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Die Chancen und Risiken genetischer Diagnostik an Embryonen werden in Europa kontrovers diskutiert. Gegner der in Deutschland bisher rechtlich verbotenen Präimplantationsdiagnostik (PDG) warnen vor Formen der Manipulation an Embryonen. Befürworter sehen in der Methode neue Möglichkeiten der Krankheitsbekämpfung. Uta Ziegler stellt die medizinische Technik vor und analysiert die Erfahrungen, die in England mit PDG gemacht wurden. Gleichzeitig leistet sie einen wichtigen Beitrag zur ethischen Diskussion des Themas.

Produktbeschreibung
Die Chancen und Risiken genetischer Diagnostik an Embryonen werden in Europa kontrovers diskutiert. Gegner der in Deutschland bisher rechtlich verbotenen Präimplantationsdiagnostik (PDG) warnen vor Formen der Manipulation an Embryonen. Befürworter sehen in der Methode neue Möglichkeiten der Krankheitsbekämpfung.
Uta Ziegler stellt die medizinische Technik vor und analysiert die Erfahrungen, die in England mit PDG gemacht wurden. Gleichzeitig leistet sie einen wichtigen Beitrag zur ethischen Diskussion des Themas.
Autorenporträt
Uta Ziegler arbeitet als Allgemeinärztin und ist wiss. Mitarbeiterin an der Abteilung Ethik und Geschichte der Universität Göttingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.2004

Embryo im Ausnahmezustand
An Uta Ziegler läßt sich die Verdruckstheit der Bioethik studieren

Vor einem Vierteljahrhundert kam in England Louise Brown, das erste im Labor gezeugte Baby, zur Welt. Seither sind rund eine Million Kinder infolge einer In-vitro-Fertilisation geboren worden. Aber unfruchtbaren Frauen sollte nicht nur geholfen werden, überhaupt Kinder zu bekommen, diese Kinder sollten auch möglichst gesund sein. Dieses Anliegen führte zu der Idee, die immer differenzierter werdenden Möglichkeiten der Gendiagnostik auch an Embryonen in vitro anzuwenden. Das Ergebnis dieser Verbindung von Reproduktionsmedizin und Gentechnik ist die Präimplantationsdiagnostik (PID). Den in vitro gezeugten Embryonen werden im Acht-Zell-Stadium ein bis zwei Zellen entnommen, und diese werden sodann genetisch untersucht. Diejenigen Embryonen, die von der Krankheit, auf die getestet wurde, nicht betroffen sind, werden der Frau übertragen, alle nicht übertragenen Embryonen werden nach der Prozedur verworfen.

Die moralische Einschätzung dieses Verfahrens ist bekanntlich heftig umstritten. Die Kritiker befürchten den Einstieg in eine sich verschärfende Selektionspraxis. Die Befürworter preisen dagegen den Gewinn an Entscheidungsfreiheit, den die Zulassung der PID nach sich ziehe. Hierzulande ist diese Auswahlmethode der herrschenden Auslegung des Embryonenschutzgesetzes zufolge verboten. In England hingegen ist die PID nach einer breiten Diskussion bereits im Jahre 1990 zugelassen worden. Seitdem hat sich der Umgang mit diesem Verfahren weit von der ursprünglichen Absicht entfernt.

Die PID wurde für Paare entwickelt, die dem hohen Risiko ausgesetzt sind, ein Kind mit einem schweren genetischen Defekt zu bekommen. Sie sollte diesen Paaren eine Alternative zur Pränataldiagnostik zur Verfügung stellen, um den Frauen einen eventuellen Schwangerschaftsabbruch zu ersparen. Schwere genetische Erkrankungen sind allerdings sehr selten, und entsprechend klein ist der mögliche Interessentenkreis für eine mit einer strengen medizinischen Indikation versehene PID. Auf diesem Wege kann man also zwar vielleicht wissenschaftliches Prestige erwerben, aber nur wenig Geld verdienen. Der Reproduktionsindustrie mußte deshalb daran gelegen sein, dieser Untersuchungsmethode zusätzliche Anwendungsgebiete zu verschaffen. Der Darstellung Uta Zieglers läßt sich entnehmen, daß sie dabei in England bereits beträchtliche Erfolge erzielen konnte. So wird die PID dort auch zu dem Zweck eingesetzt, die Erfolgsaussichten der In-vitro-Fertilisation zu erhöhen. Ganz unspektakulär fungiert die PID dabei als eine Screening-Methode neben anderen. Auch Tests auf die Gewebsverträglichkeit eines Embryos mit einem älteren Geschwister, damit er diesem später als Gewebespender zur Verfügung stehe, sind, wenngleich unter engen Voraussetzungen, zulässig und werden vereinzelt durchgeführt.

Angesichts dieses Befundes ist das Fazit Zieglers durchaus anfechtbar. Ihrer Ansicht nach zeigt der Blick nach England, "daß die PID kontrollierbar ist". In der Tat ist die Anzahl der dortigen PGD-Untersuchungen noch immer gering. Aber ist dies nicht in erster Linie dem Umstand zu verdanken, daß die PID ein außerordentlich aufwendiges und teures Verfahren ist? An der restriktiven Ausrichtung der in England zur Kontrolle der Embryonenforschung eingerichteten Aufsichtsbehörde läßt jedenfalls auch Ziegler selbst Zweifel erkennen. Der Vorwurf, daß diese Behörde zu sehr von Reproduktionsmedizinern und Embryologen beeinflußt werde und ethische Bedenken unterrepräsentiert seien, erscheint, wie Ziegler exemplarisch belegt, "durchaus berechtigt".

Damit ist die Grundsatzfrage nach der moralischen Bewertung der PID berührt. Ihr widmet Ziegler den Hauptteil ihres Buches. Die Problematik ist in den letzten Jahren bereits so ausgiebig diskutiert worden, daß einiger Mut dazu gehört, sie nochmals aufzuwerfen. Daß es den Darlegungen Zieglers an Originalität fehlt, ist deshalb keine Überraschung. Indessen ist die Befassung mit Zieglers Überlegungen aus einem anderen Grund nicht ohne Reiz. An ihnen läßt sich nämlich exemplarisch die eigentümliche Verdruckstheit studieren, die einen erheblichen Teil der bioethischen Literatur hierzulande kennzeichnet.

Zunächst einmal müsse man, so mahnt Ziegler, ausführlich über den gesamten Problemkreis sprechen. Notwendig sei ein "ständiger Diskurs". Dabei dürfe man keinesfalls einseitig verfahren. "Es müssen alle zugehörigen Aspekte bedacht und alle Interessen berücksichtigt werden." Nicht nur der Embryo und sein moralischer Status dürfe beurteilt werden, sondern es müßten "die Interessen und Rechte aller mitbeteiligten Personen in die Bewertung einbezogen und zusätzlich mögliche Folgen, die aus Handlung oder Unterlassung entstehen können, berücksichtigt" werden. Wer zur verbindlichen Entscheidung in bioethischen Konfliktfällen berufen ist, erhält mit diesen Auskünften freilich Steine statt Brot. Ein ewiges Gespräch kann er sich nicht leisten, denn er hat noch anderes zu tun und muß einmal zum Handeln kommen. Daß er die Rechtspositionen sämtlicher Beteiligter in Erwägung zu ziehen hat, hat er bereits in den prozeßrechtlichen Einführungsvorlesungen auf der Universität gelernt. Und daß er den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls gerecht werden müsse, hat ihm schon sein Ausbilder in der Referendarzeit eingetrichtert.

Auf seine etwas hilflose Frage, was er denn nun tun solle, hat Ziegler allerdings noch eine etwas konkretere Auskunft parat. Er solle bei seiner Entscheidung den Prinzipien der Selbstbestimmung des Patienten, des Nicht-Schadens, des Handelns zum Wohle des Patienten und der Gerechtigkeit Rechnung tragen. Aber wenn diese Prinzipien kollidieren? Nun, dann ergebe sich "ein Entscheidungskonflikt, der nur aufgelöst werden kann, indem einem der vier Prinzipien der Vorrang gegeben wird. Aus Sicht der betroffenen Frauen und Paare kann das nur die Autonomie sein." Und was ist mit der Sicht des Embryos, dem die Verwerfung droht? Ziegler versucht abzuwiegeln. Zwar ständen dem Embryo Lebensrecht und Schutzwürdigkeit zu, "aber nicht in dem Maße, daß keine Ausnahme von dieser Schutzwürdigkeit möglich wäre". Was ist das für ein merkwürdiges Lebensrecht, das negiert werden kann, nur weil anderen Personen gewisse Eigenschaften des Rechtsinhabers nicht zusagen? Zu dieser intrikaten Frage findet sich bei Ziegler kein Wort. Ebenso wie viele andere Diskussionsteilnehmer vor ihr ist auch sie der deutschen Krankheit, der Selbstnarkotisierung durch Begriffsopiate, erlegen.

Dies ist deshalb besonders bedauerlich, weil Ziegler zuvor anhand der bioethischen Debatte in England vorgeführt hatte, wie man mit der Problematik ehrlicher umgeht. In England hat sich die Position durchgesetzt, die dem Embryo während der ersten vierzehn Tage seiner Entwicklung, bis zur Ausbildung des Primitivstreifens in der Keimscheibe, die Personalität abspricht und ihn als ein bloßes Gut ansieht. Folglich kann er ebenso wie andere Güter in Abwägungsentscheidungen eingestellt und zum Wohle der Forschung oder fremder Entscheidungshoheit vernichtet werden. Wer die PID haben will, kann sie ehrlicherweise nur mit dieser Begründung bekommen. Dies, wenngleich unfreiwillig, einmal mehr verdeutlicht zu haben macht den Hauptwert von Zieglers Studie aus.

MICHAEL PAWLIK

Uta Ziegler: "Präimplantationsdiagnostik in England und Deutschland". Ethische, rechtliche und praktische Probleme. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2004. 196 S., br., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Autorin Uta Ziegler gibt nach Meinung von Michael Pawlik ein gutes Beispiel dafür ab, mit welch "eigentümlicher Verdruckstheit" sich hierzulande die bioethische Literatur präsentiert. Verdruckst findet Pawlik Zieglers in seinen Augen eher unehrliche Argumentationsweise: da müssten alle Seiten gehört, alle Aspekte bedacht, alle Interessen abgewogen werden, paraphrasiert er die Autorin, um dann im Konfliktfall doch einem der Prinzipien auf moralisch fragwürdige Weise ein Vorrecht einzuräumen und die Schutzwürdigkeit des Embryos in Frage zu stellen. Gerade England, so Pawlik, das in Sachen Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, eine Vorreiterrolle spielt und dessen Situation diesbezüglich Ziegler im ersten Teil ihres Buches ausführlich erörtert, gehe ehrlicher mit diesem heiklen Punkt um. In England, erläutert der Rezensent, habe sich die Position durchgesetzt, dass dem Embryo in den ersten 14 Tagen seiner Entwicklung die Personalität abgesprochen wird. Wer wie Ziegler die PID "haben will", lautet Pawliks Schlussfolgerung, der müsse ehrlicherweise auch zu dieser Position stehen. Soviel mache ihr Buch auf unfreiwillige Weise noch einmal deutlich.

© Perlentaucher Medien GmbH