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Kaum ein anderes besetztes Land hat unter dem antisemitischen Terror der Deutschen so stark gelitten wie die Niederlande: drei Viertel der jüdischen Bevölkerung wurden deportiert und ermordet. Die Erinnerung an die Zeit der Besatzung war bislang vor allem durch das Tagebuch der Anne Frank bestimmt. Nanda van der Zee hat nun zum ersten Mal systematisch die Ermordung der niederländischen Juden untersucht. Ihr Buch löste einen Skandal aus, weil es am Tabu der Kollaboration rührt und schonungslos die verhängnisvollen Folgen von Königin Wilhelminas Flucht nach London aufzeigt. "Um Schlimmeres zu…mehr

Produktbeschreibung
Kaum ein anderes besetztes Land hat unter dem antisemitischen Terror der Deutschen so stark gelitten wie die Niederlande: drei Viertel der jüdischen Bevölkerung wurden deportiert und ermordet. Die Erinnerung an die Zeit der Besatzung war bislang vor allem durch das Tagebuch der Anne Frank bestimmt. Nanda van der Zee hat nun zum ersten Mal systematisch die Ermordung der niederländischen Juden untersucht. Ihr Buch löste einen Skandal aus, weil es am Tabu der Kollaboration rührt und schonungslos die verhängnisvollen Folgen von Königin Wilhelminas Flucht nach London aufzeigt. "Um Schlimmeres zu verhindern...": Mit dieser Floskel entschuldigten sich allzu viele, die bereit waren, die Vernichtungspolitik nicht nur zu dulden, sondern sogar auch noch zu unterstützen. Natürlich regte sich Widerstand, aber er war zu schwach, um gegen Terror und Anpassung wirklich etwas auszurichten. Nanda van der Zees Buch leistet, über die niederländischeDebatte hinaus, einen wichtigen Beitrag zur europäischen Wirklichkeit im Zeitalter der Diktaturen.
Autorenporträt
Nanda van der Zee lebt als Historikerin in Loenen a/d Vecht. Mit ihrer Studie Om erger te voorkomen, die 1997 erschien, hat sie in den Niederlanden eine kontroverse Diskussion unter Historikern, Journalisten und ihren Lesern ausgelöst, die in vielen Zügen an die deutsche Debatte um Daniel Goldhagens Buch erinnert. Weitere wichtige Veröffentlichungen: Jacques Presser (1988) und De kamergenoot van Anne Frank (1990).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000

Die Vernichtung der Juden als Folge der Kollaboration
Ein Buch lässt die Wogen in den Niederlanden hoch schlagen

Nanda van der Zee: "Um Schlimmeres zu verhindern. . .". Die Ermordung der niederländischen Juden: Kollaboration und Widerstand. Aus dem Niederländischen von Bram Opstelten. Carl Hanser Verlag, München 1999. 344 Seiten, 45,- Mark.

Der deutsche Überfall auf die Niederlande am 10. Mai 1940 stand am Anfang eines fast fünfjährigen Leidensweges des Landes. Es waren freilich weniger die Kriegshandlungen, die das Leiden ausmachten, als vielmehr die intensive Erfahrung einer repressiven Besatzungspolitik, zu deren wesentlichen Zielen die physische Vernichtung der niederländischen Juden zählte. Diese Zeit, deren Erfahrungswelt häufig mit den Jahren des Herzogs von Alba in der Phase des niederländischen Aufstandes verglichen worden ist, hat die niederländische Historiographie und Belletristik gleichermaßen beschäftigt. All das ist Literatur aus der Opfer-Täter-Perspektive, die zum einen das niederländische Deutschland-Bild der Nachkriegszeit wesentlich mitgeprägt hat, zum anderen - und das ist erheblich wichtiger - die eigene Gesellschaft gleichsam im Aschenputtel-Verfahren in die Guten, die Widerstandskämpfer, und die Schlechten, die landesverräterischen Kollaborateure, oder auch schlicht in vollwertige und nichtsnutzige Bürger eingeteilt hat. Die Rechtsprechung der Sondergerichtsbarkeit nach dem Kriege hat das bestätigt.

Verständnis für Überlebenswillen.

Gleichwohl, es ist, als ob diese Konzentration auf die extremen Fälle alle anderen Formen der Kollaboration aus dem Blickfeld habe verschwinden lassen. Die niederländische Geschichtswissenschaft hat in den siebziger Jahren den Begriff der "Anpassung" gefunden, die als Überlebensstrategie definiert wurde und auf jeden Fall Verständnis für die nicht im Widerstand gegen den Besatzer stehende breite Masse der Bevölkerung wecken will. Die Einführung des Begriffs mag der Grund dafür sein, dass sich die niederländische Forschung einer vertieften Beschäftigung mit dem Verhalten der Niederländer gegenüber der deutschen Besatzungsmacht verschlossen und der Opferperspektive einigermaßen den Vorzug gegeben hat; auf Dauer freilich blieb die Frage nach Mitwirkung unter dem Regime zum Nachteil eigener Bevölkerungsgruppen unausweichlich. Vor allem, als europaweit die These aufgestellt wurde, dass niemals so viele Juden der Vernichtung hätten zugeführt werden können, wenn nicht Mitarbeit aus den Reihen der jeweils autochthonen Bevölkerung geleistet worden wäre. Für die Niederlande stellte sich dieses Problem in ganz besonderem Maße, weil von den 140000 niederländischen Juden lediglich 25000 den Holocaust überlebt haben.

In den achtziger Jahren setzte die Erforschung des niederländischen Verhaltens gegenüber der Besatzungsmacht ein. Zu den späten Früchten der Forschung zählt die Studie von Nanda van der Zee, eine äußerst emotional geschriebene, in der Klage über die Kollaboration niederländischer Eliten sehr dezidierte Untersuchung, deren niederländische Fassung 1997 viel Staub aufgewirbelt hat.

Vernichtung der niederländischen Juden in diesem Ausmaß sei eine Folge niederländischer Kollaboration - dies ist die Kernaussage des Buches. Die Autorin schickt ihrem Hauptteil ein Kapitel über die Haltung der niederländischen Regierung zur Flüchtlingsfrage in den dreißiger Jahren voran. Indem sie damit eine Kontinuität der Verhaltensweise formuliert, verschärft sie ihre Klage gegen die politischen Eliten. Sie bedient sich dieser Methode zu Recht, denn weder die niederländische Regierung noch die niederländischen Juden haben die jüdischen Flüchtlinge aus dem Reich mit offenen Armen aufgenommen. Das niederländische Motiv, den Zustrom von Flüchtlingen eng zu begrenzen, findet seinen Ursprung in der außenpolitischen Schwäche des Landes, die von niederländischen Juden vorgetragene Ablehnung der deutschen Glaubensgenossen war das Ergebnis von Furcht vor wirtschaftlicher Konkurrenz (Textil), und ein Teil der Protestanten und Katholiken vermochten aus religiösen Gründen nicht über ihren Schatten zu springen. Die deutschen Juden wurden schließlich im eigens dafür angelegten Auffanglager Westerbork - später Durchgangslager für niederländische Juden auf dem Transport nach Auschwitz-Birkenau - nahe der Grenze zu Deutschland untergebracht. Ursprünglich war ein Areal in der Nähe des königlichen Sommersitzes Het Loo als Anlage ausgewählt worden. Diese Absicht stieß auf den scharfen Widerspruch der Königin, die solche Nähe nicht dulden wollte.

Für eine mit der Außenpolitik verzahnte Flüchtlingspolitik, die sich im Konflikt zwischen Humanität und Opportunität nicht vorbehaltlos unter dem erstgenannten Begriff ansiedeln lässt, hat die Autorin nur Empörung übrig, wie sie auch der Haltung der Königin Wilhelmina keinen Respekt entgegenbringen kann. Schon im einführenden Kapitel geht es der Autorin um den Nachweis einer wenig akzeptablen moralischen Qualität der politischen Eliten ihres Landes, und sehr viel nachhaltiger ist dies für die Kriegszeit selbst ihr Leitthema. Das Buch ist einfach geschrieben, mit den hohen Verlustziffern der niederländischen Juden vor Augen. Der Königin gilt der Vorwurf, sie habe mit ihrer Flucht die Installierung der zivilen Besatzungsmacht unter Reichskommissar Seyß-Inquart beschleunigt, das niederländische Volk im Stich gelassen und die Juden ihrem Schicksal überlassen. Nun ist es nicht zu verkennen, dass mit der Flucht von Königin und Regierung ein Vakuum entstanden war, das sich von der Besatzungsmacht beliebig ausfüllen ließ.

Hätte die Königin bleiben sollen?

Zu fragen bleibt freilich, ob ein Verbleib Wilhelminas ein Hindernis auf dem Weg zur Vernichtung der Juden gewesen wäre. Gewiss, der von Louis de Jong erwähnte innere Zwiespalt der Königin, die sich am liebsten zu den kämpfenden Soldaten am Grebbeberg begeben haben soll, ist von der historischen Quelle auch nicht übermächtig reich bestätigt, und die Autorin kann ihrerseits zu Recht auf die Haltung des belgischen und des dänischen Königs hinweisen, die im Lande geblieben waren, ja, sie hätte auch aus Goebbels' Tagebüchern zitieren können, in denen die hohe Popularität der Wilhelmina als Grund für ein vorsichtiges Vorgehen in den Niederlanden erwähnt wird.

Dass Wilhelmina sich von London aus über den dortigen niederländischen Sender Radio Oranje nicht hinreichend mit dem Schicksal ihrer jüdischen Landsleute befasst hat, wie die Autorin äußerst kritisch vorrechnet, wird man höchstens als einen Beitrag zum Psychogramm der Königin in Kriegszeiten werten können, zum Prozess der Vernichtung jüdischen Lebens sagt das nichts aus. Wichtiger ist ihre Betrachtung des Kollegiums der Generalsekretäre, jener höchsten Beamten, die - wie 1937 schon geplant - nach der Flucht des Kabinetts die Leitung ihrer jeweiligen Ministerien übernahmen und nach Installierung des Reichskommissariats Seyß-Inquarts der Weisungsbefugnis der zuständigen deutschen Stellen unterlagen (Generalkommissariate), und wichtiger ist auch die Haltung des Obersten Gerichtshofs.

So ganz neu sind die Recherchen der Autorin auf diesem Terrain im Ergebnis nicht, aber es ist gut, dass das Obrigkeitsdenken der höchsten niederländischen Beamten und die damit verbundene Bereitschaft zur Mitarbeit noch einmal hervorgehoben werden. Diese obersten Behörden, die aufgefordert waren, nichts gegen niederländische Belange zuzulassen oder gar zu unternehmen, und die Ruhe und öffentliche Sicherheit garantieren sollten, mögen in einer Konfliktsituation gewesen sein. Aber sie nahmen teil an der frühen Ausgrenzung der niederländischen Juden, erleichterten damit die weiteren Maßnahmen der Besatzungsbehörden.

Der Oberste Gerichtshof unternahm nichts gegen den von den Deutschen geforderten Arier-Nachweis, und er ließ es zu, dass sein Vorsitzender aus dem Amt entfernt wurde - obwohl es gegen den Arier-Erlass heftigste Proteste aus der niederländischen Gesellschaft gab. Hier entstand jedenfalls eine Welt des beflissenen Gehorsams. Bei den Besatzern musste sich einfach der Gedanke aufdrängen, dass von Seiten der Behörden kein Widerstand zu erwarten war, zumal sich sowohl örtliche Instanzen als auch das Polizeikorps - mehrheitlich - entschieden, sich den Anordnungen des Besatzers nicht zu entziehen. Jedenfalls fragt es sich, ob der Hinweis, man habe mitgewirkt, "um Schlimmeres zu verhüten", bei jeder Maßnahme greifen kann, und darüber hinaus bleibt es überhaupt zu bezweifeln, dass eine echte Konfliktsituation dort entstehen kann, wo Menschenrechte zur Disposition gestellt werden.

Das lag anders bei dem Anfang 1941 installierten Jüdischen Rat in Amsterdam, der gehalten war, die Juden, die ins Lager Westerbork abtransportiert werden sollten, auszuwählen. Die Ratsmitglieder selbst blieben vom Transport ausgenommen. Der Konflikt ist deutlich; er wurde im Rat selbst schon ausgetragen und hat die Nachwelt beschäftigt. Ursachenforschung zu dieser von der Besatzungsmacht auferlegten perfiden Form der Kollaboration zu betreiben dürfte angesichts der möglichen Vielzahl von Motiven schwierig sein. Die Autorin, die sich ausführlich mit David Cohen befasst hat, einem der Mitglieder des Jüdischen Rates und schärfsten Befürworter einer Zusammenarbeit, schreibt vom "furchtbaren moralischen Dilemma, mit dem jedes Mitglied tagtäglich für sich leben mußte".

Insgesamt liegt hier in deutscher Übersetzung ein Buch vor, das das Verhalten der politischen Eliten als ein Fehlverhalten anprangert und dabei die Königin einbezieht, was die Wogen in der niederländischen Öffentlichkeit hat höher schlagen lassen. Ein Buch auch, das in dieser Zusammenstellung und in der Härte der Diktion den Eindruck zu vermitteln vermag, als ob das sorgsam gepflegte niederländische Selbstverständnis von der unbändigen Freiheitsliebe einer genaueren Untersuchung bedürfe.

HORST LADEMACHER

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Elke Schubert hält sich mit großen Worten zurück, vor allem mit überflüssigen. Als „präzise“ und „fundiert“ wertet sie Nanda van der Zees Untersuchung über die Kollaboration in den Niederlanden während der deutschen Besatzung. Denn laut Schubert haben es van der Zees Ergebnisse selbst in sich, hebt die Autorin doch an, mit dem Selbstbild der Niederländer aufzuräumen, die sich „als weltoffenes, tolerantes Volk begreifen“. Kurz und knapp rekapituliert Schubert van der Zees Darstellung, um dann mit ihr übereinzustimmen, dass „vereinzelte Widerstandsaktionen in keinem Verhältnis zum Mythos“ stehen, „nach dem die Niederländer massenhaft gegen die Besatzer aufbegehrt hätten“.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Mit ihrer facettenreichen Rückschau vermittelt von der Zee einen guten Einblick in jene Zeit. ... Besonders interessant wird es in jenem Teil der Studie, wo die Autorin Hollands Elite angreift. Sie tut das subtil und detailliert, aber fair."
Siggi Weidemann, Süddeutsche Zeitung, 27.09.1999