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Was ist geblieben von fünfzig Jahren deutschsprachiger Literatur? Norbert Niemann, Schriftsteller, und Eberhard Rathgeb, Kritiker, stellen zusammen, was heute noch Sprengkraft besitzt, und lassen weg, was nur noch museal wirkt. Mit ihrer Auswahl und ihren Kommentaren, mit berühmten und vergessenen Namen setzen sie neue Akzente. Die Kombination aus Originaltexten, Einführungen zu den Autoren und konzentrierter Epochendarstellung ergibt ein spannendes Lesebuch.

Produktbeschreibung
Was ist geblieben von fünfzig Jahren deutschsprachiger Literatur? Norbert Niemann, Schriftsteller, und Eberhard Rathgeb, Kritiker, stellen zusammen, was heute noch Sprengkraft besitzt, und lassen weg, was nur noch museal wirkt. Mit ihrer Auswahl und ihren Kommentaren, mit berühmten und vergessenen Namen setzen sie neue Akzente. Die Kombination aus Originaltexten, Einführungen zu den Autoren und konzentrierter Epochendarstellung ergibt ein spannendes Lesebuch.
Autorenporträt
Norbert Niemann, geboren 1961, studierte Literatur, Musikwissenschaft und Geschichte und spielte als Jazz- und Rockmusiker. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Chieming. 2015 wurde Norbert Niemann mit dem "Carl-Amery-Literaturpreis" ausgezeichnet - er sei, so die Jury, "einer der profiliertesten Analytiker der Gegenwart. In seinen Romanen, Essays und Kommentaren verschränkt und befragt er mediale Realität und Alltagsgeschehen auf kritische Weise. Stets auf der Höhe der Zeit reflektiert dieser Erzähler die Essenz postmoderner Diskurse ebenso wie die klassische Diktion von Romanen im Geiste der Aufklärung ..."
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2003

Das Meer in handlichen Phiolen
Norbert Niemanns und Eberhard Rathgebs „Inventur” der deutschen Literatur nach 1945
Der Schriftsteller Norbert Niemann und der Literaturkritiker Eberhard Rathgeb haben ein Buch herausgegeben, das knapp sechzig Jahre deutsche Literatur sichtet, auswählt, präsentiert und ankommentiert. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die unmittelbare Gegenwart: „Inventur. Deutsches Lesebuch 1945 - 2003”. Die sechs Jahrzehnte sind aufgeteilt in sechs Kapitel, Zeit- oder Epochenabschnitte, welche je eingeleitet werden durch eine knappe Skizze, die die prägenden politischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Strömungen umreißt. Jedes Kapitel umfasst wiederum um die achtzehn Autoren, die durch eine kurze Hinführung der Herausgeber und einen höchstens vierseitigen Ausschnitt aus ihrem Werk vorgestellt werden.
Was dieses Buch sympathisch macht, ist sein Verzicht auf Strenge. Aber das Sympathische ist ja nur selten auch das Interessante. So fehlen in diesem Buch natürlich Autoren, von denen der eine oder andere Leser mit Recht behaupten könnte, sie gehörten unbedingt da hinein. Man wird sich gleichwohl nicht groß darüber erregen, denn diese Autoren fallen in „Inventur” gewissermaßen völlig lautlos hinten herunter – ohne demonstrativen Gestus, ohne programmatischen Furor. Es ist auch nicht so, dass die Auswahl der vertretenen Autoren ein so scharfes Profil umrisse, dass es gleichzeitig die Negativ-Selektion der Verschmähten invers plausibilisierte. Die Herausgeber, Jahrgang 1959 der eine, 1961 der andere, erklären zwar im Vorwort, dass sie in ihren entscheidenden literarischen Prägungen mit Thomas Bernhard und Rainald Goetz sozialisiert worden seien, als Extravaganz störrischer Idiosynkrasie hat dies aber nicht auf ihre Anthologie durchgeschlagen.
Wäre das denn wünschenswert gewesen? Es hätte dem Leser zumindest erlaubt, sich in irgendeiner Weise leidenschaftlich zu diesem Buch zu verhalten. „Hier wird aufgeräumt!” hätte er jubeln oder „welche Ignoranz!” seufzen können. Vielleicht wäre eine solche Sichtung der deutschen Nachkriegsliteratur in polemischer Absicht nicht frei von einer gewissen affektierten Ziererei. So aber weiß man einfach nicht recht, was man mit diesem Buch überhaupt anfangen soll.
Ein Kanon nämlich will „Inventur” auf keinen Fall sein. Aber auch ein Lesebuch ist es trotz seines Untertitels nicht geworden. Ein solches will nicht bilanzieren, will keine Summe ziehen, sondern das versammeln, was auch im Ausschnitt halbwegs für sich steht und so Lesevergnügen garantiert. Zwar schreiben die Herausgeber im Vorwort recht zuversichtlich, sie hofften dazu anzustacheln, „in die Literatur als den unabschließbaren Prozess des Schreibens kopfüber hineinzuspringen wie ins Meer, weil man nur so das Schwimmen, das Lesen lernen kann”. Aber Ausschnitte sind eben nicht das Meer, in dem man sich lustvoll-mutig freischwimmen könnte. Was Niemann und Rathgeb dem Leser bieten, sind eher sorgfältig in handliche Phiolen abgefüllte Gewässerproben, die der Kenner prüfend gegen das Licht halten kann. Wobei er sich dann fragt, wie exemplarisch solche Stichproben sind, die ja stets eine eigendynamische Evidenz herstellen, die gegenüber dem Gesamtwerk leicht ungerecht sein könnte. Wer auf diese Weise zum Beispiel wieder einmal mit einigen Seiten aus Friedrich Dürrenmatts „Physikern” konfrontiert wird, fragt sich kopfschüttelnd, wie ein Schauspiel klassische Weihen gewinnen konnte, das von Sätzen wie diesem lebt: „Es gibt Risiken, die man nie eingehen darf. Der Untergang der Menschheit ist ein solches.” Drollig, möchte man da schmunzeln.
Interessanterweise sind jene Abschnitte die anregendsten, in denen die Herausgeber beispielhafte Auszüge von Soziologen und Philosophen einbezogen haben. Und dies vor allem deshalb, weil deren Texte auch auf kurzer Strecke prägnanter zur These zusammenschießen. Da wird jedesmal ein kleines Fenster aufgetan, durch das man schlagartig einen Blick auf die Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik gewinnt: Von Horkheimer und Adornos „Dialektik der Aufklärung” über Elias Canettis „Masse und Macht”, Hannah Arendts Brief an ihren „Liebsten” aus Jerusalem während des Eichmann-Prozesses („Einer der Journalisten ist mir bereits laut schluchzend um den Hals gefallen – mit einem: das haben wir gemacht etc. Wie im Theater. Ebenfalls zum Kotzen.”) bis zu Niklas Luhmanns „Liebe als Passion” und des wunderbaren Hans Blumenbergs „Die Sorge geht über den Fluß”. Ausschnitte können eben kaum ein literarisches Werk vergegenwärtigen, sehr wohl aber Zeitgeschichte und gesellschaftlichen Wandel anschaulich dokumentieren.
Nicht zufällig vermitteln die in ihrer Lakonie und ihrem subjektiven Zugriff oft sehr glücklich getroffenen Einleitungen der Herausgeber mehr von einer Literaturgeschichte der beiden deutschen Staaten als die Texte der Schriftsteller selbst. Denn dort zitieren Niemann und Rathgeb ihre Autoren gerne mit Sentenzen, die selbst bereits These oder Manifest sein wollten und auf das Moment des plakativ Charakteristischen bewusst hingeschrieben sind. Daraus ließe sich gut eine locker gestrickte Einführung in die deutsche Literatur nach 1945 herstellen.
Die fruchtbarste Erfahrung, die „Inventur” als Textanthologie vermitteln kann, wäre diese: Dass jene etikettenhaften Periodisierungen, der Wechsel literarischer Moden und Schlagwörter wirklich nur den Diskurs über die Literatur bestimmen, während das tatsächlich Geschriebene – von Hermann Broch über Heimito von Doderer, Hans Henny Jahnn oder Uwe Johnson bis zu Rainald Goetz, Wolfgang Hilbig, Undine Gruenter, W. G. Sebald und Reinhard Jirgl – im Rückblick davon ziemlich unberührt dasteht. Ob Trümmerliteratur, Kahlschlag, Dominanz der Gruppe 47, Tod der Literatur, neue Innerlichkeit, Postmoderne, hermetischer Akademismus, Popliteratur oder Neue Lust am Erzählen: Die Werke sind viel eigenständiger, autochthoner. Sie wirken fast statisch und im guten Sinne träge. Manchmal meint man gar: Sie hätten genausogut ein Jahrzehnt früher oder später erscheinen können. Sie sind in erster Linie gut, nicht symptomatisch.
IJOMA MANGOLD
NORBERT NIEMANN/EBERHARD RATHGEB (Hrsg.): Inventur. Deutsches Lesebuch 1945 - 2003. Carl Hanser Verlag, München 2003. 408 S., 23,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Eine solche Anthologie hätte Paul Michael Lützeler gerne als Schüler gehabt. Sechs Jahrzehnte deutscher Literatur werden dort präsentiert, ordentlich kommentiert, in Appetithäppchen serviert. Womit aber auch schon ein Nachteil der Anthologie benannt wäre, der allerdings in der Natur der Sache liegt, wie Lützeler den eigenen Einwand entkräftet: die Texte werden nie vollständig wiedergegeben. Sie sollen Anregungen, Hinweise liefern, wo es weiterzulesen lohnt. Deshalb wurden auch nicht nur Erzählungen und Romane in die Anthologie aufgenommen, so Lützeler, sondern ebenso Dramen, Gedichte, Essays oder Briefe von Philosophen und anderen Nicht-Literaten. Jedes Jahrzehnt werde ausführlich eingeleitet und sozialgeschichtlich abgesteckt; die Anmerkungen wiederum enthielten das Wesentliche zur Werkgenese des Autors, dem außerdem eine Kurzbiografie gewidmet sei. Natürlich kann eine Anthologie nicht erschöpfend sein, weiß der Rezensent und vermisst dennoch Schweizer Autorennamen; trotzdem sei das Lesebuch ein schöner und lebendiger Beweis dafür, dass die deutschsprachige Gegenwartsliteratur ganz und gar nicht langweilig oder gar schlecht sei.

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"Ein echtes Lesebuch eben für den Schulgebrauch, für Literatur-Novizen ein verlockendes Portal zum Eintritt ins Universum der Dichtung." Eckhard Fuhr, Die Welt, 22.10.03 "Mit "Inventur. Deutsches Lesebuch 1945-2003" kann man Wochen verbringen und dabei die Literatur und sich selbst neu besichtigen...ein exquisites intellektuelles und ästhetisches Vergnügen...ein traumhaft suggestives Lesebuch." Andreas Isenschmid, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 11.01.04