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Das politische System der römischen Republik war durch zwei Spannungsfelder gekennzeichnet: Da es keinen Geburtsadel gab, sondern gesellschaftlicher Rang durch politische Betätigung erst erworben werden musste, bestand ein Konkurrenzkampf unter den Mitgliedern senatorischer Familien. Diesem stand die Herstellung von Entscheidungen durch Konsens gegenüber, d.h. durch Verhandlungen, die mit weitgehender Einmütigkeit enden mussten. Vertrauen in das Gegenüber wie in die Leistungsfähigkeit des politischen Systems war eine wesentliche Bedingung für die Gleichzeitigkeit von Konkurrenz und Konsens.

Produktbeschreibung
Das politische System der römischen Republik war durch zwei Spannungsfelder gekennzeichnet: Da es keinen Geburtsadel gab, sondern gesellschaftlicher Rang durch politische Betätigung erst erworben werden musste, bestand ein Konkurrenzkampf unter den Mitgliedern senatorischer Familien. Diesem stand die Herstellung von Entscheidungen durch Konsens gegenüber, d.h. durch Verhandlungen, die mit weitgehender Einmütigkeit enden mussten. Vertrauen in das Gegenüber wie in die Leistungsfähigkeit des politischen Systems war eine wesentliche Bedingung für die Gleichzeitigkeit von Konkurrenz und Konsens.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2017

Humor ist auch eine politische Tugend
Mit Nutzanwendungen für die Gegenwart: Jan Timmer über Vertrauen als stabilisierendes Element der Elite im republikanischen Rom

Wer von den alten Griechen und Römern handelt, kann die Frage, was diese Dinge mit uns zu tun haben, auf drei verschiedene Weisen beantworten. Man kann unbekümmert aktualisieren und analogisieren, wie das populäre Sachbücher etwa zum Alltagsleben gerne tun. Dagegen setzen strenge Wissenschaftler die Einmaligkeit jeder historischen Formation, wobei bisweilen noch eine Alteritätsobsession dazukommt, gerichtet gegen die angeblich falsche Vertrautheit des klassizistischen Schauens.

Jan Timmer schlägt in seiner Studie über Vertrauen als politische Ressource in der römischen Republik einen dritten Weg ein: die theoriegeleitete Analyse eines anthropologischen Phänomens, das zum Begriff geläutert wird. Vertrauen und Misstrauen gehören als Grundbausteine menschlichen Verhaltens der unmittelbar erfahrbaren Lebenswelt an. Zugleich aber sind sie Gegenstand von soziologischer und politikwissenschaftlicher Analyse, wenn es um Handlungen auf verschiedenen Feldern geht, zwischen Individuen, in Gruppen und gegenüber Institutionengefügen - Letzteres dann als "Systemvertrauen", dessen Schwinden in der Gegenwart seit einiger Zeit immer wieder diagnostiziert wird.

Der Beitrag der Psychologie schien dem systemanalytisch imprägnierten Autor dagegen wohl zu wenig greifbar. Timmer liefert Kondensate der einschlägigen Theorien und Forschungen, von Luhmann, der Vertrauen und Misstrauen als komplementäre Instrumente zur Reduktion von Komplexität deutete, bis hin zu spieltheoretischen Modellen. Dabei meidet er den zugehörigen Jargon nicht, weswegen Leser mit aparten Wörtern wie "Pareto-Optimum" oder "Defektion" (wenn ein Vertrauensnehmer das Vertrauen des Gebers durch sein Handeln als ungerechtfertigt erweist, also von der Vertrauensbeziehung "abfällt") konfrontiert werden. Hier fehlt ein Glossar. Auch ein Register beizugeben wäre eine vertrauenbildende Höflichkeit gewesen.

Für die politische Elite der römischen Republik geht Timmer von zwei unstrittigen Befunden aus: Da zu ihr nur gehörte, wer durch Wahlen und Bewährung hohe Ämter erreicht hatte, gab es einen ständigen Konkurrenzkampf um Zugehörigkeit und Rang. Zugleich erforderte die Selbstbehauptung Roms nach außen, inneraristokratische Konflikte zu vermeiden und möglichst geschlossen aufzutreten. Entscheidungen wurden daher bevorzugt im Konsens getroffen; Timmer spricht von einem "nicht-formalisierten Verhandlungssystem".

Damit dieses ohne allzu lange Verzögerungen und allzu viele Blockaden funktionieren konnte, bedurfte es einer ausgeprägten Homogenität der Führungsschicht sowie eines stabilen Vertrauens in die Lauterkeit der anderen Akteure - und damit auch in das gesamte System. Wer einmal partout nicht zustimmen konnte, blieb dann eben zu Hause. Kooperation einzuüben, auch wenn das ein Nachgeben bedeutete, und Vertrauen aufzubauen richtete sich dabei auf eine nicht festzulegende Zukunft, und Timmer vermag das Bild einer gänzlich der Gegenwart verhafteten, von situativen Konstellationen und Interessen geprägten Politik im Senat zu differenzieren.

Der Autor bescheinigt dem Vertrauen generierenden und auf Vertrauen aufruhenden politischen Stil der regierenden Elite eine bemerkenswert lange Stabilität. Die relativ alten Männer, die einen langen Sozialisationsprozess durchlaufen und im Hannibal-Krieg gemeinsam in den Abgrund geschaut hatten, handelten vorhersehbar. Nicht zufällig nehmen die Routinen und Verfahren, durch die Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit aufgebaut und aktualisiert wurden, etwa die Hälfte des Buches ein; zu ihnen gehörten Humor, Höflichkeit und viele Briefe. Erst ganz am Ende der Republik habe allfälliges Misstrauen die Akteure in die Schützengräben getrieben; das künftige Verhalten der Gegenüber sollten dann eher Korruption oder Kontrolle steuern.

Das Verhandlungsdilemma - der Senat konnte Caesar nicht so viel Rang und Anerkennung zubilligen, wie dieser aufgrund seiner Leistungen verdiente, ohne auch noch den Anschein der aristokratischen Gleichheit aufzugeben - sei mit einem "fehlenden Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems" einhergegangen. Dieser Kausalzusammenhang erscheint etwas weit hergeholt; die zunehmende Monopolisierung militärischer Ressourcen und Erfolge barg eher die Gefahr, dass vertrauens- und regelwidriges Verhalten nicht mehr sanktioniert werden konnte - außer durch ein Attentat. Für die Validität des Erklärungsrahmens spricht dann aber der Ausblick: Die Macht des römischen Kaisers wurde zur Autorität, die nichts anderes ist als generalisiertes Vertrauen.

Immer wieder wendet sich Timmer gegen kurzschlüssige Ethisierungen: Solidarische Orientierung an Interaktion sei nicht mit Altruismus zu verwechseln, und Vertrauen nicht grundsätzlich "besser" als Misstrauen; vielmehr macht dieses jenes erst möglich, indem etwa rechtliche Drohkulissen errichtet werden, die Verhalten steuern, nicht Fehlverhalten sanktionieren sollen. Die moralische Aufladung von Vertrauen durch Verweis auf das Gute, die Götter und das Gemeinwohl vermag wohl Wirkungen zu zeitigen, sie ist aber auch risikoreich, "weil in Konstellationen, in denen Ansatzpunkte für Konflikte gegeben sind, die Moralisierung des Themas die Generalisierung des Konfliktstoffes befördert".

Wer das sperrige, aber ungemein kluge Buch studiert, gewinnt also nicht nur eine neue Perspektive auf die erstaunlich dauerhafte Stabilität der so merkwürdigen römischen Republik sowie auf ihr Scheitern. Geschärft wird auch der Blick auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen in der Gegenwart, feine Beobachtungen eingeschlossen: Wenn Vertrauen öffentlich ausgesprochen wird, ist es damit meist nicht weit her. Das wissen nicht nur Fußballtrainer und Minister.

UWE WALTER

Jan Timmer: "Vertrauen". Eine Ressource im politischen System der römischen Republik.

Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2017. 317 S., br., 45,- [Euro].

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"Der Autor weist eindrucksvoll nach, wie wichtig das Vertrauen in die gemeinsamen Institutionen für die Römer war und wie sehr sie sich auf die 'republikanischen Tugenden' ihrer Mitbürger verließen.", DAMALS, 07.08.2017 "Wer das [...] ungemein kluge Buch studiert, gewinnt nicht nur eine neue Perspektive auf die erstaunlich dauerhafte Stabilität der so merkwürdigen römischen Republik sowie auf ihr Scheitern. Geschärft wird auch der Blick auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen in der Gegenwart, feine Beobachtungen eingeschlossen: Wenn Vertrauen öffentlich ausgesprochen wird, ist es damit meist nicht weit her." Uwe Walter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.08.2017 "The undaunted reader will be rewarded with many stimulating ideas and observations, which deserve a place in the current debate about the 'political culture' of the Roman republic and the workings of the Roman elite. Particularly valuable is the acute and perceptive analysis of the political system [...], which articulates important new insights into the paradoxical nature of the Roman 'constitution'." Henrik Mouritsen, Sehepunkte, 15.02.2018