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Teller und Tassen, Geschenkpapiere und Haushaltskrimskrams: Bis unter die Decke sind die Regale in Annick Bregeaus Laden vollgestopft. Ihr Geschäft ist der Mittelpunkt des bretonischen Provinzstädtchens Chambon. Hier findet auch ihr Familienleben statt, das die junge Witwe mit ihren drei Kindern vielleicht allzu perfekt meistert. Ihr sensibler Sohn jedenfalls wird ein ganzes Leben brauchen, hinter der resoluten Art seiner Mutter die Zärtlichkeit zu entdecken, nach der er sich immer gesehnt hat. Jean Rouaud zeichnet ein ebenso persönliches wie allgemeingültiges Porträt seiner Mutter.

Produktbeschreibung
Teller und Tassen, Geschenkpapiere und Haushaltskrimskrams: Bis unter die Decke sind die Regale in Annick Bregeaus Laden vollgestopft. Ihr Geschäft ist der Mittelpunkt des bretonischen Provinzstädtchens Chambon. Hier findet auch ihr Familienleben statt, das die junge Witwe mit ihren drei Kindern vielleicht allzu perfekt meistert. Ihr sensibler Sohn jedenfalls wird ein ganzes Leben brauchen, hinter der resoluten Art seiner Mutter die Zärtlichkeit zu entdecken, nach der er sich immer gesehnt hat. Jean Rouaud zeichnet ein ebenso persönliches wie allgemeingültiges Porträt seiner Mutter.
Autorenporträt
Jean Rouaud, geboren 1952 bei Nantes, Studium der Literaturwissenschaften.Romanveröffentlichung. Heute lebt und schreibt Jean Rouaud in Südfrankreich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2000

Am Lebensfaden, Stich für Stich
Das wunschlose Halbglück der Mutter: Jean Rouauds "Der Porzellanladen" · Von Joseph Hanimann

Vorsorglich werden in diesem vorletzten Teil von Jean Rouauds wunderlicher Kleinfamiliensaga schon die Kulissen fürs Schlussbild des Romanzyklus gerückt, das in Frankreich unter dem Titel "Sur la scène comme au ciel" (etwa: Im Himmel wie auf den Brettern hienieden) bereits erschienen ist. Der Porzellanladen im deutschen Titel dieses vorletzten Buches ist Fenster zur Welt, Trauer- und Lustspielbühne, von der am Ende eine kleine Frau abtritt, "ihren Laden in einem großen verknoteten Tuch am geschulterten Stock tragend, wie Charlie Chaplin von dannen gehend": unter dem Applaussturm des Publikums und in einem Lichtkegel, der kleiner wird, bis er verschwindet. Nur ist dieser Abgang der kleinen Frau - "unsere Mama", die als Statistin schon durch die drei ersten Romane gegangen war - aus der Vorstellung des schreibenden Sohnes wie aus einer Requisitenkammer entliehen. In Wirklichkeit stirbt die Frau an Blutkrebs im Bett.

Hatte der jähe Tod des Vaters sich wie ein traumatischer Schatten der Abwesenheit durch die beiden vorhergehenden Bücher gefressen, so ist das Sterben hier als verlässliches Leit- und Begleitmotiv allgegenwärtig. Von den ersten Seiten an wird in diesem Hommageroman an die tapfere Mutter ausgiebig gestorben, Totenwache gehalten und beerdigt. Getrauert wird um den früh verstorbenen Gatten, den nicht über die ersten Lebenstage hinausgekommenen erstgeborenen Sohn, den Großvater, den Mann der einstigen Gouvernante, um weitere näher oder ferner stehende Bekannte. So viel Trauer wirkt ansteckend.

Wo sie zum "schwarzen Quell" einer ganzen Restfamilie geworden ist, erscheint die Mutter selbst auf dem Erstkommunikantenfoto des Sohnes Jean wie eine Mater dolorosa ganz in Schwarz, deren gesamte Garderobe nach dem Ableben des Gatten in den Färberbottich gewandert war und die beim Wachen neben dem Leichnam erfahren hat, dass es fortan vorbei war mit österlicher Auferstehung und die Grabplatte geschlossen blieb. Jean wäre aber eben nicht Rouaud und die Mutter nicht seine Mutter, wenn diese familiäre Passionsgeschichte nicht durch eine ganz unmystische Ironie Erlösung fände, die durch die Zeilen flackert und dann als andere Frohe Botschaft ins Geschehen hereinbricht. Unter schallendem Lachen kehrt die Mutter von einer ihrer Totenwachen zurück. Im fahlen Kerzenschein hatte sie plötzlich den dicken Oliver Hardy auf dem Totenbett liegen zu sehen geglaubt und sich gefragt, mit welchem Einfall er diesmal die viel zu lange Ewigkeitseinstellung vor dem Fiasko der Langeweile werde bewahren können.

Mit diesem Buch vom Halbglück einer Mutter streift der Autor indessen ein paar weitere Schichten von seiner ironischen Lichtbrechung des Erzählens ab und erreicht einen neuen Persönlichkeitsgrad. Wohl federn auch hier über die Relativ- und Umstandssätze die Digressionen übereinander und lassen Jahrhundertgeschichte in der Kulisse mitrascheln. Aber das von Jean Rouaud so kunstvoll gehandhabte präsens absolutum, das alle Zeiten aufsaugt und die Chronologie in ein Spiegelkabinett sperrt, greift hier weiter aus. Es lässt die Erzählung sich über das Pronominalspektrum ausbreiten. Wo die Ich-Form freizügig der mütterlichen Hauptfigur geliehen wird und das Erzählersubjekt vom geschwisterlichen "wir" ins selbstgesprächshafte "du" umkippt, entstehen überwältigende Überlappungseffekte zwischen Mutter und Sohn. Schon der bei Rouaud notorisch lange Eingangssatz klingt diesmal wie ein letzter Atemzug an der Schwelle des Abschieds: "Sie wird diese Zeilen nicht lesen . . ." Dass sie im Folgeroman die Zeilen hypothetisch doch lesen wird, gehört zu den Freiheiten von Jean Rouauds Wahrheitsfiktion. Statt eines abgerundeten Porträts bietet sie eine in den tausend Sachen des Porzellanladens vernestelte Lebenshaltung und Charakterdisposition.

"Geschirrgroßhandlung" steht zwar in hohen Lettern über der Ladenfront, doch ist die dort waltende Witwe eine Dienerin des Details. Sie beherrscht die Qualitätsnuancen der Salzstreuer und Dosierbecher, der Tischfigürchen aus Limoges-Porzellan, Steingut oder Ton. Je mehr Rouaud seine Figuren mit kleinen Alltagsdingen auffüllt, desto leichter werden sie. Darin liegt die Heiterkeit, die aus seiner melancholischen Grundstimmung strahlt. Da ist keine psychologische Faser, die nicht im konkreten Situationsgeflecht festgemacht wäre: keine Introspektion, keine inneren Monologe, kein direkter Dialog. Schon das Mädchen, das mit gekreuzten Beinen in der väterlichen Schneiderei zwischen den Arbeiterinnen sitzt, näht kurzfädlig - langes Fädchen, faules Mädchen - mit sparsamsten Bewegungen ihren Charakter ins Gewebe ein, "Stich für Stich, ohne jede Hast, die Hand bleibt am Stoff, ist eins mit ihm, und dir ist, als würden hier die beiden Ränder der Zeit zusammengenäht". So ist auch das Muster der Kehrseite immerfort mitlesbar, drückt in den schönsten Glücksmomenten stets die dunkle Ahnung durch.

Just bei der geliebten Spazierfahrt der Tochter auf dem Beifahrersitz neben dem Vater wird ein Mann überfahren. Ja, der eigene sprichwörtliche Lebensfaden ist manchmal dem Reißen nah, etwa wenn während der geschwänzten Buchhalterstunde der jungen Frau im Kino Le Katorza in Nantes schon beim Vorspann des Films "Der Graf von Monte Christo" der alliierte Bombenhagel losgeht. Hätte der Cousin seine Begleiterin nicht in den Luftschutzkeller des benachbarten Café Molière gedrängt, wären Leben und literarische Lebensverarbeitung, Heldin und Erzähler von vornherein überzählig geworden.

Jean Rouaud hat uns früh abgewöhnt, in seinen Romanen zielstrebige Motive mit straffen Erzählsträngen zu suchen. Seine Kunst der scheinbar ziellosen Spiralbewegungen, die abschnittlang mit lauter Nebensätzen auskommen und weder scharfe Profile noch klare Situationen zeichnen, noch Thesen illustrieren, sondern flüchtige Charakterzüge im Originalmaßstab aus dem Leben durchpausen, sichert ihm seine solide Stellung in der französischen Gegenwartsliteratur. Aus dem Überraschungseffekt des Erstlingsromans "Die Felder der Ehre" vor zehn Jahren ist ein authentisches Werk gewachsen, dem dieser Roman eine neue Persönlichkeitsnote hinzufügt.

Wo andere die Mutterfigur literarisch verdichten, dünnt Rouaud sie aus, bis nur noch Essenzspuren im Erzählraum treiben und manchmal an Wortpartikeln hängen bleiben wie etwa dem seltsamen "bloß" aus einem Mädchenbrief der Mama: "Ich habe meine Mütze wiedergefunden, die ich seit Donnerstag vermisste, sie war bloß verlegt." Dieses alle Geheimnisse zur entwaffnenden Einfachheit des Porzellanladentürgeklingels herunterspielende Wörtchen schreibt der Sohn der Mutter zu, "das bist du" - bloß verlegt, bloß verloren, bloß tot. Auf dieser Parterrestufe der Dinglichkeit ist der Roman von Josef Winiger auch magistral übersetzt: ein Meisterwurf, der die Idee aufkommen lässt, Jean Rouaud hätte auch gleich auf Deutsch schreiben können.

Jean Rouaud: "Der Porzellanladen". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Josef Winiger. Piper Verlag, München 2000. 201 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Recht angetan scheint die Rezensentin Martina Meister vom neuen Roman Jean Rouauds und bedauert, dass der in Frankreich mit dem angesehenen `Prix Goncourt` ausgezeichnete Autor hierzulande relativ unbekannt ist. Sie lobt die Behutsamkeit, mit der sich Rouaud in seinen Romanen die eigene Familiengeschichte rekonstruiert. Dabei schafft er keine nostalgisch-rückwärtsgewandte Familiensaga, sondern eine "individualgeschichtliche Spurensuche [?] im Zwischenreich von Wirklichkeit und Fiktion" lobt die Rezensentin. Im Falle von `Der Porzellanladen` beschäftigt Rouaud sich mit seiner verstorbenen Mutter "wie ein geduldiger Bastler, der mit grosser Vorsicht tausend Bruchstücke wieder zu einem Ganzen zusammenfügt". Dies belegt die Rezensentin in ihrer Kritik mit zahlreichen Zitaten aus dem Roman.

© Perlentaucher Medien GmbH