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Auf welcher Grundlage stand die völkische Ideologie, die spätestens seit dem Ersten Weltkrieg großen Einfluss auf die Mitte der deutschen Gesellschaft nahm? Julian Köck korrigiert die bisherige Forschungsmeinung: Nicht auf die Rassenlehre oder den Antisemitismus stützte sich die Völkische Bewegung in erster Linie. Vielmehr waren es einheitsstiftende Geschichtsbilder - etwa die Begeisterung für das antike Griechenland -, die es den Völkischen ermöglichten, die heterogenen Elemente ihrer Weltanschauung zu überbrücken. Dabei ging es nicht darum, eine vergangene Zeit wiederauferstehen zu lassen,…mehr

Produktbeschreibung
Auf welcher Grundlage stand die völkische Ideologie, die spätestens seit dem Ersten Weltkrieg großen Einfluss auf die Mitte der deutschen Gesellschaft nahm? Julian Köck korrigiert die bisherige Forschungsmeinung: Nicht auf die Rassenlehre oder den Antisemitismus stützte sich die Völkische Bewegung in erster Linie. Vielmehr waren es einheitsstiftende Geschichtsbilder - etwa die Begeisterung für das antike Griechenland -, die es den Völkischen ermöglichten, die heterogenen Elemente ihrer Weltanschauung zu überbrücken. Dabei ging es nicht darum, eine vergangene Zeit wiederauferstehen zu lassen, sondern die "ewigen Werte in der Geschichte" zu bestimmen und in ein Programm für die Zukunft umzuwandeln.
Autorenporträt
Julian Köck studierte Geschichte und Philosophie und promovierte an der Universität Bern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2016

Selbstbezogenheit macht nicht gescheit
Völkisches Denken war schon immer extremistisch und demokratieuntauglich

Gegenwärtig werden in den fremdenfeindlichen Pegida-Aufmärschen, in den rechtsterroristischen Anti-Asyl-Aktivitäten und in der nationalchauvinistischen AfD politische Organisationsformen einer neuen völkischen Bewegung sichtbar. Darauf ist in dieser Zeitung wiederholt hingewiesen worden - und das verleiht jeder Beschäftigung mit der ursprünglichen völkischen Bewegung, die sich im Kaiserreich formierte und in der Weimarer Republik ihren Höhepunkt erlebte, um schließlich im Nationalsozialismus aufzugehen, eine besondere Aktualität.

Was genau dabei das namensgebende Adjektiv "völkisch" bedeuten sollte, war allerdings bereits innerhalb dieser ersten völkischen Bewegung umstritten: Die Völkischen verbanden eine diffuse Idealisierung des eigenen Volkes mit äußerst uneinheitlichen Vorannahmen, Ressentiments und Forderungen. Bis heute wird in der Geschichtswissenschaft diskutiert, ob die Wurzeln völkischen Denkens im Antisemitismus, im Rassismus, im Nationalismus oder in einer Form politischer Religiosität zu suchen sind. Den Kern dieses Denkens macht Julian Köck nun im Faktor Geschichte aus. Zu dieser Annahme gelangt er auf Grundlage einer sorgfältig-detaillierten, nahezu enzyklopädischen Untersuchung der Geschichtsbilder einflussreicher Autoren und Werke der völkischen Bewegung. Sein Interesse gilt dem gesamten Spektrum dieser Geschichtspublizistik, das von den vorgeblich naturwissenschaftlichen Geschichtsbildern von Autoren wie Ludwig Woltmann und Ludwig Wilser bis zu den geschichtsesoterischen "Fantastereien" von Ariosophen wie Guido von List und Jörg Lanz von Liebenfels reicht. Ein besonderer Fokus liegt auf den weltgeschichtlichen Entwürfen von Theodor Fritsch, Heinrich Wolf, Ludwig Schemann, Max Wundt und Willibald Hentschel.

In vielen dieser Geschichtsbilder kam der Antike besondere Bedeutung zu, da sie als Projektionsfläche oder Ursprung zeitgenössischer Konflikte fungieren konnte. So wurde in der langen Tradition der deutschen Griechenlandbegeisterung von Völkischen wie Schemann und Wolf die rassische Verwandtschaft oder gar Identität der antiken Griechen mit den modernen Deutschen behauptet. Das trikontinentale Imperium Romanum hingegen fiel zumeist der Kritik anheim: Aufgrund seiner vereinheitlichenden Tendenzen sei es, meinte Schemann, die "Verkörperung alles Unnationalen, ja Antinationalen" gewesen. Einige Völkische deuteten die römische Geschichte zudem entsprechend den Vorgaben einer antisemitischen Geschichtsideologie um: Schemann etwa verstieg sich zu der These, der vermeintliche Demokrat Cäsar hätte bei der Vernichtung der römischen Republik Juden als "stille Gesellschafter" gehabt; und Ludwig Kuhlenbeck führte die Catilinarische Verschwörung auf "asiatisch-semitische Entartung" zurück. Das Alte Testament wiederum wollte Fritsch von jüdischen Einflüssen reinigen, indem er "arische" Passagen "herausfühlte". Solche Auslassungen zur jüdischen Antike dienten völkischen Autoren dazu, gegenwärtigem Antisemitismus eine historische Legitimationsgrundlage zu verschaffen.

Die Dominanz geschichtspädagogischer oder gar agitatorischer Ansprüche verdeutlicht, dass im völkischen Denken entgegen Köcks Annahme die politische Dimension den Primat beanspruchen konnte: Geschichte diente den Völkischen als politisches Argument. Schematisierungen schufen Kontinuitäten in die Gegenwart; Wiederholungspostulate ermöglichten Zukunftsvorhersagen. Solange man die politischen Grundansichten teilte, waren sogar sachliche Widersprüche unproblematisch. Die "Heterogenität der Geschichtsbilder" wurde dann als "Beleg für die grundsätzliche Richtigkeit der völkischen Ansichten" aufgefasst, wie Köck selbst hervorhebt. Deshalb verbanden die völkischen Autoren zuvörderst ihre gemeinsamen dichotomen Freund-Feind-Bestimmungen. Es verwundert nicht, dass der zunächst völkische und spätere NS-Autor und Politiker Ernst Graf zu Reventlow dieser bewusst parteiischen Geschichtsschreibung als wesentliche Funktion die Erzeugung von "organisiertem Hass" zuwies.

Köcks Arbeit regt dazu an, nach typologischen Gemeinsamkeiten zwischen alter und neuer völkischer Bewegung zu fragen. Beide teilen nicht allein den diffusen Volksbezug, die inhaltliche Heterogenität oder die Untergangsängste, sondern vor allem eine zugleich ideologisierte und subjektivierte Wahrheitsauffassung: Die jeweils eigene Meinung wird von den Angehörigen dieses Bewegungstyps nicht nur überhöht, sondern verabsolutiert und als Ausdruck einer allgemeingültigen Wahrheit aufgefasst. Der einzelne Völkische stilisiert sich zum legitimen Sprachrohr des gesamten Volkes; seine persönliche Intuition wird zur objektiven Wahrheit. Fremdverweise werden, wie Köck am Beispiel der alten Bewegung veranschaulicht, zu einer "selbstbestätigenden Hermeneutik", die nicht dem "Erkenntnisgewinn", sondern einzig der "Erkenntnisbestätigung" dient.

Dieses Wahrheitsverständnis teilt das völkische Denken mit dem, was Albrecht Koschorke jüngst als die "Poetik des Nationalsozialismus" bezeichnet hat. Beide Denkformen sind durch die "rabiate Aufkündigung des Dialogs" mit allen anderen gekennzeichnet; das macht ihre antidemokratische Pointe aus. Kritiker werden nur noch als Vertreter eines abstrakten feindlichen "Systems" wahrgenommen. Traditionelle, methodisch nachprüfbar und damit objektivierend verfahrende Wissensanbieter scheiden als Dialogpartner aus: Im Konfliktfall werden Wissenschaftler verunglimpft und Journalisten diskreditiert. Weil die Völkischen nur zwischen der eigenen Wahrheit und den Lügen der anderen unterscheiden können, erweist sich das völkische Denken einst wie heute als extremistisch und demokratieuntauglich.

MARIAN NEBELIN

Julian Köck: Die Geschichte hat immer Recht. Die Völkische Bewegung im Spiegel ihrer Geschichtsbilder. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2015. 508 S., 56,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass völkisches Denken damals wie heute extremistisch und demokratiefeindlich ist, lernt Marian Nebelin mit Julian Köcks Buch. Der Band scheint ihm interessant im Hinblick auf heutige Entwicklungen, Pegida und AfD. Wenn der Autor, sorgfältig-detailliert, beinahe enzyklopädisch vorgehend, den Kern völkischen Denkens im Faktor Geschichte ausmacht, wie Nebelin schreibt, erkennt der Rezensent den Fokus der Betrachtung auf weltgeschichtlichen Entwürfen von Theodor Fritsch, Heinrich Wolf, Ludwig Schemann. Das gesamte Spektrum der völkischen Geschichtspublizistik decke der Autor dabei ab und kläre, wie die Antike jeweils instrumentalisiert wurde. Allerdings erkennt er, dass entgegen Klöcks Annahme die politische Dimension stets im Vordergrund stand. Das Buch regt den Rezensenten an, typologische Gemeinsamkeiten zwischen völkischen Bewegungen gestern und heute zu suchen und zu entdecken.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Es gelingt Köck, das Geschichtsdenken prominenter völkischer Autoren darzustellen, zu analysieren und vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Debatten zu kontextualisieren. In ihnen spiegeln sich die konträren oder ergänzenden Ansätze einer Fülle weiterer Vertreter des völkischen Spektrums, so dass Köck den völkischen Geschichtsdiskurs in einer großen Breite abdeckt.« Ingo Wiwjorra, Neue Politische Literatur, 12.05.2017»Köcks Arbeit regt dazu an, nach typologischen Gemeinsamkeiten zwischen alter und neuer völkischer Bewegung zu fragen. Beide teilen nicht allein den diffusen Volksbezug, die inhaltliche Heterogenität oder die Untergangsängste, sondern vor allem eine zugleich ideologisierte und subjektivierte Wahrheitsauffassung.«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.07.2016»Deutlich wird in Köcks Buch, dass ein Großteil der völkischen Publizisten der Moderne keineswegs feindlich gegenüberstand, sondern sich vielmehr in ihrer Offenheit gegenüber Evolutionsbiologie und Positivismus als wissenschaftliche Avantgarde und den historistischen Professoren gegenüber als überlegen empfand.«, literaturkritik.de, 15.09.2016