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"Von betörender Aufrichtigkeit, leidenschaftlich, rasant." - La Liberte, Paris.
Raddatz' dreibändiger Zyklus über sein literarisches Alter ego Bernd Walther, gespannt von den dreißiger Jahren bis in die späten Fünfziger, von der Nazi-Diktatur über die des Proletariats bis zur Flucht in den Kapitalismus, ist das Dokument einer wirren Zeit, der Bericht vom Irrgang einer jungen Sehnsucht nach Erfüllung, im Politischen so rücksichtslos wie schamlos im Privaten, geschrieben nach dem Lebensmotiv "Sehnsucht ist stärker als die Angst". Der Protagonist ein Held unserer Zeit, und um ihn herum ein…mehr

Produktbeschreibung
"Von betörender Aufrichtigkeit, leidenschaftlich, rasant." - La Liberte, Paris.
Raddatz' dreibändiger Zyklus über sein literarisches Alter ego Bernd Walther, gespannt von den dreißiger Jahren bis in die späten Fünfziger, von der Nazi-Diktatur über die des Proletariats bis zur Flucht in den Kapitalismus, ist das Dokument einer wirren Zeit, der Bericht vom Irrgang einer jungen Sehnsucht nach Erfüllung, im Politischen so rücksichtslos wie schamlos im Privaten, geschrieben nach dem Lebensmotiv "Sehnsucht ist stärker als die Angst". Der Protagonist ein Held unserer Zeit, und um ihn herum ein Panorama der Zeitgenossen, allesamt erfasst in der für Raddatz typischen Ästhetik der Blöße und Entblößung. So erzählt Raddatz nicht nur ein ungewöhnliches Leben, sondern macht die politischen und menschlichen Verkrümmungen der Nachkriegszeit sichtbar. Der Band enthält im einzelnen: Kuhauge (Rowohlt 1984); Der Wolkentrinker (Rowohlt 1987); Die Abtreibung (Rowohlt 1991)
Autorenporträt
Raddatz, Fritz J.Fritz J. Raddatz ist der widersprüchlichste deutsche Intellektuelle seiner Generation: eigensinnig, geistreich, gebildet, streitbar und umstritten. Geboren 1931 in Berlin, von 1960 bis 1969 stellvertretender Leiter des Rowohlt Verlages. Von 1977 bis 1985 Feuilletonchef der ZEIT. 1986 wurde ihm von Fran ois Mitterrand der Orden «Officier des Arts et des Lettres» verliehen. Von 1969 bis 2011 war er Vorsitzender der Kurt-Tucholsky-Stiftung, Herausgeber von Tucholskys «Gesammelten Werken», Autor in viele Sprachen übersetzter Romane und eines umfangreichen essayistischen Werks. 2010 erschienen seine hochgelobten und viel diskutierten «Tagebücher 1982-2001». Im selben Jahr wurde Raddatz mit dem Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm «Jahre mit Ledig». Der Autor verstarb im Februar 2015.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2007

Der Porsche unter den Epikern
Immer mittenmang: Altes und Neues von Fritz J. Raddatz

Während es inzwischen selbstverständlich ist, dass auch Kritiker oder Professoren Romane schreiben, herrschte vor zwei Jahrzehnten noch strikte Trennung zwischen Primär- und Sekundärproduzenten. Der Kritiker, der mit den eigenen Fiktionen auf den Markt ging, konnte sich auf die Schadenfreude des Betriebs gefasst machen, erst recht der zu dandyhafter Selbstdarstellung neigende Fritz J. Raddatz, damals Feuilletonchef der "Zeit", ein meinungsfreudiger Hansdampf in allen Leitartikelgassen und für viele nicht gerade ein Sympathieträger. Seine Novelle "Kuhauge" und die Romane "Der Wolkentrinker" und "Die Abtreibung" erschienen zwischen 1984 und 1991, wurden teils heftig, teils höhnisch verrissen. Nur wenige Freunde erhoben die Stimme zur Verteidigung des Autors.

Jetzt ist die Trilogie unter dem gewichtigen Titel "Eine Erziehung in Deutschland" in einem Band neu erschienen, und gerne würde man ausrufen: "Ha! Alle haben sich geirrt! Rehabilitation erster Klasse!" In diesem Sinn beginnt man "Kuhauge" zu lesen und findet bald: Die Novelle um den jungen Bernd Walther ist tatsächlich gar nicht so übel. Was immer sich gegen einzelne Passagen einwenden ließe - dies ist ein erfahrungsgesättigter Text, der manchen Schnappschuss aus der Alltagswirklichkeit des "Dritten Reiches" bietet.

Raddatz reklamiert für sich keine behütete Kindheit. Für ihn und sein ebenfalls 1931 geborenes Alter Ego wird das Kriegs-Berlin zur Schule der Herzlosigkeit: "Koboldbösartigkeit überglitzerte die Kinderstimme des zehnjährigen Bernd." Der Vierzehnjährige ist sich selbst an Lebenserfahrung weit voraus. Nachdem die Feuerstürme ausgestanden sind, bringt er sich und den sterbenskranken Vater mit Schwarzmarktgeschäften durch. "Fritz die Ratte huschte nächtens durch Ruinen" - so poetisch hat Raddatz es in der Autobiographie "Unruhestifter" geschildert. Als höchst überlebenstüchtige Schwarzmarkt-Ratte stilisiert er auch seinen Bernd, einen jungen Amoralisten à la Genet, der hier am Verbrechen nippt, dort clevere Geschäfte macht und anderswo bei einer Ausschweifung assistiert.

Manche Kritiker störten sich seinerzeit an den gargantuesken Sexschilderungen, wenn es etwa um das Treiben der von Sieg und Suff berauschten Roten Armee geht. Das sind nicht einfach nur Berichte von Massenvergewaltigungen - Raddatz will ein Hieronymus-Bosch-Panorama voller dämonischer Fratzen geben und schwelgt im Grässlichen. Man meint, die Eitelkeit des Dabeigewesenseins zu verspüren: immer mittenmang, in Orgie, Untergang. Alles Peinliche, alles Schreckliche, alles Glückstrunkene gibt Raddatz uns ganz. Hass, Schmerz, Liebe - mit allen verfügbaren Körpersäften al fresco gemalt.

Im "Wolkentrinker" drückt Bernd wieder die Schulbank. Eine heftige Leidenschaft verbindet ihn mit der Lehrerin Dr. Yvonne Bärenbach. Zugleich ist er ein Ausnahme-Schüler: "Einen Abiturienten, der drei Aufsätze ablieferte, das hatte es noch nicht gegeben." Aus dem Exil in Bogotá zurückgekehrt, geben die Bärenbachs authentische Erfahrungen der Emigration an Bernd weiter. So ist diese Dreiecksbeziehung - mit Stefan Bärenbach, dem renommierten Literaturtheoretiker, kommt es bald zu homosexuellen Erlebnissen - für Bernd immer auch "Debattierclub" und "historisches Seminar". So liest sich das leider auch. Der Idee vom ungezügelten Leben als Conditio sine qua non aller Kunstproduktion verpflichtet, versucht Raddatz immer wieder, Momente extremer Leidenschaftlichkeit zu beschreiben, in denen die Sprache - jedenfalls seine - an ihre Grenzen kommt. In "Die Abtreibung" macht Bernd Karriere als Journalist im Westen. Das Szenische wird nun immer schwächer; stattdessen werden seitenlang Bernds spektakuläre, den Muff der falschen Fünfziger aufwirbelnde Artikel zitiert. Hier geht Raddatz, der seine Trilogie mit dem Anspruch des epischen Kraftkerls begann, erzählerisch endgültig die Puste aus. Warum aber sind diese Bücher im Ausland offenbar positiv aufgenommen worden, wie die Anpreisungen der französischen Literaturkritik belegen, die Raddatz angesichts des Mangels an hiesigem Enthusiasmus auf dem Umschlag plazieren ließ? Zum einen liegt es wohl am direkten Zugriff auf die deutsche Geschichte. Ständig agiert Bernd Walther vor relevanten Kulissen. Dergleichen wird im eigenen Land schnell als gewollt empfunden; jenseits der Grenzen verbürgt es landeskundlichen Reiz. Zum anderen haben die sprachlichen Kruditäten in der Übersetzung gewiss manche wohltuende Glättung erfahren.

Raddatz' Ost-West-Lebensthema bietet eine neue Sammlung von Essays in konzentrierterer, unverkrampfterer Form. Im längsten Stück, "Das denunzierte Wort", legt der Autor dar, wie im zwanzigsten Jahrhundert "Macht und Ideologie das Schreiben vergifteten". Kein neuer Aspekt, aber die Giftsammlung ist beträchtlich: ein Dossier von siebzig Seiten über die beiderseitige ideologische Verbohrtheit im beginnenden Kalten Krieg, ein Kampf der Kulturen, von dem sich Nachgeborene tatsächlich nur noch schwer ein Bild machen. Das liest man mit Gewinn, auch wenn die Attitüde des "J'accuse" nach einem halben Jahrhundert entbehrlich erscheint.

Hartnäckig vertritt Raddatz die These, dass sich die DDR und die Bundesrepublik, in der die "alten Hakenkreuzkarpfen" wieder munter herumschwammen und die "Häscher" es sich in den Chefsesseln bequem machen konnten, gegenseitig nichts voraushatten. Er beklagt den beschämenden Umgang mit den Emigranten: Im Westen wurden sie ignoriert, im Osten offiziell geehrt und ansonsten schikaniert. Zensur des Marktes hier, Zensur der Ideologie dort. Capri-Fischer-Duselei hier, Mangel an Frivolität und Freiheit dort. Aber Kunst und Literatur hatten einen erhöhten Provokationsfaktor. Wenig bedurfte es, um Anstoß zu erregen und Interesse weckende Etikette verpasst zu bekommen: "Rechtfertigung des Imperialismus", "in Pornografie absinkende Elendsbeschreibung", "Taumeln im Morbiden": Wenn Raddatz dergleichen aufzählt, gewinnt man den Eindruck, dass er es in seinen eigenen Romanen noch einmal darauf anlegte, die Summe dieser "verworfenen" Moderne zu ziehen, um in den Genuss der Abwehrreflexe aller Wohlanständigen zu kommen - zu einer Zeit allerdings, als der Tabubruch bereits zur Konvention geworden war.

Er sieht sich gern als Moralisten, wobei er natürlich alles andere als kleinbürgerliche Verhaltensregulierung im Sinn hat. Es geht ihm um die große Verbindung von Ästhetik und politischer Moral und um jenen "Irrlauf des Gewissens", der zum maßgeblichen Werk gehöre. Dank ihres gewissen Irrläufertums seien die betagten Großschriftsteller wie Grass und Walser immer noch relevant, argumentiert Raddatz im Aufsatz "Der Hall der Alten", um dann abzurechnen mit den Nachwuchsautoren unter fünfundfünfzig. Vieles klagt Raddatz an - aber wo wäscht er das eigene Herz? Er lässt waschen, bei Thomas Mann zum Beispiel, dessen Porträt Züge der Selbstbespiegelung hat. Trotzdem ist es eine gelungene Annäherung, eine überzeugende Verteidigung des Autors gegen den Vorwurf der narzisstischen Kälte. Die in vielen Figurenbeschreibungen erprobte "voyeuristische Erbarmungslosigkeit" wende Thomas Mann in den Tagebüchern, zumal den späten, auch gegen sich selbst. Er sei verwöhnt und luxusbedürftig gewesen - aber in allem Komfort doch eigentlich ein Stoiker.

Kleine Pannen sollte man nicht überbewerten. Einmal weist Raddatz das berühmte Diktum des Novalis, die Welt müsse romantisiert werden, E.T.A. Hoffmann zu. Raddatz fuhr nicht nur Porsche, er schrieb meistens auch so, immer auf der Überholspur, ein Drängler hinter lahmen Fakten. Entschleunigung findet er auf der Insel. Hiddensee wird im "Wolkentrinker" zum "Liebesboot" für Bernd und Yvonne. Heute schieben sich dort die Rentner-Kolonnen zum Hauptmann-Haus, und Raddatz hat längst eine andere Lieblingsinsel: Sylt, wo er seiner Neigung zum Glamour und dem stillen Glück des Strandspaziergangs gleichermaßen frönen kann. Ein hübsches, kleines Buch hat er der Insel gewidmet; hier kann sich sein Talent als galliger Schwadroneur gut entfalten.

Wer sich nicht wichtig nimmt, ist bald verkommen, hat Thomas Mann gesagt. Raddatz hat sich immer wichtig genommen, und deshalb hat er sich auch schon vor langer Zeit unter ganzem Einsatz seiner Prominenz eine schöne Grabstelle in Keitum reservieren lassen - ewige Ruhe mit Wattblick. Seit Jahrzehnten bezahlt er nun schon für die Pflege des eigenen Grabes. Das ist, als Memento mori, sehr gelungen.

WOLFGANG SCHNEIDER

Fritz J. Raddatz: "Eine Erziehung in Deutschland". Trilogie. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006. 494 S., geb., 24,90 [Euro].

Ders.: "Schreiben heißt, sein Herz waschen". Literarische Essays. Zu Klampen Verlag, Springe 2006. 252 S., geb., 18,- [Euro].

Ders.: "Mein Sylt". Mit Fotos von Karen Székessy. Mare Verlag, Hamburg 2006. 156 S., geb., 18,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfgang Schneider begrüßt diese Trilogie Fritz J. Raddatz', die unter dem Titel "Eine Erziehung in Deuschland" die Novelle "Kuhauge" sowie die Romane "Der Wolkentrinker" und "Die Abtreibung" vereint. Die zwischen 1984 und 1991 erschienenen Werke wurden seinerzeit von der Kritik mit Häme übergossen. Auch wenn Schneider nach der Lektüre keine "Rehabilitation erster Klasse" aussprechen kann, findet er die Trilogie "gar nicht so übel". Am meisten hat ihm die Novelle "Kuhauge" zugesagt, in der Raddatz von der rauen Kindheit seines Alter Ego Bernd Walther im Kriegs-Berlin erzählt, für Schneider ein "erfahrungsgesättigter" Text, der ungeschminkt die Alltagswirklichkeit des "Dritten Reiches" schildert. Demgegenüber fällt "Wolkentrinker" seines Erachtens ein wenig ab. Bernd erweist sich hier als exzellenter Schüler, der seine Lehrerin Dr. Yvonne Bärenbach und ihren Mann Stefan, einen renommierten Literaturtheoretiker, nicht nur intellektuell, sondern auch erotisch zu beglücken weiß. Beim Versuch, "Momente extremer Leidenschaftlichkeit" zu beschreiben, sieht er Raddatz hier sprachlich immer wieder an seine Grenzen stoßen. Am wenigsten überzeugt Schneider "Die Abtreibung", der dritte Teil der Trilogie, in dem Bernd Karriere als Journalist im Westen macht. Hier gehe dem Autor "erzählerisch endgültig die Puste aus".

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