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Michel Foucaults Vorlesung »Hermeneutik des Subjekts«, die er 1981/82 am Collège de France hielt, war ein zugleich umstrittenes wie einflußreiches Ereignis. Foucault bestimmt hier die historischen wie theoretischen Voraussetzungen eines seiner wirkmächtigsten Konzepte: der Sorge um sich. Der Entwurf einer Ästhetik der Existenz, von dem auch derjenige einer Philosophie der Lebenskunst ihren Ausgang nimmt, gewinnt hier in einer subtilen Interpretation klassischer antiker Texte seine Konturen. Foucaults Lektüre kanonischer Texte von Platon, Mark Aurel, Epikur und Seneca zielt dabei auf eine neue…mehr

Produktbeschreibung
Michel Foucaults Vorlesung »Hermeneutik des Subjekts«, die er 1981/82 am Collège de France hielt, war ein zugleich umstrittenes wie einflußreiches Ereignis. Foucault bestimmt hier die historischen wie theoretischen Voraussetzungen eines seiner wirkmächtigsten Konzepte: der Sorge um sich.
Der Entwurf einer Ästhetik der Existenz, von dem auch derjenige einer Philosophie der Lebenskunst ihren Ausgang nimmt, gewinnt hier in einer subtilen Interpretation klassischer antiker Texte seine Konturen. Foucaults Lektüre kanonischer Texte von Platon, Mark Aurel, Epikur und Seneca zielt dabei auf eine neue und überraschende Theorie des Subjekts, die sich keineswegs auf eine historische Rekonstruktion beschränkt, sondern vielmehr versucht, eine andere Perspektive auf die Konstitution des modernen Subjekts zu gewinnen. Seine Arbeit besteht darin, einen historischen Blick auf das zu gewinnen, was für uns keineswegs der Geschichte unterworfen zu sein scheint: die Art und Weise, wie wir uns als Subjekte zu uns selbst verhalten. Zugleich eröffnet diese Deutungsperspektive eine Neuformulierung der Frage nach der Politik. Sind nicht die heutigen politischen Kämpfe weniger als Kämpfe gegen politische oder ökonomische Unterwerfung, sondern vielmehr als ein Aufbegehren gegen das Verschwinden der Identität zu begreifen? Foucaults berühmte Vorlesung lotet ein neues Konzept der Macht aus, das zugleich den übergang von seinem Entwurf einer Mikrophysik der Macht hin zu einer konkreten Analyse der Selbstverhältnisse darstellt.
Autorenporträt
Foucault, MichelPaul-Michel Foucault wurde am 15. Oktober 1926 in Poitiers als Sohn einer angesehenen Arztfamilie geboren und starb am 25. Juni 1984 an den Folgen einer HIV-Infektion. Nach seiner Schulzeit in Poitiers studierte er Philosophie und Psychologie in Paris. 1952 begann seine berufliche Laufbahn als Assistent für Psychologie an der geisteswissenschaftlichen Fakultät in Lille. 1955 war er als Lektor an der Universität Uppsala (Schweden) tätig. Nach Direktorenstellen an Instituten in Warschau und Hamburg (1958/1959) kehrte er 1960 nach Frankreich zurück, wo er bis 1966 als Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Clermont-Ferrand arbeitete. In diesem Zeitraum erschien 1961 seine Dissertationsschrift Folie et déraison. Histoire de la folie à l'âge classique (dt.: Wahnsinn und Gesellschaft). Er thematisierte darin die Geschichte des Wahnsinns und das Zustandekommen einer Abgrenzung von geistiger Gesundheit und Krankheit und die damit einhergehenden sozial

en Mechanismen. 1965 und 1966 war er Mitglied der Fouchet-Kommission, die von der Regierung für die Reform des (Hoch-)Schulwesens eingesetzt wurde. 1966 wurde Les mots et les choses - Une archéologie des sciences humaines (dt.: Die Ordnung der Dinge) veröffentlicht, worin er mit seiner diskursanalytischen Methode die Wissenschaftsgeschichte von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert untersuchte. Nach einem Auslandsaufenthalt als Gastprofessor in Tunis (1965-1968) war er an der Reform-Universität von Vincennes tätig (1968-1970). 1970 wurde er als Professor für Geschichte der Denksysteme an das renommierte Collège de France berufen. Gleichzeitig machte er durch sein vielfältiges politisches Engagement auf sich aufmerksam. In diesem Kontext entstand die Studie Surveiller et punir (dt.: Überwachen und Strafen). 1975-1982 unternahm er Reisen nach Berkeley und Japan sowie in den Iran und nach Polen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2004

Faszinierende Streiflichter auf eine unkuschelige Subjektivität
Jenseits unseres Selbsterfahrungskitsches rehabilitiert Michel Foucault das goldene Zeitalter der Sorge um sich selbst

Kaum ein Konzept hat so viele Mißverständnisse ausgelöst wie das der "Sorge um sich", das aus der Tradition der "cura sui" und des griechischen "epimeleia heautou" Foucaults Denken in den letzten Jahren bestimmte. Rückzug aus dem Politischen, Ästhetisierung der Existenz, philosophische Begründung des zeitgenössischen Individualismus - so war trotz Foucaults eigenen Warnungen vor solchen Verkürzungen immer wieder zu hören. Das Thema der Selbstkultur und Selbstpraxis hat in der komplizierten Umorientierung von Foucaults gesamtem Denken ab 1976 - weg von der kritischen Systemgenealogie der abendländischen Neuzeit, hin zur griechisch-römischen Antike und deren Problematisierung des Subjekts - eine führende Rolle gespielt und sollte wohl den krönenden Abschluß einer ganzen Werkphase ergeben. "Die Sorge um sich" heißt tatsächlich der dritte Band von "Sexualität und Wahrheit". Das Kernthema wird darin aber nur marginal entwickelt. Das große Buch über die Selbsttechniken mit der theoretisch durchgearbeiteten Wende von der Politik zur Ethik, von der Analyse der Machtdispositive zu der des Selbst, hat Michel Foucault nie geschrieben. Die Vorlesungen, die der Gelehrte im Frühjahr 1982, zwei Jahre vor seinem Tod, am Collège de France hielt, nehmen die Stelle jenes ungeschriebenen Werks ein.

Da Foucault testamentarisch jede postume Veröffentlichung unpublizierter Texte untersagte, sind diese Vorlesungen am Collège de France praktisch das einzige, was es an potentiell Neuem von diesem Autor noch zu entdecken gibt. Vier von den insgesamt dreizehn Vorlesungszyklen liegen im französischen Original schon vor. Auf deutsch ist dieser Band der dritte des - unchronologisch angelaufenen - Publikationszyklus. Zwei weitere Bände, "Sicherheit, Territorium, Bevölkerung" und "Geburt der Biopolitik", werden als "Geschichte der Gouvernementalität I und II" in diesem Herbst zeitgleich auf französisch und deutsch erscheinen. Trotz der teilweise weit ausgearbeitet vorliegenden Vorlesungsmanuskripte beruht der Text ausschließlich auf dem in privaten Tonbandaufzeichnungen erhaltenen gesprochenen Wort, um nicht gegen die erwähnte testamentarische Bestimmung zu verstoßen. So haben diese Vorlesungen mit ihrem spezifischen, etwas steifen Diskurs ihren eigenen Status, wie die französischen Herausgeber mit doppeltem Recht schreiben, im Gesamt der "philosophischen Akte" von Foucault. Die enorme Zitat- und philosophische Quellenbasis ist sprunghaft, wenig strukturiert, bald über-, bald unterkommentiert, manchmal mehr vorbereitendes Inventar als dessen Ausführung. Die Gedankenentwicklung läuft, dem Vortrag im Wochentakt entsprechend, resümierend voraus und zurück. Das macht die Lektüre gerade anregend im Hin und Her der thematischen Akzentverschiebungen, das schon im beigefügten Jahresrückblick aus der Feder Foucaults selbst einzelne Aspekte heraushebt, andere bereits wieder wegfallen läßt.

Nachdem die Vorlesung "Die Regierung der Lebenden" des Vorjahres 1980/81 noch die Wahrheitsfähigkeit des Subjekts in den christlichen Geständnispraktiken von Beichte, Gewissenserforschung und Gehorsam gegen die befreiende Eigenregulierung des Selbst bei Seneca, Marc Aurel, Epiktet abhob, herrscht im Zyklus "Hermeneutik des Subjekts" eher wieder eine Transversalität der Epochen vor. Ausgangsfeststellung ist für Foucault, daß das uns geläufige Prinzip "Erkenne dich selbst" eine einseitig kognitive Überblendung der viel weiter gefaßten "Sorge um sich selbst" aus dem delphischen Weisheitsfundus darstellt. Der "cartesianische Moment", wie Foucault ihn nennt, habe allein den objektiven Erkenntnisaspekt des subjektiven Zugangs zur Wahrheit herausgegriffen: Daß der Zugang zur Wahrheit dem Subjekt auch Arbeit an sich und Selbstveränderung abverlange, von der philosophischen Übung bis zur christlichen Askese, habe sich allenfalls in der abendländischen Geistlichkeit und deren spirituellen Praktiken gehalten. Nicht die Wissenschaft, stellt Foucault aber sogleich klar, habe den Keil zwischen das Sorge- und das Erkenntnis-Element getrieben, sondern die scholastische Theologie mit ihrem Universalisierungsversuch des Glaubens.

In Platons "Alkibiades", wo Sokrates den jungen angehenden Politiker zur Sorge um sich selbst und nicht bloß um Dinge und Besitzstände ermahnt, findet Foucault einen Grundlagentext seines Themas. Das goldene Zeitalter der Sorge um sich sieht er aber in den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten gekommen. Sowohl bei Epikur wie in der Stoa wird das Sich-um-sich-selbst-Kümmern nicht mehr als Selbstanalyse in Vorbereitung auf ein politisches Amt verstanden und betrifft auch nicht mehr bloß didaktisch das Jugendalter. In der Ausweitung aufs ganze Leben und der Abkoppelung von jeder politischen Funktion wird die Sorge um sich zum wahren Motor der Selbstbildung und findet so auch ihr ganzes kritisches Potential, indem sie zur fortwährenden Korrektur der eigenen Lebensführung anspornt.

Die unmittelbar daraus entspringende Frage, die dem Vortragenden keinen Augenblick entgeht und immer neu hin und her gewendet wird, ohne zur endgültigen Fixierung zu kommen, ist die des Politischen: die Frage des Verhältnisses zum anderen in der radikalen Selbstpraxis. Gelangt der Vortragszyklus zu keiner abgerundeten Theorie des Politischen aus der Sorge um sich, so läßt er, stets in direkter Nähe zu den Referenztexten, faszinierende Streiflichter auf Einzelaspekte fallen. Daß bei Platon das kathartische und das politische Moment der Selbstkenntnis noch eins sind, ich mich also um mich selbst kümmern muß, um mich überhaupt um die anderen kümmern zu können, und das Heil der Polis dem Staatsmann gleichsam als Belohnung für seine Sorge um sich zufällt, daß in der griechisch-römischen Kaiserzeit Katharsis und Politik sich aber trennen bis zur Verabsolutierung des Selbst als einziges Objekt der Sorge um sich, ist Foucaults Grundhypothese. In Begriffsklärungen wie etwa der zur Idee des "Heils", das fern von der dramatischen Negativspannung von Erlöstsein oder Verderben im Sinne des Christentums in der Antike eine positive Alltagspraxis auf dem Weg in den Zustand der Gelassenheit war, wird jene Hypothese brillant konsolidiert. Auch bei seinen Differenzierungen zum Thema der "Konversion" zwischen Platons "epistrophe" und der christlichen "metanoia" wird Foucault nicht müde, daran zu erinnern, all das sei noch nicht im Stadium der Begrifflichkeit, allenfalls in dem der Gedankenbilder und der geistigen Anschaulichkeit: "Eines Tages wird es notwendig sein, die Geschichte dessen aufzuzeigen, was wir revolutionäre Subjektivität nennen könnten."

Diese Vorsicht rückt Foucaults Ausführungen Lichtjahre von jenen Zeitströmungen ab, die sich als dandyhafte Egozentrik oder subjektivistische Weltflucht in seiner Theorie oft wiederzuerkennen glaubten. Der unreflektiert selbstverliebte Zeitjargon von "zu sich kommen" und "man selbst sein" verstellte nach Ansicht Foucaults gerade den Horizont einer Ethik des Selbst. Eine "Hermeneutik des Subjekts" zielt nicht auf Selbsterfahrungskitsch oder kuschelige Auspolsterung des Ich, sondern auf scharfe und unablässige Wachsamkeit im Ausdeuten der winzigen Wechselfälle, die jeden Tag neu durch ein ganzes Leben gesellschaftlich das Selbst am Selbst reiben. Die ausgezeichnete Übersetzung von Ulrike Bokelmann gibt den Text in aller wünschenswerten Klarheit wieder, ein Namenregister, ein Literaturverzeichnis und eine ausführliche Situierung der Vorlesung von Frédéric Gros konsolidieren den Band in seiner ganzen philosophischen Relevanz.

JOSEPH HANIMANN

Michel Foucault: "Hermeneutik des Subjekts". Vorlesung am Collège de France 1981/82. Aus dem Französischen von Ulrike Bokelmann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 694 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2004

Seelenambulanz
Foucaults Vorlesungen über das Subjekt und seine Moral
Im Jahr 1530 gründete der französische König Franz I. auf Initiative des großen Humanisten Guillaume Budé in Paris das Collège Royal, mit dem vor allem die (damals an der Sorbonne nicht vertretenen) Griechisch-Studien auf eine dauerhafte institutionelle Grundlage gestellt und, ohne dass die Hörer zahlen mussten, vermittelt werden sollten. Das Collège de France, so der Name seit 1870, stellt bis heute eine außergewöhnliche Einrichtung im französischen Bildungssystem dar. Die Professoren, die inzwischen aus einer Vielzahl von geistes- und naturwissenschaftlichen Fächern kommen, sind nur verpflichtet, jedes Jahr 26 Wochenstunden zu lehren, in denen sie jeweils ihre neuen Forschungsergebnisse vorstellen sollen. Es gibt keine Studenten, die ein Examen machen könnten, sondern nur Hörer - vom Clochard, der sich des warmen Raumes erfreut, bis zum Professor, der davon träumen mag, einmal in diesen Olymp des französischen Geisteslebens aufgenommen zu werden.
Für Michel Foucault, geboren 1926, begann mit der Berufung an das Collège de France als Professor für „Geschichte der Denksysteme” im Jahr 1970 der Aufstieg zum Starphilosophen. Er hat sich im Lauf der Zeit immer mehr der Antike zugewendet, wie sich vor allem im zweiten und dritten Band seiner „Histoire de la sexualité” (deutsch unter dem Titel: „Sexualität und Wahrheit”) gezeigt hat; beide Bände sind kurz vor seinem Tode 1984 erschienen. Foucault hatte die Publikation nachgelassener Texte testamentarisch untersagt. Da von seinen, vor Hunderten von Zuhörern gehaltenen Vorlesungen jedoch zahlreiche Tonbandaufnahmen existierten und entsprechende Transkriptionen kursierten, sahen sich Foucaults Nachlassverwalter berechtigt, seine Vorlesungen auf der Basis solcher Mitschnitte zu veröffentlichen.
Probleme mit dem Mikrophon
Die von Januar bis März 1982 gehaltenen Vorträge zur „Hermeneutik des Subjekts” hat Frédéric Gros 2001 in einer liebevollen Edition vorgelegt, in der die Belege zu Foucaults Ausführungen nachgetragen und Erläuterungen gegeben werden; sie wird nun in einer ebenfalls sorgfältig gemachten Ausgabe dem deutschen Publikum zugänglich gemacht. Foucaults gesprochenes Wort ist heilig. Der Text wird exakt nach den einzelnen Vorlesungsstunden gegliedert; auch jede Randbemerkung („wir machen jetzt fünf Minuten Pause”; es gibt „Probleme mit dem Mikrophon”) und die wiederholten Klagen darüber, dass er sich in seinen Ausführungen „vertrödelt” habe oder dass die Zuhörer partout keine Fragen stellen wollten, werden getreulich abgedruckt.
Foucault hat in seiner Geschichte der Sexualität hervorgehoben, dass die vorchristliche antike Sexualmoral nicht durch Verbote und Vorschriften von seiten äußerer Instanzen, sondern durch Praktiken einer Lebensführung bestimmt werde, in deren Zentrum die „Sorge um sich selbst” steht, so der Titel des dritten Bandes. Dieses Postulat, das nicht Weltflucht bedeute, sondern eine nicht-egoistische Moral begründe, hat er in der Vorlesung von 1982 weiter ausgeführt und nunmehr auch losgelöst von der Konzentration auf die Sexualmoral erörtert.
Im Vordergrund steht die Interpretation weniger Schlüsseltexte. In Platons „Apologie” zeigt sich, dass - anders als in der neuzeitlichen Rezeption - das Postulat „Erkenne Dich selbst” der Fürsorge um sich selbst nachgeordnet ist. In Platons Dialog „Alkibiades” macht Sokrates seinem Schüler deutlich, dass dieser die politische Führungsrolle, zu der er sich kraft Herkunft, Vermögen und Bildung berufen fühlt, nur dann zum Wohle des Gemeinwesens ausüben könne, wenn er als junger Mann die Prinzipien guter Führung in Bezug auf sich selbst und sein Haus gelernt hat. Dies setzt Bildung und Muße voraus, ist insofern immer nur einer Elite möglich. In der, zumal stoisch geprägten, Philosophie der römischen Kaiserzeit des 1. und 2. Jahrhunderts nach Christus wird, wie Foucault an Texten von Philo von Alexandrien, Seneca, Musonius Rufus, Epiktet, Fronto oder Plutarch illustriert, die Fixierung auf die politische Aktivität fallen gelassen. Die Sorge um sich selbst, die nunmehr der seelischen wie der körperlichen Gesundheit gilt, ist Ausdruck einer „Bekehrung” zur „Philosophie als Lebensform” (Pierre Hadot). Diese ist lebenslang in Philosophenschulen und ähnlichen Gemeinschaften, die zugleich „Seelenambulanz” und „medizinische Praxis” (Foucault) darstellen, unter der Anleitung von Lehrern einzuüben und im Umgang mit Freunden zu praktizieren.
Foucault kündigt zwar verschiedentlich an, die Unterschiede zwischen dem sokratisch-platonischen und dem späteren Verständnis der Selbstfürsorge in Beziehung zu setzen zu der unterschiedlichen politisch-sozialen Umwelt im demokratischen Athen (hier wäre das wechselvolle politische Schicksal des Alkibiades einschlägig gewesen) und in der römischen Kaiserzeit (man denke nur an Seneca und Fronto als Lehrer und Berater von Nero beziehungsweise Marc Aurel). Aber ausgeführt wird dies nicht mehr. So bleibt es bei einem Diskurs über Diskurse, womit sich Foucaults Zugriff deutlich von demjenigen eines Paul Veyne oder Peter Brown unterscheidet, zu deren Werken vielfältige Querverbindungen bestehen.
Foucault-Verehrer können sich freuen, mit diesen Vorlesungsaufzeichnungen einen genauen Einblick in die Werkstatt des Meisters zu gewinnen. Andere, die sich um ihre Lebens- und Arbeitszeit sorgen, werden darüber stöhnen, dass ein wenig strukturierter Text mit zahllosen Wiederholungen und ständigen Abschweifungen vorliegt, dessen Substanz sich auf einem Bruchteil der hier vorliegenden 600 Druckseiten hätte unterbringen lassen.
WILFRIED NIPPEL
MICHEL FOUCAULT: Hermeneutik des Subjekts. Vorlesung am Collège de France (1981/82). Deutsch von Ulrike Bokelmann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 694 Seiten, 39, 90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Von Januar bis März 1982 hielt Michel Foucault im College de France Vorträge zur "Hermeneutik des Subjekts". Diese liegen nun, liebevoll ediert, auf Deutsch vor. Foucault wendet sich in seinen Vorlesungen der "Sorge um das Selbst" zu, einer nicht-egoistischen Moral, nun auch betrachtet außerhalb des sexualhistorischen Kontexts. Dabei weist der Philosoph nach, dass das Postulat der Selbstsorge jenem anderen, berühmteren des "Erkenne dich selbst" vorgeordnet war. Die Vorträge zeichnen die Wandlungen der "Sorge um das Selbst" durch die Antike hindurch nach, vom politisch grundierten sokratisch-platonischen Anspruch bis zur römischen Kunst der Lebensführung. Gute Nachrichten hat der Rezensent Wilfried Nippel für Foucaults Fans: nicht weniger als einen Blick in die Werkstatt stellen in seinen Augen diese Texte dar, die, da das Wort des Starphilosophen sakrosankt ist, auch Klagen über die Qualität des Mikrophons oder die Ankündigung von Pausen getreulich protokollieren. Weniger Enthusiasmierte werden allerdings beklagen, argwöhnt Nippel, dass man das, was hier gesagt wird, auch auf weniger als 600 Seiten hätte sagen können, wenn man auf die "Wiederholungen und ständigen Abschweifungen" verzichtet hätte. Da Foucault nicht mehr dazu kam, den sozialhistorischen Kontext der verschiedenen Ausprägungen der Selbstsorge zu entfalten, bleibt es bei einem "Diskurs über Diskurse".

© Perlentaucher Medien GmbH
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»Es sind, im besten Sinne, merk-würdige Vorlesungen, die der Philosoph anstellt, um sich dem Subjekt nicht im Sinne einer Unterwerfung, sondern der Subjektivierung zu nähern. Damit wird auch Foucaults Satz, er sei kein Philosoph der Macht, sondern einer des Subjekts, in einen weiteren Zusammenhang gestellt.«