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Die aktuelle Debatte zwischen der modernen Hirnforschung und der Philosophie konzentriert sich auf die Frage, ob so etwas wie ein freier Wille nach den Experimenten der Neurobiologen überhaupt noch gedacht werden könne. Auf dem Spiel steht dabei nicht weniger als das traditionelle Menschenbild mitsamt seinen theoretischen wie praktischen, ja sogar politischen Implikationen. Der berühmte amerikanische Philosoph John R. Searle hat sich in zwei an der Sorbonne gehaltenen Vorlesungen den Herausforderungen der Naturwissenschaft gestellt, die Argumente der Naturwissenschaftler aufgenommen und ihnen…mehr

Produktbeschreibung
Die aktuelle Debatte zwischen der modernen Hirnforschung und der Philosophie konzentriert sich auf die Frage, ob so etwas wie ein freier Wille nach den Experimenten der Neurobiologen überhaupt noch gedacht werden könne. Auf dem Spiel steht dabei nicht weniger als das traditionelle Menschenbild mitsamt seinen theoretischen wie praktischen, ja sogar politischen Implikationen. Der berühmte amerikanische Philosoph John R. Searle hat sich in zwei an der Sorbonne gehaltenen Vorlesungen den Herausforderungen der Naturwissenschaft gestellt, die Argumente der Naturwissenschaftler aufgenommen und ihnen in luzider Weise geantwortet. Searles philosophische Antwort auf die Angriffe seitens der Hirnforschung ist der Versuch, philosophische Bedingungen dafür zu formulieren, daß wir überhaupt von Freiheit sprechen können. Freiheit ist kein selbstverständlicher Begriff, sondern steht in einer langen philosophischen Tradition, die, wenn man sie genau betrachtet, bereits Antworten auf viele dervorgebrachten Argumente der Gegenseite bereithält. Wichtig ist, so Searle, zwischen unterschiedlichen Konzeptionen von Freiheit und Determinismus zu unterscheiden und diese auf ihre theoretischen Grundannahmen hin zu befragen, um überhaupt einen fruchtbaren Dialog zu ermöglichen. Searles Antwort zielt auf eine Bestimmung des menschlichen Geistes. Entscheidend ist nicht, ob die Freiheit im Menschenbild der Hirnforschung einen Platz hat, sondern vielmehr, wie der menschliche Geist beschaffen sein muß, damit Freiheit möglich ist.
Autorenporträt
Searle, John R.John R. Searle wurde in Oxford ausgebildet und ist seit 1959 Slusser Professor für Philosophie an der University of California, Berkeley. Für sein umfangreiches Werk, das die Philosophie der Gegenwart auf vielen Gebieten maßgeblich beeinflußt hat, erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Jean Nicod Preis und die National Humanities Medal.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.09.2004

Der Wille als Lückenfüller
Heiße Luft: John Searle über Gehirn und Freiheit
John Searle, Professor für Philosophie des Geistes und Sprachphilosophie an der Universität Berkeley in Kalifornien, löst Probleme, vor allem solche, die schon lange lodern. Als Red Adair der Philosophie trat er auch einmal im Kantsaal des Philosophischen Seminars der Universität Heidelberg auf. Der kleine Mann stellte einen seiner in Cowboystiefeln steckenden Füße auf den Stuhl, krempelte die karierten Hemdsärmel auf und rief in den vollbesetzten Saal: „Well now, lets solve the mind-body-problem!”
Kant, der hinter Searle in Marmor stand und dessen Büste klassizistisch mit der Andeutung einer Toga endet, konnte darüber nicht mehr erbleichen, denn er war schon ganz in weiß gehalten.
Man kann sich darüber streiten, es ist eine Frage des Philosophieverständnisses, ob Philosophie mit Problemlösungen zu tun hat. Ian Hacking hat gezeigt, dass diese Philosophieauffassung erst mit G. E. Moores Vorlesungen am London Morley College unter dem Titel „Some Main Problems of Philosophy” von 1910 richtig um sich greift. 1911 werden William James „Some Problems of Philosophy” publiziert und 1912 bringt Bertrand Russell den Sachbuchbestseller „The Problems of Philosophy” auf den Markt. Philosophie als Problemlösung zu verstehen, das ist selbst inzwischen eine historische Gestalt eines bestimmten analytischen Philosophieverständnisses, dem sich der Autor dieser Zeilen beispielsweise nicht mehr anschließen kann.
So klingt Texas
Die Auffassung, Philosophie sei Problemlösung, hat jedoch den Vorteil, dass der, der philosophische Probleme zu lösen vorgibt, großartige Erfolgsmeldungen von sich geben kann: „Die Philosophie”, kann der Problemlöser rufen, „beschäftigt sich schon seit Jahrtausenden mit dem Verhältnis von Leib und Seele, von Freiheit und Notwendigkeit. Sie konnte diese Probleme nicht lösen. Ich löse sie jetzt, schaffe also, was den größten Geistern in tausenden von Jahren nicht gelungen ist.” Das klingt nicht schlecht, das klingt amerikanisch, geradezu texanisch.
Searle will das Problem der Willensfreiheit lösen, dass darin bestehen soll, dass wir einerseits die Natur als determiniert ansehen, andererseits ein so genanntes „Willensbewusstsein” haben, in dem wir erleben, dass wir Handlungen aufgrund freier Entscheidungen hervorbringen. In seinem Buch „Freiheit und Neurobiologie”, das Arbeiten vereinigt, die einerseits dem Thema Willensfreiheit, andererseits Problemen der politischen Macht gewidmet sind, versucht Searle zu zeigen, dass Willensfreiheit keine psychologische Illusion, sondern ein neurobiologisches Phänomen ist.
So wie er Bewusstsein für ein „einheitliches Feld” hält, das biologisch als eine Systemeigenschaft des neuronalen Apparats realisiert werde, ebenso will er die Freiheit der Entscheidung als Indiz für einen Indeterminismus in der naturalen Struktur des Gehirns deuten. Weil nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft in Searles Augen „jeder Indeterminismus in der Natur … ein Quanten-Indeterminismus” sei, verweise das Bewusstsein von „Lücken” in Kausalreihen, an denen wir als Handelnde involviert sind, auf einen Quantenindeterminismus im Gehirn. Nur wenn diese natürliche Unbestimmtheit in unserem Hirn existiert, können nach Searle Entscheidungen in der Natur wirksam werden.
Existiert er nicht, bleibt Entscheidungsfreiheit eine Illusion. Das sei jedoch evolutionär unplausibel, weil Menschen ja sehr viel Aufwand mit der Durchführung von Entscheidungsprozessen treiben. „Treiben sie nicht auch,” möchte man einwenden, „sehr viel Aufwand mit der Herstellung von Automobilen und Unterhaltungsfilmen. Sollen die deshalb evolutionär auch von Vorteil sein? Wo soll denn die Entscheidungsfreiheit genetisch zu Buche schlagen?”
Searle gibt keine Antwort auf diese Fragen, er stellt sie nicht einmal. Aber der Verweis auf die Evolutionstheorie gibt, ebenso wie seine Auffassung, Bewusstsein habe mit Eigenschaften des neuronalen Systems überhaupt und Entscheidungsfreiheit mit Quantenphysik zu tun, seinen Ausführungen einen gewissen naturwissenschaftlichen Anstrich. Doch Searle ist weder Naturalist noch Szientist. Er unterscheidet zwischen Gründen und Ursachen, Handlungen und Ereignissen. Was immerhin eine gewisse philosophische Differenziertheit andeutet. Um die Unterscheidungen zwischen Handlungs- und Willensfreiheit, Personen und Selbsten, Wünschen erster und zweiter Stufe und was sonst noch so zur philosophischen Standardausrüstung in der Debatte um Freiheit gehört, schert er sich dagegen nicht. Gründe sollen zwar nicht in ein „ideales Reich” verbannt werden, sondern in der materiellen Natur kausale Konsequenzen haben. Gleichzeitig will der Autor aber in einem „transzendentalen Argument” ein handelndes und begründendes „Selbst” erschließen, weil eben nur Selbste handeln und begründen können. Auch für diesen Cartesianismus wird nicht argumentiert, obwohl er seit Peter Strawsons Buch „Individuals” stark an Plausibilität eingebüßt hat.
Noch schlimmer ist, dass Searle an keiner Stelle in seinem Buch zeigt, wie er die Quantenmechanik deutet und was für ein Zusammenhang zwischen dem vermeintlichen Lückenbewusstsein und dieser physikalischen Theorie bestehen soll. Humes introspektive Erfahrung, dass der, der in sich hineinschaut, weder Lücken in Kausalreihen noch ein „Selbst” wahrnimmt, entspricht nach Searle einfach nicht „unserer tatsächlichen Erfahrung von Willenshandlungen”. Auch das ist kein Argument, sondern Wegwisch-Rhetorik mit Hilfe des Wörtchens „tatsächlich”.
Wie das Bewusstseinsfeld einzelne neuronale Zustände determiniert, bleibt ebenfalls dunkel in diesem Büchlein. Alles, was hier als Naturwissenschaft vorkommt, ist dürftigste Kulisse oder, wie man in England sagt, bloßes „handwaving”. Mit dem Hineinspringen des wollenden Selbsts in die quantenmechanischen Lücken im Gehirn schrammt Searle nur aufgrund der Nebulosität seiner Ausführung harfscharf an verbreiteten Esoterika vorbei. Selten war so wenig Argument und so viel Bluff in einem Buch von einem renommierten Autor der analytischen Tradition zu finden. Searle hat hier - ganz anders als der jüngst verstorbene Red Adair - kein einziges Problem gelöst, sondern nur heiße Luft produziert.
MICHAEL HAMPE
JOHN R. SEARLE: Freiheit und Neurobiologie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004. 91 Seiten, 14,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Kann der Mensch, wie er will oder will er, was er muss? Gibt es sie, die tatsächliche Freiheit der Entscheidung oder ist alles Tun Produkt von Determinismen? Eine Antwort auf diese Fragen hätte sich Rezensent Martin Seel von John Searle erwartet, doch in dieser Hinsicht findet er dessen neues Buch unbefriedigend: Zwei Hypothesen "wendet Searle hin und her", beide erscheinen ihm gleich "unattraktiv" und so steht er am Ende mit "leeren Händen" da, klagt der Rezensent. Für Searle ist es unwahrscheinlich, dass Freiheitsgefühle durch bloße neuronale Mechanismen entstehen; ebenso wenig weiß er jedoch die Quanten-Physik als Erklärung sinnvoll anzuwenden - dem Kritiker bleibt letzterer Ansatz jedenfalls "schleierhaft". Seiner Ansicht nach scheitert Searle auf dem Weg zur finalen Erkenntnis über menschliche Entscheidungen, weil er sich "den Weg zu einer sinnvollen Antwort von Anfang an verstellt". Denn Searle glaube an das Gefühl der "Lücke", jenen Moment zwischen Überlegung und Entscheidung, in dem die Freiheit ins Spiel komme. Deren Existenz jedoch bezweifelt der Rezensent: "Ich für meinen Teil habe sie nie gespürt."

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