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Es beginnt mit einer Liebesgeschichte im modernen Europa und endet mit einer Flucht in eine andere Welt: Als der Erzähler merkt, dass seine verführerische Geliebte Manon noch immer ein Verhältnis mit einem berühmten Maler hat, nimmt er einen Auftrag an, der ihn nach Indien führt, um den Palast eines Königs in ein modernes Hotel umzubauen. Die Begegnung mit dieser traumhaften Welt hilft dem Unglücklichen auf neue Gedanken zu kommen - bis ihm Manon in den fernen Palast folgt und ihre Geschichte neu zu beginnen scheint ...

Produktbeschreibung
Es beginnt mit einer Liebesgeschichte im modernen Europa und endet mit einer Flucht in eine andere Welt: Als der Erzähler merkt, dass seine verführerische Geliebte Manon noch immer ein Verhältnis mit einem berühmten Maler hat, nimmt er einen Auftrag an, der ihn nach Indien führt, um den Palast eines Königs in ein modernes Hotel umzubauen. Die Begegnung mit dieser traumhaften Welt hilft dem Unglücklichen auf neue Gedanken zu kommen - bis ihm Manon in den fernen Palast folgt und ihre Geschichte neu zu beginnen scheint ...
Autorenporträt
Martin Mosebach, geboren 1951 in Frankfurt am Main, lebt dort als Schriftsteller nach dem Studium der Rechtswissenschaften. Zahlreiche Buchveröffentlichungen. Auszeichnungen: 1980 Förderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung, 1999 Heimito-von-Doderer-Preis und 2002 Heinrich-von-Kleist-Peis, 2006 Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, 2007 Georg-Büchner-Preis, 2013 den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2005

König, Dame und Kuh
Frankfurt - Indien und wieder zurück: Martin Mosebachs Roman "Das Beben" besticht durch elegante Lakonie, feinen Humor und unnachahmlichen Stil

Alles unterhalb des Trompetenstoßes wäre kleinlich und verfehlt. Martin Mosebachs neues Buch "Das Beben", ein komischer, reicher und tiefer Roman, enthält eine Handvoll Passagen, der unsere Kinder und Kindeskinder später in Lesebüchern begegnen werden. Wer schon heute in ihren Genuß kommen will, suche nach den Abschnitten, die jetzt noch unbetitelt sind: Wie der Held schlechten Gewissens eine Katze hypnotisiert. Wie er eine Nacht lang in der Wohnung seiner Geliebten vergeblich auf deren Heimkehr wartet. Wie die Geliebte, als sie sich unbeobachtet glaubt, in mystischer Wonne die Bläschen einer Verpackungsfolie zerquetscht. Es sind oft nur halbe Seiten, und sie sind unvergeßlich. Aber das ist auch der ganze Roman.

"Das Beben" ist in drei Bücher eingeteilt. Das erste Buch spielt im ungenannt bleibenden Frankfurt, die zwei folgenden in Indien, wohin der Held aus beruflichen Gründen und enttäuschter Liebe flieht. Das erste Buch, fast eine Novelle für sich, ist das Beste, was dieser Autor überhaupt geschrieben hat. Der Ich-Erzähler verliert sich in eine Affäre mit der Architektentochter Manon, der Mätresse eines bekannten bildenden Künstlers, dem Manon, wie sich herausstellt, immer noch hörig ist. Das zweite Buch zeigt den enttäuschten Erzähler in einem indischen Palast, aber das gibt eine falsche Vorstellung. Er ist ein Architekt, der Luxushotels entwirft, und ein solches soll aus dem Frauenflügel des alten Forts in Sanchor entstehen. Aber der Palast ist halb verfallen, das ehemalige Königreich liegt in der hintersten Provinz und ist wasserarm, kein Mensch wird sich hierherverirren; der Plan ist eine Farce. Und so wie Hans Castorp im Hotel Berghof bald aufhört, in seinem Handbuch "Ocean Steamships" zu blättern, läßt unser Held bald seine Pläne zum Umbau der Palastanlage liegen. Denn auch er ist in den Bannkreis einer höheren Macht gelangt, dem er erst im dritten Buch, das ihm das Wiedersehen mit Manon beschert, im überraschenden Finale entkommt.

Wer ihn fesselt und zeitweise sogar Manon vergessen läßt, ist der König, die Titelfigur des zweiten Buches. Dieser König blickt auf eine Tradition von Jahrtausenden zurück und hat die Lebensform der abstrakten Größe zu um so feinerer Kunst ausgebildet, als alle äußeren Umstände ihr widrig entgegenstehen. Indien ist eine Demokratie, der König hat keinerlei offizielle Macht und keine Rupie in der Staatsschatulle. Das bestärkt His Highness nur im Bewußtsein ihrer überzeitlichen Würde. Die königliche Hoheit oder "Hiseinis", wie sie in indischem Englisch genannt wird, verkörpert das Überzeitliche und Unzeitgemäße schlechthin. Als Kontrast und Hintergrund dient ihr das Nebenpersonal mit seinen außerordentlich komischen Figuren des Zeitgeists - einem glatzköpfig virilen und aufgeblasenen Literaten oder dem in Sanchor absteigenden Berufspolitiker der Grünen, der seinem über "Verspannung" klagenden zehnjährigen Sohn Joram den Nacken massiert - ",Tiefer', befahl der Sohn mürrisch."

Hiseinis ist nicht die einzige Hauptfigur. Es sind ihrer drei, besser gesagt, die Hauptfigur ist eine dreifaltige: König, Dame und Kuh. Mit vielen halbtransparenten Fäden wird um diese Trias ein Schleier gewoben, der sie gemeinsam bedeckt und verhüllt. Der indische König ist so groß und überflüssig wie die hellgraue Kuh, die den Erzähler in der Flughafenhalle empfängt. Ihr, der heiligen Kuh, gilt das schon heute klassisch anmutende Eingangskapitel des zweiten Buchs. Sie ist das Wesen, in dem das Phänomen der Heiligkeit sich großäugig und gelassen im Alltag offenbart.

Nicht nur der Augenschnitt - aber gewiß kein misogyner Scherz - verbindet das heilige Tier mit der vom Erzähler angebeteten Frau. Manon ist auf der einen Seite eine individuelle Figur, wie sie in ihrer Lebendigkeit nur ein Autor von wahrer Beobachtungsgabe schaffen konnte. Es genügen vier oder fünf Details, aber es müssen die richtigen sein, und der Leser sieht Manon vor sich, in ihrer reizenden Konfusheit, wie sie im Restaurant zwischen ihren Telefonaten dem Liebhaber begeistert lauscht und dabei von seinem Teller ißt oder sich im Hotelbett wie ein Fisch unter ihm wegwindet. Auf der anderen Seite hat die rätselhafte Unruhe dieser Frau einen mythischen Hintergrund. Manon ist, wie dem Erzähler im Traum aufgeht, das schöne Vogelmädchen aus Tausendundeiner Nacht, dessen Gefieder geraubt und in einer Kiste verschlossen wurde; all ihr heimliches Streben gilt dem Ziel, ihr Federkleid wiederzugewinnen und ihren Schwestern nachzufliegen. Mosebach erzählt diese Urgeschichte ganz realistisch; der Mythos tritt so detailgenau ins Leben wie die heilige Kuh, deren Mittagessen aus einem Pappkarton besteht, der Tintenpatronen für Kopiergeräte enthalten hatte.

Diesem Autor ist alles schal Idealische und Mythisierende fremd. Gerade darum gelingt ihm ein zweites Mal eine mythische und doch in jedem Grashalm wirklichkeitszitternde Passage, von der man nie geglaubt hätte, daß sie zu bewältigen wäre, ohne daß die Furien des Kitsches auf sie herabschössen. Der junge König folgt einem blau-rot schillernden, verschleierten jungen Mädchen aus der Schneiderkaste, das vor ihm flieht und auffordernd mit den Händen klatscht; er rennt ihm über Dornen und Gestrüpp hinterher, watet durch einen Bach, verliert die Schöne aus den Augen und sieht hinter Büschen wieder das Blau-Rot; als er sie endlich stellt, verändern sich plötzlich ihre Augen, und wachsend, weißglühend und mit Brustwarzen, die sich wie kleine Schlangenköpfe bewegen, enthüllt sie sich als Göttin, wischt dunkles Blut aus ihrem Schoß auf seiner Stirne ab und macht, daß ihm schwarz vor Augen wird. Die Verwandlung eines Schneidermädchens in eine strahlende Göttin entspricht der unmerklichen Verwandlung einer realistischen Szene in ein mythisches Bild. Wofür man den Begriff "Apotheose" hat, wird auf zehn Seiten nicht behauptet, sondern vorgeführt.

Vor jenen Furien wäre Mosebach allein schon durch sein Temperament gewappnet, das genuin humoristisch ist. Man darf sich vom begeisterungsfähigen Erzähler nicht darüber täuschen lassen: "Das Beben" steckt voll vielfältiger objektiver Ironie. Dieser Ironie entkommt keine Figur und schon gar keine Meinungsäußerung. Der König mag ein Symbol des überzeitlich Heiligen sein, aber er ist selbstgerecht, hat keinen Funken Humor und deutet sogar Erdbeben als Ausflüsse der Demokratie. Die nach Freiheit gierende Frau, die ihn in die Knie zwingt, kehrt am Ende zu ihrem monströsen Kunst-Gaukler zurück. Alle Pläne sind Rauch. Jede Bewegung nach außen mündet nach kleinen Beben und Turbulenzen ins alte Innere zurück. Nicht einmal die Frankfurter Wohnung wird zu Ende renoviert.

Die rhetorische Grundfigur dieses Buches ist nicht zufällig die Antiklimax. Man könnte einen Essay allein über Mosebachs Kunst der Kapitelenden schreiben. Wenn es jeden Autor in den Fingern juckt, am Schluß etwas Weihrauch ins Feuer zu werfen und dem letzten Satz Pathos und Aplomb zu geben, so übt sich Mosebach in Hiseinis-gleicher Selbstbeherrschung. Bei ihm dreht sich das Finale lakonisch zur Seite. Von dieser leisen, eleganten Lakonik geht etwas aus, zu dem nur wenige Schriftsteller in der Lage sind.

Aufs Ganze übertragen, hätte dem Roman sogar noch mehr Lakonik genützt. Im Mittelteil hätte man dem Autor ein paar Striche gerne verziehen und mit einem Palastflügel weniger vorliebgenommen. Verglichen mit dem "Nebelfürst", Mosebachs furiosem Buffo-Roman über einen Hochstapler zur Kaiserzeit, ist "Das Beben" womöglich nicht ganz rund. Aber ein so eigenwilliges und solitäres Buch kann nicht ohne eigene Schwächen sein. Eine kleine liegt vielleicht auch darin, daß der Erzähler als Planer von Luxushotels doch etwas zu viel Kunstsinn, Philosophie und Literatur im Leibe hat. Es ist ein Problem vieler Romane, deren Helden nicht gleich Schriftsteller sind: Sie wissen mehr, als sie wissen dürften; und es wäre schade darum, wenn sie es nicht wüßten. Ein anderes Problem liegt in der Konstruktion. Die zwei Teile des Romans, der deutsche und der indische, sind fachmännisch mit Nut und Feder verzahnt, aber es bleiben zwei Teile.

Was nicht heißen soll, daß Mosebach seine Motive nicht ganz genau im Auge behält. Im Gegenteil ist er ein ausgefuchster Weber und Kompositeur. Wie er eine Liebesgeschichte abbricht und, um einen Kontinent versetzt, mit dem Anblick der heiligen Kuh wieder anheben läßt - darauf mußte man kommen. Viel wichtiger ist freilich etwas anderes. Nietzsche wußte es noch und bekannte es in einer Mischung aus Klage und Stolz: Wie schwierig es sei, eine Seite vollkommener Prosa zu schreiben. Martin Mosebach ist einer der wenigen Autoren, der noch einen Begriff von dieser Schwierigkeit hat. Ein falsches Wort, und die Seite ist verkleckst, eine Alliteration zuviel, und der Stil schlägt um in die Manier, ein schiefes Bild, und das Kapitel kippt.

Und das ist noch der einfache Teil. Die eigentliche Schwarze Kunst liegt in etwas kaum Nachweisbarem, dem Sinn für Rhythmus und Klang. Der Rhythmus in der Prosa ist noch schwieriger zu meistern als in der Lyrik. Wenn man ihn bemerkt, leiert er schon und der Autor hat schon verloren. Der Rhythmus muß sich wie der Meeresgott immerzu verwandeln und den Satzwellen anschmiegen. Mosebachs proteische Prosa ist perfekt rhythmisiert, wie man beim lauten Vorlesen überprüfen kann. Sie ist nah am Gesprochenen, wunderbar klar und frei von dem Grauschleier, der durch die Verwendung des naheliegenden Fremdworts, der kurrenten Wendung entsteht. Diesem Autor fallen auf jeder Seite drei Details ein, um die man ihn ehrlich beneidet. Aber ebenso wichtig ist, was er unterläßt. Stil ist beides, Fülle und Vermeidung. Je größer der Stilist, desto länger seine innere Liste des Verbotenen. Mosebachs unsichtbare Liste hat man sich wie ein Leporello vorzustellen. Seine Prosa, frei von Jargon, farbig funkelnd, klangschön, wissensprall und voller Witz, schreibt ihm heute niemand nach. Um den Zeitgeist hat er sich nie geschert, aber daß Mosebachs Zeit kommen wird, ist eine so wenig gewagte Prophezeiung wie die, daß in der Kirche irgendwann ein Amen fällt.

Martin Mosebach: "Das Beben". Roman. Hanser Verlag, München 2005. 412 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.08.2005

Das Aufrauschen des Königtums
Silberstaub im Satzgewebe: Heute erscheint Martin Mosebachs neuer Roman „Das Beben”
Das Schlachten heiliger Kühe ist eine Lieblingsbeschäftigung der neuzeitlich-westlichen Zivilisation. Auch die aktuellen Reformritter verwenden die Metapher gern, ohne sich ihres kolonialherrlichen Untertons bewusst zu sein. Eines der schönsten Kapitel in Martin Mosebachs neuem Roman weist den metzgerhaft-blasphemischen Umgang mit unbegriffenen Kulturtraditionen ein für allemal in die Schranken: Die „Anbetung der heiligen Kuh”, deren tieferer Sinn sich dem Erzähler auf einer Indienreise offenbart, wird hier als Remedium für Deutschland und die ganze Welt imaginiert: „Wohl keines unserer Übel würde nicht wenigstens gelindert durch die heilige Anwesenheit der mütterlichen, gedankenversunkenen Tiere”.
Der reizende Tagtraum von Kuh-Szenen auf der Autobahn, bei Fernsehdebatten oder „in unseren höllenmäßigen Häuschen-Vororten” gipfelt in einem Beispiel von stupender Aktualität: „Man stelle sich eine Wahlversammlung vor mit einem berühmten Politiker, von Fähnchen und Lautsprechern eingerahmt, seine kunstvoll kalkulierte Rede routiniert abwickelnd - und vor ihm schreitet bescheiden und würdig und voller Güte eine heilige Kuh vorbei. Wäre nicht, so scheint es mir zwingend, jedes seiner geschliffenen, in Parteigremien prämeditierten Worte augenblicklich geradezu fundamental in Frage gestellt, durch das bloße stumme Vorbeiziehen der Kuh? Nur sehr wenig in unserer Welt würde der Gegenwart der heiligen Kuh standhalten. Es liegt im Vermögen der Heiligkeit, durch bloße Anwesenheit die richtige Rangfolge herzustellen oder wiederherzustellen.” Was im übrigen, Mosebach zufolge, auch für andere Erscheinungsformen des Heiligen gilt. Sie dürfen jedoch nicht zu klein und unauffällig sein, sollen sie ihre Funktion als „Sand im profanen Getriebe” erfüllen können.
Der Roman „Das Beben” ist umfangreich und sonderbar genug, um als Sand im Literaturgetriebe einiges Zähneknirschen hervorzurufen. Der Verfasser, der ein Renommee als „Ungleichzeitiger” unter den deutschen Gegenwartsautoren zu verteidigen hat, nimmt sich abermals die Freiheit, eine exotische Geschichte in provozierend konventioneller Manier zu erzählen, und dabei eine Diktion von so altmodischer Eleganz zu pflegen, Essayistisches und Romanhaftes so dreist zu mischen und seine Ironie so fein zu pulverisieren, dass man oft genug zweimal hin-schauen muss, um den Silberstaub im Satzgewebe zu entdecken. Bei aller Formbewusstheit im sprachlichen Detail aber scheut er sich nicht, im Ganzen den Ein-druck des Bruchstückhaften, Inhomogenen, ja Unstimmigen zu erzeugen.
Die Hotelisierung der Welt
Das beginnt bei der Figur des Erzäh-lers. Er ist Architekt, noch jung, doch kein Grünschnabel mehr, mit eigener Firma, die sich erfolgreich auf den Umbau von Schlössern, Klöstern und anderen verfallsbedrohten Monumenten zu Luxusherbergen spezialisiert hat. Er verfügt nicht nur über solides kunsthistorisches Wissen und ein hoch entwickeltes ästhetisches Sensorium, sondern auch über intellektuelle Distanz zur eigenen Tätigkeit: „Ich nehme an einem der wirkungsvollsten Anschläge der europäischen Kultur teil: an der Hotelisierung der Welt.” Sein Reflexionsniveau entspricht dem des Autors, wohingegen seine amouröse Verstrickung, von der das erste der drei „Bücher” des Romans han-delt, das Niveau beider Herren auf kuri-ose Art zu unterschreiten scheint.
Natürlich strotzt die Literaturge-schichte von Beispielen dafür, dass die klügsten Männer zu Deppen mutieren, wenn sie weiblichen Reizen erliegen, doch in diesem Fall wird die Vernarrtheit des Helden und seine Neigung, sich an der Nase herumführen zu lassen, weder psychologisch noch strukturell plausibel. Manon, die blutjunge Tochter eines berühmten Architektenkollegen, ist schön und kapriziös, bleibt aber als Figur seltsam blass und uninteressant, so dass ihre Machenschaften zwar den Erzähler fesseln, im Leser aber eher Ungeduld schüren. Die deutliche Anspielung auf Manon Lescaut, die treulose und opportunistische Femme fatale des Abbé Prévost, lässt die Konstellation noch abgedroschener wirken, statt sie zu adeln. Nein, diese Geschichte kann den Roman nicht tragen, auch wenn sich in ihrem Umfeld hübsche Porträts und Karikaturen entfalten, die einer Gesellschaftskomödie würdig sind.
Da ist etwa der betagte Kunst-Guru, gekreuzt ungefähr aus Friedensreich Hundertwasser, Ernst Fuchs und André Heller, mit dem Manon, erotisch vom Papi-Komplex gesteuert, eine leicht bizarre Beziehung unterhält. Da ist ihr ange-jahrter, stockschwuler, mit Mannheim-Ludwigshafener Dialekt geschlagener Friseur, Herr Haag. Und da ist der sport-lich trainierte Dichter Ivan Schmidt, der seit Jahren an seinem bahnbrechenden Werk über einen Diurnisten arbeitet - es handelt sich dabei um den Fachterminus für das Personal der mittlerweile ausge-storbenen unterirdischen Badehäuser in Großstadtbahnhöfen. Mit Schmidt führt der Erzähler eine Literaturdiskussion, in deren Verlauf der Satz fällt: „Uns allen hängen Romane, die sogenannten gut gemachten Romane, zum Hals heraus.”
Wohlan, dies ist kein gut gemachter Roman im üblichen Sinne, aber das Beste kommt erst noch. Denn der Hotelbaukünstler ist kein Chevalier Des Grieux, den der Liebeswahnsinn bis zur Selbstaufgabe treibt. Nachdem Manon ihn grundstürzend enttäuscht hat, ist er gleichwohl fähig, sich in Ausübung seines Berufes nach Indien zu begeben, wo der Herrscher eines Miniatur-Reiches im südlichen Radjastan einen seiner Paläste für touristische Zwecke nutzbar machen möchte. Es folgt das zweite und längste „Buch” des Triptychons, eine ebenso handlungsarme wie substanzreiche Mischung aus Reisebericht und Traumphantasie, postkolonialer Elegie und kulturkritischer Satire.
Hier ist der Erzähler, der im Buch „Manon” nicht recht zu sich selbst fand, in seinem eigentlichen Element, denn er hat ein Objekt gefunden, das zwar nicht sei-ne Begierde, dafür aber sein tiefes Interesse erregt - den König. Und zwar so-wohl den regierenden Maharao des fiktiven, heruntergekommenen Kleinstaates Sanchor, den er nun für eine Weile beobachten darf, als auch das Königtum schlechthin, jene obsolet gewordene und doch nachhaltig faszinierende Institution, die sich hier, wiewohl in den letzten Zügen, noch einmal in voller Größe zeigt. Und so dürfen wir getrost als Motto des Romans lesen, was ein junger algerischer Handwerker am Ende des ersten Buchs beiläufig äußert: „J‘aime les rois.”
Mythos und Gegenwart Indiens, Skurrilität und Würde des Herrschertums, Zauber und Zerfall seiner baulichen Insignien sind in diesen Kapiteln bildkräftig und tragikomisch aufgehoben. Dass der Architekt, dessen Projektplanung übrigens konsequent ins Leere läuft, zwischendurch symbolgeschwängert von Manon träumt und sich vorübergehend von einer Hamburger Restauratorin erotisch beflügelt fühlt, stört nicht weiter.
Don Quijote im Schillerkragen
Ungleich anregender sind aber die Zeremonien und Rituale um den König herum, in denen sich „Ruhe, Warten, Zerstreutheit, Strukturlos-Werden der Zeit mit einem Aufrauschen, einem Überschäumen von festlicher Bewegung" abwechseln. Der König hat einen Körperbau wie Don Quijote, trägt Schillerkragen und ist doch von der europäischen Kultur um Lichtjahre entfernt. Aus dieser Position heraus kann er verblüffende, zur Kontemplation herausfordernde Einsichten formulieren, etwa über den Irak-Krieg oder die Defizite der Demokratie.
Am Ende werden die beiden Liebesobjekte, Manon und der König, zusammengeführt: Das Erdbeben, das im Zentrum des zweiten Buchs den Palast erzittern ließ, war nur die Vorwarnung für das „Königsbeben” im dritten. Wer aber inzwischen den luftigen Unernst des gan-zen wunderlichen Gebildes nicht erkannt hat, dem ist ohnehin nicht zu helfen. KRISTINA MAIDT-ZINKE
MARTIN MOSEBACH: Das Beben. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2005. 414 Seiten, 24,90 Euro.
Manchmal verlieren sich europäische Helden in fernen Gefilden: Im neuen Roman des deutschen Schriftstellers Martin Mosebach gerät ein deutscher Architekt in ein indisches Märchen: Darin werden die heiligen Kühe nicht geschlachtet. Aber sie sind von postkolonialer Halbtrauer erfasst.
Foto: Angelo Hornak/Corbis
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "eigenwillig solitäres" unvergessliches Buch feiert Rezensent Michael Maar Martin Mosebachs neues Werk. Allein schon Mosebachs "Kunst der Kapitelenden" könnte aus Sicht des Rezensenten ein dankbares Essay-Thema sein. Beeindruckt schildert Maar außerdem Passagen, die er "mythisch" und doch "in jedem Grashalm wirklichkeitszitternd" findet. Kurz: Mosebachs Prosa ist aus Sicht des Rezensenten so formvollendet, wissend und auch witzig, dass sie den den Autor als literarische Ausnahmeerscheinung auszeichnet. Der Roman ist Maar zufolge in drei Teile eingeteilt. Teil eins, für den Rezensenten ein Höhepunkt des Mosebachschen Werks überhaupt und beinahe eine eigene Novelle, spiele im allerdings nicht erwähnten Frankfurt und schildere die unglückliche Liebesgeschichte seines Helden. Die beiden folgenden Teile spielten in Indien, wohin der Held wegen Beruf und Liebesschmerz geflohen sei. Mit großer Fabulierlust und Freude an Handlung und Figuren streift der Rezensent durch das Erzählgebäude des Romans und verleiht Mosebachs vollkommener, rhythmischer Prosa am Ende das ehrenvolle Etikett "Schwarze Kunst".

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