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Weltliteratur im Taschenformat: Johann Peter Hebel, der "Kalendermacher", der Aufklärer, der Geschichtenerzähler. Der vorliegende Band zeigt den unverfälschten und vollständigen Kalendertext sämtlicher Erzählungen Hebels zum ersten Mal mit Sachkommentaren und Dokumenten - und natürlich mit den Original-Holzschnitten aus dem Kalender.

Produktbeschreibung
Weltliteratur im Taschenformat: Johann Peter Hebel, der "Kalendermacher", der Aufklärer, der Geschichtenerzähler. Der vorliegende Band zeigt den unverfälschten und vollständigen Kalendertext sämtlicher Erzählungen Hebels zum ersten Mal mit Sachkommentaren und Dokumenten - und natürlich mit den Original-Holzschnitten aus dem Kalender.
Autorenporträt
Johann P. Hebel, 10.5.1760 Basel - 22.9.1826 Schwetzingen. Nach dem frühen Tod seiner Eltern, die im Dienst eines Basler Patrizierhauses standen, ermöglichten ihm Vormund und Gönner den Besuch des Karlsruher Gymnasium illustre (1774-78) und das Studium der protestantischen Theologie in Erlangen (1778-80). Nach dem Staatsexamen war er zunächst als Pfarrgehilfe in Hertingen, dann als Lehrer in Lörrach (1783-91) tätig, bis er 1791 eine Stelle als Subdiakon am Karlsruher Gymnasium erhielt (1792 Hofdiakon, 1798 a. o. Professor, 1808 Direktor). Als er 1814 in die ev. Ministerialkommission berufen wurde, gab er die Stelle des Direktors auf, unterrichtete aber weiter. 1819 folgte die Ernennung zum Prälaten der ev. Landeskirche; damit war er zugleich Mitglied des Landtags und der kirchlichen Generalsynode. 1821 ehrte ihn die Universität Heidelberg mit dem Dr. h. c.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2000

Was die Raben sagen
Johann Peter Hebels Weltgebäude · Von Hans-Jürgen Schings

"Die Weltschöpfung begann. Der Erdball lag vor mir, über und über mit Lehm bezogen. Jetzt auf einmal mit Moos. Dammerde hatte sie erzeugt. Da kam ein freundlicher alter Mann und sagte: Es ist Zeit, daß wir Heublumen hineinsäen." Wohl dem, der so träumen kann wie der Gymnasialprofessor, Theologe und Kalendermacher Johann Peter Hebel. Hatte nicht Goethe von ihm gesagt, er "verbauere" das Universum? Das meint mehr als volkstümlich-rustikalen Bildersinn. Dieser Mann fühlt sich in der Schöpfung zu Hause. Das dringt bis in den Bau seiner Prosa ein. Große Leser haben ihr Entzücken darüber nie verhehlt.

Elias Canetti bekannte, er habe kein Buch geschrieben, "das ich nicht heimlich an seiner Sprache maß". Als er dem Rezitator Ludwig Hardt begegnet, zieht der aus seiner Rocktasche eine kleine Ausgabe von Hebels "Schatzkästlein" und präsentiert die handschriftliche Widmung: "Für Ludwig Hardt, um Hebel eine Freude zu machen, von Franz Kafka". Hardt trägt noch einmal auswendig die Stücke vor, die auch Kafka von ihm gehört hat, am Ende "Unverhofftes Wiedersehen". Er kennt Kafkas Kommentar: "Das ist die wunderbarste Geschichte, die es gibt." Schon Goethe, der die Geschichte gern und mit Rührung vorlas, äußerte sich ähnlich.

Eine andere Geschichte, die Kafka besonders liebte, "Einer Edelfrau schlaflose Nacht", beginnt so: "Es ist nichts lehrreicher als die Aufmerksamkeit wie in dem menschlichen Leben alles zusammenhängt, wenn man es zu entdecken vermag zum Beispiel Zahnschmerzen und das Glück eines Ehepaares, und wie selbst das was unrecht und verboten ist, wieder gut gemacht werden kann, wenn's an den rechten Mann oder an die rechte Frau kommt . . ." Aufmerksamkeit ist die Mutter des Genies, pflegt das achtzehnte Jahrhundert zu sagen und meint es nicht nur pädagogisch. Wohlwollend und entdeckerisch führt das Ingenium des "rheinländischen Hausfreunds" die von Zahnschmerzen geplagte Edelfrau mit der Not eines jungen leibeigenen Paars zusammen, das nicht heiraten darf und ein Kind bekommt ("Einmal vergaßen sie sogar die Zukunft, und meinten es sei jetzt"), bis die Worte der Edelfrau den Erzähler schier übermannen: "Meint man nicht, man hörte den lieben Herr Gott reden in den Propheten oder in den Psalmen? Ein Gemüt das zum Guten bewegt ist, und sich der Elenden annimmt, und die Gefallenen aufrichtet, ein solches Gemüt zieht nämlich das Ebenbild Gottes an, und fällt deswegen auch in seine Sprache." Erst Bloch war von dieser Stelle überwältigt. Nie würde es dem Hausfreund einfallen, er rede da von sich selbst. Doch auch er weiß so zu sprechen wie ein Eingeweihter der Schöpfung.

Das "Schatzkästlein des rheinischen Hausfreunds", das der erfolgreiche Kalendermann 1811 herausbringt, eine Sammlung von Stücken, die er seit 1803 für die offiziellen Kalender des Landes Baden geschrieben hat, eröffnet, kalenderüblich, eine "Allgemeine Betrachtung über das Weltgebäude". Wie ein Dach wölbt sie sich auch über die Kalendergeschichten und gibt dem "Hausfreund" seine Rolle vor: "Der Himmel ist ein großes Buch über die göttliche Allmacht und Güte, und stehen viel bewährte Mittel darin gegen den Aberglauben und gegen die Sünde, und die Sterne sind die goldenen Buchstaben in dem Buch. Aber es ist arabisch, und man kann es nicht verstehen, wenn man keinen Dolmetscher hat. Wer aber einmal in diesem Buch lesen kann, in diesem Psalter, und liest darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Straße ist, und wenn ihn die Finsternis verführen will, etwas Böses zu tun, er kann nimmer."

Hebel kann das Übel auch ganz modern formulieren: "Die Langeweile wartet auf den Tod." Wenn er sein Dolmetscheramt erzählend praktiziert, sind ihm gleichermaßen die Bibel wie die Aufklärung zur Hand. Gleichwohl hält sich das "Merke", mit dem er seine Geschichten und Betrachtungen gern abschließt, von landläufiger Didaxe durchweg fern. Vielmehr liest er die Weltdinge und Ereignisse noch wie der alte Emblematiker oder wie der von ihm hochverehrte Jean Paul - er entdeckt in ihnen selbst ihren Sinn, ihre Deutungsformel. "Witz" nannte Jean Paul dieses Vermögen, "eine höchste Erscheinung der Geistesgegenwart" nimmt denn auch Walter Benjamin bei Hebel wahr und wollte das "Schatzkästlein" als "Knigge für Heilige" verstanden wissen. Mit dem Aperçu "Handorakel der Lebensklugheit für kleine Leute" tut es ihm Bloch gleich. Der souveräne Takt, den Hebel und seine Sprache vis-à-vis de l'univers gewinnen, sucht seinesgleichen. Glücklich und zu Recht hat man auch an die alten Kardinaltugenden erinnert, die dem Lateinlehrer Hebel noch durchaus gegenwärtig waren, an ihrer Spitze die Gerechtigkeit. Dass er in sein "Stilbuch" für den Lateinunterricht auch lateinische Vorformen einiger Kalendergeschichten aufnahm (darunter "Kannitverstan"), wirft manches Licht auf die stilistische Union von Knappheit und Luzidität, über die er unnachahmlich verfügt.

Zimperlich ist der Hausfreund nicht, das gehört zur Gerechtigkeit und zur Gattung des Schwanks, deren Turbulenzen er nutzt. Vom Seekapitän Cook und von seinen Weltumsegelungen erfährt man: "Aber das drittemal haben ihn die Wilden auf der Insel Owai ein wenig tot geschlagen und gegessen." Sehr robust wirkt der Umgang mit Galgen, Gehenkten und Scharfrichtern, die oft vorkommen. "Aber in England ist das Hängen nicht so schimpflich wie bei uns, sondern nur tödlich" - auf diesen Ton sind allerlei raue Scherze gestimmt. Blankes Entsetzen hingegen herrscht in der "gräulichen Geschichte" von den beiden Metzgern. "Zwei Metzger gehen miteinander aufs Gäu, kommen in ein Dorf, teilen sich, einer links an der Schwanen vorbei, einer rechts, sagen, in der Schwanen kommen wir wieder zusammen. Sind immer zusammen kommen." Denn der eine wird, nur sieben Zeilen später, von einem Bauernpaar ermordet ("Stoßt der Teufel die Frau an den Ellenbogen . . ."), das dann gleich auch den einzigen Zeugen, das eigene Kind, "geschweigt", also zum Schweigen bringt: "In der Küche steckt sie dem Kind den Kopf in die heiße Lauge, und brüht es zu Tod." Schlechthin grausig die Panik der entdeckten Mörder, die Hebel in wenige Zeilen zwingt, um die Hinrichtung dann so gut quittieren: "Und die Raben sagen jetzt: ,Das Fleisch schmeckt gut.'"

Nein, harmlos ist der Hausfreund beileibe nicht, sooft man ihn und seine Figuren auch beim gemütlichen Schöpplein erlebt. Der Ruf nach dem nichtidyllischen, dem "anderen Hebel" (Ludwig Rohner) ertönt zu Recht. Unverkennbar ist die Sympathie für die Listigen und Schlauen, die Vaganten und Spitzbuben, für das Trio Zundelfrieder, Zundelheiner und roter Dieter, das er erfindet, ein Muster handwerklicher Perfektion auf ihrem Gebiet. Zum subversiven Gesellschaftskritiker eignet sich der Kalendererzähler deshalb noch lange nicht. Eine unerbittlich kritische Germanistik kreidete gar umgekehrt dem "Kannitverstan" Untertanenmoral an und verbuchte die historischen Inkorrektheiten des "Unverhofften Wiedersehens" auf das Schuldkonto der "Harmonisierung".

Politisch war Hebel nicht sonderlich zuverlässig. Der eingreifenden Truppe des Weltgeistes gehörte er nicht an. "Gott und dem Napoleon befohlen" - vor einer solchen Wendung, wie er sie in Briefen benutzt, hält kein Pathos stand. Gelegentlich gerät ihm, der meist nach Vorlagen arbeitet, eine Anekdote unter die Feder, die auch Kleist aufgegriffen hat. "Franzosen-Billigkeit" heißt sie dort, trägt den Zusatz "wert in Erz gegraben zu werden" und hämmert dem Leser, der stumm bleibt, ihre patriotische Pointe ein. Auch Hebel mag den Verräter der Anekdote nicht; der Ton des Weltgerichts allerdings liegt ihm fern. Er freut sich, gemeinsam mit dem "geneigten Leser", über die schlagende Replik des französischen Generals. Erzfeinde gibt es für ihn nicht, auch wenn der Rheinbundmann den aufständischen Andreas Hofer unnachsichtig abfertigt, was ihm die Empörung mancher Patrioten eintrug. "In unsere eherne Zeit kann man ihn nicht hineindenken", befand 1938 richtig ein Schweizer Germanist. Schon die offenen Sympathien des Hausfreundes für die Juden machten ihn für die Nazis untauglich.

Die jetzt von Hannelore Schlaffer und Harald Zils vorgelegte Leseausgabe bietet, in der schönen Aufmachung des Hanser-Verlages, den ganzen Kalendermann Hebel. Die Konsequenz, mit der sie auf die originären Kalenderstücke zurückgeht, hat freilich ihren Preis: Das integrale "Schatzkästlein" findet man hier nicht. Die Entscheidung gegen die sonst übliche Mischedition von "Schatzkästlein", dort nicht aufgenommen, und späteren Kalenderbeiträgen hat gute Gründe und das Vorbild der neuen historisch-kritischen Ausgabe für sich, die ebenso verfährt (und die Abweichungen des "Schatzkästleins" im Apparat verzeichnen wird). Der griffige Titel - "Die Kalendergeschichten. Sämtliche Erzählungen aus dem Rheinländischen Hausfreund" - verspricht allerdings weniger, als der Band selbst hält. Tatsächlich versammelt er, bis auf kalendarische Spezifika (Kalendarien, Taxordnungen, Aderlasstafeln und Ähnliches), alle Kalenderbeiträge Hebels, also neben den nahezu zweihundert Geschichten auch Betrachtungen, Rätsel, Rechenaufgaben, Neujahrswünsche, Gedichte, die etwa ein Drittel des Bestandes ausmachen. Auch handelt es sich nicht nur um den "Rheinländischen Hausfreund" - so heißt der Kalender seit 1808 -, sondern natürlich auch um die Badenschen Landkalender seit 1803. Dokumente, ein reichhaltiger Stellenkommentar, der seine (ungenannten) Vorgänger nur gelegentlich unterbietet (etwa in der Wiedergabe lateinischer Vorformen), sowie ein einfallsreicher Nachwort-Essay von Hannelore Schlaffer, der auf eine Arbeit von 1980 zurückgreift, stehen dem Leser bei.

Eine ungeahnte Pointe wird der Braut des "Unverhofften Wiedersehens" angesonnen: "Gottes Hand" habe sie "vor der Ehe glücklich bewahrt". "Der meints nicht schlimm mit uns" - es gefiele dem Hausfreund Hebel, wenn er so über sich sprechen hörte. Wer sich auf Hebel einlässt, hat auch heute noch allen Grund, sich wohl zu fühlen. Tucholsky empfahl als "Reinigungsbad der Seele viel Hebel (mit einem b)".

Johann Peter Hebel: "Die Kalendergeschichten. Sämtliche Erzählungen aus dem Rheinländischen Hausfreund". Herausgegeben von Hannelore Schlaffer und Harald Zils. Carl Hanser Verlag, München und Wien 1999. 847 S., geb., 78,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hebel befreit von jeder biedermännischen Schnurrigkeit, urteilt Kurt Oesterle erfreut über diesen Band, der - mit den ursprünglichen Illustrationen des "Rheinischen Hausfreund" ausgestattet - eine "auch bibliophile Leseausgabe" ist. Zusätzlich haben die Herausgeber wichtige Dokumente beigefügt (eines ist neben der Rezension abgedruckt), durch die man dem badischen "Basisarbeiter der Aufklärung" bei der Arbeit über die Schulter sehen kann. Aber Hebel beschrieb nicht nur Bauern und Handwerker, sondern bezog immer auch Außenseiter der Gesellschaft mit ein, hebt Oesterle hervor und lobt: Dies sei keine geschmäcklerische Auswahl der 240 Jahre alten Geschichten, sondern eine gediegene, kluge Edition Hebels.

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