Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.05.2008DAS HÖRBUCH
Verhaltene Freude
Der vollständige Hör-Conrady bietet 1100 Gedichte
Das hat der Patmos-Verlag günstig eingerichtet: Man kann sich erst einmal für zehn Euro eine einzelne CD zulegen, den Schnupper-Conrady gewissermaßen, und wenn einem diese so ausnehmend gut gefällt, dass die vollständige, aus 21 CD bestehende Edition angeschafft werden muss, wird die Schnupper-CD vom Buchhandel zurückgenommen und mit der Edition verrechnet.
Das Probehören ist zu empfehlen. Die fast 1100 Gedichte von über 460 Dichtern aus dem Mittelalter bis aus der Gegenwart aufzusagen wurden vierzehn prominente Schauspieler beauftragt. Ob sich ausgerechnet die Hörer von Gedichten durch die Bekanntheit der Sprecher zum Kauf der Edition bewegen lassen? Christian Brückner beispielsweise ist sicherlich ein ausgezeichneter Sprecher, aber drängt sich seine Stimme nicht zu stark vor mittelhochdeutsche Verse, gereicht es der Lyrik nicht zum Nachteil, wenn Stimmen Anspruch auf eigene Rollen erheben? Die Gedichte wirken nun ein wenig wie Werbeträger für die an der Produktion beteiligte ARD. Es wäre besser gewesen, die großartige Lyriksammlung von weithin unbekannten Schauspielern in den Ton übersetzen zu lassen.
Alle Aufnahmen wurden in Anwesenheit von Karl Otto Conrady angefertigt, er hat die Sprechweise bestimmt: dem Ton des Textes zurückhaltend folgend, also zeitgemäß leise und deshalb ziemlich langweilig. Die Austreibung von Pathos aus der Bühnen-Sprechweise ist historisch erklärlich nach der langen Zeit der von Fackeln beflimmerten gebrüllten Treueschwüre an Götzenbilder, aber unentwegte buchstabengetreue Zartheit, das Fehlen stürmischer Hingabe, der Mangel an Begeisterung und Dynamik, die verstärkte Melancholie, das Hervorkehren von Feinsinn und größter Empfindsamkeit lässt so kraftstrotzende Gesänge wie den Georg Heyms über den „Gott der Stadt”, gesprochen von Samuel Weiss, zum gallertartigen Beitrag eines schulischen Rezitationswettbewerbes gerinnen.
Nur wenige Gegenbeispiele lassen sich anführen: Sandra Hüller gibt dem Gedicht „Am Turme” von Annette von Droste-Hülshoff einen natürlichen Hauch von verhaltener wilder Freude, das kann man sich immer wieder anhören. Wenn andere Sprecher mit ihren wohlklingenden Bässen und ausgezirkelten Andeutungen eines gerollten „r” ihre Texte vorlesen, klingt das so routiniert wie aus einer Gebetsmühle. Man muss ein wenig Brei mögen, um an dieser Lyrik-Edition die in Aussicht gestellte Lust zu gewinnen. MARTIN Z. SCHRÖDER
KARL OTTO CONRADY (Hrsg.): Lust auf lauter Lyrik. Der Hör-Conrady. Regie: Stefan Hilsbecher. Produktion: Südwestrundfunk, Radio Bremen. Patmos Verlag, Düsseldorf, 2008. Ein Auftakt. 1 CD. 9,95 Euro; Die große Sammlung deutscher Gedichte. 21 CDs. 99,95 Euro.
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Verhaltene Freude
Der vollständige Hör-Conrady bietet 1100 Gedichte
Das hat der Patmos-Verlag günstig eingerichtet: Man kann sich erst einmal für zehn Euro eine einzelne CD zulegen, den Schnupper-Conrady gewissermaßen, und wenn einem diese so ausnehmend gut gefällt, dass die vollständige, aus 21 CD bestehende Edition angeschafft werden muss, wird die Schnupper-CD vom Buchhandel zurückgenommen und mit der Edition verrechnet.
Das Probehören ist zu empfehlen. Die fast 1100 Gedichte von über 460 Dichtern aus dem Mittelalter bis aus der Gegenwart aufzusagen wurden vierzehn prominente Schauspieler beauftragt. Ob sich ausgerechnet die Hörer von Gedichten durch die Bekanntheit der Sprecher zum Kauf der Edition bewegen lassen? Christian Brückner beispielsweise ist sicherlich ein ausgezeichneter Sprecher, aber drängt sich seine Stimme nicht zu stark vor mittelhochdeutsche Verse, gereicht es der Lyrik nicht zum Nachteil, wenn Stimmen Anspruch auf eigene Rollen erheben? Die Gedichte wirken nun ein wenig wie Werbeträger für die an der Produktion beteiligte ARD. Es wäre besser gewesen, die großartige Lyriksammlung von weithin unbekannten Schauspielern in den Ton übersetzen zu lassen.
Alle Aufnahmen wurden in Anwesenheit von Karl Otto Conrady angefertigt, er hat die Sprechweise bestimmt: dem Ton des Textes zurückhaltend folgend, also zeitgemäß leise und deshalb ziemlich langweilig. Die Austreibung von Pathos aus der Bühnen-Sprechweise ist historisch erklärlich nach der langen Zeit der von Fackeln beflimmerten gebrüllten Treueschwüre an Götzenbilder, aber unentwegte buchstabengetreue Zartheit, das Fehlen stürmischer Hingabe, der Mangel an Begeisterung und Dynamik, die verstärkte Melancholie, das Hervorkehren von Feinsinn und größter Empfindsamkeit lässt so kraftstrotzende Gesänge wie den Georg Heyms über den „Gott der Stadt”, gesprochen von Samuel Weiss, zum gallertartigen Beitrag eines schulischen Rezitationswettbewerbes gerinnen.
Nur wenige Gegenbeispiele lassen sich anführen: Sandra Hüller gibt dem Gedicht „Am Turme” von Annette von Droste-Hülshoff einen natürlichen Hauch von verhaltener wilder Freude, das kann man sich immer wieder anhören. Wenn andere Sprecher mit ihren wohlklingenden Bässen und ausgezirkelten Andeutungen eines gerollten „r” ihre Texte vorlesen, klingt das so routiniert wie aus einer Gebetsmühle. Man muss ein wenig Brei mögen, um an dieser Lyrik-Edition die in Aussicht gestellte Lust zu gewinnen. MARTIN Z. SCHRÖDER
KARL OTTO CONRADY (Hrsg.): Lust auf lauter Lyrik. Der Hör-Conrady. Regie: Stefan Hilsbecher. Produktion: Südwestrundfunk, Radio Bremen. Patmos Verlag, Düsseldorf, 2008. Ein Auftakt. 1 CD. 9,95 Euro; Die große Sammlung deutscher Gedichte. 21 CDs. 99,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gute Idee, das mit der Probehör-Option, findet Martin Z. Schröder. Ob er sich den ganzen Conrady auch als Privathörer bestellt hätte? Wohl eher nicht. Die schiere Fülle der 1100 Gedichte von 460 Dichtern aus dem Mittelalter bis aus der Gegenwart hat ihn zwar beeindruckt, dass die co-produzierende ARD rollenverliebte Schauspieler mit der Rezitation beauftragt hat, gefällt ihm dagegen nicht so gut. Stimmen können eben auch zu stark und routiniert sein. Die von Conrady selbst befohlene leise Sprechweise wiederum erscheint Schröder mitunter, so bei Georg Heyms "Gott der Stadt", allzu zurückhaltend. Den Ton getroffen haben in seinen Ohren nur wenige der Interpreten, zu wenige.
© Perlentaucher Medien GmbH
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