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Nicht Friedrich Schillers Werke sind der Gegenstand dieses Buches, sondern die Umstände und die Bedingungen ihrer Entstehung, der Alltag eines Schriftstellers, Gelehrten und Theatermannes. Sigrid Damm sucht bei ihrer Wanderung die Orte von Schillers viel zu kurzem Leben auf. Es ist ein überraschend kleiner Raum; Schiller hat nie die Schauplätze seiner Dramen - Frankreich, Schottland, die Schweiz - gesehen, nie Italien, hat niemals an einem Meer gestanden. Geldmangel hat sein Leben geprägt. Schiller war einer der ersten Autoren, der einen wesentlichen Teil seiner Einkünfte als freier Autor zu…mehr

Produktbeschreibung
Nicht Friedrich Schillers Werke sind der Gegenstand dieses Buches, sondern die Umstände und die Bedingungen ihrer Entstehung, der Alltag eines Schriftstellers, Gelehrten und Theatermannes. Sigrid Damm sucht bei ihrer Wanderung die Orte von Schillers viel zu kurzem Leben auf. Es ist ein überraschend kleiner Raum; Schiller hat nie die Schauplätze seiner Dramen - Frankreich, Schottland, die Schweiz - gesehen, nie Italien, hat niemals an einem Meer gestanden. Geldmangel hat sein Leben geprägt. Schiller war einer der ersten Autoren, der einen wesentlichen Teil seiner Einkünfte als freier Autor zu bestreiten versuchte und somit gezwungen war, sich im kommerziellen Literaturbetrieb zu behaupten, ungeachtet dessen, daß er auch der citoyen war, der Ehrenbürger der Französischen Revolution, und der Mann, den Kaiser Franz II. in den »heiligen römischen Reichs-Adelstand« erhob. Bei aller äußeren Kargheit war dieses Leben dennoch kein Leben im Kleinen. Der Mensch, dessen Lebensspuren Sigrid Damm folgt, spricht nicht nur von »Freiheit«, er ist frei, innerlich unabhängig. Die Räume, die seine Gedanken durchschreiten, kennen keine Grenzen. Ein verbindlicher Mann ist der Autor der Räuber auch später nicht geworden. Er war eher ein Mann des schroffen Urteils, dabei ein fürsorglicher Sohn und Vater, fähig zu dauerhafter Freundschaft, zu Frauen wie zu Männern. Seine Freundschaft zu Goethe nannte er das wohltätigste Ereignis seines ganzen Lebens: sieben Wartejahre, in denen Goethe ihm die kalte Schulter zeigte; dann in den letzten Lebensjahren die Erfüllung einer Arbeitsgemeinschaft, auch sie nicht frei von Spannungen.

Nach dem überragenden Erfolg ihrer Recherche Christiane und Goethe legt Sigrid Damm ein neues biographisches Porträt vor: Das Leben des Friedrich Schiller. Auch dieses Buch ist ein »Kunstwerk aus Akten« und vermittelt ein faszinierendes Lebensbild auf der Basis authentischer Zeugnisse: Schiller selbst kommt in ihm zu Wort - als Autor, als Liebhaber, Ehemann und Vater von vier Kindern, als Sohn und Freund, als der Weggefährte Goethes.

Autorenporträt
Damm, Sigrid
Sigrid Damm, in Gotha/Thüringen geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin und Mecklenburg. Die Autorin ist Mitglied des P.E.N. und der Mainzer Akademie der Wissenschaften und Literatur. Sie erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Feuchtwanger-, den Mörike- und den Fontane-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2004

Idealisten leben länger

Der Winter kommt. Der Schiller-Winter. Sie müssen sich vorbereiten. Im Mai 2005 wird es 200 Jahre her sein, daß er starb. "Am Himmel ist geschäftige Bewegung, / Des Turmes Fahne jagt der Wind, schnell geht / Der Wolken Zug, die Mondessichel wankt, / Und durch die Nacht zuckt ungewisse Helle. / Kein Sternbild ist zu sehn - So war die Nacht, die Mainacht vor hundertfünfzig Jahren, als durch die schlummernden, wie ausgestorbenen Gassen Weimars, von der Esplanade, über den Markt und durch die Jakobsgasse nach dem alten Kirchhof vor der St. Jakobskirche, Schillers sterbliche Hülle zu Grabe getragen wurde."

So beginnt Thomas Manns "Versuch über Schiller" unter Verwendung der schönen Verse aus Wallensteins Tod. Viele Lebensbeschreibungen über Schiller beginnen mit seinem Tod. Rüdiger Safranski stellt seiner neuen Schiller-Biographie sogar den Obduktionsbericht voran: "Man fand die Lunge ,brandig, breiartig und ganz desorganisiert', das Herz ,ohne Muskelsubstanz', die Gallenblase und die Milz unnatürlich vergrößert, die Nieren ,in ihrer Substanz aufgelöst und völlig verwachsen'." Doktor Huschke, Leibarzt des Weimarer Herzogs, meinte angesichts dieses Befundes lapidar: "Bei diesen Umständen muß man sich wundern, wie der arme Mann so lange hat leben können." Safranski leitet aus dem Obduktionsbericht sogleich seine Schiller-Definition ab, eine erste Schiller-Idealismus-Definition: "Idealismus ist, wenn man mit der Kraft der Begeisterung länger lebt, als es der Körper erlaubt. Es ist der Triumph eines erleuchteten, eines hellen Willens."Schillers Leuchten und Schillers Idealismus aus dem Zustand seines toten Körpers erklärt. Was für ein erstaunlicher Lebensbeschreibungsbeginn. Und es geht so gut weiter.

Der Winter kommt. Der Schiller-Winter. Sie müssen sich vorbereiten. Sie müssen ihren Winter mit Schiller erleuchten. Mit Schillers hellem Willen und hellem Schreiben. Wie damals, im Winter 1801, als Goethe und Schiller gemeinsam das "Mittwochskränzchen" gründeten gegen den Trübsinn des Winters, gründen Sie einfach ihr Schillerkränzchen und lesen sich langsam, ganz langsam hinein in die alten und die neuen Bücher von und über ihn. Sie müssen das alles in einem großen Kreis um sich herumstapeln. Alles, was Sie brauchen für ihre Winter-Erleuchtung und um endlich wieder zu lernen, was Lesen heißt. Was großes Lesen heißt. Nämlich nicht dieses angebliche "Die-ganze-Nacht-hindurch-in-einem-Atemzug-ein-Buch-Durchlesen", sondern das Wandern von einem Buch zum anderen. Das Weiter- und immer Weiterlesen. Das Springen und Sichverlieren in Büchern und immer mehr Büchern. Hier eine Idee finden, sie dort weiterverfolgen, hier Fragen finden, dort Antworten, hier einen Beginn, dort einen Neubeginn.

Sie brauchen dazu: Schillers "Sämtliche Werke", klar. Zum Beispiel in der soeben im Hanser-Verlag mit überarbeitetem Kommentar erschienene, altbewährte, seit einem halben Jahrhundert meistverbreitete Schiller-Ausgabe in fünf Bänden. Der Kommentar ist knapp und präzise. Und die Bücher sind schön. Fester, weißer Einband, weinrote, erhabene Schrift, das Papier ist dünn und federleicht, aber reißfest. Selbst der mit 1370 Seiten stärkste Band ist nur vier Zentimeter dick. Insgesamt kommt man auf beinahe 6000 Seiten Schiller inklusive Kommentar, aber natürlich ohne Briefe und Tagebücher. Die gleiche Ausgabe gibt es auch bei dtv als Taschenbuch. Da kostet sie nur ein Drittel.

Dann brauchen Sie natürlich eine Biographie. Und da wird es schon etwas schwer. Drei neue sind jetzt erschienen. Drei sehr unterschiedliche. Schwer zu sagen, welche die beste ist. Eigentlich die von Rüdiger Safranski. Sein "Schiller" trägt den Untertitel "Oder die Erfindung des Deutschen Idealismus", und es ist ein großes, deutsches Geistespanorama, das Safranski da entwirft. Ungeheuer gelehrt, kenntnisreich und immer verständlich und gut geschrieben. Einziges Manko: die Person Schiller bleibt doch blaß. Und das ist für eine Biographie kein kleines Manko. Es wirkt fast so, als wenn sich Safranski in Wahrheit mehr für Goethe interessierte als für Schiller. Seine seitenlangen Zusammenfassungen von Schillers Bühnenwerken lesen sich mühsam. Und worum es im "Tell" so geht, das wußte man auch vorher schon so grob.

Sigrid Damm geht das Lebensbeschreibungsprojekt ganz anders an. Ihre Biographie trägt den Untertitel "Eine Wanderung" und ist nun wiederum sehr persönlich geschrieben. Der Anfang ist ganz besonders schauderhaft, wenn sie auf den ersten Seiten berichtet, wie Sigrid Damm, als sie noch zur Schule ging, Schiller so fand, und was sie früh gelesen hat. Das will der Leser, der sich auf Schiller freut und nicht auf Sigrid Damm, nicht wissen. Und einige Rezensenten haben das Buch dann wohl schon nach diesen ersten Seiten wütend beiseite gelegt. Dabei wird es später besser. Wenn sich Frau Damm zurücknimmt und vor allem Schiller sprechen läßt. Wenn sie Briefe, Tagebuchnotizen und Erinnerungen glänzend montiert und nur kurz verbindend, kommentierend eingreift, da spricht Schiller zu uns. Da leuchtet er. Aber bei Safranski leuchtet eben ein ganzes Zeitalter.

Schließlich Kurt Wölfels kurze, in der Reihe dtv-portrait erschienene Biographie ist in ihrer Knappheit wahrscheinlich das beste, was man schreiben kann. Vor allem zum schnellen Nachschlagen von vergessenen Lebensdetails, aber auch zum schnörkellosen Lesen. Nur nicht zum Versinken. Zum wahren Schiller-Lebens-Lesen.

Am schönsten ist für den Anfang immer noch die Skizze "Schwere Stunde" von Thomas Mann. Die frühe Schiller-Imagination des jungen, leidenden Lübecker Schriftstellers auf der Suche nach seiner Lebensbestimmung. Auf der Suche nach seinem Weg zur Kunst. Dieses tiefe Sichhineinfühlen in den Dichter, das auch nur deswegen so scheinbar authentisch gelingt, weil er sich natürlich in Wahrheit in sich selbst hineinfühlt, Thomas Mann, wenn er den an seiner Arbeit am "Wallenstein" verzweifelnden Dichter beschreibt und wenn er sich mit Schiller Mut macht und schreibt: "Nur bei Stümpern und Dilettanten sprudelt es, bei den Schnellzufriedenen und Unwissenden, die nicht unter dem Druck und der Zucht des Talentes leben." Es ist ein großes Leiden. Der Ofen ist kalt. Der Kopf ist schwer. Der sehnsüchtige Blick geht hinüber zum göttlichen Goethe, dem leicht Lebenden. Dem leicht Schaffenden. Dem Glückskind. Und Schiller leidet und Mann mit ihm. Das ist süßlich und doch schwer und groß.

Lange hat er sich dann nicht mehr mit Schiller beschäftigt. Nur noch Goethe und immer wieder Goethe. Bis zum Ende seines Lebens. Bis zu seinem letzten Text. Der großen Schiller-Rede. Niemand hat zuvor oder danach so über Schiller geschrieben. So lebensnah und geistesgroß, anekdotenreich und lebendig. Allein schon für die aus den Eckermann-Gesprächen herübergerettete Erinnerung muß man diese Rede wieder lesen. Wie Schiller bei der Bühnenbearbeitung des "Egmont" Goethe unbedingt dazu überreden wollte, in der Gefängnisszene, in der Egmont das Urteil verlesen wird, Alba in einer Maske im Hintergrund erscheinen müsse, um sich voller Schadenfreude an Egmonts Schadenfreude zu weiden. Thomas Mann stellt sich die beiden Freunde so vor: "Wie Goethe sich lachend auf frankfurterisch wehrt: ,Noi, noi, mein Bester, wo denke Sie hin, das ist ja greulich!' und Schiller auf schwäbisch - denn er schwäbelte unverbesserlich - insistiert: ,Aber ich schwör Ihne, es wird großen Effekt mache und dem Publico recht in die Seele schneide!'" Natürlich blieb der Menschenfreund Goethe gegen den den Effekthascher Schiller am Ende siegreich.

Jedenfalls müssen Sie nun also natürlich sofort hinüberwechseln zum großen Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Und den beiden bei der Arbeit zusehen. Bei der gemeinsamen Textarbeit. Bei der "Symphilosophie" und "Sympoesie", wie es sich die Jungromantiker nur träumen konnten. In den guten Zeiten, als sie praktisch jede Zeile ihrer Werke besprachen, täglich mehrere Briefe hin und her wechselten, die Horen geplant, die Xenien, Angriff für Angriff gemeinsam entworfen wurden. Und dann lesen Sie zum Beispiel in der Werkausgabe den Prolog von "Wallensteins Lager". Den Satz: "Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst." Im Kommentar steht, Goethe habe diesen Satz zur Premiere in "heiter sei die Kunst" geändert, und schon können Sie wieder zu den Briefen hinüberwechseln und sehen, wie es dazu kam. Denn das verschweigt der Kommentar.

So lesen Sie weiter und weiter. Der Bücherberg um Sie herum wächst, und Sie tragen Buch auf Buch heran. Ein Schiller-Zitate-Lexikon ist auch erschienen. Sehr praktisch. Sie finden zum Beispiel auf Schiller-Geschenk-Bändern das schöne Zitat: "Dein Glück ist heute gut gelaunt", sehen im Lexikon bei "Glück" nach. (Da gibt es bei Schiller natürlich ungezählte Einträge.) Finden unter "Glück, gut gelaunt" die Stelle "der königliche Gast erstaunet: / Dein Glück ist heute gut gelaunet . . ." mit Quellenangabe, "Ballade, Ring des Polykrates", wechseln über zu einer Gedicht-Ausgabe, wie es sie selten gab. Beziehungsweise, es gab sie schon mal. 1859. Eines der ersten sogenannten Coffeetablebooks der Welt war das. Einer der ersten großen Fotobände. Der damals bei Cotta erschienen war. Schiller hatte sich immer eine Prachtausgabe seiner Gedichte gewünscht. Und teuer solle sie sein, denn er hatte beobachtet, daß "bei Prachtausgaben immer das teurere Werk am Ersten gekauft wird". Erst mehr als fünfzig Jahre nach Schillers Tod erschien sie dann. Und jetzt gibt es also im Taschen-Verlag ein Reprint dieser fantastischen Ausgabe, und selbst Leser, die sonst über den Trend zum Riesenbuch lachen, weil es erstens unpraktisch und zweitens teuer ist, werden über diese schwarz-samten gebundene Ausgabe mit herrlichen Bildern staunen. Dort lesen Sie also den "Ring des Polykrates", wechseln über zum Kommentar der Werkausgabe und wieder zurück und hinüber in die Briefe, in die Biographie von Safranski, ins Lexikon und immer so weiter. Immer so weiter. Endlos Schiller. Bis der Winter zu Ende ist. Und das Schiller-Jahr so richtig beginnt.

VOLKER WEIDERMANN

Friedrich Schiller: Sämtliche Werke in 5 Bänden. Auf der Grundlage der Textedition von Herbert G. Göpfert herausgegeben von Peter-André Alt, Albert Meier und Wolfgang Riedel. Hanser Verlag 2004, 150 Euro oder bei dtv für 50 Euro

Sigrid Damm: "Das Leben des Friedrich Schiller - Eine Wanderung". Insel Verlag 2004, 490 Seiten, 24,90 Euro

Rüdiger Safranski: "Schiller oder Die Erfindung des deutschen Idealismus". Hanser 2004. 560 Seiten 25,90 Euro

Kurt Wölfel: "Friedrich Schiller". dtv portrait. 188 Seiten, 10 Euro

Johann Prossliner: Kleines Lexikon der Schiller-Zitate. dtv. 255 Seiten. 6,95 Euro

Friedrich Schiller: "Gedichte" Vollständiger Nachdruck der illustrierten Prachtausgabe von 1859. Taschen-Verlag 2004, 49,99 Euro

Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe ist u. a. bei C. H. Beck, Insel und Hanser erschienen.

Die Schillergeschenkbänder hat der Verlag sanssouci erdacht. ("Friedrich Schiller" in zwei Bändern, 4,90 Euro)

Die Essays und Erzählungen Thomas Manns sind in zahlreichen Ausgaben im Frankfurter S. Fischer-Verlag erschienen.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.10.2004

Das schnupfende Genie
Sigrid Damm erzählt Friedrich Schillers äußeres Leben
Künstler-Biographien sind erfolgsträchtiger denn je. Das Leben ersetzt heute vielen Lesern das Werk eines Autors, dessen Lektüre sie sich ersparen möchten. Nun gibt es Künstler, deren Leben so wechselreich und spannend ist, dass es tatsächlich als „Werk” anmutet. Schiller gehört nicht zu ihnen. Er ist der typisch moderne werkbesessene Künstler, der das Leben für seine Dichtung verbrauchte, es wie eine Kerze an zwei Enden anzündete. Seine gesamte Lebensenergie verströmte er in seinen imaginären Welten. Eine bloße Lebensbeschreibung Schillers wird daher niemals den Kern seiner Künstlerpersönlichkeit treffen.
Was aber macht eine Biographin wie Sigrid Damm, deren Qualität gerade in der Schilderung des Menschlich-Allzumenschlichen besteht, deren Aufmerksamkeit den kleinen Dingen des Lebens gilt, den Nebenschauplätzen, dem Atmosphärischen, den heimlichen Gesten und verborgenen Kammern. Diese Qualität verbürgte den Erfolg ihrer Biographie über Christiane Goethe. Aber Schiller? Er hat kein Tagebuch geführt, hätte niemals Memoiren geschrieben. Für ihn zählte sein Individuum nur, insofern es sich durch Werke und Leistungen von öffentlicher Repräsentanz auswies.
Sigrid Damm hätte sich keinen für sie unpassenderen Gegenstand wählen können. Und sie gesteht sich das auch halbwegs ein. In ihrem ersten Kapitel schildert sie ausschweifend die Schwierigkeiten ihrer Annäherung an Schiller. „Es bleibt nichts als das Werk”, kommt ihr zu Bewusstsein, und sie wiederholt diesen Satz, hier wie da im Kursivdruck, am Ende ihres Buchs. Während sie Schiller als Person voller Anteilnahme, ja nur selten kritisch würdigt, von seiner Menschlichkeit, seinen familiären Tugenden, seiner Kinderliebe etwa eine hohe Meinung hat - über eines weiß sie fast nichts zu sagen: über das Werk, das für ihn allein zählte. Obschon sie das weiß, betont sie: „Nicht das Werk ist Gegenstand meines Buches, es sind die Umstände und Bedingungen seiner Entstehung.”
Im Clinch mit Wallenstein
Nun kann man durchaus der Ansicht sein, dass eine Biographie keine Werkmonographie ist. Aber wenn man nichts über die weltverbessernde und weltverschlimmernde Räuberbande von Karl Moor, nichts von den Menschenrechten hört, die Marquis Posa in der Audienzszene vor König Philipp emphatisch beschwört, nichts von der abgründigen Melancholie Wallensteins, nichts von der politischen Parabel des „Wilhelm Tell”, so stellt sich der unbehagliche Eindruck ein, dass uns hier mehr die Außen- als die Innenseite Schillers präsentiert wird. Allzu wenig erfahren wir von seinen Ideen, um so mehr von seinen Schulden und seinem Schnupfen.
Ein unfreiwillig komisches Beispiel für diese Aussparung des Werks: „,Wallenstein‘. Ich lese das Drama, alle drei Teile.” Die Autorin erfüllt eine „erste Ahnung”, wie „beklemmend aktuell” dieses Drama „am Beginn des dritten Jahrtausends” ist. Neugierig liest man weiter, doch es kommt nichts, was diese Ahnung artikulieren würde. „Ich lese den ,Wallenstein‘ ein zweites Mal.” Wohlbekannte Zitate folgen. Aber wieder traut sich die Verfasserin nicht, ihre eigene Ansicht zum Ausdruck zu bringen. „Ich glaube dem ,Wallenstein‘ näher zu kommen, lese ihn ein drittes Mal.”
Nun kommt sie auf die Idee, sich mit der Forschungsliteratur zu befassen. Unter ihrem Eindruck aber „verblaßt” der Dramentext, seine „Brisanz” - von der wir bisher nicht das Geringste erfahren haben - ist unter philologischem Schutt begraben. Selbst Goethes grandiose, unzitierte „Piccolomini”-Analyse wird als „harmonisierend” abgetan, und dann wird in einer rhetorischen Frage über die Philologen mit Heiner Müller der Kübel des Spotts ausgeschüttet: „Die Verwandlung von Sprengsätzen in Teekannensprüche ist die Leistung der deutschen Misere in der Philologie.”
Zu derartiger Philologenschmähung mag berechtigt sein, wer selbst Substantielles über ein Werk zu sagen weiß, aber was hat Sigrid Damm über das bedeutendste historisch-politische Drama der deutschen Literatur zu sagen? Buchstäblich nichts! Wenn sie sich einmal - selten genug - über eines der Schauspiele Schillers wertend zu äußern wagt, kommen bestenfalls Teekannensprüche dabei heraus, oft nicht einmal das: „Schillers ,Räuber‘ sind das Stück seiner Stücke.” Über „Kabale und Liebe”: „Eine Welt des Schreckens breitet sich vor mir aus, die Menschen erleben und erleiden Schreckliches.” Schillers theoretische Schriften machen sie vollends mundtot.
Da sie also über die Innenseite von Schillers Oeuvre kaum etwas zu sagen hat, begnügt sie sich mit der Nachzeichnung der Entstehungsgeschichte. Daten, Namen, Titel reihen sich in ermüdender Weitläufigkeit aneinander. Und das in einem auf Dauer schwer erträglichen, manirierten Stichwortstil. Zwei Beispiele: „Sein Sichbehauptenmüssen auf dem Literaturmarkt. Marktorientierung. Publikumsstrategien. Verführung durch den Markt. Distanz zu ihm.” Oder Schillers Eindrücke von Goethes „Faust”: „Überwältigtsein. Vom Stück. Berührung durch die Tatsache seiner Geheimhaltung. Nachwelt. Mitwelt.” Mynheer Peeperkorn könnte es nicht besser! Kaum eine andere Biographie dürfte zudem derart mit Zitaten überladen sein wie diese. Der eigene Textanteil der Autorin reduziert sich oft auf bloße Interlinearversionen im Telegrammstil.
Doch, wenn man schon kurz davor ist, das Buch an die Wand zu werfen, kommen immer wieder überraschend anmutige Seiten. Bezeichnenderweise meist dann, wenn von den Nebenpersonen die Rede ist. Über Schillers Mutter, über seinen Vater hat man selten so lebendige und bewegende Porträts gelesen. Und zu Herzen geht es, wenn die Biographin schildert, wie Mörike an das vergessene Grab von Elisabeth Dorothea Schiller auf dem Friedhof von Cleversulzbach geht und in ihren Grabstein ritzt: „Schillers Mutter”. Manchmal hat man den Eindruck: Sigrid Damm flüchtet zu den Nebenpersonen, da ihr „Held” sie doch arg überfordert.
Allerdings: die Atmosphäre zwischen Schiller und Goethe, die allmähliche Überwindung der Fremdheit auf beiden Seiten und das Schwinden des Konkurrenzneides bei Schiller bis hin zur wechselseitigen neidlosen Liebe schildert sie feinfühlig, in Opposition gegen all die griesgrämigen Zweifel, die von den Romantikern bis heute an der Echtheit dieser Freundesliebe geäußert wurden. Höhepunkt der Biographie ist die atmosphärisch dichte Schilderung des Besuchs von Schiller in Goethes Haus am Frauenplan im September 1794 - mit der sich unsichtbar machenden Christiane.
Es tut wohl, einmal nicht zu hören, was Goethe und Schiller geredet haben, sondern wie sie miteinander umgingen, das Ritual ihrer Annäherung und Distanz beschrieben zu finden. Da ist die Autorin in ihrem Element, da schreibt sie plötzlich keine Telegrammsätze mehr, sondern lebendig atmende Prosa. Etwa auch bei der Vorstellung, wie Schiller wohl mit seiner geplanten Verteidigung des Königs in der französischen Nationalversammlung gewirkt hätte.
Solche Miniaturen sind jedoch nur Oasen in dieser gescheiterten Biographie. Gescheitert ist sie nicht nur, weil sie die Innenseite von Schillers Werk verdeckt, sondern weil sie sich ganz aufs Private beschränkt, statt Schillers Leben mit dem Leben seiner Zeit zu verschränken. Das Bildungssystem der Karlsschule, das politische und kulturelle Profil von Herzog Karl Eugen, überhaupt die politisch-sozialen Verhältnisse in den verschiedenen Lebensräumen Schillers bleiben unterbelichtet. Sigrid Damm hat die Privatbiographie eines Autors geschrieben, dem alles Nur-Private verdächtig war, die Beschreibung eines Lebens, das nur dem Werk diente - aber dieses Werk bleibt hier ein weißer Fleck.
DIETER BORCHMEYER
SIGRID DAMM: Das Leben des Friedrich Schiller. Eine Wanderung. Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2004. 500 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensent Rolf-Bernhard Essig blickt schon ins Jahr 2005 - zum 200. Todestag von Friedrich Schiller - und berichtet in einer umfassenden Sammelrezension, was es Neues gibt am Horizont der Schiller-Literatur. Sigrid Damm, so der Rezensent, geht ihren gewohnten Weg, um sich und dem Leser ein Bild von dem Dichter zu machen, und nimmt - ohne die Werke aus den Augen zu verlieren - "den Alltag, die Arbeitsweise, die Menschen um Schiller und seine Person" ins Visier. Bemerkenswert findet der Rezensent nicht nur die Originalität, mit der Damm das Material zusammenstellt, sondern auch die Wirkung dieser Zusammenstellung. In der Tat verbinden sich Nähe und Fremde auf höchst einträgliche Weise, lobt er, wobei die Tatsache, dass sich Damm selbst ins Spiel bringe, den Leser auf ihre eigene "Wanderung" mitnehme, an dieser Wirkung beträchtlichen Anteil hat. Dass Damm "ich" sagt, möchte der Rezensent nicht als selbstgefällige Egozentrik verstanden wissen. Dies verhindere schon die "grundsätzliche Uneitelkeit" der Autorin, die sich ganz "in den Dienst Schillers" stelle und der es gelinge, den Respekt vor dem "Geistesheros und Menschen Schiller" mit jeder Seite wachsen zu lassen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die Schauspielerin und Synchronsprecherin Eva Garg vermittelt ein perfektes Hörerlebnis."