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Deutschland steckt im Patt der Lager - und findet sich daher unter einer Regierung der Großen Koalition wieder. Die Unschärfe des Neuen im Wechsel irritiert, ängstigt und lähmt die Deutschen, auch ihre politische Führungsschicht. Hierin - und nicht so sehr in den ökonomischen Schwächen - liegen die Wurzeln der viel beklagten German Disease. Kürzlich spendete der"Economist"reichlich Lob für die Erneuerung der deutschen Wirtschaft. Mehrere internationale Expertenkommissionen haben in den letzten Monaten Deutschland gar zum Musterknaben der ökonomischen Reform deklariert. Doch ist die Stimmung…mehr

Produktbeschreibung
Deutschland steckt im Patt der Lager - und findet sich daher unter einer Regierung der Großen Koalition wieder. Die Unschärfe des Neuen im Wechsel irritiert, ängstigt und lähmt die Deutschen, auch ihre politische Führungsschicht. Hierin - und nicht so sehr in den ökonomischen Schwächen - liegen die Wurzeln der viel beklagten German Disease.
Kürzlich spendete der"Economist"reichlich Lob für die Erneuerung der deutschen Wirtschaft. Mehrere internationale Expertenkommissionen haben in den letzten Monaten Deutschland gar zum Musterknaben der ökonomischen Reform deklariert. Doch ist die Stimmung zwischen München und Kiel weiterhin düster. Pessimismus und Depression charakterisieren die kollektive Gemütsverfassung der Nation. Die Wahlbürger hadern mit Parteien und Regierung. Doch zugleich verbirgt sich hinter der Übellaunigkeit keine Alternative. Die Verdrossenheit tritt ziellos auf.
Auch der Ausgang der Bundestagswahl im September sandte kein eindeutiges Signal aus, in welche Richtung die Bürger die Politik bewegen wollten. Das Wahlresultat war weder ein Plebiszit für furiose Wettbewerbsreformen noch für robuste Sozialstaatlichkeit. Deutschlandsteckt im Patt der Lager - und findet sich daher unter einer Regierung der Großen Koalition wieder. Von dieser Ziellosigkeit der Patt-Republik handeln die Essays in diesem Buch. Der Autor diagnostiziert einen schleichenden Wandel der Werte. Er beobachtet die mentalen Veränderungen in den klassischen sozialkulturellen Milieus der alten Bundesrepublik. Er konstatiert einen Gezeitenwechsel in Gesellschaft und Politik.
Autorenporträt
Prof. Dr. Franz Walter ist Direktor des Instituts für Demokratieforschung an der Universität Göttingen. Er publiziert vor allem zur Geschichte und Entwicklung der deutschen Parteien, u.a. regelmäßig auf SPIEGEL ONLINE.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2006

Große Ratlosigkeit
Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter über Gesellschaft und Politik

Deutschland lebt seit langem über seine Verhältnisse. Das will aber die Bevölkerung, das will auch Franz Walter nicht wahrhaben. Weit über die Hälfte der Deutschen hat, was er "Einwände gegen eine reine markt- und rentabilitätsorientierte Revision der überlieferten sozialen Sicherungssysteme" nennt. Er hält das für "eine zweifelsohne legitime Grundmentalität". Daraus muß man entnehmen, daß mit ihm der Abbau der immensen öffentlichen Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden und damit die Beendigung dessen, was Kurt Biedenkopf die haarsträubende "Ausbeutung der Enkel" nennt, nicht zu machen sein würde. Walter läßt auch wiederholt erkennen, daß er nie ein Freund der Agenda 2010 war, allerdings inzwischen denkt, daß die Sozialdemokratie nicht hinter sie "zurücktorkeln" dürfe.

Was soll, was kann nun seiner Ansicht nach geschehen, welches Ziel schwebt ihm vor? Auf der letzten Seite seiner Schrift sagt er, am Ende des ganzen "Entstrukturierungsfurors" der letzten Jahre werde man hoffentlich überall im Lande bemerken, "daß ein paar kollektiv verknüpfende Leitideen, Normen und Assoziationsprämissen unentbehrlich" seien. Geschichte dürfe nicht verrinnen, Erfahrungen müßten gespeichert werden, weil nur so Individuen zu einem bedeutungsträchtigen Gemeinwesen zusammenfinden und richtungsorientiert handeln könnten. Das klingt ziemlich vage. Sein Büchlein wirkt ratlos. Walter scheint selbst nicht zu wissen, wie gelingen könnte, was ihm ahnungsvoll vorschwebt.

Wer demnach glaubt, er könnte sich die Lektüre dieser Studie sparen, irrt. Denn "Die ziellose Republik" ist eine Sammlung außerordentlich anregender Aufsätze, die Walter - einer der besten Köpfe unter den gegenwärtigen Parteienforschern - in den Jahren 2004 bis 2006 in Zeitungen, Zeitschriften, Online-Medien und Radiosendern veröffentlicht hat. Er beschreibt anschaulich die Auflösung der politischen Lager, die Verflüssigung der Grenzen zwischen den Parteien, den Niedergang der Christdemokratie ebenso wie den der Sozialdemokraten, die Wandlungen der Grünen, überhaupt die Veränderungen aller gesellschaftlichen Milieus. Er hat nicht viel übrig für die "Parteien der klassisch Privilegierten". Sein Herz schlägt links, er hofft offenbar, es könne doch noch gelingen, ein irgendwie progressives Projekt zustande zu bringen, aber er sieht, daß auch auf der Linken die Ratlosigkeit groß ist.

Walter hält es für die eigentliche deutsche Krankheit, daß keine Partei im Bundestag die genuine, klassische und elementare Erwartung an Politik erfülle, Alternativen aufzuzeigen, die Wirklichkeit verschieden zu deuten und nachzuweisen, daß auch Blockaden oder Transformationen von Reformen möglich, ja vielleicht nötig seien. Ihn erschreckt, was er für die verblüffende Einheitsfront der Reformer hält, die er in allen Lagern findet, bedauert, einen nachgerade, wie er meint, sakralen Dogmatismus der Reform, der bei uns das Sagen habe. "Warum sollten Reformen für alle gut sein; warum sollten Reformen überhaupt gut sein?" Die Geschichte kenne viele Reformperioden, aber keine Reformära, aus der alle Menschen und Klassen als Gewinner hervorgegangen wären. Reformen stifteten keineswegs per se Glück, Wohlfahrt, Befreiung. Oft genug produzierten sie neue, andere Formen von Abhängigkeit, Ungleichheit, Begrenzung und Bedrückung.

Ist es falsch, wenn man demnach vermutet, Walter sei bei aller Beredsamkeit und Brillanz im Kern ein Verfechter des gesellschaftlichen Status quo? Das Ziel der Republik wäre dann, in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Wähler, die Erhaltung des Bestehenden. Es ist allerdings schwer zu sehen, wie das bewerkstelligt werden könnte.

ARNULF BARING

Franz Walter: Die ziellose Republik. Gezeitenwechsel in Gesellschaft und Politik. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 293 S., 8,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ein wenig unbefriedigt hat Franz Walter den Rezensenten Dieter Rulff mit diesem Buch zurückgelassen, das Aufsätze versammelt, die der Göttinger Politikwissenschaftler in den vergangenen drei Jahren für verschiedene Medien verfasst hat. Als Grundton zieht sich d21urch alle Texte die Einsicht, dass Deutschlands Krise nicht in erster Linie eine ökonomische, sondern eine mentale sei. Im Land herrsche eine "schizophrene Ambivalenz". Zwar sei die Gesellschaft mit dem Status quo unzufrieden, verurteilt aber jedes Reformvorhaben mit ihrer "depressiven Übellaunigkeit" zum Scheitern. Ausdruck des "nichtswollenden Wählerwillens" sei die Große Koalition, umreißt Rulff die Thesen des Buchs. Doch so anregend Walter schreibe und so vorsichtig er urteile, so unklar findet Rulff auch die Konsequenzen, die Walters Analysen folgen könnten.

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