‚Ich heiße Lucille‘. Seine Mutter holte eine Schale mit Nudeln vom vorigen Abend heraus und setzte sie auf den Boden.“
  Unvermeidlich werden bei der Übersetzung kleinliche Einwände fällig, von denen die Übersetzerin nichts mehr hat, aber muss das „homely girl“ wirklich mit „unansehnlich“ wiedergegeben werden, wenn doch „unscheinbar“ gemeint ist und auch genügt hätte? Dieses Mädchen, deren Leben da erzählt wird, heißt Janice und ist selbstbewusst genug, ihren Mann, mit dem sie auf politischer Genossenschaftsbasis und sonst kaum verbunden war, zu verlassen, um dann doch mit jedem ins Bett zu gehen, weil sie sich so unerfreulich, so gewöhnlich findet. Sie bewundert die marmorgleichen Züge von Greta Garbo und träumt von der Zukunft, als es „in den alten Zeiten nichts anderes gegeben“ hatte. Die Zukunft hat die verheerende Eigenschaft, umso weiter zurückzuweichen, je näher man ihr zu kommen glaubt. Aber dann kommt das Glück auch zu Janice, sie lernt einen Blinden kennen, der sie achtet, bewundert, der sie heiratet.
  Diese Geschichten sind kaum politisch, aber auch Wunscherfüllungen, dass es also mit dreizehn wirklich eine Frau mit langem offenen Haar gegeben hätte, die einen wortlos zum Beischlaf nötigte, oder dass der leergeschriebene Autor sich per Anzeige eine junge Frau suchen kann, um auf ihrem nackten Leib aus dem Stand eine vollständige Kurzgeschichte zu pinseln. O beim Hl. Sankt Franz Kafka! Dieser Blödsinn mag im puritanischen Amerika noch als frivol durchgehen, und vielleicht hilft eine solche Fantasie ja beim Schreiben, aber sie ist so altjüngferlich wie die Szene morgens am Strand, als der Erzähler Zeuge einer sandigen Kopulation wird und an eigene bessere Tage zurückdenkt.
  Statt des Blicks in die Zukunft, optimistisch und glücksbereit, bieten Millers Geschichten einen Blick unvorstellbar weit zurück, als solche Nervendramen sich noch in aller Gemütsruhe abspielten. „Wir saßen da, sahen uns an und warteten darauf, dass die Zukunft begann“, schreibt Miller in seinen Erinnerungen. Es wäre auch höchste Zeit dafür.
            
Arthur Miller: Presence. Sämtliche Erzählungen. Aus dem Englischen von Uda Strätling. 416 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 19,99 Euro.
Arthur Miller: Fokus. Roman. Aus dem Englischen von Doris Brehm. 224 Seiten, 9,99 Euro.
Beide Bände im S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
Kaum politisch sind diese
Geschichten, sondern eher schon
versuchte Wunscherfüllung
In der Zeit des Kalten Krieges arbeitete er wütend an der Abrüstung
des amerikanischen Selbstbewusstseins: Arthur Miller, hier 1953 in New York.
Foto: Roy Schatt/ Polaris / StudioX
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Willi Winkler holt etwas aus, um dann schließlich doch noch einige missmutige Worte über den nun unter dem Titel "Presence" erschienenen Band mit sämtlichen Erzählungen Arthur Millers zu verlieren. Nicht so kühn wie Donald Barthelme, nicht so empfindsam wie John Updike und nicht so besessen wie John Cheevers sei Miller als Erzähler, mosert der Kritiker und fährt fort: Geschichten wie etwa jene, in der ein Dreizehnjähriger von einer erwachsenen Frau zum Beischlaf genötigt wird, seien "altjüngferlich", aber keineswegs frivol, schreibt Winkler, dem Miller hier überhaupt ziemlich rückständig erscheint.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2015

Von Sentimentalität sanft überpudert

Andauernde Intensität: Arthur Miller war einer der großen Dramatiker des zwanzigsten Jahrhunderts. Postum lässt sich jetzt auch die Könnerschaft des Amerikaners als Erzähler erleben.

Der vor einem Jahrzehnt verstorbene Arthur Miller gilt unbestritten als der herausragende Autor sozialkritischer Dramen in den Vereinigten Staaten im zwanzigsten Jahrhundert und zugleich als einer der bedeutenden Essayisten seiner Zeit. Aber als Erzähler ist Arthur Miller zumindest in Deutschland mittlerweile so gut wie unbekannt. Man sollte sich freilich daran erinnern, dass Millers einziger Roman "Focus" ("Brennpunkt"), seine 1945 erschienene erzählerische Erkundung von Rassenhass und Zivilcourage am Beispiel des Antisemitismus in Amerika, in den fünfziger und sechziger Jahren in Deutschland große Beachtung fand. Und zumindest eine Erzählung Millers ist auch bei uns zu Ruhm gelangt: "Misfits", eine Geschichte, die Miller zu einem die Akzente gründlich verlagernden Drehbuch verarbeitete, das seiner damaligen Frau Marilyn Monroe eine ihrer eindrucksvollsten Rollen lieferte; es war freilich ihre letzte. Der deutsche Titel "Nicht gesellschaftsfähig" hat sich indes vor den Originaltitel "Misfits" geschoben, der die Akteure von Erzählung und Film direkt als Außenseiter charakterisiert.

Jetzt sind Millers sämtliche Erzählungen - die späten erstmals in deutscher Übersetzung - in der Reihe "Fischer Klassik" erschienen. Überrascht von diesem Klassizitätsanspruch, nimmt der deutsche Leser den Band zur Hand und lässt sich erst einmal von Miller selbst in einem 1966 entstandenen Vorwort bestätigen, dass die Erzählung ein "freundliches, familiäres Genre" ist, das im Unterschied zum Drama Ereignisse und Entwicklungen nicht beschleunige und konzentriere, sondern sie stillstelle, "um in aller Ruhe einzelne Aspekte in den Blick nehmen zu können". Die short story ist damit für Miller eine Gattung der Präzisierung im Detail und der Verdichtung der Aussage; sie erlaubt es dem Erzähler, "seine Wahrheit in einem Atemzug zu sagen". Hier spricht sich also kein gesteigertes Klassizitätsverlangen aus, wohl aber ein präzises Gattungsbewusstsein, das Miller genau erkennen ließ, welche seiner Stoffe fürs Drama und welche für die Erzählung geeignet waren. Als Nebenarbeiten wollte Miller jedenfalls seine Erzählungen nicht gewertet wissen.

Es spannt sich ein großer thematischer Bogen von der 1959 entstandenen ersten Erzählung des Bandes bis zur letzten, die der postum erschienenen Sammlung "Presence" (2007) den Titel gab. Beide sind Strandszenen; sie spielen also an einem Ort, der symbolisch elementare Grenzerfahrungen des Daseins repräsentiert: den Eintritt ins Leben in der ersten Geschichte, die Nähe des Todes in der letzten. Die frühe Erzählung "Ich brauche dich nicht mehr" wird erzählt aus der Perspektive eines noch nicht sechs Jahre alten Knaben aus jüdischem Elternhaus, die letzte aus der Perspektive eines alten Mannes, der auf das "geheiligte, heimatliche Gewässer seiner lange zurückliegenden Kindheit, das Meer, das ihn damals liebte und trotz der Angst lockte", blickt und dabei ungewollt ein junges Paar beim Liebesakt beobachtet. Hier erfährt ein alter Mensch die volle Gegenwart ("presence") der Liebe in dem sicheren Bewusstsein, an ihr keinen Anteil mehr zu haben, während in der ersten Geschichte, einer großen Kindheitsstudie von schmerzhafter Eindringlichkeit, ein Junge in der panischen Furcht, ein Außenseiter zu sein, in verzweifelter Aggressivität um die Liebe seiner Eltern kämpft, und bei seiner Selbstfindung ist ihm die Konfrontation mit dem Meer eine große Hilfe. Wer dieses Spannungsbogens innegeworden ist, wird nicht anders können, als in der Folge dieser Erzählungen auch eine innere Biographie ihres Autors Arthur Miller zu lesen. Das verleiht dieser Sammlung eine erstaunliche Geschlossenheit.

Die Stärken dieses Erzählers decken sich mit denen des Dramatikers Miller: die Kunst der präzisen Charakterisierung, Prägnanz der Dialoge, atmosphärische Verdichtung, sozialpsychologisches Gespür. Hinzu kommt in den Erzählungen eine staunenswerte Genauigkeit in der Beschreibung nicht nur von Räumen und Landschaften, sondern auch von technischen und handwerklichen Abläufen, in der sich die künstlerischen Ansprüche eines großen Realisten zu erkennen geben. Die Story "Schiffschlossers Stunde" erzählt von Tony Calabrese, einem Kleingangster und auch menschlich ziemlich miesen Typ, der während des Zweiten Weltkriegs zwangsverpflichtet ist zur Schiffsreparatur im New York Naval Shipyard, wobei er im eiskalten Januar jede Gelegenheit nutzt, um sich vor der Arbeit zu drücken. Dann aber kommt die große Herausforderung: die Reparatur der Ablaufschienen für Wasserbomben auf einem Zerstörer bei eisiger Kälte und ständiger Absturzgefahr, die Tony gegen den eigenen Willen, gefesselt nur von der Ausstrahlung des jungen Schiffskommandanten, bravourös bewältigt: eine Geschichte sehr amerikanischer Prägung über das Heldentum des kleinen Mannes, die Miller, wie andere Erzählungen auch, mit einem keineswegs unangenehmen Hauch von Sentimentalität sanft überpudert. Miller erzählt all dies mit einem eminenten Sachverstand in den technischen Details, die im Übrigen nicht allein Tony, sondern auch der Übersetzerin dieses Bandes eine Menge an Präzisionsarbeit abverlangen; sie bewältigt sie nicht weniger bravourös als Tony die seinige.

Und so geht auch der Zauber von "Misfits", Millers Meistererzählung, von der Sicherheit aus, mit der er dies seelische Kammerspiel zwischen drei Männern atmosphärisch einbettet in eine mit äußerster Präzision erfasste Wüstenlandschaft, aber auch von der tierpsychologischen Sensibilität, mit der er die Reaktionen der von den drei Außenseitern Gay, Perce und Guido, die sich in keine Gesellschaft und keinen Beruf mehr einpassen wollen, gejagten Wildpferde erfasst. "Misfits" sind sie alle, die Pferde wie die Männer, und wenn Gay, während er eine Lassoschlinge um die Vorhand eines Pferdes legt, sagt: "Sind armselige Klepper, die nirgends hinpassen", dann charakterisiert er damit zugleich sich selbst und seine Freunde. Das Drama um Gays Freundin Roslyn, das sich zwischen Gay, dem Mittvierziger, und dem jungen Perce abspielen könnte, belässt Miller in der Erzählung anders als im Film noch ganz in der Verhaltenheit erinnerter Gesten und sparsam angedeuteter Ängste und Wünsche der Männer, und auch das trägt zum Zauber der Erzählung bei.

Die atmosphärische Dichte von "Misfits" und manchen anderen der früheren Erzählungen erreichen Millers späte Storys nicht mehr; sie wirken konstruierter und programmatischer und geben auch der in Millers Erzählungen ohnehin spürbaren Neigung, die Bedeutung des Geschehens eindeutiger zu benennen, als dies nötig wäre, allzu bereitwillig nach. Aber auch hier folgt Miller seiner Überzeugung, dass Kunstwerke, wie es in der anrührenden Erzählung "Unansehnliche Frau, ein Leben" heißt, jenseits ihrer historisch-politischen Anlässe ihre "eigene Spiritualität" schaffen müssen, und das gelingt ihm bei der Mehrzahl seiner Erzählungen außerordentlich gut. Ich denke, dass ihre Eigenschaft, gleichsam Kapitel der inneren Biographie des Autors und Medien seiner seelisch-geistigen Selbstverständigung zu sein, erheblich dazu beiträgt, ihnen ihre andauernde Intensität zu sichern. Manche der späteren Erzählungen legen auch über die in einem langen Leben enttäuschten politischen Hoffnungen und Irrtümer dieses großen sozialkritischen Dichters Rechenschaft ab, dem aber keine politische Desillusionierung die Liebe zu den Menschen, von denen jede dieser Geschichten kündet, hat austreiben können.

Arthur Miller, der heute vor hundert Jahren in Harlem, New York City, geboren wurde, ein Klassiker also? Als Dramatiker sowieso. Aber seine Erzählungen bieten doch auch eine ganz vorzügliche Möglichkeit, ihn kennenzulernen und ihm auf manchmal erstaunlich persönliche Weise nahezukommen.

ERNST OSTERKAMP

Arthur Miller: "Presence". Sämtliche Erzählungen.

Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 414 S., geb., 22,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Die Stärken dieses Erzählers decken sich mit denen des Dramatikers Miller: die Kunst der präzisen Charakterisierung, Prägnanz der Dialoge, atmosphärische Verdichtung, sozialpsychologisches Gespür. Ernst Osterkamp Frankfurter Allgemeine Zeitung 20151017