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Ein großer Roman über die Menschen und die Liebe, über Geschichte und Religion: Als Jude organisierte Daniel Stein die Flucht aus einem Ghetto in Polen. Er war Dolmetscher bei der Gestapo, Partisan und Mitarbeiter des NKWD. Dreimal wurde er zum Tode verurteilt, jedes Mal überlebte er. Er konvertierte und ging nach Israel, wo er als Mönch eine Gemeinde nach Vorbild der ersten Christen gründete. Er starb bei einem Unfall, der vermutlich ein getarntes Attentat war. In dem Porträt dieses großen Idealisten spiegelt sich das ganze 20. Jahrhundert. Anhand seiner Person zeigt Ljudmila Ulitzkaja uns…mehr

Produktbeschreibung
Ein großer Roman über die Menschen und die Liebe, über Geschichte und Religion: Als Jude organisierte Daniel Stein die Flucht aus einem Ghetto in Polen. Er war Dolmetscher bei der Gestapo, Partisan und Mitarbeiter des NKWD. Dreimal wurde er zum Tode verurteilt, jedes Mal überlebte er. Er konvertierte und ging nach Israel, wo er als Mönch eine Gemeinde nach Vorbild der ersten Christen gründete. Er starb bei einem Unfall, der vermutlich ein getarntes Attentat war. In dem Porträt dieses großen Idealisten spiegelt sich das ganze 20. Jahrhundert. Anhand seiner Person zeigt Ljudmila Ulitzkaja uns eine andere Welt und gibt zugleich Antworten auf brennende heutige Fragen.
Autorenporträt
Ljudmila Ulitzkaja, geboren 1943 bei Jekaterinburg, wuchs in Moskau auf. Sie schreibt Drehbücher, Hörspiele, Theaterstücke und erzählende Prosa. 1996 erhielt sie in Frankreich für ihre Erzählung 'Sonetschka' den Prix Medicis, 2001 den Booker Prize Rußland und im Jahr 2014 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2009

Zwischen den Stühlen
Das Porträt eines christlich-jüdischen Glaubensdolmetschers im Zeitalter des Holocaust: Ljudmila Ulitzkajas Roman „Daniel Stein”
Ein polnischer Jude, der den Holocaust überlebt, sich taufen lässt, nach Israel auswandert und dort als katholischer Ordensbruder und Judenchrist eine kleine Gemeinde betreut? Das klingt so ausgedacht, dass man eine Jesus-liebt-dich-Mission im literarischen Tarnkostüm befürchtet. Oder will ein übereifriger Konvertit dem Judentum eins auswischen, so wie die evangelikalen „Jews for Jesus”, die den jüdischen Glauben als bloß kulturelle Basis behandeln?
Der aufgeklärte Geist, die religionskritische Alarmglocke, sie seien gleich beruhigt: Dieses Buch hat mit Erweckungskitsch nichts zu tun, es ist weder missionarisch noch frömmlerisch. Ganz im Gegenteil, meist geht es sehr nüchtern zu, oft auch witzig, und mit wachsender Faszination folgt man einer Figur, die aus den schlimmsten Kriegserlebnissen das Beste zu machen versucht.
Der reale Bruder Daniel, dem Ljudmila Ulitzkaja mit ihrer Romanbiographie ein Denkmal setzt, muss so ähnlich gewesen sein: lebenslustig und gänzlich angstfrei, trotz all der Dramatik, die sein Dasein geprägt hat. „Daniel Stein” erzählt die Geschichte eines Mannes, der 1922 in eine deutschsprachige, jüdisch-polnische Familie geboren wurde und bis zu seinem Eintritt in den Karmeliterorden Oswald Rufeisen hieß. Ulitzkaja hält sich an die abenteuerlichen Wechselfälle dieser Biographie: Aus Briefen, Tagebüchern und Tonbandprotokollen setzt sie eine Collage zusammen, die nicht nur einen Lebensweg, sondern zugleich eine spannungsreiche Identitätssuche dokumentiert.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen muss sich Dieter – so heißt er im Roman – von den Eltern trennen und nach Osten fliehen. Im von den Nazis besetzten Weißrussland tarnt sich der Siebzehnjährige als Volksdeutscher, um zu überleben. Ihm gelingt das Unmögliche: Er landet als Dolmetscher zunächst bei der weißrussischen Polizei, dann bei der Gestapo und rettet Hunderte Juden und Partisanen, indem er gezielt falsch übersetzt und die anstehenden Mordaktionen verrät. Aus dem Ghetto der Kleinstadt Mir, die im Roman Emsk heißt, können dreihundert Juden entkommen, doch dann wird Dieter enttarnt und zum Tode verurteilt.
Er kann wieder fliehen und kriecht in eine Strohgarbe auf einem Feld. In der Nacht hört er anhaltende Schüsse: „Das war die Judenaktion. Die im Ghetto gebliebenen Juden wurden erschossen. Das war die schlimmste Nacht meines Lebens.” Die folgenden fünfzehn Monate verstecken ihn die Nonnen eines Klosters, und dort, auf dem Dachboden, beschließt Dieter-Daniel, sich taufen zu lassen. Später geht er zu den Partisanen, arbeitet eine Weile für den sowjetischen Geheimdienst NKWD, reist bei Kriegsende nach Polen und wartet dort in einem Kloster auf eine Ausreisemöglichkeit nach Israel.
Aber der Zweite Weltkrieg und Daniels atemberaubende Überlebensgeschichte sind nur ein kleiner Teil dieses Romans, der schlicht und ergreifend vom Sinn des Lebens handelt. Das gelingt auch deshalb, weil Ljudmila Ulitzkaja fast vierzig Nebenfiguren auftreten lässt, die alle ihre eigene Version von Krieg und Frieden, Liebe und Hass, Unterdrückung und Toleranz in Szene setzen. Die Bühne dieser Geschichten ist Israel, und dabei wimmelt es nur so von sehnsüchtigen oder auch verrückten Gottesanbetern.
Kaum eine Minderheit bleibt ausgespart: Drusen, Russisch-Orthodoxe, arabische Christen, eine litauische Ex-Nonne, radikale jüdische Siedler und ein Eremit in einer Höhle. Der Atheismus hat eine Stimme im Chirurgen Isaak Hantman, der in seinem Tagebuch erklärt, warum moderne Staaten nicht auf religiösen oder nationalen Grundsätzen basieren sollten. Wie schade, dass Ulitzkaja ihn so früh sterben lässt! Und noch eine Leerstelle gibt es zu beklagen: Der Islam ist der blinde Fleck dieses so sehr auf Polyphonie bedachten Buches. Bruder Daniel übt heftige Kritik am Umgang des Staates Israel mit den Palästinensern und integriert den Islam in sein Religionspanorama, doch die muslimischen Araber bleiben eine seltsam gesichtslose Masse ohne individuelle Figur.
Vor allem aber kreist der Roman um das Lebenswerk von Daniel Stein, der sich als Glaubensdolmetscher verstand. Mit seinem Judenchristentum hatte er sich zwischen alle Stühle gesetzt: Den Juden war er nicht jüdisch, den Christen nicht christlich genug. Er wollte die jüdischen Wurzeln des Christentums wieder sichtbar machen und betrachtete deshalb die griechisch-römische Tradition als lästiges Beiwerk, das die urchristliche, paulinische Gemeinde gespalten habe – eine Aufrührersicht, die der Amtskirche überhaupt nicht passt. Was nach historischer Glaubensakrobatik und blutleerer Thesenfechterei klingen mag, wird von der zupackenden Art dieses wunderlichen kleinen Mannes widerlegt, der seiner Pastoralreferentin Pullis strickt und für weltlichen Schabernack durchaus zu haben ist (das Stricken hat er bei den Nonnen gelernt).
Ljudmila Ulitzkaja wurde hierzulande mit bodenständigen Mann-Frau-Geschichten bekannt. In ihrem Buch „Die Lügen der Frauen” (2003) gab es Erzählungen, die man wohlwollend als heiter und ironisch, weniger wohlwollend als klischeehaft und seicht bezeichnen kann. Mit ihren vierzehn Romanen, Kinderbüchern und Theaterstücken hat man Ulitzkaja eine Vielschreiberin genannt, die sich um poetologische Fragen nicht allzu viele Sorgen mache. „Daniel Stein”, aber ist ein ebenso vielschichtiger wie mitreißender Roman über Gott und die Welt – und auch über den religiösen Wahn, der auf der Alleinherrschaft der reinen Lehre beharrt. Daniel stirbt im Dezember 1996, getötet bei einem Autounfall, der, so legt es die Autorin nahe, das Attentat eines extremistischen Siedlers war.JUTTA PERSON
LJUDMILA ULITZKAJA: Daniel Stein. Roman. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Carl Hanser Verlag, München 2009. 496 Seiten, 24,90 Euro.
Die russische Autorin Ljudmila Ulitzkaja Foto: Anita Schiffer-Fuchs
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2009

Ein brutales Erbe endlagert in diesen Seelen

Die russische Autorin Ljudmila Ulitzkaja trifft mit ihrem preisgekrönten Roman über den Gottesmenschen Oswald Rufeisen einen Nerv unserer postsäkularen Ära.

Fünf Heilige ernannte die katholische Kirche bisher zu Patronen Europas. 1999 wurde Theresia Benedicta vom Kreuz in diese Reihe aufgenommen. Mit bürgerlichem Namen hieß die Karmeliternonne Edith Stein, im August 1942 wurde die getaufte Jüdin in Auschwitz ermordet. Diesem Schicksal konnte der Karmelitermönch Bruder Daniel knapp entgehen. Seine Biographie gehört zu den erstaunlichsten Lebensgeschichten, die aus den Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts hervorgegangen sind.

Für die Moskauer Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja wird der Mönch, der nicht zufällig Stein heißt, zum moralischen Paradigma eines "wahren Gottesmenschen", ganz so, wie Dostojewski vor gut hundertdreißig Jahren mit seinem "Idioten" Fürst Myschkin einen "ganz und gar schönen Menschen" schaffen wollte. Ulitzkaja, die in den vergangenen Jahren mit gut lesbaren und mitunter leicht überzuckerten Romanen für eine eher weibliche Leserschaft populär geworden ist, legt mit "Daniel Stein" ein verstörendes und bewegendes Werk vor, das an einen der sensibelsten Nerven unserer postsäkularen Ära rührt - die Suche nach Gott.

In ihrer russischen Heimat wurde sie dafür mit dem renommierten Preis des "Großen Buches" geehrt, hierzulande erhielt sie den Aleksandr-Men-Preis der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. In Russland provozierte das Buch heftige, zum Teil offen antisemitische Reaktionen, die darum kreisten, ob dies überhaupt ein russischer Roman sei, da er weder in Russland spiele noch Russen darin eine wichtige Rolle hätten. Zu allem Übel, so einige Leser, würden die Juden hier das Christentum vereinnahmen.

Letzteres kann man auch anders interpretieren. Die Geschichte beginnt in Mir, einer weißrussischen Kleinstadt. Das festungsartige Schloss aus dem späten Mittelalter gehört seit kurzem zum Weltkulturerbe. Mir bedeutet in den slawischen Sprachen Welt und Frieden. Letzteren haben die einst überwiegend jüdischen Bewohner dieses Schtetls selten erlebt. Im August 1942 ging ihre Welt, ein geistiges Zentrum des heute nur noch legendären Jiddischlandes, endgültig unter. Drei Jahre zuvor hatten die Sowjets die Stadt im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes eingenommen und Schüler und Lehrer der berühmten Talmudschule von Mir in die Flucht geschlagen. Viele Polen, Weißrussen und Juden waren nach Sibirien deportiert worden. Im Herbst 1941, nach dem Einmarsch der Deutschen, ermordeten die Besatzer mit Hilfe weißrussischer Kollaborateure tausendsechshundert Juden. Im Sommer 1942 wurde das Getto von Mir in den Ruinen des Schlosses liquidiert.

Dass es Überlebende gab, grenzt an ein Wunder, zu danken einem Mann namens Oswald Rufeisen. Selbst polnischer Jude und zionistischer Aktivist, hatte er sich mit seinen exzellenten Sprachkenntnissen erfolgreich als Deutschpole ausgeben können und diente den Deutschen als Dolmetscher. Er versorgte den jüdischen Untergrund mit Waffen, warnte vor Deportationen und animierte, nachdem er Zeuge eines Telefonats über die geplante Gettoliquidierung wurde, die Menschen zur Flucht in die Wälder. Danach musste auch er fliehen und versteckte sich über Monate in einem Kloster der Karmeliternonnen, wo er das Neue Testament las und zum katholischen Glauben übertrat. Später schlug er sich zu den Partisanen durch, die ihn der Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten beschuldigten. Ein Arzt aus dem Getto bewahrte ihn vor der geplanten Exekution. Gegen Ende des Krieges arbeitete Rufeisen für die Sowjets, indem er ausgerechnet jene Dokumente, die er einst ins Deutsche übersetzt hatte, nun ins Russische übertrug, um Verräter zu entlarven. Unmittelbar nach dem Krieg wurde er in Krakau zum Priester geweiht. Seither nannte er sich Bruder Daniel.

Es hatte damals nur einen Mitbewerber um die Priesterweihe gegeben: einen Schauspieler namens Karol Wojtyla. Ende der fünfziger Jahre ging der Name des Karmelitermönches Daniel durch die Presse, weil ihm der israelische Staat, in den er inzwischen übergesiedelt war, um dort eine kleine Gemeinde bei Haifa zu führen, die Einbürgerung auf Grundlage des Heimkehrgesetzes wegen seiner Konversion verwehrte. Eingebürgert wurde er als Einwanderer, nicht aber als Jude und Holocaust-Überlebender, als der er sich fühlte. In Israel suchte Bruder Daniel bis zu seinem Tod den historischen Graben zwischen Juden und Christen zu überbrücken, indem er die christlich-jüdische Urgemeinde von Jakobus dem Gerechten in Liturgie, Glaubensritualen und hebräischer Sprache zu erneuern suchte, was Dogmatiker in der Kirche skeptisch beobachteten. Ende der neunziger Jahre kam der Mönch bei einem Autounfall ums Leben, hinter dem manche einen Anschlag vermuteten.

Bei Ulitzkaja heißt Oswald Rufeisen Daniel Stein und die Stadt Mir Emsk, was darauf schließen lässt, dass es der 1943 im baschkirischen Exil geborenen Autorin nicht um eine Biographie des jüdischen Retters und christlichen Paria ging. Vielmehr werden in einer geschickten Montage gut zweihundert fiktive Dokumente Dutzender erdachter wie historisch verbriefter Personen zu einem Mosaik zusammengesetzt, dessen Gravitationspunkt der Mönch bleibt, das aber über seine charismatische Figur hinausweist.

Die ihn umgebenden Mitglieder dieser zufälligen Familie aus Gottes- und Wahrheitssuchern, zusammengehalten durch die Erfahrung der Entmenschlichung, streben mit einer Ausnahme nicht nach Vergeltung, nicht nach Schuldsuche, sondern nach Vergebung und Liebe. Sie alle sind Ausgestoßene, angefangen von Stein selbst, über die unbelehrbare jüdisch-polnische Kommunistin im israelischen Altersheim und ihre in Amerika lebende, in polnisch-katholischen Waisenhäusern aufgewachsene Tochter, einen russisch-orthodoxen Priester jüdischer Herkunft, die deutsche Pfarrgehilfin im Dienste der jüdisch-christlichen Idee bis hin zum christlichen Araber, der mit seiner Familie einem Terroranschlag zum Opfer fällt. Sie haben den Holocaust, Krieg, stalinistische Lager, kommunistische Repressionen und Vertreibung als Opfer, Beteiligte oder als Kinder von solchen erlebt. Zu Wort kommt sogar die Ehefrau des weißrussischen Schlächters von Mir, die diesen heiratete, um ihre polnische Familie vor Deportation und Tod zu bewahren. Selbst der Sohn des deutschen Gestapochefs von Mir taucht, Jahrzehnte nachdem sein Vater den Befehl zur Liquidierung des Gettos gab, in einer Gruppe deutscher Pilger, die Stein durch Israel führt, auf. Es ist also nicht der moderne Selbstfindungsdiskurs, sondern es sind die Hinterlassenschaften eines brutalen Jahrhunderts, die in diesen Seelen endlagern und die die Suche nach Gott und Versöhnung initiieren. Das durch Krieg und den politisch instrumentalisierten ethnisch-religiösen Zwist geschundene Heilige Land, wo sich ihre Wege kreuzen, wird dabei selbst zur Hiobsmetapher.

Nicht jedem wird der menschelnde Ton des Buches zusagen, der noch den miesesten Schlächtern eine gewisse Absolution erteilt, und so mancher wird über das Aufgebot an wahrlich Dostojewskischen Exzentrikern mit dem Kopf schütteln, wie dem russisch-jüdischen Ehepaar aus orthodoxem Priester und katholischer Nonne, die in ihrem mit Downsyndrom geborenen Sohn den Messias erkennen wollen.

Für Bruder Daniel ist die Kirche, in erster Instanz die katholische, den Juden gegenüber schuldig geworden. Ihre Verfolgung, versinnbildlicht im Bild der zwischen zwei Kirchen hingeschlachteten Opfer von Emsk/Mir, musste die Christenheit mit Schismen und Kriegen bezahlen. In einem Gespräch mit dem polnischen Papst plädiert der streitbare Mönch für eine Abkehr der Kirche von Dogmen und Macht und für die Hinwendung zum Menschen. Am Ende bleibt Steins Lebensmaxime Utopie, nach seinem Tod zerfällt seine Gemeinde, die Kirche auf dem Berg verwaist. Ihn selbst quälten zeit seines Lebens nur zwei Fragen: Woran glaubte Jesus, und war es rechtens, zwei Menschenleben zu opfern, darunter das eines Unschuldigen, um Hunderte andere zu retten?

Die Schicksale berühren nachhaltig, die moralische Konsequenz des christlichen Existentialismus irritiert. Muslime tauchen in Ulitzkajas Israel nur als anonyme Bedrohung auf, und einer der wenigen Gottes- und Wahrheitssucher jüdischen Glaubens, Daniels geistiger Gegenspieler, ein russischer Einwanderer und militanter Siedler, der Jahre in sowjetischen Lagern verbrachte, wird zum Terroristen. Ausgerechnet sein Sohn, zerbrochen am Fanatismus des Vaters und in psychiatrischer Behandlung, erscheint am Ende als geistiger Erbe Steins. Wie immer man diesen Roman interpretiert - russischer könnte er nicht sein.

SABINE BERKING

Ljudmila Ulitzkaja: "Daniel Stein". Roman. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Hanser Verlag, München 2009. 490 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit viel Lob bedenkt Jutta Person diesen Roman über das Leben des christlich-jüdischen Mönchs Daniel Stein von Ljudmila Ulitzkaja. Sie sieht darin auch ein Denkmal für Oswald Rufeisen, dem realen Vorbild von Daniel Stein. Die Befürchtung, bei der Geschichte dieses polnischen Juden, der als Dolmetscher für die Gestapo und für den sowjetischen Geheimdienst arbeitete und vielen Juden das Leben rettete, sich später taufen ließ und in Israel als katholischer Ordensbruder und Judenchrist eine kleine Gemeinde betreute, handle es sich um "Erweckungskitsch?, erweist sich für Person als grundlos, das Buch ist in ihren Augen "weder missionarisch noch frömmlerisch?. Im Gegenteil: der Roman scheint ihr recht nüchtern und oft auch komisch. Zunehmend fasziniert zeigt sie sich von der Figur des Daniel Stein und dessen wechselvoller Biografie, die Ulitzkaja aus Briefen, Tagebüchern und Tonbandprotokollen collagenhaft zusammensetzt. Sie hebt hervor, dass der Zweite Weltkrieg und die unglaubliche Überlebensgeschichte Steins nur einen kleinen Teil des Romans ausmachen, der in ihren Augen "schlicht und ergreifend? vom Sinn des Lebens handelt. Dies gelinge der Autorin auch deshalb so überzeugend, weil sie fast vierzig Nebenfiguren auftreten lasse, "die alle ihre eigene Version von Krieg und Frieden, Liebe und Hass, Unterdrückung und Toleranz in Szene setzen?.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr
Ein bewegender Roman über die Menschen und die Liebe, über Geschichte und Religion. buechertreff.de 20120210