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Was geschieht in Tschetschenien, einer Region von der Größe Thüringens? Warum gelingt es nicht, den Konflikt zwischen Russland und der Kaukasusrepublik beizulegen? Die fortdauernde Gewalt zerstört nicht nur die Lebensgrundlagen einer ganzen Bevölkerung, sondern bedroht auch die junge Demokratie Russlands. "Der Krieg im Schatten" ist ein unentbehrliches Kompendium für jeden, der die politischen und historischen, juristischen und kulturellen Aspekte des Konflikts besser verstehen möchte.
Seit fast vier Jahren führt Rußland Krieg in der abtrünnigen Kaukasusrepublik Tschetschenien. Die Welt
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Produktbeschreibung
Was geschieht in Tschetschenien, einer Region von der Größe Thüringens? Warum gelingt es nicht, den Konflikt zwischen Russland und der Kaukasusrepublik beizulegen? Die fortdauernde Gewalt zerstört nicht nur die Lebensgrundlagen einer ganzen Bevölkerung, sondern bedroht auch die junge Demokratie Russlands.
"Der Krieg im Schatten" ist ein unentbehrliches Kompendium für jeden, der die politischen und historischen, juristischen und kulturellen Aspekte des Konflikts besser verstehen möchte.
Seit fast vier Jahren führt Rußland Krieg in der abtrünnigen Kaukasusrepublik Tschetschenien. Die Welt schaut fort. Handelt es sich um einen "vergessener Völkermord des 21. Jahrhunderts" (Anna Politkovskaja) oder um einen legitimen "Kampf gegen den Terror", wie Präsident Putin behauptet?
Sondereinheiten der von ihm befehligten russischen Armee durchkämmen in sogenannten "Spezialaktionen" und "Säuberungen" ganze Dörfer auf der Suche nach "Terroristen". Die russische Menschenrechtsorganisation "Memorial" spricht von mehr als 40 Massengräbern mit "nicht nur Dutzenden, sondern Hundert Leichen von Zivilisten".

Vor diesem Hintergrund fand am 23. März 2003 ein Verfassungsreferendum statt. Die Bürger der Kaukasusrepublik sollten über ein Gesetz zur Wahl eines Parlaments, eines Präsidenten und über eine im Kreml entworfene Verfassung für ihr Land abstimmen. Der Entwurf schreibt fest, daß Tschetschenien "ein unabtrennbarer Teil der Russischen Föderation" ist. Das "schöne sowjetische Ergebnis" von 96% Ja-Stimmen stand bereits vorher fest: Mitglieder der Wahlkommissionen berichten von entsprechenden Anweisungen zur Wahlfälschung.

Rebellenführer Aslan Maschadow, seit seiner demokratischen Wahl Anfang 1997 legitimes Oberhaupt der tschetschenischen Teilrepublik wurde am 5. September 2003 gemäß eines Beschlusses des Parlaments der Tschetschenischen Republik Itschkerija seines Amtes enthoben. Ein Opfer des Krieges ist auch die bisher ohnehin kaum entwickelte Zivilgesellschaft in Rußland selbst. Seit Einführung der Zensur wagen nur noch wenige Journalisten, kritisch über Tschetschenien zu berichten. Zeitungen und Fernsehkanäle wurden unter Druck gesetzt oder geschlossen. Der Krieg, grausam auf beiden Seiten, findet unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Anders als auf dem Balkan mischt sich die internationale Gemeinschaft nicht ein. Seit dem 11. September 2001 ist die Kritik an Putin verstummt. Doch was in Rußland als "Anti-Terror-Kampagne" bezeichnet wird, ist ein Krieg der die Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung zerstört - ein nicht erklärter, aber de facto durchgeführter Völkermord. Kein Tribunal, das die Kriegsverbrechen ahndet.

Keine Friedenstruppe, die die marodierenden, hungernden, brutalisierten russischen Rekruten von den nicht weniger brutalen, aber motivierten tschetschenischen Kämpfern trennt. Erst das Geiseldrama im Moskauer Musicaltheater Nordost im Oktober 2002 hat den "schmutzigen Krieg" im Kaukasus plötzlich wieder für kurze Zeit in das Zentrum internationaler Aufmerksamkeit gerückt. Die Verschleierungspolitik der russischen Behörden, die Ärzte tagelang im Unklaren ließen über das Gas, das zum Einsatz kam, die Gleichschaltung der Medien, die Desinformation der Öffentlichkeit - danach mehrten sich die Anzeichen, daß es manchen Politikern im Westen schwer zu fallen beginnt, Putins Krieg allein als interne Angelegenheit Rußlands zu sehen.

Der Konflikt hätte sich als ernstes Hindernis auf dem Weg zu einem vereinten Europa erweisen können. Doch seit der "eurasischen" Allianz gegen die Intervention der USA im Irak ist diese Perspektive wieder in weite Ferne gerückt.

Autorenporträt
Florian Hassel, 1964 geboren, ist Rußland-Korrespondent u.a. der Frankfurter Rundschau und berichtet seit 1999 unzensiert aus Tschetschenien. Der von ihm zusammengestellte Band soll dazu dienen, sich ein Bild von der komplizierten Situation zu machen. Russische, tschetschenische und westliche Autoren, Augenzeugen des Konflikts, nähern sich der komplexen Wahrheit aus historischer, politischer und juristischer Perspektive und schildern die Auswirkungen dieses Krieges nicht nur in Rußland und dem Kaukasus, sondern auch bei uns in Europa. Zeittafel, Personenverzeichnis, Bibliographie und Register machen es zu einem übersichtlichen Nachschlagewerk. Das Buch erscheint mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.11.2003

Ausgeblutes Land
Das tschetschenische Volk wird durch die russische Besatzung und ihren Terror zermürbt und zerrieben
FLORIAN HASSEL (HRSG): Der Krieg im Schatten. Russland und Tschetschenien. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2003. 257 Seiten, 11 Euro.
Würde das Buch in Russland vertrieben, die Wähler fänden darin genug Gründe, Wladimir Putin im kommenden Frühjahr die Gefolgschaft zu verweigern. Eine Spirale aus staatlichem Druck und Selbstzensur der Medien macht es den Russen schwer, sich ein genaues Bild vom Tschetschenien-Konflikt zu machen – von dem, was der Herausgeber dieses Buches, Florian Hassel, „eine von Putin befohlene Politik staatlichen Terrors” nennt. Seite für Seite versuchen deshalb Hassel, der seit Jahren für die Frankfurter Rundschau aus Russland berichtet, und seine acht Ko-Autoren die Tschetschenien-Politik des Kremlchefs zu entzaubern. Hassel nennt das, „der deklarierten Realität des Kreml die wirklichen Ereignisse” gegenüberstellen.
Zum Beispiel Maura Reynolds: Während Putin sein Mantra vom Anti-Terror-Kampf in der Kaukasus-Republik wiederholte, suchte die amerikanische Journalistin in der russischen Region aus dem Krieg heimgekehrte Soldaten auf und entlockte ihnen Sätze wie diese: „Ich brachte alle Männer um, die ich bei Satschistkas („Säuberungen”) traf. Sie taten mir kein bisschen leid. Sie verdienten es. Ich habe nicht hingehört, wenn sie um ihr Leben flehten oder ihre Frauen weinten und baten, ihre Männer zu verschonen.” Und dann: „Wir banden Stahlkabel um ihre Gelenke und rissen sie mit zwei Schützenpanzern auseinander. Es gab eine Menge Blut, aber die Jungs brauchten es.”
Hassel spricht von einem „Krieg, der Kriterien des Völkermords erfüllt” – eine Einschätzung, die nicht zum erstenmal auftaucht, schon gar nicht im Westen. Das von Hassel herausgegebene Taschenbuch aber ist nicht nur klug gegliedert, es bietet zudem genug Platz, um das Resümee mit vielen Details ausführlich zu untermauern – Berichte über Menschenrechtsverletzungen, die von russischen Soldaten verübt, von ihren Vorgesetzten geduldet, von der Militärführung kaschiert und den heimischen Medien totgeschwiegen werden. Plünderungen von tschetschenischen Rohstoffen durch russische Soldaten, illegale „Filtrationslager”, in denen Tschetschenen gefoltert werden – die Liste ist sehr lang.
„Es ist eine alles durchdringende, machtvolle Kultur der Straflosigkeit”, schreibt Reynolds – während Putin im Westen mit entschlossenem Blick versichert, es werde alles getan, um Verbrechen in Tschetschenien zu verfolgen. Die Buchautoren allerdings machten andere Erfahrungen, und sie konnten sie – anders als die meisten ihrer russischen Kollegen – auch aufschreiben. Wo die russische Führung in Moskau Camouflage trägt, setzen sie Ungeschminktes dagegen. So ist ein authentisches Werk entstanden, dessen Einzelabschnitte einander gut ergänzen, sieht man von wenigen inhaltlichen Wiederholungen ab. Denn nicht nur um die Facetten der beiden jüngsten Kriege geht es den Verfassern, sondern auch um ihre Einbettung in einen historischen Rahmen, um die Exegese eines Jahrhunderte alten Konflikts, um das Überdauern lange zurückliegender Ressentiments. „Der ruchlose Tschetschene kriecht weiter zum Fluss/Und wetzt sein Messer”, schrieb der russische Dichter Michail Lermontow bereits 1838.
Ein lesenswertes Konvolut aus Reportage-Elementen, Fakten und analytischen Passagen ist das Buch, gespeist aus gründlicher Recherche und persönlichen Erlebnissen. Und gespickt mit bitteren Ergebnissen über die Entzweiung der russischen und tschetschenischen Gesellschaft sowie über ihre Brutalisierung. Und der Aussicht, dass sich dies in absehbarer Zeit nicht ändern wird.
FRANK NIENHUYSEN
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2003

Angeheizte Stimmung
Putin und der zweite Tschetschenien-Krieg / Von Werner Adam

Einmal KGB, immer KGB? Nicht erst seit der geheimdienstlichen Gewaltanwendung gegen den russischen Ölmagnaten Chodorkowski macht in Moskau das Wort von einer "KGBisierung" der politischen Machtstrukturen die Runde. Daß sich der vor vier Jahren zum obersten Kremlherrn avancierte ehemalige KGB-Offizier Putin vornehmlich mit seinesgleichen aus alten Tschekistenzeiten umgeben hat, wurde in Rußland zunächst zwar wie gottgegeben hingenommen. Doch seit das Verhältnis dieser Machthaber zu Demokratie, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit immer fragwürdiger wird, stellen sich auch bei denen Bedenken ein, die dem Nachfolger Jelzins zunächst zugejubelt hatten. Rußland, so erinnert sich der Politologe Wladimir Pribylowski, sei damals auf einer "Welle des Hurrapatriotismus" geschwommen; endlich habe das Land einen Präsidenten gehabt, "der siegen kann". Das war seinerzeit auf den zweiten Tschetschenien-Krieg gemünzt, mit dessen Beginn, wie der russische Philosophieprofessor Michail Ryklin schreibt, "sich die jetzt in Rußland herrschende Klasse mit dem Präsidenten Putin an der Spitze erst herausgebildet" habe.

Ryklin ist einer von insgesamt neun russischen und westlichen Autoren, die diesen nicht enden wollenden zweiten Tschetschenien-Krieg in all seiner historischen Komplexität, zynischen Absurdität und menschenverachtenden Brutalität ebenso gründlich wie engagiert beleuchten und dabei auf sachliche Ausgewogenheit bedacht bleiben, soweit das bei diesem Thema überhaupt möglich ist. Dokumentarisch erhärtet wird vor allem ein Verdacht, der besonders beklemmend, aber längst nicht mehr von der Hand zu weisen ist: daß der russische Föderale Sicherheitsdienst (FSB), die Nachfolgeorganisation des sowjetischen Komitees für Staatssicherheit (KGB), die Stimmung gegen die Tschetschenen dadurch anzuheizen versucht habe, daß er ihnen verheerende Sprengstoffanschläge auf russische Wohnhäuser zuschrieb, die dem Kriegsbeginn unmittelbar vorausgegangen waren. Indes konnte der Geheimdienst für seine Anschuldigungen keine Beweise vorlegen. Statt dessen verwickelte sich der FSB in zum Teil hanebüchene Widersprüche, mit denen er sich mehr und mehr selbst belastete.

Zunächst einmal stieg Putins Popularität damals, wenige Wochen vor seiner Inthronisierung durch Präsident Jelzin als dessen Nachfolger, geradezu sprunghaft an. Der neue oberste Kriegsherr nannte den Krieg freilich nicht beim Namen, sondern bezeichnete ihn als eine Anti-Terror-Operation. Das war zwei Jahre vor dem 11. September 2001. Da erschien es aus seiner Sicht nur folgerichtig, sich nach den Anschlägen in New York und Washington nachgerade beflissen der von Amerika geforderten Anti-Terror-Koalition anzuschließen und im Gegenzug westliches Schweigen zu den Vorgängen in Tschetschenien zu erwarten. Die Rechnung ging auf.

Allerdings war Rußland bereits 1996, als der erste Tschetschenien-Krieg noch tobte, in den Europarat aufgenommen und solcherart mit einem demokratischen Gütesiegel versehen worden. Daß sich der Europarat ungeachtet einiger mutiger Gegenstimmen um jeden Einfluß auf das Kriegsgeschehen im Kaukasus brachte, hatte er sich mithin teilweise selbst zuzuschreiben. Und als Putin Ende 2002 der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) das Tschetschenien-Mandat kurzerhand entzog, das sich im ersten Tschetschenien-Krieg als ebenso nützlich wie wirksam erwiesen hatte, nahm der Westen davon kaum noch Notiz. Vielsagend gibt einer der russischen Autoren in diesem Buch aber zu bedenken, daß es für die russische Gesellschaft insgesamt schlimme Folgen haben müsse, wenn ein innerrussischer Konflikt als Krieg gegen den transnationalen Terrorismus dargestellt werde, "denn in einem solchen Krieg sind wir unser eigener Feind".

Tatsächlich hat der zweite Tschetschenien-Krieg inzwischen weitaus mehr Opfer gefordert als der erste - und das auf beiden Seiten. Bedrückend vor allem die Brutalität, die aus den russischen Streitkräften in Tschetschenien eine Soldateska gemacht hat. Die in diesem Buch zitierten Aussagen einfacher Soldaten lassen auf eine unbeschreibliche Verrohung ihrer Ansichten schließen. Zusammenfassend heißt es da: Die Generäle achten unser Leben nicht, und wir achten das der Tschetschenen nicht. Der bekannte russische Menschenrechtler Sergej Kowaljow stellt unumwunden fest: "Wenn man eine Liste derjenigen erstellt, die an der grausamen Behandlung friedlicher Zivilisten schuld sind, muß man mit Wladimir Putin anfangen. Er weiß hervorragend, was vor sich geht. Und was vorgeht, ist nicht weit von Völkermord entfernt."

Solche Stimmen finden allerdings kaum noch Gehör. Dafür sorgt, wie in einem anderen Beitrag dargestellt, eine von Putin erlassene "Doktrin über Informationssicherheit", die nicht nur der Pressefreiheit in Rußland einen Riegel vorschieben, sondern auch einer "unkontrollierten Ausweitung des Sektors ausländischer Medien im vaterländischen Informationsraum" entgegenwirken soll. Die Sowjetunion und ihre KGB-Hinterlassenschaft lassen schmerzlich grüßen. Und das nicht nur in Tschetschenien.

Florian Hassel (Herausgeber): Der Krieg im Schatten. Rußland und Tschetschenien. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 256 S., 11,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nichts weniger als die Entzauberung von Wladimir Putins Tschetschenien-Politik versuchen die Autoren um den langjährigen Russland-Korrespondenten der Frankfurter Rundschau, Florian Hassel. Frank Nienhuysen zufolge ist ihnen das auch ausgezeichnet gelungen. "Klug gegliedert", "gründlich recherchiert", mit ausreichend Platz und zahlreichen Details habe Hassel ein "authentisches Werk" vorgelegt, das den "Krieg, der Kriterien des Völkermords erfüllt", wie der Rezensent den Herausgeber zitiert, auch in seinen historischen Rahmen einzubetten weiß. Allein vereinzelte "inhaltliche Wiederholungen" möchte Nienhuysen vorsichtig beanstanden, die die Gesamtleistung dieses "lesenswerten Konvoluts aus Reportage-Elementen, Fakten und analytischen Passagen" nicht im geringsten schmälern.

© Perlentaucher Medien GmbH