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Mit vier Äpfeln fängt alles an. Ein Mann, der weniger zu tun hat, als ihm lieb ist, erlebt an der Obst- und Gemüsewaage seines Supermarkts einen magischen Moment: Die grüne Leuchtanzeige zeigt Vier Äpfel, die zusammen genau tausend Gramm wiegen? Er ist, er weiß selbst nicht genau, wieso, gerührt, klebt das Etikett mit der Strichcodezeichnung vorsichtig auf die Tüte und schiebt seinen Wagen durch eine so bisher kaum beachtete Welt. Seine Gedanken schweifen ab in eine Zeit, als man noch in kleineren Läden andere Dinge kaufte, zu "Frühergerüchen", zum Einkaufsverhalten überhaupt, und er erinnert…mehr

Produktbeschreibung
Mit vier Äpfeln fängt alles an. Ein Mann, der weniger zu tun hat, als ihm lieb ist, erlebt an der Obst- und Gemüsewaage seines Supermarkts einen magischen Moment: Die grüne Leuchtanzeige zeigt Vier Äpfel, die zusammen genau tausend Gramm wiegen? Er ist, er weiß selbst nicht genau, wieso, gerührt, klebt das Etikett mit der Strichcodezeichnung vorsichtig auf die Tüte und schiebt seinen Wagen durch eine so bisher kaum beachtete Welt. Seine Gedanken schweifen ab in eine Zeit, als man noch in kleineren Läden andere Dinge kaufte, zu "Frühergerüchen", zum Einkaufsverhalten überhaupt, und er erinnert sich an L., die Frau, die ihn verlassen hat. "Vier Äpfel" erzählt von tieftraurigen Produkten und ihren Konsumenten, erzählt die Geschichte einer alten Liebe, einer Gegenwart, die immer schon vergangen ist. David Wagner hat einen Roman geschrieben, der Wahrnehmungsweisen schärft, sie vielleicht sogar verändert. Darin liegt seine große Kunst.
Autorenporträt
Wagner, DavidDavid Wagner, 1971 geboren, debütierte mit dem Roman «Meine nachtblaue Hose». Es folgten der Erzählungsband «Was alles fehlt», das Prosabuch «Spricht das Kind», die Essaysammlungen «Welche Farbe hat Berlin» und «Mauer Park», die Kindheitserinnerungen «Drüben und drüben» (mit Jochen Schmidt), der Roman «Vier Äpfel», der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, und «Ein Zimmer im Hotel». 2013 wurde ihm für sein Buch «Leben» der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen, 2014 erhielt er den Kranichsteiner Literaturpreis und war erster «Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessor für Weltliteratur» an der Universität Bern. «Der vergessliche Riese» brachte ihm 2019 den Bayerischen Buchpreis und eine Platzierung auf der Shortlist für den Wilhelm Raabe-Literaturpreis ein. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2009

Küsse haben die Farbe von Himbeeren
David Wagners Roman „Vier Äpfel” hat nur einen Schauplatz, der aber hat es in sich: denn es ist der Supermarkt
Dieser Roman dauert ungefähr 20 Minuten. Der Held betritt den Supermarkt, in dem er immer einkauft, holt sich den Einkaufswagen, legt einige Sachen hinein, zahlt bei einer Kassiererin und verlässt den Supermarkt wieder. Alltäglicher, ausschnitthafter, belangloser kann ein gegenwärtiger Prosatext kaum daherkommen, er unterläuft jeden noch so dahingeduckten Bescheidenheitsgestus und hört nach gut 150 Seiten auch schon wieder auf. Aber gleich im ersten Satz schwingt eine untergründige Gegenbewegung mit. „Lange bin ich gar nicht gern in Supermärkte gegangen”, so heißt dieser erste Satz, und er nimmt die Tonlage und den Rhythmus des ersten Satzes aus der monumentalen „Recherche” von Marcel Proust auf, jenes „Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen”, mit dem eine ganze Epoche, ein unendliches Kompendium von biographischer Vergewisserung und zeitgeschichtlicher Analyse ins Licht gerückt zu werden beginnt.
Die „Vier Äpfel” von David Wagner scheinen das genaue Gegenprogramm zu Proust zu sein. Der erste Satz spielt ironisch mit der enormen Fallhöhe, die David Wagner zwischen seine Weltaneignung und diejenige Prousts legt. Die Intrigenspiele und die ausdifferenzierten Konversationsriten der bürgerlichen Welt drücken sich mittlerweile im vielfältigen Warenangebot der Supermarktregale aus, der Supermarkt hat den bürgerlichen Salon als Ort der Begegnung und des Austauschs abgelöst – so könnte man die Ästhetik dieser „Vier Äpfel” umreißen, wenn sie sich denn mit solch abstrakten und geschichtsphilosophischen Gedankengänge überhaupt vereinen ließe. Die große Welt bleibt außen vor. Die Romanwelt beginnt mit der Schiebetür des Supermarkts, wie sie leise zur Seite gleitet, und endet mit derselben Tür, wie sie sich öffnet und der Held wieder hinaus „ins Freie” geht.
Doch auf abgründige Weise, hinterrücks und mit vielen geheimen Botschaften, öffnet sich innerhalb des Supermarkts eine ganz eigene Welt. Es ist letztlich die Welt, in der wir uns befinden und die uns zur Verfügung steht, das wird von Regal zu Regal, von Satz zu Satz, von mildgetöntem Fliesenbodenstück zu mildgetöntem Fliesenbodenstück klarer. Sehr reflektiert, sich selbst immer wieder kommentierend und studierend ist der Held und Ich-Erzähler in David Wagners Roman nämlich durchaus.
Bereits auf der ersten Seite macht er uns klar, dass er mit Fußnoten arbeitet. Jeder einzelne Schritt im Supermarkt ist mit einem Wahrnehmungsschub verbunden, mit Erinnerungsfetzen und Assoziationsnetzen, und der Held versucht, mit den Mitteln der wissenschaftlichen Empirie den Überblick zu behalten. Die erste Fußnote etwa gilt dem Drehkreuz am Eingang und neueren Versuchen, es wegzulassen, die zweite den Bildtasten über der Obst- und Gemüsewaage, mit denen man das genaue Produkt identifizieren soll. Zunächst werden Äpfel gekauft, und nach sorgfältiger Abwägung von Herkunft, Aussehen und Transportwegen fällt die Entscheidung für vier Äpfel aus Südtirol, die zusammen genau 1000 Gramm wiegen – „vielleicht ist heute ein besonderer Tag”.
Die Apfellinie setzt sich fort mit Überlegungen zu jenem grünen Apfel, der jahrelang als Vorlage für Zahnpastawerbung und unbeschwerte Sommerfreuden gegolten hat und mittlerweile eher in den Hintergrund getreten ist, Granny Smith, zu deutsch „Oma Schmidt”, nebst Bemerkungen zu seinem ersten Auftauchen und seiner geschichtlichen Entwicklung. Und langsam wird klar, dass David Wagner hier doch an französische Spielformen anschließt – das Französische ist immer wieder ein geheimer Bezugshorizont, die ominöse Frau „L.” bietet dafür ebenfalls Gewähr: Während Proust allenfalls augenzwinkernd als ein unerreichbares Paralleluniversum aufscheint, sind die „Mythen des Alltags” von Roland Barthes das, was unsereins verblieben ist und worin wir uns verstricken.
Einzelne Produkte und Markennamen entwickeln ihre besondere Phänomenologie, die Eigenarten der Zahnpastatuben und die damit einhergehenden Moden der Zeitgeschichte zum Beispiel oder die Charakterologie der Leberwurstkäuferinnen, die durch einen Blick in ihren Einkaufswagen in ihrer ganzen Lebensführung kenntlich werden. Ohne dass dies eigens thematisiert werden müsste, erscheinen allmählich die Selbstverständlichkeiten im Supermarktangebot in ihrem alltäglichen Wahnsinn: die Fertigbackmechanismen, die Ausdifferenzierung von Feuchtwischsystemen, der Kaiserbarsch. Durch persönliche Rückblenden entsteht zudem ein Panorama der altbundesdeutschen Geschichte, die wohl zwangsläufig zu dergleichen führen musste.
So wurde es dem Helden in seiner Jugend langsam zu viel, die Milch immer beim Bauern holen zu müssen, ab einem bestimmten Punkt ging er zum viel weniger umständlichen Supermarkt und goss vor ihm schnell die Milch aus den Pappbehältern in die mitgebrachten Milchkannen. Rasch stellte die Mutter fest, dass die Milch vom Bauernhof sich gar nicht mehr von der aus dem Supermarkt unterscheide und brachte sie selbst vom Supermarkt mit. Der „Bauernhof” allerdings stellte sich bei Licht besehen auch nicht gerade als Inbild altdeutscher Idyllik-Sehnsüchte dar, sondern er befand sich in einem Neubaugebiet neben dem Parkplatz einer Klinik.
Und als Steigerung wird im nächsten Satz ein Wort nachgeschoben, das dieses Ensemble noch einmal spezifiziert: Es handelte sich um die „Landesnervenklinik”. Doch der Held ist mit seinen Erinnerungen allein. Der Leser erfährt bald, dass er von „L.” vor „einem oder zwei Jahren” verlassen wurde, und die Geschichte seiner Ehe mit L. macht sich vor allem an einzelnen Punkten im Warenregal fest: Strumpfhosen etwa bekommen sofort eine große Eigendynamik oder eine bestimmte Obstsorte, weil L. einmal sagte, dass Küsse die Farbe von Himbeeren haben. Dass an der Fischtheke eine Atmosphäre geschaffen wird, wie wenn gondelnde Fischerboote in der Abenddämmerung ihre Netze auswerfen und anschließend die Köstlichkeiten in alter Manier auf rohen Holztischen feilgeboten werden – das entspricht auch dem Charakter der Beziehung zu L., die der Held traurig und schwelgerisch nachlebt.
So wie der Supermarkt ist, so gestaltet sich auch das Leben. Die Gefühle finden keinen Ausweg: „Meine Marken sind noch bei mir, L. ist es nicht.” Das Ich befindet sich schon längst mitten in einem Umbruchprozess des Bewusstseins, seine Einfälle etwa zu Fischstäbchen und Honig seien vielleicht, das wird bereits registriert, „nichts als das erste Zucken einer künstlichen Intelligenz, die noch Steuerungsprobleme hat”.
So steigert sich der Roman langsam ins Absurde, doch werden dabei manchmal auch seine Grenzen sichtbar. David Wagner streut Traum- und Albtraumsequenzen ein, nicht allzu forciert, aber immerhin bedeutungsschwanger, die das Unheimliche seines Sujets zu plakativ werden lassen: „Ein Stück Menschenfleisch, gut abgehangen bitte”, sagt seine Figur einmal unwillkürlich. „Und der Tod, so kommt’s mir vor, schiebt seinen Einkaufswagen neben mir” – an einigen, wenigen Stellen verliert der Autor die Balance, die seinen Text ansonsten auszeichnet. Der Supermarkt, so wie wir ihn hier erfahren, bietet sich als Fundgrube für eine künftige Archäologie an. Man wird ihn als Ausdruck unserer Zivilisation genauso studieren können wie einst die Ausgrabungen von Pompeji. Für uns aber, und das macht der Roman von David Wagner sehr bewusst, reicht die Zukunft nur bis zum Mindesthaltbarkeitsdatum. HELMUT BÖTTIGER
DAVID WAGNER: Vier Äpfel. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009. 158 Seiten, 17,90 Euro.
Zwischen „Oma Schmidt” und „Granny Smith”
Meine Marken sind noch bei mir, L. ist es nicht
Künftige Archäologen unserer Zivilisation werden den Supermarkt studieren wie einst die Ruinen von Pompeji Foto: Gottfried Stoppel
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009

Sammeln Sie auch die Herzen?

Auf der Suche nach dem verlorenen Reisbrei: David Wagner kauft im Supermarkt "Vier Äpfel" ein und kommt darüber ins Grübeln.

Von Martin Halter

Die Kaufhäuser, seit Zolas "Paradies der Damen" Orte dichterischer Inspiration, sind insolvent, und bei Aldi ist das Einkaufen nur prosaische Verrichtung. Warum also sollte ein Autor nicht mal in den Supermarkt gehen? Man kann sich hier wie Bolle amüsieren und wie Frau Schickedanz leiden, und selbst Kassiererinnen schreiben heute Bestseller. Zwischen Wursttheke und Leergutrückgabe warten die letzten Abenteuer und Märchen des Alltags. In den Abgründen der Kühlvitrinen, in den Schluchten der Marmeladen- und Teigwarengänge warten die Dinge nur auf das Zauberwort, das sie zum Singen oder doch an der Kasse zum Piepsen bringt. Was ist die Pizza-Theke anderes als ein Schneewittchensarg, aufgefüllt von einer Kittelfee? Supermärkte sind die Museen der Moderne, Beuys-Installationen, Schulen der Empfindsamkeit und Erinnerungspaläste.

David Wagner ist so etwas wie ihr Proust. Sein erster Satz heißt jedenfalls vielversprechend: "Lange bin ich nicht gern in Supermärkte gegangen." Er begreift sich als "Supermarktpointillist" und Stilllebenmaler: "Ich schalte Nahaufnahme hinter Nahaufnahme, um nur ja nie ein Panorama zu sehen." In einhundertvierundvierzig durchnumerierten Beobachtungen, Glossen und Gedanken, zweiundfünfzig Fußnoten und zwei faksimilierten Einkaufs- und Kassenzetteln sammelt er alles, was einem hellwachen, nachdenklichen Kunden im Supermarkt zu- und aufstoßen kann: Bleib-gesund-Fruchtschnitten und barocke venezianische Klobürsten, Retro-Verpackungsdesign und futuristische Digitalwaagen, das Marktgeschrei der Reklame und Teenagergespräche am Zeitschriftenstand.

Er meditiert über tiefgefrorene und ultrahocherhitzte Aggregatzustände von Natur und Kindsheitserinnerungen, stolpert über kostbare Wörter wie Umlandgurke, Überbackkäse oder Feinstrumpfhose und wagt sogar einige Handke-Versuche über die Münzschale oder den Warentrennstab. Kein Verfallsdatum ist ihm zu klein gedruckt, keine "Grobstrumpfhose" zu blickdicht gesponnen, um nicht Gegenstand feinsinniger Impressionen und kluger warenästhetischer Reflexionen werden zu können.

Wagner ist Vorkoster und Ökotester, Spezialist für Warenbewirtschaftung und Marketing, Otto Normalverbraucher, Kultur- und Technikhistoriker, romantischer Märchenerzähler und teilnehmender ethnologischer Beobachter. Was er in den vergangenen sechs Jahren in den Supermärkten der Republik zusammentrug, hat er mit seinen Erfahrungen in Drogerien und französischen Metzgereien abgeglichen und mit "Frühergerüchen" und "Pubertätsaromen" angereichert.

Früher, als die Zukunft noch kein Mindesthaltbarkeitsdatum hatte, kochte seine Großmutter noch wunderbare Kartoffelpuffer und frischen Milchreis. Die Kuhmilch vom Bauern war zwar mit ihren Häutchen, Fliegen und Gülle-Aromen nicht sehr appetitlich, aber sie schmeckte wenigstens nicht wie sterilisierte Tütenmilch. Früher waren die Äpfel wurmstichig, verschrumpelt und sauer, naturbelassen und menschlich-lebendig. Heute kann es vorkommen, dass vier normierte, wächsern glänzende Designeräpfel in der Plastikhülle exakt tausend Gramm wiegen. Wunder oder betrügerisches Eichmaß, Paradies oder Hölle?

So kommt Wagner ins Grübeln. Warum eigentlich sind immer dreizehn Fischstäbchen in einer Packung? Was will uns das Bild einer Almhütte auf dem mexikanischen Biohonig sagen? Ist der Einkaufswagen nicht die letzte Stütze des Prothesengotts Mensch, ein Zwischending zwischen Kinderwagen und Rollator? Brauche ich wirklich elektrische Eiscrusher, Mangogabeln und Buttermesser? Und warum heißt das Klo- immer so vornehm Hygienepapier? Interessante Fragen, zweifellos, vor allem, wenn sie mit so viel sanfter Beiläufigkeit und melancholischer Trauer ausgesprochen werden. Wagner äußert mehrfach sein Mitleid für aussterbende Produkte und überforderte Konsumenten.

Aber warum heißen die Prosaskizzen eigentlich "Roman"? Von einer Handlung oder Charakteren kann keine Rede sein; selbst die Kindheit des Käufers bleibt weitgehend im Dunkeln ("Mama war ja nicht da"). Er streift unruhig wie Benjamins Flaneur durch die "geilen Straßen des Handels"; betrachtet schaudernd und beglückt die "ungeheure Warensammlung", von der Marx im "Kapital" spricht, aber bis auf ein paar Identitätszweifel und einen ziemlich aktiven Möglichkeitssinn zeigt er kaum konsumkritische Absichten. Einsam, skeptisch und manchmal auch heiter schnürt er durch den Warenkosmos, nicht unempfänglich für verführerische Verpackungen, Rabatte und die Sparversprechen des Familienpacks.

Manchmal überfallen ihn allerdings Albträume und surreale Visionen, und dann halluziniert er ansatzlos eingedoste Erinnerungen, tanzende Verkäuferinnen und Wölfe an der Kasse. Harmlose Konsumidioten erscheinen ihm plötzlich wie ferngesteuerte Androiden und Zombies, Ravioli wie abgeschnittene Ohren; an der Fleischtheke wird gut abgehangenes Menschenfleisch feilgeboten, in anderen Abteilungen auch Kinder, Erlebnisse oder Partner für den Single.

Die David-Lnych-Schocks sind natürlich nur eine Fata Morgana, aber sie kommen nicht aus heiterem Himmel: Wagners Supermarktbesucher ist gerade die Freundin abhandengekommen. Jede Ware, jede Kundin, die vor ihm in der Schlange ihr Innerstes im Einkaufswagen preisgibt, erinnert ihn an L., selbst im routinierten Lächeln der Kassiererin wittert er ein erotisches Sonderangebot.

So schlafwandelt er durch den Supermarkt des Daseins, nimmt mit Schrecken wahr, wie der Tod, der ein Leben nach dem anderen in seinen Warenkorb legt, an der Kasse nicht bezahlen muss, und findet mit seinem allerletzten Wort doch noch "hinaus ins Freie". In seinem Einkaufswagen liegen H-Milch, Wurst, zwei Zitronen und vier Äpfel, aber natürlich keine Frau und kein Wunder. Liebe lässt sich nicht kaufen, ein Kuss nicht einfrieren. Für einen ganzen Nachmittag im Supermarkt ist das dann doch eine magere Ausbeute.

David Wagner: "Vier Äpfel". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009, 160 S., geb., 17,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Proust-Bezüge in diesem Buch nimmt Rezensent Helmut Böttiger nicht sehr ernst. Dafür aber die Warenphänomenologie, die ihn an Roland Barthes denken lässt. David Wagners kleiner, einen Supermarktbesuch lang dauernder Roman, so erläutert Böttiger einigermaßen erstaunt, stemmt bei näherem Hinschauen auch noch das ein oder andere Schwergewicht. Etwa eine Archäologie des Lebens anhand des Supermarktes (Fußnoten inklusive). Oder eine Charakterologie der Leberwurstkäuferinnen. Oder ein Panorama der altbundesdeutschen Geschichte. Oder eine alte Liebesgeschichte. Dabei erscheint Böttiger zunächst alles so belanglos, alltäglich und ausschnitthaft. Dass sich vermittels der assoziierenden und kommentierenden Anleitung des shoppenden Helden dahinter eine ganze Welt auftut, findet der Rezensent eigentlich famos.

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Zu Tränen rührend, aber auch voller Humor und Lebensfreude (...), ein Buch der Erinnerung, das aus ständigem Vergessen entsteht. Richard Kämmerlings Welt am Sonntag 20190825