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"Lange Zeit lebte ich nicht mein eigenes Leben und meinen eigenen Willen, sondern als die Gattin Tolstois." - Am 23. September 1862 heiratete die achtzehnjährige Sofja Andrejewna Behrs Lew Nikolajewitsch Tolstoi. Anfangs widmete sie ihr Leben ganz dem viel älteren Schriftsteller. Sie war erste Leserin und Kritikerin seiner Werke, Mutter seiner vielköpfigen Kinderschar, verwaltete das Landgut und kümmerte sich um die Finanzen. In jener Zeit des Familienglücks entstanden u.a. Tolstois große Romane Krieg und Frieden und Anna Karenina.
Nach fast zwei Jahrzehnten Ehe beschäftigte sich Tolstoi
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Produktbeschreibung
"Lange Zeit lebte ich nicht mein eigenes Leben und meinen eigenen Willen, sondern als die Gattin Tolstois." - Am 23. September 1862 heiratete die achtzehnjährige Sofja Andrejewna Behrs Lew Nikolajewitsch Tolstoi. Anfangs widmete sie ihr Leben ganz dem viel älteren Schriftsteller. Sie war erste Leserin und Kritikerin seiner Werke, Mutter seiner vielköpfigen Kinderschar, verwaltete das Landgut und kümmerte sich um die Finanzen. In jener Zeit des Familienglücks entstanden u.a. Tolstois große Romane Krieg und Frieden und Anna Karenina.

Nach fast zwei Jahrzehnten Ehe beschäftigte sich Tolstoi zunehmend mit religiösen und philosophischen Themen und stellte sämtliche Werte seines bisherigen Lebens in Frage. Er entzog sich seiner Frau und Familie, und es kam zu dramatischen Konflikten. Sofja Tolstaja hörte auf, das geistige und literarische Leben ihres Mannes als ihr eigenes zu begreifen. Nachdem sie ihrer eigenen literarischen Begabung vor der Hochzeit entsagt hatte, begann sie, wieder zu schreiben, nur wenige ihrer Werke wurden jedoch veröffentlicht.Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung Rußlands am Vorabend der russischen Revolution, in der die vermeintlich natürliche, Gott gewollte Geschlechterordnung von vielen Zeitgenossen in Frage gestellt wurde, zeichnet die Biographie das Porträt der Gattin Tolstois als Frau, die für ihre eigene Lebenswahrheit stritt.
Autorenporträt
Ursula Keller hat Slavistik und Germanistik studiert; zahlreiche Forschungsaufenthalte in Rußland. Sie lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2009

Ich bin Kindermädchen, Möbelstück, Frau

Fast fünfzig Jahre lang machte sich das Ehepaar Tolstoj das Leben zur Hölle: Jetzt liegt eine packende Biographie Sofja Andrejewna Tolstajas vor, in der die beiden Autorinnen das Wesen der Frau an der Seite des rastlosen Literaten ergründen.

Was mich betrifft, so hatte ich in den vergangenen Tagen so viel Aufwühlendes durchlebt, dass ich, als ich unter der Brautkrone stand, nichts fühlte und empfand. Mir schien, dass etwas Unausweichliches, Unwiderrufliches sich vollzog, etwas wie ein elementares Naturereignis." Das Naturereignis, von dem die damals achtzehnjährige Sofja Andrejewna Behrs in ihren Tagebuchaufzeichnungen berichtet, war eine Naturgewalt. Am 23. September 1862 heiratet die Tochter des kaiserlichen Hofarztes in Moskau den sechzehn Jahre älteren Graf Lew Nikolajewitsch Tolstoj. Ihre Gefühle zu ihm sind aufrichtig. Ungeduldig blickt sie auf ihre Zukunft an der Seite des erfolgreichen Schriftstellers, denn auch Sofja hat literarische Ambitionen. Ihre erste Novelle legt sie Tolstoj vor.

"Natascha" handelt von zwei Schwestern, die in denselben Mann verliebt sind. Tolstoj, der zuvor als Partie für Sofjas ältere Schwester vorgesehen war, lobt das Jugendwerk seiner Braut - und hält sie nicht davon ab, es vor der Ehe zu vernichten. In den nächsten dreißig Jahren sind es vor allem seine Texte, die immer wieder eine Brücke zwischen den entfremdeten Eheleuten schlagen. "Es war unmöglich, zu zählen, wie oft ich ,Krieg und Frieden' abgeschrieben habe", berichtet Tolstaja in ihren Erinnerungen. Jahrzehntelang überträgt sie die unleserlichen Manuskripte ihres Mannes in Reinschrift, führt die Verlagskorrespondenz, kümmert sich um die wirtschaftlichen Angelegenheiten der bald auf fünfzehn Mitglieder angewachsenen Familie. Als "Amme des Talents ihres Mannes" hat sie der Schriftsteller Wladimir Sologub einmal bezeichnet. Tolstoj selbst sah das freilich anders.

Seiner Frau sollte er ein Leben lang Verständnislosigkeit für seine außerliterarischen, sprich die theologischen und sozialrevolutionären Traktate, mit denen er sich seit 1880 beschäftigte, vorwerfen. "Er hielt sich für einen großen Denker", sagt Tolstajas Heldin in dem autobiographisch inspirierten Roman "Eine Frage der Schuld" und lässt keinen Zweifel an ihrer Meinung: "Das war seine Schwäche." Gemeint war Tolstoj. Fast fünfzig Jahre lang sollten sich die Ehepartner, vor allem in ihren offenen Tagebüchern, den Lebenserinnerungen, den Romanen Tolstojs und den Gegenromanen seiner Ehefrau, das Leben zur Hölle machen. Nicht selten endeten ihre Streite in gegenseitigen Wahnsinnsbekundungen. "Ich bin zunehmend der Überzeugung", schreibt Tolstaja über den griesgrämigen Gatten, "dass, wenn ein glücklicher Mensch unversehens im Leben nur das Schlechte sieht und vor allem Schönen die Augen verschließt, dies aufgrund von Krankheit so ist." Und Tolstoj entgegnet manieriert: "Als ob ich als Einziger, der nicht verrückt ist, im Irrenhaus lebte, das von Verrückten geleitet wird."

Verrückt wird man es allenfalls nennen können, dass die Lebenserinnerungen von Sofja Tolstaja bis zum heutigen Tage nicht vollständig ediert wurden. Als gelte es, am Tolstoj-Mythos nicht zu kratzen, hält sich, wie Ursula Keller und Natalja Sharandak konzise herausstellen, die Mär von der "schlechten Schriftstellergattin". Die deutsche Erstübersetzung von "Eine Frage der Schuld", ebenfalls von Ursula Keller, hat kürzlich erst Sedimente dieses Gerüchts wenn auch nicht abgetragen, so doch sehr sichtbar gemacht (F.A.Z. vom 3. Januar). Das Manuskript Tolstajas erweist sich als Replik auf die "Kreutzersonate", in der Tolstoj die Ehe und damit das Verhältnis zu seiner Frau mit Dichterkrawall erledigt. Tolstaja rächt sich mit einer Variation des berühmten Ehegattinnenmordes, doch während der Totschläger in "Eine Frage der Schuld" den Verlust schmerzlich bereut, lässt Tolstoj seinen Protagonisten zu der vergleichsweise stumpfen Einsicht kommen, er hätte die Frau eben niemals heiraten dürfen. Auf dem Boden dieses Missverständnisses wurzelt der Tolstojsche Lebenskonflikt.

Sofja Tolstoja war sich sicher, dass die Nachwelt sie als "Xanthippe" in Erinnerung behalten würde. Gegen diesen Leumund schrieb sie an. "Ich bin Befriedigung, ich bin Kindermädchen, ich bin ein alltägliches Möbelstück, ich bin eine Frau." Solche Sätze klingen bitter und sind es auch, zumal Tolstoj um das mühevolle Zusammenleben der Geschlechter wusste. Nicht umsonst enden seine Liebesgeschichten oft mit dem Tod der weiblichen Hauptfigur. Ein anderes Schicksal sahen wohl weder er noch die russische Gesellschaft für das Seelenleben empfindsamer Ehegattinnen vor. Tolstoj machte nie einen Hehl aus seiner Frauenfeindlichkeit. Er vertrat die Meinung, eine Frau gebäre Kinder und keine Gedanken. Mit Sofja Tolstaja hat er in dieser Hinsicht tatsächlich die Falsche geheiratet.

Ihre Biographinnen kommen ohne offene Parteinahme aus, wenn sie durch bloßes Zugänglichmachen von Quellen jene Frau rehabilitieren, die Tolstoj dreizehn Kinder und achtundvierzig Jahre ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit schenkte. Keller und Sharandak lassen die Eheleute in ihren Briefen, Tagebucheinträgen und Autobiographien aufeinander losgehen, sich anklagen, verzweifeln und schließlich unter Tränen wieder zueinanderfinden. Und das Urteil, das sich der Leser bilden kann, ist keineswegs eindeutig.

Nach all den Ehejahren waren die Kämpfe um Zuneigung, Anerkennung und die richtige Lebensführung wohl beiderseitig. Die große Verweigerungsgeste allerdings ist Tolstoj zuzuschreiben. Hart traf es seine Frau, als er ihr nach zwanzig kooperativen Jahren die Teilhabe an seinem literarischen Schaffen entzog. Ein Schreiber wurde engagiert. Der religiös geläuterte und zu fanatischem Vegetarismus neigende Tolstoj fügte fortan jedem Satz ein "Herr, unser Gott" an und reizte die familiären Beziehungen bis aufs Blut. Plötzlich empfand er allen materiellen Besitz als lasterhaft. 1891 verzichtete er auf seine Autorenrechte und gefährdete mit Volksväterchenpathos das Auskommen seiner vielköpfigen Familie. Schließlich entwickelte der Patriarch ein überaus ambivalentes Verhältnis zum Sex. "Schlief lästerlich", schrieb er ein ums andere Mal in sein Tagebuch. Wie ein "Verbrecher" kam er sich vor, stilisierte sich zum Opfer einer weiblichen Verschwörung. Zum ersten Mal in seinem Leben bangte Tolstoj um eine erneute Schwangerschaft. Seine erwachsenen Kinder würden den Zeugungstermin berechnen, so seine Befürchtung, und ihm die Missachtung seiner keuschen Reden vorwerfen.

Während all dieser Verrücktheiten - man muss Tolstojs Ehefrau ja zustimmen - war sie bemüht, den "menschlichen Staub" von ihrem Gatten fernzuhalten, der sich infolge der Entwicklung des Tolstojschen Landsitzes zum Wallfahrtsort für Literaten und Revolutionäre auf dem Schriftsteller niederzulassen drohte. Durch die Aberkennung eigener geistiger Kompetenz blieb Tolstaja nur die bedingungslose Anerkennung ihrer auferlegten Unterlegenheit, also die Überhöhung Tolstojs. "Er ist ein Mensch der Avantgarde, der vor der Masse herschreitet und ihr den Weg zeigt, den sie beschreiten muss. Und ich bin ein Teil der Masse, lebe im Strom der Masse und sehe mit der Masse das Licht der Laterne, die ein jeder Mensch der Avantgarde trägt, so auch Ljowotschka, und natürlich erkenne ich dieses Licht, doch ich kann nicht schneller gehen, da mich die Masse erdrückt und das Milieu und die Gewohnheit."

Tolstojs Geist erlosch in Abwesenheit seiner Ehefrau in einer zugigen Bahnhofsstation. Bekanntermaßen hatte er seine Familie mit zweiundachtzig Jahren in einer melodramatischen Fluchtaktion verlassen und sich eine Lungenentzündung zugezogen. Nun stürzten sich die Aasgeier auf ihn, sein Werk, seinen Ruhm, seinen Nachlass. Doch Sofja Tolstaja hat auch diese letzten Dinge für ihn geregelt. Danach führte sie nach eigenem Bekunden noch ein recht zufriedenes Leben im Kreise ihrer Kinder und Enkel. "Ein jedes Leben ist interessant", schreibt die 1919 Verstorbene in ihren Erinnerungen, "und vielleicht wird auch meines irgendwann einmal jemanden interessieren, der wissen möchte, was diese Frau für ein Mensch war, die im Leben an die Seite des genialen und hochkomplizierten Grafen Lew Nikolajewitsch Tolstoj zu stellen Gott und dem Schicksal gefiel". Es interessiert nach der Lektüre dieses Buches ganz ungemein.

KATHARINA TEUTSCH

Ursula Keller, Natalja Sharandak: "Sofja Andrejewna Tolstaja. Ein Leben an der Seite Tolstojs". Biographie. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2009, 319 S., geb., 24,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr gefesselt zeigt sich Rezensentin Katharina Teutsch von Ursula Kellers und Natalja Sharandaks Biografie von Leo Tolstois Ehefrau Sofia Andrejewna Tolstaja. Eindringlich werde die Ehehölle lebendig, die sich das Paar ein halbes Jahrhundert lang gegenseitig bereitete, so die Rezensentin beklommen. Sofia Tolstaja litt unter der Frauenverachtung ihres Mannes, der sie trotz eigener Publikationen als eigenständige Autorin nicht anerkannte und für den sie lediglich für Haus und Kinder da zu sein hatte, entnimmt Teutsch der Lektüre. Die Autorinnen lassen Quellen für sich sprechen, wenn es darum geht, Tolstaja zu ihrem Recht kommen zu lassen und haben deshalb "offene Parteinahme" nicht nötig, so die Rezensentin anerkennend. Diese Biografie weckt das Interesse – und zwar "ganz ungemein" – für eine Frau, die eigene Ambitionen zugunsten ihres Mannes aufgeben musste, lobt Teutsch.

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