Die Frage nach der Modernität Goethes stellt sich für Friedrich Dieckmann nicht - wer Goethe als "Dichterfürsten" vermeintlich rühmt, hat ihn genauso wenig verstanden wie einer, der ihn, in der Nachfolge Ludwig Börnes, als "Fürstenknecht" schmäht. Auch der Klassiker Goethe ist ein Klischee; es sind die Häutungen, die Verwandlungen dieses Autors, die, über die Einschnitte seiner und unserer Zeit hinweg, Gestalt und Werk lebendig machen - man muß nur zu lesen wissen.Hierbei zu helfen ist das Anliegen der zehn Essays, die Dieckmann zum Werk Goethes vorlegt. Der zeitliche Rahmen dieser Essays wird abgesteckt durch den Urfaust, das bestürzend kühne Jugendwerk, das seine Überlieferung der Sorgfalt eines Hoffräuleins verdankt, und den zweiten Teil der Fausttragödie, das große Alterswerk, das Goethe erst nach seinem Tod der Öffentlichkeit übergeben wissen wollte. Dazwischen geht es unter anderem darum, wie schwer sich der Napoleon-Bewunderer Goethe tat, den einschneidenden politischen Wandlungen von 1813/14 standzuhalten, und wie er sie, wenig glücklich, dramatisch verarbeitete, um sich danach in einen Orient der Poesie, den West-östlichen Divan, zu retten. Und in erfrischend unkonventionellen Gedichtinterpretationen zeigt sich die "geglückte Balance" zwischen Liebe und Beruf, Politik und Poesie, die Goethes Lebenshaltung prägt; sie kann heute wie damals ein Anhalt sein.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2008Erdensohn am Sittentag
Bezwingend: Friedrich Dieckmanns Goethe-Interpretationen
In Goethes 1829 entstandenem Gedicht „Vermächtnis” findet sich ein Wort, das die Welt zuvor noch nicht gehört hatte: „Sittentag”, und zwar in den Versen: „Denn das selbstständige Gewissen/ Ist Sonne deinem Sittentag.” Friedrich Dieckmann, der das Gedicht so intelligent und liebevoll liest, dass es vor den Augen des Lesers neu geboren wird, erläutert nicht nur den Hintergrund astronomischer Bildwelt – kurz zuvor sprach es vom heliozentrischen Weltbild –, er verweist nicht nur auf Kants Ethik, die den bestirnten Himmel über dem Subjekt mit moralischen Gesetz in ihm verknüpft, sondern vor allem hebt er die geistreiche Worterfindung selbst ans Licht: „,Sittentag’ ist eine Prägung, die ganz diesem Gedicht gehört. Der vorangegangene ,Erdensohn’ hat Vorläufer bei Logau und Wieland und bei Goethe selbst.” Erst zusammen bilden diese Wörter eine neue schöne Vorstellung: „einen Paradieses-Adam, der lustvoll die Frucht der moralischen Erkenntnis pflückt. Goethes Gedicht nimmt die Partei eines Garten Eden, dem der Baum der Erkenntnis als fruchttragend-nutzbarer zugehört.”
Des Allgewaltigen Willens Kür
Die „geglückte Balance”, die der Titel von Dieckmanns gesammelten Goethe-Interpretationen beschwört, ist nicht zuletzt eine Begabung ihres Verfassers. Mit sinnlicher Kennerschaft liest er Goethes Dichtungen wie Partituren, deren Klangfülle, Rhythmus und Sprachkunst eine harmonische Pracht erzeugen, die wir uns allzu oft gefallen lassen, ohne ihrer bewusst zu werden. Danach aber tritt der philosophisch gebildete Kenner von Goethes Leben und der allgemeinen Geschichte hervor, der die Erfahrungen und Zeitbezüge, die in den Versen gespeichert sind, Schritt für Schritt aufdeckt; und zwar so, dass die beiden Seiten der Waage, der sprachliche Glanz hier, der Zeit- und Gedankensinn dort, nicht einfach zur Funktion des anderen werden, sondern gleichgewichtig nebeneinander bestehen.
Solche Lesekunst besteht nicht zuletzt in der Fähigkeit, Mikroskopie und historische Übersicht oft dramatisch abwechseln zu lassen, wodurch sich eine anregende Unterhaltsamkeit für den Leser ergibt, der seine vom genauen Prüfen der Verse angestrengten Augen unvermittelt bei weiten landschaftlichen Ausblicken erholen darf. So analysiert Dieckmann in dem titelgebenden Essay das kleine Erzählidyll „Alexis und Dora”, ein erotisches Bild von Liebesentzündung und plötzlicher Eifersucht, in allen seinen biographischen und narrativen Valeurs, er wägt die Verinnerlichung des Objektiven und Sozialen, vergleicht mit „Hermann und Dorothea”, das den umgekehrten Weg geht, nämlich die Idylle in die Ungewitter der Zeitgeschichte einbettet. Dann setzt Dieckmann mit kühnem Schwung neu ein: „Den politischen Raum für alles dies gibt der Sonderfrieden, den das feudalabsolutistische Preußen Friedrich Wilhelms II. ein Jahr zuvor, im April 1795, mit der Französischen Republik geschlossen hatte.” Gleichzeitig mit diesem Ereignis „brechen Goethe und Schiller zu jener Eroberung der deutschen Literatur auf, die in der Ende 1795 begonnenen Xenien-Dichtung bonapartistische Züge annimmt”.
Solche historische Dramatisierung rettet die edle Erbschaft einer ostdeutschen Goethe-Befassung in die Gegenwart, für die Namen wie Hans Mayer und Peter Hacks stehen. Mit ihnen teilt Dieckmann den geschichtsphilosophischen Schwung, die Leidenschaft für die Kämpfe um bürgerlichen Fortschritt. Gegen die heutigen Moden, Goethe teils als kaltherzigen Vertreter der Obrigkeit, teils als grämlichen Weltpessimisten zu zeichnen, verteidigen Dieckmanns Essays den Dichter der Humanität und jener sozialen Neuland-Visionen, die der Schluss des „Faust” bei allen dramaturgischen Relativierungen noch einmal große Sprache werden lässt. Wenn man so will, ist hier die Gegenrechnung zu Michael Jaegers beeindruckender Habilitationsschrift „Faust Kolonie” (2004) aufgemacht, die die Summe der modernekritischen Interpretationen dieses Werks zieht.
Entscheidend für Dieckmanns Sicht ist die Herausarbeitung von Goethes Affinität zu Napoleon. Hier folgt er einem Impuls von Hacks, den er an Präzision der Lektüre hinter sich lässt. Ein langer Essay zu den „Timur”-Gedichten des „West-östlichen Divans” ist die seit „Lotte in Weimar” einlässlichste Behandlung von Goethes Missvergnügen am deutschen Befreiungskampf; und die Frage nach Napoleon im „Faust” – die schon durch eine Eckermannsche Großschreibung in dem Vers „des Allgewaltigen Willens Kür” nahe gelegt wird –, eröffnet energisch neue Horizonte der politischen Deutung. Dabei fallen auch viele Beobachtungen zu anderen Werken an, die Anlass zu neuen Essays bieten könnten: So die Frage, welche Rolle eigentlich die seit 1819 verschärften Zensurgesetze für die gedämpfte Tonlage der „Campagne in Frankreich” gespielt haben. Von der historischen Farbenblindheit der Germanisten ist Dieckmann weit entfernt.
Umso höher ist ihm seine zartsinnige Aufmerksamkeit für weibliche Gestalten und Lebensprobleme anzurechnen. Der „Urfaust” sei auch ein Passionsspiel, sagt er: Gretchens Kerker ist das Golgatha der Frau, die dem Teufelspakt allein in die Quere kommt. Jahr für Jahr erscheinen hunderte von nicht-notwendigen Goethe-Interpretationen. Dieser schmale Band gehört in die kleine Reihe der unbedingt zwingenden Goethe-Bücher. GUSTAV SEIBT
FRIEDRICH DIECKMANN: Geglückte Balance. Auf Goethe blickend. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 189 Seiten, Euro.
Wenn es so einfach wäre! An diesem Ort muss ein absolutes Gehör wohnen: „Mozarts Ohr”, daneben „ein gewöhnliches Ohr” – eine zeitgenössische Zeichnung aus der Zeit um 1790. Foto: Imagno/Getty Images
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Bezwingend: Friedrich Dieckmanns Goethe-Interpretationen
In Goethes 1829 entstandenem Gedicht „Vermächtnis” findet sich ein Wort, das die Welt zuvor noch nicht gehört hatte: „Sittentag”, und zwar in den Versen: „Denn das selbstständige Gewissen/ Ist Sonne deinem Sittentag.” Friedrich Dieckmann, der das Gedicht so intelligent und liebevoll liest, dass es vor den Augen des Lesers neu geboren wird, erläutert nicht nur den Hintergrund astronomischer Bildwelt – kurz zuvor sprach es vom heliozentrischen Weltbild –, er verweist nicht nur auf Kants Ethik, die den bestirnten Himmel über dem Subjekt mit moralischen Gesetz in ihm verknüpft, sondern vor allem hebt er die geistreiche Worterfindung selbst ans Licht: „,Sittentag’ ist eine Prägung, die ganz diesem Gedicht gehört. Der vorangegangene ,Erdensohn’ hat Vorläufer bei Logau und Wieland und bei Goethe selbst.” Erst zusammen bilden diese Wörter eine neue schöne Vorstellung: „einen Paradieses-Adam, der lustvoll die Frucht der moralischen Erkenntnis pflückt. Goethes Gedicht nimmt die Partei eines Garten Eden, dem der Baum der Erkenntnis als fruchttragend-nutzbarer zugehört.”
Des Allgewaltigen Willens Kür
Die „geglückte Balance”, die der Titel von Dieckmanns gesammelten Goethe-Interpretationen beschwört, ist nicht zuletzt eine Begabung ihres Verfassers. Mit sinnlicher Kennerschaft liest er Goethes Dichtungen wie Partituren, deren Klangfülle, Rhythmus und Sprachkunst eine harmonische Pracht erzeugen, die wir uns allzu oft gefallen lassen, ohne ihrer bewusst zu werden. Danach aber tritt der philosophisch gebildete Kenner von Goethes Leben und der allgemeinen Geschichte hervor, der die Erfahrungen und Zeitbezüge, die in den Versen gespeichert sind, Schritt für Schritt aufdeckt; und zwar so, dass die beiden Seiten der Waage, der sprachliche Glanz hier, der Zeit- und Gedankensinn dort, nicht einfach zur Funktion des anderen werden, sondern gleichgewichtig nebeneinander bestehen.
Solche Lesekunst besteht nicht zuletzt in der Fähigkeit, Mikroskopie und historische Übersicht oft dramatisch abwechseln zu lassen, wodurch sich eine anregende Unterhaltsamkeit für den Leser ergibt, der seine vom genauen Prüfen der Verse angestrengten Augen unvermittelt bei weiten landschaftlichen Ausblicken erholen darf. So analysiert Dieckmann in dem titelgebenden Essay das kleine Erzählidyll „Alexis und Dora”, ein erotisches Bild von Liebesentzündung und plötzlicher Eifersucht, in allen seinen biographischen und narrativen Valeurs, er wägt die Verinnerlichung des Objektiven und Sozialen, vergleicht mit „Hermann und Dorothea”, das den umgekehrten Weg geht, nämlich die Idylle in die Ungewitter der Zeitgeschichte einbettet. Dann setzt Dieckmann mit kühnem Schwung neu ein: „Den politischen Raum für alles dies gibt der Sonderfrieden, den das feudalabsolutistische Preußen Friedrich Wilhelms II. ein Jahr zuvor, im April 1795, mit der Französischen Republik geschlossen hatte.” Gleichzeitig mit diesem Ereignis „brechen Goethe und Schiller zu jener Eroberung der deutschen Literatur auf, die in der Ende 1795 begonnenen Xenien-Dichtung bonapartistische Züge annimmt”.
Solche historische Dramatisierung rettet die edle Erbschaft einer ostdeutschen Goethe-Befassung in die Gegenwart, für die Namen wie Hans Mayer und Peter Hacks stehen. Mit ihnen teilt Dieckmann den geschichtsphilosophischen Schwung, die Leidenschaft für die Kämpfe um bürgerlichen Fortschritt. Gegen die heutigen Moden, Goethe teils als kaltherzigen Vertreter der Obrigkeit, teils als grämlichen Weltpessimisten zu zeichnen, verteidigen Dieckmanns Essays den Dichter der Humanität und jener sozialen Neuland-Visionen, die der Schluss des „Faust” bei allen dramaturgischen Relativierungen noch einmal große Sprache werden lässt. Wenn man so will, ist hier die Gegenrechnung zu Michael Jaegers beeindruckender Habilitationsschrift „Faust Kolonie” (2004) aufgemacht, die die Summe der modernekritischen Interpretationen dieses Werks zieht.
Entscheidend für Dieckmanns Sicht ist die Herausarbeitung von Goethes Affinität zu Napoleon. Hier folgt er einem Impuls von Hacks, den er an Präzision der Lektüre hinter sich lässt. Ein langer Essay zu den „Timur”-Gedichten des „West-östlichen Divans” ist die seit „Lotte in Weimar” einlässlichste Behandlung von Goethes Missvergnügen am deutschen Befreiungskampf; und die Frage nach Napoleon im „Faust” – die schon durch eine Eckermannsche Großschreibung in dem Vers „des Allgewaltigen Willens Kür” nahe gelegt wird –, eröffnet energisch neue Horizonte der politischen Deutung. Dabei fallen auch viele Beobachtungen zu anderen Werken an, die Anlass zu neuen Essays bieten könnten: So die Frage, welche Rolle eigentlich die seit 1819 verschärften Zensurgesetze für die gedämpfte Tonlage der „Campagne in Frankreich” gespielt haben. Von der historischen Farbenblindheit der Germanisten ist Dieckmann weit entfernt.
Umso höher ist ihm seine zartsinnige Aufmerksamkeit für weibliche Gestalten und Lebensprobleme anzurechnen. Der „Urfaust” sei auch ein Passionsspiel, sagt er: Gretchens Kerker ist das Golgatha der Frau, die dem Teufelspakt allein in die Quere kommt. Jahr für Jahr erscheinen hunderte von nicht-notwendigen Goethe-Interpretationen. Dieser schmale Band gehört in die kleine Reihe der unbedingt zwingenden Goethe-Bücher. GUSTAV SEIBT
FRIEDRICH DIECKMANN: Geglückte Balance. Auf Goethe blickend. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 189 Seiten, Euro.
Wenn es so einfach wäre! An diesem Ort muss ein absolutes Gehör wohnen: „Mozarts Ohr”, daneben „ein gewöhnliches Ohr” – eine zeitgenössische Zeichnung aus der Zeit um 1790. Foto: Imagno/Getty Images
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2008Goethes Sudelsack
Goethes Devise, "die Welt ihren Gang gehen zu lassen und sich nicht in die Zwiste der Könige zu mischen", bedeutet keine politische Gleichgültigkeit. Es spricht eher für die Klugheit eines Diplomaten, der als Schriftsteller gleichwohl nicht hinterm Berg hält. Erkennbar wird das in den seit 1984 verfassten Goethe-Essays des Publizisten Friedrich Dieckmann. Aufsätze zum frühen und späten "Faust" bilden den Rahmen: Der Professor zu Beginn der Tragödie, der aus Frustration über die gespreizten Torheiten der Wissenschaft in den teuflischen Liebespakt einwilligt, setzt sich am Schluss als Praktiker der Landgewinnung gegen den Nihilisten Mephisto durch. Fausts Überwindung des Daseinsüberdrusses im Bekenntnis zu Natur und Leben, also zur Forderung des Tages und zur Balance zwischen Tätigkeit und Tändelei, erklärt Dieckmann zur Leitlinie Goethes. Sie zeigt sich in "Alexis und Dora", der Erfüllung im Moment des gebotenen Abschieds, ebenso wie in Gedichten des "Divan" oder in Funden aus Goethes "Sudelsack". Sichtbar wird sie aber auch im geschickten Lavieren des Napoleon-Bewunderers in den Krisenjahren 1806 bis 1814. Es bringt Goethe gleichermaßen Orden Frankreichs, Russlands und Österreichs ein. (Friedrich Dieckmann: "Geglückte Balance. Auf Goethe blickend". Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 190 S., br., 14,80 [Euro].) kos
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Goethes Devise, "die Welt ihren Gang gehen zu lassen und sich nicht in die Zwiste der Könige zu mischen", bedeutet keine politische Gleichgültigkeit. Es spricht eher für die Klugheit eines Diplomaten, der als Schriftsteller gleichwohl nicht hinterm Berg hält. Erkennbar wird das in den seit 1984 verfassten Goethe-Essays des Publizisten Friedrich Dieckmann. Aufsätze zum frühen und späten "Faust" bilden den Rahmen: Der Professor zu Beginn der Tragödie, der aus Frustration über die gespreizten Torheiten der Wissenschaft in den teuflischen Liebespakt einwilligt, setzt sich am Schluss als Praktiker der Landgewinnung gegen den Nihilisten Mephisto durch. Fausts Überwindung des Daseinsüberdrusses im Bekenntnis zu Natur und Leben, also zur Forderung des Tages und zur Balance zwischen Tätigkeit und Tändelei, erklärt Dieckmann zur Leitlinie Goethes. Sie zeigt sich in "Alexis und Dora", der Erfüllung im Moment des gebotenen Abschieds, ebenso wie in Gedichten des "Divan" oder in Funden aus Goethes "Sudelsack". Sichtbar wird sie aber auch im geschickten Lavieren des Napoleon-Bewunderers in den Krisenjahren 1806 bis 1814. Es bringt Goethe gleichermaßen Orden Frankreichs, Russlands und Österreichs ein. (Friedrich Dieckmann: "Geglückte Balance. Auf Goethe blickend". Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 190 S., br., 14,80 [Euro].) kos
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Höchstes Lob spendet Gustav Seibt dem Band mit Goethe-Interpretationen von Friedrich Dieckmann und sieht darin stupendes Wissen mit sensibler "Lesekunst" vereint. Die "geglückte Balance" des Titels sieht er auch bei Dieckmanns Lesarten der Goethetexte am Werk, denn dem Autor gelingt es, gleichermaßen den sinnlichen Qualitäten der Texte gerecht zu werden, als auch den zeitgeschichtlichen und biografischen Kontext klug zu erhellen, wie der Rezensent preist. Besonders anregend findet Seibt, dass der Autor nicht etwa, wie es gerade modern ist, Goethe als pessimistischen und obrigkeitshörigen Vertreter der Oberschicht zeichnet, sondern ihn als leidenschaftlichen Humanisten mit "sozialen Neuland-Visionen" konturiert, und hier durchaus frische politische Deutungen des Goethe'schen Werks aufbietet. Von der "historischen Farbenblindheit", mit der nach Seibt die Germanistik gewöhnlich geschlagen ist, ist in diesem Band nichts zu merken und so bejubelt der hingerissene Rezensent diesen Band als "unbedingt zwingende" Lektüre.
© Perlentaucher Medien GmbH
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