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Otto Neurath war eines "der am meisten vernachlässigten Genies des 20. Jahrhunderts", so der amerikanische Kulturhistoriker William Johnston. Was und wer Otto Neurath (1882 bis 1945) wirklich war, das beantwortet der Historiker Günther Sandner in der ersten umfassenden Biographie über den vielseitigen Ökonomen, der auch als Aufklärer, Sozialist, Utopist, als prägender Graphikdesigner, Museumsdirektor, Filmemacher wirkte und als der "witzigste Mann von Wien" galt. Zusammengehalten wurden diese Teile seines Lebens von seinem politischen Engagement. Mit seinen Piktogrammen, die Neurath im Exil…mehr

Produktbeschreibung
Otto Neurath war eines "der am meisten vernachlässigten Genies des 20. Jahrhunderts", so der amerikanische Kulturhistoriker William Johnston. Was und wer Otto Neurath (1882 bis 1945) wirklich war, das beantwortet der Historiker Günther Sandner in der ersten umfassenden Biographie über den vielseitigen Ökonomen, der auch als Aufklärer, Sozialist, Utopist, als prägender Graphikdesigner, Museumsdirektor, Filmemacher wirkte und als der "witzigste Mann von Wien" galt. Zusammengehalten wurden diese Teile seines Lebens von seinem politischen Engagement. Mit seinen Piktogrammen, die Neurath im Exil weiterentwickelte, hinterließ dieser unorthodoxe Intellektuelle der Nachwelt eine bis heute internationale Bildsprache.
Autorenporträt
Günther Sandner, geboren 1967 in Salzburg. Er studierte Politikwissenschaften, Geschichte und Publizistik. Research Fellow am Institut Wiener Kreis und Lektor an der Universität Wien. Bisher veröffentlichte er zu den Themen Politik und intellektuelle Geschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2014

Die Glückssumme ist zu klein

Wirtschaften ohne Geld, lehren ohne Worte, reformieren ohne Dogmen: Günther Sandner widmet dem Wiener Aufklärer Otto Neurath eine Biographie.

Von Helmut Mayer

Als Otto Neurath Ende 1945 unerwartet in Oxford verstarb, war über ihn in einer englischen Zeitung als "consulting sociologist of human happiness" zu lesen. Vielleicht war das eine Beschreibung, die ohnehin auf Neurath selbst zurückging, der um einprägsame Formeln für seine Projekte nie verlegen gewesen war. Um menschliches Glück war es in letzter Instanz ja tatsächlich bei ihm gegangen. Um jenen Anteil des Glücks nämlich, der sich nach Neurath gesellschaftlich sollte sichern und vergrößern lassen - indem der "Gesellschaftstechniker" ein klares Bild von gesellschaftlichen Mechanismen zeichnete und damit deren Akteuren die Möglichkeit gab, sie in demokratischen Entscheidungen zum Nutzen aller besser einzurichten. Und indem der Wissenschaftsorganisator gleichzeitig dafür sorgte, dass die theoretischen wie praktischen Kenntnisse zu diesem Zweck sich möglichst schnell erweiterten.

Was Neurath für diese reformerischen Ziele aufbot, fällt unter viele Stichworte: eine Theorie der "Sozialisierung" der Wirtschaft, eine Methode der Bildstatistik und Bildersprache, Programme für den Siedlungsbau, eine strikt "empirische" Soziologie, eine konsequent praxisbezogene Deutung aller Erkenntnis, das prononciert "anti-metaphysische" Programm einer "vereinheitlichten Wissenschaft" samt dem Projekt ihrer enzyklopädischen Darstellung, der Umriss einer pragmatischen Wissenschaftstheorie.

Alle diese Arbeitsfelder Neuraths haben in den letzten Jahrzehnten ihre eigenen Historiker und Interpreten gefunden. Aber bestechend bleibt eben nicht zuletzt, wie eng sie bei ihm miteinander verknüpft waren, als Facetten eines (wissenschafts)-politischen Reformwillens.

Genau diesen Zusammenhang hat Günther Sandner in seiner politischen Biographie Otto Neuraths im Blick. Es ist eine biographische Zusammenschau, auf die man lange schon wartete, zumal sie auch auf eigene Nachforschungen und Funde in Neuraths Nachlass zurückgreifen kann. Das wird gleich an der Jugendgeschichte des 1882 in Wien geborenen Neurath deutlich. Sie zeigt den Sohn des aus kleinen Verhältnissen zum Professor der Nationalökonomie aufgestiegenen Wilhelm Neurath im brieflichen Austausch mit der schwedischen Reformpädagogin Ellen Key. Schon der Gymnasiast fängt Feuer an deren Idealen, nicht ohne ziemlich schnell zur Kritik an den Geschlechterrollen überzugehen, von deren Verwirklichung sich Key eine glücklichere Gesellschaft versprach. Gleichzeitig stößt man beim bewunderten und 1901 früh verstorbenen Vater auf Ideen, die bereits ein Motiv des Sohnes anklingen lassen, nämlich das Ziel einer ökonomischen Wertlehre, die eine transparente und dadurch vernünftig justierbare Kalkulation von Angebot und Nachfrage ermöglichen sollte.

Bei Wilhelm Neurath war mit einer solchen Korrektur kapitalistischen Wirtschaftens absolut keine Entscheidung für den linken politischen Flügel verknüpft. Der Sohn freilich ging dann mit seinen Vorstellungen einer transparenten volkswirtschaftlichen Naturalrechnung und einer auf ihr fußenden geldlosen Naturalwirtschaft einige Schritte weiter.

Und allen Beschwörungen der expertenhaften Neutralität zum Trotz, die Neurath immer wieder anbrachte, war er ein Mann der Linken - der an Marx gelernt haben wollte, wie sich nüchterne Analyse der Gegenwart und konkrete Konstruktion alternativer Formen wirtschaftlicher Organisation verbinden lassen. Mit Marx als Autorität unumstößlicher Einsichten oder politischer Leitsätze, wie es die österreichischen wie deutschen Sozialisten nach dem Abkanzeln der "Revisionisten" gern hielten, durfte man ihm freilich gerade deshalb nicht kommen.

Günther Sandner hat ganz recht, auf dieses Oszillieren zwischen politischer Distanznahme im Zeichen eines gesellschaftstechnischen Objektivitätsanspruchs und entschieden anti-bürgerlicher Parteinahme besonderes Augenmerk zu legen. Es verdankte sich auch dem Umstand, dass Neuraths Weg nach seiner Berliner Dissertation bei Ferdinand Tönnies über antike Wirtschaftsgeschichte nicht auf akademischem, sondern immer auf politisch markiertem Terrain verlief: von Beginn an als Lehrer in den Bildunginstitutionen der österreichischen Sozialdemokratie und der Wiener Handelsakademie, vor und im Ersten Weltkrieg als Experte für "Kriegswirtschaftslehre", der 1919 als "Präsident des Zentralwirtschaftsamts" während der wenigen Wochen der Münchener Räterepublik die Umsetzung der Lehren versucht, die er aus seiner Untersuchung von Volkswirtschaften im Krieg gezogen hat: nämlich die Umstellung auf eine planungsbasierte Naturalwirtschaft, welche Märkte und ungebremstes Profitstreben beseitigt.

Wofür er von Max Weber brieflich die Zensur erhält, an der Diskreditierung des Sozialismus für die nächsten hundert Jahre zu arbeiten, und von Bayern eineinhalb Jahre Festungshaft per Standgericht. Aber die glimpfliche Ausweisung nach Österreich ließ sich bewerkstelligen. Für die Darstellung dieses Münchner Intermezzos hat Sandner einige Quellen zum ersten Mal ausgewertet.

Die Münchner Erfahrungen änderten aber nichts an Neuraths Überzeugung, dass das Wirtschaftsmodell der Zukunft eine geldlose Großnaturalwirtschaft sei. Doch für den Leiter zuerst eines Wiener "Forschungsinstituts für Gemeinwirtschaft", dann des "Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums" wird die pädagogische Arbeit zentral. Von der Naturalrechnung führt eine direkte Verbindung zur Wiener Methode der Bildstatistik, die eine übersichtliche und von keinen Bildungsbarrieren eingehegte Darstellung wirtschaftlicher Prozesse und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen leisten soll.

Wobei diese Übersichtlichkeit vor allem daran hängt, dass Mengen- und Zahlenverhältnisse schnell und eindeutig fassbar sind. Daraus wird nach der Flucht ins holländische Exil im Februar 1934 - im Mai 1940 dann weiter nach England - Isotype, das International System of Typographic Picture Education. In der Sowjetunion interessierte man sich für diese Methode und eine Kooperation mit Wien dagegen nur bis 1934.

"Die reine Bilderschrift kennt zwar ein Schwert und einen Tisch, aber kein Sein." Sie zeigt eben, so kann man Neuraths polemische Feststellung fortsetzen, worauf es wirklich ankommt. Oder ein bisschen emphatischer noch: Sie zeigt "alles in der gleichen irdischen Ebene", ohne Ausflucht in falsche Tiefen, jene der Metaphysik und der bürgerlichen Ideologien, die für Neurath zusammengingen. Darin liegt die Verknüpfung zu Neuraths prominenter Rolle im Wiener Kreis, dessen linken Flügel er prägte, und seinem Einsatz für das große Projekt der "Encylopedia of Unified Science", von der dann nur zwei Bände erscheinen sollten.

Neurath hatte da durchaus nicht nur mit Kampfbegriffen wie dem berüchtigten "Physikalismus" aufzuwarten, sondern auch mit Konzepten, die weit über die logisch-empiristischen Konstruktionsphantasien seiner philosophischen Mitstreiter hinausgingen. Als unverbesserlicher Aufklärer wusste er eben, dass sich mit Erkenntnistheorie einzulassen nur lohnt, wenn man seine Ziele klar vor Augen hat. Der pragmatische Utopiker verlor seines, die "Felicitologie", nie aus den Augen. Gut, dass man seine Wege nun endlich in einer gründlich gearbeiteten und gut geschriebenen Biographie verfolgen kann.

Günther Sandner: "Otto Neurath". Eine politische Biographie.

Zsolnay Verlag, Wien 2014. 352 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Hans Bernhard Schmid lernt aus Günther Sandners politischer Biografie über den Philosophen Otto Neurath nicht nur, wie heiter und begabt Neurath war, sondern auch, wie dessen vielseitige Interessen im politischen Engagement dieses führenden Kopfes des Wiener Kreises zusammenlaufen. Darüber hinaus eröffnet die "flüssig" geschriebene Lebensgeschichte des Historikers und Politikwissenschaftlers Sandner dem Rezensenten, wie sich Neuraths "Einheitswissenschaft" als enzyklopädisches und demokratisches Projekt verstehen lässt. Eine Einsicht, über die laut Schmid weder die Neurath kritisch gegenüberstehende Frankfurter Schule noch Neurath selbst verfügten.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Gut, dass man Neuraths Wege nun endlich in einer gründlich gearbeiteten und gut geschriebenen Biographie verfolgen kann." Helmut Mayer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.03.14

"Die flüssig geschriebene Geschichte eines interessanten Lebens." Hans Bernhard Schmid , Neue Zürcher Zeitung, 20.08.14