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Produktdetails
  • Verlag: Europäische Verlagsanstalt
  • Seitenzahl: 246
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 365g
  • ISBN-13: 9783434504979
  • ISBN-10: 3434504974
  • Artikelnr.: 08852314
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2001

Nach der Hölle
Wie ein Überlebender des Katyn-Massakers sein Leben verbrachte

Salomon W. Slowes: Der Weg nach Katyn - Bericht eines polnischen Offiziers. Aus dem Amerikanischen von M. Haupt. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2000. 247 Seiten, 17 Abbildungen, 44,- Mark.

Die Ereignisse, die zu den tausendfachen Morden im Wald von Katyn nahe Smolensk führten, bilden für das polnisch-sowjetische Verhältnis wie auch für die polnisch-deutschen und polnisch-britischen Beziehungen ein Schlüsselerlebnis. Der Mantel des Schweigens, der über die grauenvollen Verbrechen vom Mai 1940 gebreitet wurde, konnte erst durch das öffentliche Eingeständnis der sowjetischen Schuld durch Generalsekretär Gorbatschow 1989 und die Übergabe der amtlichen Dokumente an das russische Verfassungstribunal durch Präsident Jelzin 1992 endgültig gelüftet werden. Es dauerte 60 Jahre, bis der Friedhof von Katyn am 28. Juli 2000 geweiht werden konnte.

Tatsächlich wurden nach der vierten polnischen Teilung aufgrund des verschleiernd so bezeichneten deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts vom August 1939 und des weniger bekannten Grenz- und Freundschaftsvertrags vom September 1939 insgesamt 14 587 polnische Offiziere nicht nur in Katyn, sondern auch in Charkow und Miednoje vom NKWD liquidiert. Salomon Slowes, ein jüdischer Arzt für Gesichts- und Kieferchirurgie und polnischer Reserveoffizier, entging dem Massaker wie durch ein Wunder, "er stieg in die Hölle hinab, um ihr durch Gottes Gnade wieder zu entkommen". Sein autobiographischer Bericht zeichnet den Leidensweg nach, den er von der Gefangennahme durch die Rote Armee über die verschiedenen Elendslager bis zum Ende seiner "Kriegsgefangenschaft" am 2. September 1941 gehen mußte.

Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion änderte sich die Lage der gefangenen Polen schlagartig, da sie nun in die kämpfenden Truppen gegen Deutschland eingegliedert werden sollten. Der polnische General Wladyslaw Anders wurde aus dem Moskauer Gefängnis, der Lubjanka, entlassen und begann den Aufbau einer Armee, der sich Slowes anschloß. Als jüdischer Offizier hatte er es nicht leicht, sich gegenüber den nationalistisch eingestellten Kameraden durchzusetzen. Slowes beschreibt sehr deutlich den latenten und manchmal offenen Antisemitismus, der den jüdischen Soldaten in der polnischen Armee entgegenschlug.

Im August 1942 verlegte Anders seine Truppen in den Iran, später nach Irak und Ägypten. So konnten die nationalistisch eingestellten Polen gerade noch rechtzeitig die Sowjetunion verlassen, bevor die Massengräber von Katyn durch die deutschen Truppen im Frühjahr 1943 entdeckt wurden und sich darüber ein intensiver Propagandakrieg zwischen dem "Dritten Reich" und der Sowjetunion, aber auch mit der polnischen Exilregierung in London entfachte. Die sowjetisch-exilpolnischen Beziehungen erreichten wegen der Katyn-Beschuldigungen einen Tiefpunkt. Stalin ließ im Dezember 1943 die marionettenhafte "Volksregierung" im besetzten Polen bilden. Nun war die Londoner Exilregierung für die Sowjets überflüssig, und die Beziehungen wurden abgebrochen.

Die 50 000 Soldaten der polnischen Exilarmee nahmen 1944 an den Kämpfen in Italien teil. Der große polnische Friedhof neben dem Kloster Monte Cassino zeugt von dem tapferen Einsatz der von General Anders geführten Divisionen. Trotz der erfolgreichen militärischen Einsätze mußte "die Nation, die als erste gegen die Nazi-Aggression gekämpft hatte, das Schlachtfeld als Verlierer verlassen". Stalin, Roosevelt und Churchill einigten sich über die Köpfe der polnischen Exilregierung hinweg auf die Westverschiebung Polens, die West-Alliierten erkannten die kommunistische "Volksregierung" an und gaben so Polens Freiheit den Stalinisten preis.

Slowes entschied sich nach dem Kriegsende für ein Leben in Palästina, um als geachteter Chirurg, Professor und während des Unabhängigkeitskriegs als Militärarzt für den Aufbau Israels zu kämpfen und zu arbeiten. Sein Augenzeugenbericht über "den Weg nach Katyn" erschien 1992 in englischer Sprache. Der deutschen Ausgabe ist jetzt ein Vorwort des polnischen Historikers und heutigen Außenministers Wladyslaw Bartoszewski beigefügt. Er stellt Polens Kampf um staatliche Souveränität und Freiheit in den historischen Gesamtzusammenhang.

Die Geschichte von Katyn zeigt die verhängnisvolle "Realpolitik" aller beteiligten Mächte von ihrer verwerflichsten Seite. Sie ist eine Geschichte von Mord, Betrug, Lüge, Ehrlosigkeit, geheimen Absprachen und politischem Eigennutz, um die patriotisch gesonnenen Kräfte der polnischen Führungsschicht auszurotten, während die westlichen Alliierten "konfliktscheues" Stillschweigen bewahrten, um die verschiedenen Regierungen der Sowjetunion während des Kalten Krieges nicht zu verprellen.

SIGURD HESS

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dem Rezensenten ist mit diesem Bericht des polnischen Offiziers Salomon W. Slowes ein "erschütterndes Dokument" zu Augen gekommen. "Dem Weg nach Katyn", der für 15 000 polnische Offiziere und Beamte geradewegs in die Ermordung durch den sowjetischen NKWD führte, konnte der Autor, wie "U. Sm." weiß, nur durch Zufall entgehen. Zufällig also ist dieser Bericht auf uns gekommen und stellt eines der wenigen Zeugnisse über die Vorgeschichte dieses Massenmords dar: In allen Einzelheiten, so "U. Sm.", schildere Slowes das schwierige Leben in den sowjetischen Lagern und zeichne das Bild einer Kriegspolitik, in der die polnischen Soldaten nur als wertlose Manövriermasse figurierten.

© Perlentaucher Medien GmbH