16,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 3-5 Tagen
  • Broschiertes Buch

Erwin Schrödinger (1887-1961) gilt als einer der Väter der Quantenphysik; 1933 erhielt er zusammen mit Paul Dirac den Nobelpreis. Schrödingers Schriften regen auch heute noch an zu einem neuen Blick auf die Welt - und sie haben nicht nur in der Physik weitreichende Folgen gehabt. Schrödinger gilt vielen Experten heute als ein Vordenker des Bioengineering, der Entwicklung von Techniken, mit denen sich Zellen, Gewebe und Lebewesen effizient manipulieren lassen. Und Philosophen attestieren ihm eine orientierende und provozierende Wirkung auf eine neue ökologisch motivierte Philosophie der Natur.…mehr

Produktbeschreibung
Erwin Schrödinger (1887-1961) gilt als einer der Väter der Quantenphysik; 1933 erhielt er zusammen mit Paul Dirac den Nobelpreis. Schrödingers Schriften regen auch heute noch an zu einem neuen Blick auf die Welt - und sie haben nicht nur in der Physik weitreichende Folgen gehabt. Schrödinger gilt vielen Experten heute als ein Vordenker des Bioengineering, der Entwicklung von Techniken, mit denen sich Zellen, Gewebe und Lebewesen effizient manipulieren lassen. Und Philosophen attestieren ihm eine orientierende und provozierende Wirkung auf eine neue ökologisch motivierte Philosophie der Natur. In diesem Band entfalten führende amerikanische Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler das kontroverse Potential von Schrödingers Denken und belegen die anhaltende philosophische und technisch-praktische Bedeutung der Erkenntnisse eines epochalen Wissenschaftlers.

"Die Welt ist ein Konstrukt aus unseren Empfindungen, Wahrnehmungen, Erinnerungen. Zwar ist es bequem, sie uns an und für sich einfach schlechthin vorhanden zu denken. Aber sie ist anscheinend nicht schon durch ihr bloßes Vorhandensein auch wirklich manifest."

Aus: Erwin Schrödinger, Geist und Materie
Autorenporträt
Gumbrecht, Hans UlrichHans Ulrich Gumbrecht wurde 1948 in Würzburg geboren. Er studierte Romanistik, Germanistik, Philosophie und Soziologie in München, Regensburg, Salamanca (Spanien) und Pavia (Italien). Nach seiner Habilitation 1974 war er von 1975-1982 Professor in Bochum und von 1983-1989 an der Universität in Siegen. Von 1989 bis 2018 hatte er den Lehrstuhl für Komparatistik an der Stanford University inne. Gegenwärtig ist er ständiger Gastprofessor an der Université de Montréal, am Collège de France sowie an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt 2015 den Kulturpreis der Stadt Würzburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2009

Der Quanten und der Liebe Wellen

Die Quantentheorie hat er mitgeprägt, der modernen Genetik Stichworte souffliert: Ein Sammelband versucht zu bestimmen, worin Erwin Schrödingers Genialität lag.

Erwin Schrödinger ist eine in vieler Hinsicht auffällige Figur unter den großen Physikern des vorigen Jahrhunderts. Mit seiner Wellenmechanik schrieb er sich in die heroische Phase der Herausbildung der Quantentheorie ein. Aber die Grundkonzepte der klassischen Physik, die er mit seiner eleganten Wellengleichung eigentlich gewahrt sehen wollte, konnte er damit nicht retten. Was sich durchsetzte, war die Interpretation von Schrödingers so klassisch anmutender Wellenfunktion als Wahrscheinlichkeitsmaß für zu erwartende Messergebnisse.

Es folgten die Debatten über diese Interpretation der Quantentheorie, in der die Wahrscheinlichkeitsaussagen als fundamental und irreduzibel angesehen werden. Schrödinger steuerte sein berühmtes Katzenexperiment bei, konnte mit dieser Attacke aber nur erreichen, dass "überlagerte" tote und lebende Katzen unter den Bestand an Merkwürdigkeiten von Quantenphänomenen gebucht wurden. Er war und blieb überdies der Außenseiter, den man kaum einer Fraktion zurechnen konnte; ein Physiker, den es von früh an auch zu Grenzgängen am Rande der Disziplin oder der Wissenschaft selbst zog.

Auf große Wirkung konnte er dabei kaum hoffen, doch zeigte sein 1943 erschienenes Buch "Was ist Leben?" deutlichen Effekt in der aufstrebenden Molekularbiologie und erwies den Autor rückblickend als hellsichtigen Stichwortgeber: vom Gen als aperiodischem Kristall bis zur Codeschrift, deren molekulare Basis zehn Jahre später entdeckt wurde. Der Blick des Physikers auf die lebendige Zelle und die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung - noch war das Gen materiell nicht bestimmt, höchstens als dunkler Fleck in lichtmikroskopischen Aufnahmen von Chromosomen bestimmter Zellen der Taufliege - zeigte die Vorzüge einer ungewohnten und auf neue Problemhorizonte gerichteten Betrachtungsweise.

Die Hommage an Erwin Schrödinger, die in der Edition Unseld erschienen ist, hat denn auch vor allem diesen Sinn für Grenzgänge und unorthodoxe Fragestellungen im Blick. Hervorgegangen ist sie aus einer interdisziplinären "Philosophical Reading Group" an der Stanford University, die sich vor allem mit Schrödingers "Was ist Leben?" und seinen 1956 publizierten Überlegungen über "Geist und Materie" beschäftigte.

Physiker ist unter den Beiträgern nur einer, Robert Laughlin, und seine Würdigung von Schrödingers quantentheoretischen Beiträgen fällt denkbar entschieden aus. Schrödinger figuriert bei ihm als unterliegender Held des Widerstands gegen die orthodoxe Interpretation des quantenmechanischen Formalismus. In Laughlins Augen läuft diese Interpretation insbesondere darauf hinaus, den Messprozess an einem quantenmechanischen System mit einer plötzlichen unstetigen Veränderung der ansonsten sich brav und stetig nach einer Differentialgleichung entwickelnden Zustandsfunktion in Zusammenhang zu bringen: der berüchtigte Kollaps der Wellenfunktion, den man der Differentialgleichung naturgemäß nicht ansehen kann, weil er zu ihrer Beschreibungsweise des Systems nicht gehört.

Wie Schrödinger hält auch Laughlin, der für seine Arbeiten zum Quanten-Hall-Effekt einen Nobelpreis erhielt, diese Interpretation für abwegig. Er optiert dafür, die von der Theorie vorausgesagten Wahrscheinlichkeiten von Messergebnissen als Ergebnis klassischer Effekte chaotischer Instabilität im Gesamtsystem von Objekt und Messapparatur zu verstehen. Und er ist so überzeugt davon, dass er sich andere Auffassungen letztlich nur mit Mechanismen des akademischen Betriebs erklären kann, gegen die der vornehme Einzelgänger Schrödinger verstieß: Einflussreiche Revierverteidiger pflegen nämlich an verworrenen und undurchsichtigen Darstellungen festzuhalten, um auf diese Weise ihren Nimbus bewahren zu können.

Spätestens hier glaubt man zu bemerken, dass Schrödinger für Laughlin der Aufhänger ist, ein weiteres Mal auf sein Lieblingsthema zu kommen, nämlich Enthüllungen über ein dem größeren Publikum vorsätzlich entzogenes Wissen. Das Zutrauen zu seiner Darstellung erhöht das nicht unbedingt. Solider verfährt der Pathologe Michael Hendricksen, der Schrödingers tastende Überlegungen über die physikalisch-chemischen Grundlagen der Vererbung aus dem Jahr 1943 im Kontext des damaligen Forschungsstands erläutert und dann die späteren Entwicklungen resümiert.

Das ergibt einen vorzüglichen Abriss der Molekulargenetik - der bloß nicht zeigt, wovon sein Titel spricht, nämlich Schrödingers Aktualität für die heutige Forschung. Schrödinger spurte den Weg für zentrale Metaphern, die den genzentrierten Reduktionismus im "heroischen Zeitalter" der Molekularbiologie zum Ausdruck brachten; und das war nahezu unvermeidbar, gerade wegen Schrödingers physikalischen Hintergrunds. Unser heutiges Verständnis von molekulargenetischen Mechanismen als vielschichtigen und auf vielfältige Weise rückgekoppelten Kontrollnetzwerken hat von diesen Modellen wenig übriggelassen.

Eine andere Form von Aktualität suchen die Beiträger aus dem Feld der Literaturwissenschaft. Robert Pogue Harrison hebt zu einer Eloge auf den bedeutenden Denker Schrödinger an, die mit Blick auf "Geist und Materie" aber eher als gutgemeint gelten muss. Ambitionierter verfährt Hans Ulrich Gumbrecht beim Versuch, Schrödingers intellektuellen Stil zu umreißen. Etwas verkürzt: Die Genialität des Mannes liegt auf der Hand, also sollten sich ihre Bedingungen auch abseits des wissenschaftlichen Terrains zeigen. In der Autobiographie zum Beispiel, deren merkwürdige Zerfahrenheit sich auf diese Weise als Ausdruck eines fruchtbaren Polyperspektivismus entschlüsseln lässt sowie der Neigung, sich an "Gegenstände in ihrer Konkretheit" zu halten, ohne auf allgemeine Begriffe zu setzen.

Womit man eigentlich schon bei der Erotik ist, also bei Schrödingers turbulentem Liebesleben. Es lasse sich doch einfach nicht vermeiden, so Gumbrecht, Schrödingers polygamen Lebensstil mit dem Polyperspektivismus seines intellektuellen Stils zu assoziieren. Worauf man zu antworten geneigt ist, dass es naheliegenden Assoziationen vielleicht manchmal auch zu widerstehen gilt. Obwohl ein Forschungsprojekt, das den Einfluss der Polygamie auf den Ideenreichtum von Naturwissenschaftlern näher und konkret untersucht, natürlich eine interessante Sache wäre; schon aus methodischen Gründen. Wir sehen gespannt nach Stanford.

HELMUT MAYER

Hans Ulrich Gumbrecht, Robert Pogue Harrison, Michael R. Hendrickson, Robert B. Laughlin: "Geist und Materie - Was ist Leben?" Zur Aktualität von Erwin Schrödinger. Aus dem Englischen von Sabine Baumann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 149 S., br., 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So richtig kann diese aus einem Lesezirkel an der Stanford University hervorgegangene Hommage an den unorthodoxen Physiker Erwin Schrödinger den Rezensenten nicht überzeugen. Liegt es daran, dass, wie Helmut Mayer zu Bedenken gibt, nur ein einziger Physiker unter den Autoren ist, dem seine Würdigung Schrödingers zudem zur Enthüllungsgeschichte gerät? Oder daran, dass es einem eigentlich soliden Text über Schrödingers Vererbungslehre im Kontext des damaligen Forschungsstands nicht gelingt, Schrödingers Aktualität zu belegen? Möglicherweise aber trifft auch Hans Ulrich Gumbrecht eine Mitschuld, wenn er Schrödingers polyperspektivische Methodik mit dessen polygamem Lebensstil assoziiert. Auch wenn ein derartiger Forschungsansatz Mayer nicht ohne Reiz zu sein scheint.

© Perlentaucher Medien GmbH