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Permanentes Wachstum und Beschleunigung - das Selbstzerstörungspotenzial des Kapitalismus
Systeme, die auf permanentem Wachstum und Beschleunigung basieren, kollabieren, wenn sie sich über bestimmte Grenzen hinaus entwickeln. Immer mehr Menschen spüren, wie natürliche Rhythmen verloren gehen, wie ihr Körper und ihre Psyche, wie Partnerschaften, Familien und soziale Netze unter Stress stehen. Beschleunigungsfallen mit wachsendem Zerstörungspotenzial tun sich auf. Die Angriffe auf das World Trade Center und die Massenmorde an den Schulen in Erfurt oder Columbine werden vom Autor als Attacken…mehr

Produktbeschreibung
Permanentes Wachstum und Beschleunigung - das Selbstzerstörungspotenzial des Kapitalismus

Systeme, die auf permanentem Wachstum und Beschleunigung basieren, kollabieren, wenn sie sich über bestimmte Grenzen hinaus entwickeln. Immer mehr Menschen spüren, wie natürliche Rhythmen verloren gehen, wie ihr Körper und ihre Psyche, wie Partnerschaften, Familien und soziale Netze unter Stress stehen. Beschleunigungsfallen mit wachsendem Zerstörungspotenzial tun sich auf. Die Angriffe auf das World Trade Center und die Massenmorde an den Schulen in Erfurt oder Columbine werden vom Autor als Attacken auf Symbole der inhumanen Chancenverteilung in unserer Turbo-Welt charakterisiert.

Die zentrale Frage lautet: Wie kommt es, dass wir scheinbar immer mehr, immer schneller und effizienter produzieren müssen? Welche diabolische Erfindung hat uns den Wachstumszwang beschert? Reheis antwortet: Es ist der freie Markt und im Besonderen die Qualität des zinsgetriebenen Geldes. Die Logik dieses Geldes bzw. das Wachstum des Kapitals treibt das Hamsterrad an und programmiert den Turbokapitalismus. Sein Wesen ist die immer schnellere Produktion um der Produktion willen. Kapital auf der Suche nach höchstmöglicher Rendite ist somit der Transmissionsriemen für Beschleunigung.

Um dem Hamsterrad zu entkommen, zeigt Fritz Reheis "kleine", persönliche Ausstiege auf, vom Sabbatical bis zur bewussten Überprüfung der Lebensbereiche, in denen wir uns besonders unter Druck fühlen. Wer an die Wurzel des Problems gehen will, muss sich allerdings nach Synergiepartnern umsehen, nach Menschen und Netzwerken mit dem gleichen Problembewusstsein; denn die entfesselte Geldlogik, die Produktion um der Produktion willen, ist nur gemeinsam zu bezwingen.

"Entschleunigung" verbindet brillante Analyse mit pragmatischen Vorschlägen, wie wir persönlich Zeitqualität zurückgewinnen und Sand ins turbokapitalistische Getriebe streuen können.
Autorenporträt
Fritz Reheis, geboren 1949, Studium Deutsch, Geschichte, Sozialkunde und Pädagogik. Promotion in Soziologie und Absolvierung eines Erweiterungsstudiums in Philosophie für das Lehramt an Gymnasien. Seit 1983 Gymnasiallehrer in Neustadt bei Coburg. Zusätzlich nebenamtlich tätig als Lehrbeauftragter für Politik, Zeitgeschichte, Soziologie und Pädagogik an mehreren Hochschulen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2004

Alles muss immer schneller gehen. Warum?
Unentwegt wird Zeit gespart – in der Schule, im Berufsleben, dabei gibt es im Leben inzwischen weniger Arbeit als Leerlauf
FRITZ REHEIS: Entschleunigung – Abschied vom Turbokapitalismus. Riemann, München 2003. 220 S., 20 Euro.
Wo ist der Briefträger geblieben, der, wenn er eine Postkarte brachte, schon von weitem rief: „Tante Anna kommt erst übermorgen!”? Inzwischen hasten gehetzte Weiblein und Männlein mit ihren voll gepackten Karren durch die Straßen und sorgen für die Dividende der Postaktionäre. Sicher, sie haben kürzere Arbeitszeiten als ihre Kollegen vor hundert Jahren, sind auch besser bezahlt.
Trotzdem können sie einem Leid tun. Überall Zeitdruck, und dies in einer Epoche, in der es mehr Freizeit gibt als je zuvor. Der Druck beginnt in der Schule, wo 45 Prozent der 14- bis 19-Jährigen oft oder gar immer „Zeitnot” verspüren. Damit es demnächst 70 Prozent werden, soll nun das Abitur in acht statt in neun Jahren erreicht werden. Dafür dürfen die jungen Leute im Laufe ihres Lebens wohl ein Jahr mehr als Arbeitslose verbringen, wenn es gut geht – zwischen zwei Jobs, für die dann genau die Tugenden verlangt werden, die man in der „Beschleunigungsfalle”, so Autor Reheis, nicht erlernen kann. Entweder man strampelt im Hamsterrad, das man notgedrungen selbst beschleunigt, oder man sitzt vor dem Fernseher und verquatscht die gewonnene Zeit am Handy.
Im Hamsterrad
Die Wirtschaft fordert die Abschaffung der Feiertage, als ob wir für viel zu viel Erwerbsarbeit zu wenig Zeit hätten. Was ist in uns gefahren? Fritz Reheis schildert, was vor sich geht: Schon die Schule überstehen viele nur mit Medikamenten oder Drogen, ganz abgesehen von Nikotin und Alkohol. Und 84 Prozent der Manager beklagen, dass der Stress sich in den letzten fünf(!) Jahren deutlich gesteigert hat. Reheis staunt über eine Gesellschaft, die sich seit 200 Jahren erfolgreich bemüht, Zeit einzusparen, und nun keinen Ausweg mehr findet aus der ständigen Eile. Alles muss schneller gehen. Warum?
Weil der Turbokapitalismus Beschleunigung erzwingt, wobei die Kapitalmärkte das Tempo angeben. Diese alt-neue Spielart des Kapitalismus hat inzwischen Macht erlangt über Bereiche, die lange ihre eigenen Rhythmen durchhalten konnten: Kultur, Medien, Gesundheitswesen. Was in der Wirtschaft die Quartalsberichte bewirken, schaffen in der Politik die Meinungsumfragen. Nicht einmal Schulen und Kirchen können sich der Beschleunigung entziehen. Reheis zitiert eine Ärztin aus einer privatisierten Klinik: „Früher hatten wir noch Zeit für die Patienten.” Jetzt gehe es darum, „mit der Arbeit irgendwie fertig zu werden”.
Natürlich gibt es das, was Reheis „kleine Notausstiege” oder auch „Zeitinseln” nennt. Teilzeitarbeit, Sabbatjahre, viele Formen des Ausstiegs. Aber „ein geordnetes Bremsen des Hamsterrades kann in einem Marktsystem weder von den einzelnen Akteuren einer Volkswirtschaft noch von den Nationalstaaten einer Weltwirtschaft garantiert werden”. Was also sollen die „auf Humankapital reduzierten Menschen” tun? Sie können sich in einem Verein zusammentun wie die Wissenschaftler, die an der Evangelischen Akademie Tutzing das Projekt „Ökologie der Zeit” angesiedelt haben. Sie lehren uns, wie „die Wiederkehr des Ähnlichen” bei weniger elastischen Systemen zum „Takt”, bei lebenden, elastischen Systemen zum „Rhythmus” wird. Aber auch ein solcher Verein kann nur Hinweise geben, wie man dem Stress entkommt.
Fritz Reheis kann und will sich mit dem Motor der Beschleunigung, dem Turbokapitalismus neoliberaler Prägung, nicht abfinden. Was er als Alternativen oder doch als Weg in die Alternativen vorschlägt, fällt notwendigerweise etwas dünn aus. Eine „Dualwirtschaft”, „aufgeteilt in einen erwerbswirtschaftlichen und einen eigenwirtschaftlichen Bereich”, auch Tauschbörsen, die ohne Geld auskommen, führen doch wohl eher in erholsame Nischen als in eine neue Gesellschaft. Dasselbe gilt für regionale Komplementärwährungen. Aber Reheis geht weiter. Er will ein Geld ohne Zinsen, ja ein „Schwundgeld”, wie es Silvio Gesell schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts propagiert hat. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg hat eine winzige Partei dies als Mittel zur Beschleunigung des Wirtschaftskreislaufs propagiert, jetzt empfiehlt es Reheis zur „Drosselung der wirtschaftlichen Aktivitäten”.
Das überzeugt nicht. Wäre ich weniger unter Zeitdruck, wenn ich wüsste, dass mein Kontostand zum Monatsende um zwei Prozent abnimmt, falls ich das Geld nicht vorher ausgebe? Auch der Ruf nach einer „demokratischen Planwirtschaft, die den Beschleunigungsmotor abstellt”, wird wohl nur wenige erreichen. Wer dem Turbokapitalismus bescheinigt, dass er den Staat aushungert, die Kommunen handlungsunfähig macht, weiß, dass dagegen auch Steuerpolitik nicht hilft. Das global agierende Kapital kann jeden Staat auf dem Trockenen sitzen lassen, der ihm mit Steuern beikommen will. Aber es muss doch etwas geben, was als „Einstieg in den Ausstieg aus dem Kapitalismus” verstanden werden kann?
Man möchte Reheis gerne Recht geben. Aber wahrscheinlich muss sich der Turbokapitalismus erst einmal totlaufen, indem er die moralischen Grundlagen und staatlichen Strukturen zerstört, ohne die er nicht gedeihen kann, indem er Gewaltmärkte an die Stelle des staatlichen Gewaltmonopols setzt. Bis dahin könnten mehr Menschen unter der Beschleunigung leiden, von denen einige dann plausiblere Alternativen ersinnen, als wir es heute können. Bis dahin werden wir als Einzelne oder in Gruppen versuchen müssen, wenigstens unsere freie Zeit außerhalb des Hamsterrads zu verbringen. Dass dies nötig und in Grenzen auch möglich ist, wird am Ende auch ein kritischer Leser dieses gut und flüssig geschriebenen Buches begriffen haben. Das ist nicht wenig.
ERHARD EPPLER
Der Rezensent war Bundestagsabgeordneter und knapp 20 Jahre lang Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD.
Die Wirtschaftselite beklagt, dass der Stress sich in den letzten fünf Jahren deutlich gesteigert hat – und wirkt doch genau daran heftig mit.
Foto: Avenue Images
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gerne möchte Rezensent Erhard Eppler dem Autor Fritz Reheis zustimmen, wenn der seine Auswege aus dem Turbokapitalismus darstellt. Doch das Buch, in dem Reheis zunächst schildert, dass eine der schlimmsten Geißeln der heutigen Gesellschaft der permanent wachsende Zeitdruck ist, sei zwar "gut und flüssig" geschrieben, wirklich anwendbare Gegenmaßnahmen sind dagegen "relativ dünn" gesät. Die Vorschläge Reheis', eine Dualwirtschaft zu installieren, aufgeteilt in einen erwerbs- und einen eigenwirtschaftlichen Bereich, hält der Rezensent für eine "erholsame Nische", aber nicht für einen Weg in eine neue Gesellschaft. Auch an den Erfolg einer demokratischen Planwirtschaft glaubt Eppler nicht und liefert deshalb eine eigene Lösung: Abwarten, bis sich der Turbokapitalismus "totgelaufen" hat und bis dahin die Freizeit "nicht im Hamsterrad" verbringen. Die Notwendigkeit dafür werde seiner Ansicht nach auch der kritischste Leser des Buches verstehen, und das "ist nicht wenig".

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