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"Auf dem Meer" legt vier Erzählungen von Gao Xingjian vor, die für die chinesische Literatur und ihre Entwicklung Wegmarken sind. In einem politischen Umfeld, in dem jede Äußerung zu Denunziation Anlass gab, versucht Gao Xingjian mit tastender Sprache Worte zu finden und Werte zu rehabilitieren, die uns elementar scheinen. Aber in der damaligen Welt war selbst die enge Beziehung zwischen Mutter und Kind ärgsten politischen Missverständnissen ausgesetzt. Mit Ernst und Ironie, aber auch mit skurrilen Spannungsbögen und unerwarteten Handlungsbrüchen entfalten diese Erzählungen unverwechselbar den…mehr

Produktbeschreibung
"Auf dem Meer" legt vier Erzählungen von Gao Xingjian vor, die für die chinesische Literatur und ihre Entwicklung Wegmarken sind. In einem politischen Umfeld, in dem jede Äußerung zu Denunziation Anlass gab, versucht Gao Xingjian mit tastender Sprache Worte zu finden und Werte zu rehabilitieren, die uns elementar scheinen. Aber in der damaligen Welt war selbst die enge Beziehung zwischen Mutter und Kind ärgsten politischen Missverständnissen ausgesetzt. Mit Ernst und Ironie, aber auch mit skurrilen Spannungsbögen und unerwarteten Handlungsbrüchen entfalten diese Erzählungen unverwechselbar den Resonanzraum, in dem sich das Werk von Gao Xingjian entwickelte.
Autorenporträt
Gao Xingjian wurde am 4. Januar 1940 in Ganzhou (Provinz Jiangyi) in Ostchina geboren. Bis 1962 studierte er in Peking französische Literatur und wurde dann im Zuge der Kulturrevolution lange zur 'Umerziehung' aufs Land gezwungen. Mach Maos Tod erschienen ab 1980 seine ersten Schriften, u. a. 'Erkundungen in modernen Erzähltechniken' sowie die Theaterstücke 'Das Warnsignal' und 'Die Busstation'. Nach Aufführungsverboten und einer politischen Kampagne zog er sich auf Land zurück. 1985/96 lebte er als DAAD-Stipendiat in Berlin, 1987 verließ er China endgültig und lebt seither in Paris. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens trat er 1989 aus der Partei aus, seine Schriften wurden in China endgültig verboten. 2000 wurde er mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.12.2000

Am Anfang war der Klang
Der Nobelpreisträger, ein Foto, die Liebe und das Meer – Frühe Erzählungen von Gao Xingjian auf Deutsch
Gao Xingjian, der diesjährige Literatur-Nobelpreisträger, gratuliert seinen Stockholmer Juroren.
Foto: Reuters
Für den Anfang seines ersten Sechshundert-Seiten-Romans „Der Berg der Seele”, so erzählte der Nobelpreisträger Gao Xingjian einmal der Pariser Libération, sei er mit einem altmodischen Monstrum an Aufnahmegerät in die südchinesischen Berge gefahren, um dort laut gegen diese anzusprechen. Es gibt den Anfang also „nur auf Kassette”. „Es war nicht schlecht, dort oben mit dem Riesengerät allein. ” Auch wenn Gao seine Texte zum erstenmal prüft, liest er sie laut: „Man hat die Sprache viel zu sehr intellektualisiert”, sagt der Nobelpreisträger, „der Inhalt, die Bedeutung, steht nicht am Anfang der Literatur. Sie ist zuerst einmal Klang. ”
Über die Theaterstücke, mit denen Gao Xingjian in China vor mehr als zwanzig Jahren erfolgreich begann (jaja, „Die Busstation”), hat sich das Gerücht in den Literaturbetrieb geschlichen, der 1940 Geborene sei eine Art Beckett- oder Ionesco-Kopie. Schon die Erzählung vom Entstehen seines ersten Romans vermittelt eine andere Geschichte. Doch bis man den „Berg der Seele” und andere Romane deutsch lesen kann, dürfte es noch eine gute Weile dauern. So ergibt sich die Komik, dass man einen der entschiedenen Langschreiber der modernen Prosa zuerst über vier knappe Erzählungen kennen lernt, die jetzt im Fischer-Verlag erschienen sind. Neunzig flockig bedruckte Seiten. Und schon wieder hört man Banausen, die laut murmeln: dafür den Nobelpreis? Nein, natürlich nicht. Aber es lohnt sich, diesen kleinen Gao zu lesen.
Nochmal bietet sich ein vollkommen anderes Panorama dar: Die vier Erzählungen, die Gao Xingjian alle in der ersten Hälfte der achtziger Jahre geschrieben hat, die 1989 in Taipeh zum erstenmal erschienen sind, lesen sich wie klassische Kurzgeschichten. Für uns, könnte man beinahe sagen, ähnlich wie der vergessene Böll der ersten Nachkriegsjahre, oder gleich wie Hemingway: Viel human touch. Der Einzelne und die Anderen in Gesellschaft wie Natur.
„Er hätte nie gedacht, dass es so schnell vorbei sein würde. Die ganze Szene hatte nicht länger als zehn Minuten gedauert, nein, genau zehn Minuten. Er hatte an der Pforte den Besuchsschein ausgefüllt und nervös auf die Uhr geschaut, 10. 07 Uhr. ”
Ein rasch, im Rückblick erzählter Anfang, der trotzdem gleich ins Herz der Dinge führt: Zhang hat seine Jugendliebe Feng fünfundzwanzig Jahre lang nicht gesehen. Er ist umerzogen worden. Fünfundzwanzig Jahre war er auf dem Land. Er ist dort verheiratet und hat Kinder. Aber er wollte Feng unbedingt wiedersehen. Sie erkennt ihn nicht gleich, dann doch, es ergibt sich ein typisches Geistergespräch („Was habe ich denn gesagt, ich erinnere mich gar nicht mehr”), er möchte eigentlich schon wieder gehen, sie bittet ihn zu bleiben („du kommst doch so selten”), sie verabschieden sich, „lieber Li”, sagt sie, er heißt Zheng, aber was bedeuten schon Namen . . .
Eine Geschichte, wie sie überall geschrieben werden könnte, ist „Fünfundzwanzig Jahre” trotzdem nicht. Nicht das Schicksal oder sonst was hat die beiden getrennt, es war die Politik, damals, als an der Uni die Kampagne gegen die „Rechten” begann. Jetzt wartet Zhang in der „Gymnastikpause” eines Betriebs auf Feng Yiping, die damals nur als „mittlere Rechte” eingestuft wurde und davonkam. Die kleine Geschichte von Gao Xingjian ist geradezu ein Beweis dafür, dass das Ewig-Menschliche nie frei herumliegt, es kommt aus der Gesellschaft nie heraus.
Sehr früh schon, als Kind, sagt Gao, der Sohn einer Schauspielerin, habe er die Märchen von Andersen, den Gebrüdern Grimm, englische Abenteuerromane auf Chinesisch gelesen. Schon daran sieht man, dass es wenig Sinn hat, mit dem Rechenschieber trennen zu wollen, was bei Gao westlich, was chinesisch ist usw. Drei seiner Geschichten folgen jedenfalls einer geradlinigen Dramaturgie, die man auch hier ohne Probleme genießen kann. Nur die Titelgeschichte „Auf dem Meer” wirkt, vor dem Hintergrund der vergleichsweise wenig kollektiven Gesellschaft Europas, etwas arg didaktisch: Man wird mit „Du” angesprochen und lernt, dass ein A-Sozialer eventuell ein Individualist ist.
Doch wie ein Durchschnitts-Mensch das lernt, auf dem Meer, in einem kleinen Boot, das hat Klasse. Alle Geschichten haben einen existentialistischen Unterton: ob ein Junge einem Mädchen imponieren will, indem er weit hinaus schwimmt, dabei von einem Krampf befallen wird und erst hier erfährt, was schwimmen heißt; oder ob der A-Soziale im Boot plötzlich auf eine unverständliche Weise zu singen beginnt, das hat, die beiden sprechen kein Wort miteinander, auch eine Verrücktheit und Fremdheit, die durch die flüssig zu lesende Übersetzung gut vermittelt wird. Und immer spürt man dabei die Liebe zur Ding-Welt, die Kraft des Meers.
Am meisten von Gao Xingjian erfährt man wohl in der letzten pathetisch-sentimentalen Geschichte, die deutlich autobiographische Elemente hat: Der Ich-Erzähler, ein erfolgreicher junger Dramatiker, hat, so kommt es ihm vor, eine Todsünde begangen. Weil seine schon lange verstorbene Mutter auf einem alten Bild, dem einzigen, das er von ihr hatte, zwar schön und jung war, aber einen Qibao trug, ein klassisches Kleid, das sich für Mütter von Kulturrevolutionären nicht schickt, hat dieser Sohn und Kulturrevolutionär das einzige Foto seiner Mutter ins Feuer geworfen. Hat sie auch sonst verleugnet, indem er ihr keines seiner erfolgreichen Stücke gewidmet hat.
Bevor Gao zum verfolgten Regimekritiker wurde, ins Exil ging, glaubte er selber an die Revolution. Doch statt das erste Leben, wie in solchen Fällen öfters, zu verschweigen, macht er es zum Thema. Und setzt auch das berühmte Allgemeinmenschliche, den Verrat, wieder in eine Realität.
In Deutschland schauen die Verlage missmutig auf die dicken Gao-Romane. Anfangs hatte er auch in Frankreich damit Probleme, er solle sie doch, wurde ihm freundlich bedeutet, um ein Drittel kürzen, das lasse sich so nicht verkaufen. Gao antwortete, schon in China habe ihn niemand dazu bewegen können, ein Komma zu streichen. Das werde auch hier nicht gelingen. Ganz oder gar nicht. Wenn nicht: „Schade für Sie. ”
Inzwischen liegt „La Montagne de l’ Ame” bei amazon.fr. auf VerkaufsPlatz Nr. 4.
HANS-PETER KUNISCH
GAO XINGJIAN: Auf dem Meer. Erzählungen. Aus dem Chinesischen von Natascha Vittinghoff. Fischer Taschenbuch 15183. Frankfurt/Main 2000. 96 Seiten, 17,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2001

Muttersöhnchen
Gao Xingjian reut frühe Schuld

Daß er sich für einen treulosen Sohn hält, hat man lange vor der sechsten Wiederholung begriffen. Zumal er sich auch als pietätlosen und undankbaren Sohn bezeichnet oder wahlweise als einen nüchternen, egoistischen Menschen, mit einem mal leeren, mal nur von ihm selbst besetzten Herzen. Daß der Ich-Erzähler - ein Schriftsteller Anfang Vierzig - einen ganzen Monolog lang nicht nur die tote Mutter anfleht, sondern zwischendurch auch sich selbst in Du-Form anklagt, stellt die Geduld des Lesers zusätzlich auf die Probe. Daß man aber bei alldem nicht erfährt, warum der prominente Sohn nach über zwanzig Jahren auf einmal die einst ertrunkene, lange vergessene Mutter vor sich sieht, warum er gerade jetzt seine Schuld erkennt und bereut - diesen Mangel mag man dem Autor schließlich nicht mehr nachsehen.

Die Frage nach dem Warum des späten Schuldbekenntnisses hat Gao Xingjian in seiner Erzählung "Die Mutter" (1983) gar nicht gestellt. Der Grund für die radikale Selbstanklage des Ich-Erzählers erschöpft sich in drei Vokabeln: Überarbeitung, Hoffnungslosigkeit, Trostbedürfnis - wobei die Hoffnungslosigkeit schon wieder überwunden ist. Worin diese jedoch bestanden hat und wofür der Sohn jetzt den Trost der Mutter ersehnt, all das steht weder in noch zwischen den Zeilen geschrieben - und ist also nicht einmal als Geheimnis präsent.

Auch die anderen drei "frühen" Erzählungen des Chinesen Xingjian aus den Jahren 1982 bis 1984 (er war damals Anfang Vierzig), die zuerst 1989 in einem taiwanischen Verlag und nun unter dem Titel "Auf dem Meer" als Fischer-Taschenbuch erschienen sind, tragen nicht gerade dazu bei, das Interesse am letztjährigen Literatur-Nobelpreisträger zu wecken. (Gao Xingjian: "Auf dem Meer". Erzählungen. Aus dem Chinesischen übersetzt von Natascha Vittinghoff. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt 2000. 93 S., br., 17,90 DM.)

sus

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Rezensent mit dem Kürzel "sus" lässt kein gutes Haar an diesem Erzählband. Zu redundant erscheint ihm die Erzählung "Die Mutter", dauernd erfahre man aufs Neue, wie treulos und egozentrisch der Sohn sich selbst findet. Doch darüber, weshalb er nach Jahren nun plötzlich "seine Schuld erkennt", sage der Erzähler nichts. Geradezu unverzeihlich findet dies "sus", dem die Vokabeln "Überarbeitung, Hoffnungslosigkeit, Trostbedürfnis" als Erklärungen einfach nicht genügen. Wenn wenigstens ein Geheimnis zwischen den Zeilen zu erahnen wäre, seufzt "sus", doch nicht einmal das sei der Fall. Auch die anderen drei Erzählungen, auf die der Rezensent nicht näher eingeht, wecken seiner Ansicht nach nicht gerade Neugier auf weitere Werke des "letztjährigen Literatur-Nobelpreisträgers".

© Perlentaucher Medien GmbH