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Die vorliegende Arbeit setzt sich erstmals grundlegend mit dem Straftatbestand des Verschwindenlassens einer Person auseinander. Sie zeigt die vielfältigen Probleme auf, die sich aus der Transposition der ursprünglich völkerrechtlichen Konzeption ins Strafrecht ergeben, das gleichzeitig die Grundrechte der Täter zu respektieren hat. Ausgehend von einer weit reichenden Bestandsaufnahme der Erscheinungsformen der Tat und der einschlägigen völker- und strafrechtlichen Rechtsprechung klärt der Autor die Notwendigkeit dieses neuen Tatbestands, indem er dessen spezifisches Unrecht benennt. Im…mehr

Produktbeschreibung
Die vorliegende Arbeit setzt sich erstmals grundlegend mit dem Straftatbestand des Verschwindenlassens einer Person auseinander. Sie zeigt die vielfältigen Probleme auf, die sich aus der Transposition der ursprünglich völkerrechtlichen Konzeption ins Strafrecht ergeben, das gleichzeitig die Grundrechte der Täter zu respektieren hat. Ausgehend von einer weit reichenden Bestandsaufnahme der Erscheinungsformen der Tat und der einschlägigen völker- und strafrechtlichen Rechtsprechung klärt der Autor die Notwendigkeit dieses neuen Tatbestands, indem er dessen spezifisches Unrecht benennt. Im Weiteren befasst er sich mit der konkreten Ausgestaltung des Tatbestands, wobei er besonderes Augenmerk auf die Zurechnung der Tat zum einzelnen Täter legt. Als konstruktiven Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung steht am Ende der Untersuchung ein aus den Erkenntnissen der Arbeit gewonnener Tatbestandsentwurf.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2007

Spurlos verschwunden

Zwei Bücher zeigen, was rechtlich unternommen werden kann, wenn Staaten missliebige Personen einfach verschwinden lassen. Nicht nur Guantánamo hat als Symbol für diese perfide Form von staatsverstärkter Kriminalität Skandalgeschichte gemacht.

Manch einer verschwindet, und niemand weiß, wo er ist. Statt aufzuklären, geben sich Polizei und Behörden so abweisend, dass deren Verwicklung zu ahnen ist. Einige Staaten und parastaatliche Organisationen setzen systematisch auf das Verschwindenlassen, weil es größten Terror gegen die Opfer mit geringer Sanktionswahrscheinlichkeit für die Täter verbindet. Wie man solchen krass rechtsstaatswidrigen Taten begegnen kann, analysieren zwei juristische Dissertationen.

Das Verschwindenlassen hat eine lange Tradition, welche Kai Cornelius in seiner rechtsgeschichtlichen Heidelberger Arbeit benennt. Es ist aber auch ein aktuelles Problem, worauf die Freiburger Arbeit von Christoph Grammer hinweist. Die dort anschaulich berichteten lateinamerikanischen Fälle berühren den Leser, denn sie aktualisieren jenes naturrechtliche Versprechen, das 1949 als Imperativ des Artikels 104 Absatz 4 ins deutsche Grundgesetz gelangte: Der Staat darf keinen Menschen spurlos verschwinden lassen!

Mit dem Vordringen des Rechtsstaatsgedankens in den Strafprozess des neunzehnten Jahrhunderts wurde erstmals das Recht des Festgenommenen normiert, seine Angehörigen zu informieren. Eine Pflicht zur Benachrichtigung, die das einzig wirksame Instrument zum Schutz des Individuums ist, gelangte erst nach 1945 ins deutsche Recht. Berüchtigt war zunächst die Praxis der Nazis, missliebige Personen verschwinden zu lassen, die mit dem "Nacht-und-Nebel-Erlass" vom 7. Dezember 1941 vergesetzlicht wurde. Für die Rechtsetzung der unmittelbaren Nachkriegsjahre wurde freilich prägender, dass die SBZ stalinistische Methoden übernahm. Die Zahlen der in Speziallagern spurlos Verschwundenen waren denn auch im deutschen Osten in den Jahren 1945 bis 1949 erschreckend hoch (vermutlich rund 150 000), das Tatgebiet führte bis in die Berliner Westsektoren hinein. Kein Wunder, dass bei der Berliner Verfassungsgebung intensiv über eine Benachrichtigungspflicht diskutiert wurde.

1949 wurde ein subjektives Grundrecht im deutschen Grundgesetz verankert, die Strafprozessordnung zog nach. Etwas länglich beschäftigt sich Cornelius mit den Konflikten, die aus dieser Benachrichtigungspflicht erwachsen können: Wie, wenn die Nachricht Komplizen warnen kann? Wie, wenn höchste Rechtsgüter in Gefahr sind? Die Szenarien lassen sich unter Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien lösen. Anders gesagt: Die Bundesrepublik hat seit vielen Jahren eine valide Vorschrift, und die Pflicht zur Benachrichtigung steht in der Theorie jenseits aller dogmatischen Kontroversen.

Langsamer vollzieht sich dieser Schutz auf internationaler Ebene. Diverse völkerrechtliche Normen bleiben derzeit noch hinter dem deutschen Niveau zurück. Aber auch innerstaatlich muss der Schutz der Menschenrechte gewährleistet werden. Hier liegt das Interesse der Arbeit von Grammer, die sich mit der Schaffung eines Straftatbestandes des "Verschwindenlassens" beschäftigt. Denn das kriminelle Unrecht solcher Taten wäre keineswegs gesühnt, verurteilte man die Täter wegen schwerer Freiheitsberaubung und anderer begangener Delikte. Das Verschwindenlassen ist übler, und es ist mehr als die Summe jener Einzeldelikte.

In Diktaturen und Bürgerkriegen ließen Staat und parastaatliche Organisationen seit den sechziger Jahren zunehmend missliebige Individuen zu Zehntausenden verschwinden. Aus den Begehungsvarianten haben Juristen gelernt, wie man einen Tatbestand formulieren muss, um den Tätern beizukommen. Das Problem ist deren arbeitsteiliges Vorgehen, das Zeugenschaft und Spuren vermeidet. Wem und wie soll man die Schuld zurechnen? Kann das bloße Schweigen eines Schalterbeamten, die Vernichtung einer Akte Täterschaft begründen, oder ist es Beihilfe? Und was ist mit dem steuernden Hintermann?

Die Antworten, die Grammer auf das Problem des Verschwindenlassens als "staatsverstärkte Kriminalität" (Wolfgang Naucke) findet, sind ebenso rechtsstaatlich überzeugend wie transparent begründet. Sie aktualisieren das Bewusstsein um die Zerbrechlichkeit der Gewissheiten von Ordnung und Freiheit. Das gilt auch für jene Staaten, die sich als Bollwerke des Rechtsstaats und individueller Sicherheit verstehen. Zu Recht benennt Cornelius auf der ersten Seite die nicht begreifliche Praxis von Guantánamo.

Aber auch für den deutschen Leser gibt es eine Überraschung. Das kongeniale Ende der Arbeit von Cornelius bildet eine empirische Untersuchung an deutschen Gerichten. Dabei stellte sich heraus, dass der überwältigende Teil der deutschen Richter die strikt normierte Benachrichtigungspflicht zu einem bloßen Recht auf Benachrichtigung herabstuft und damit aushöhlt. Im rechtsstaatlichen Wohlstand der Bundesrepublik gilt ihnen die informationelle Selbstbestimmung höher als ein unzeitgemäß scheinendes Vehikel.

MILOS VEC

Christoph Grammer: "Der Tatbestand des Verschwindenlassens einer Person". Transposition einer völkerrechtlichen Figur ins Strafrecht. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Band S 105. Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2006. 253 S., br., 28,- [Euro].

Kai Cornelius: "Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen". Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 1: Allgemeine Reihe, Band 18. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2006. 464 S., geb., 59,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Interesse und Zustimmung hat Milos Vec zwei juristische Dissertationen über die rechtlichen Interventionsmöglichkeiten gegen das spurlose Verschwindenlassen von Menschen durch Staaten oder andere Organisationen gelesen. Christoph Grammer geht es in seiner Arbeit vor allem darum, einen Strafbestand herauszuarbeiten, mit dem das Verschwindenlassen von Personen juristisch verfolgt werden kann, erklärt der Rezensent. Die Berichte des Autors über diese Praxis in lateinamerikanischen Ländern fand Vec ziemlich beklemmend und insgesamt überzeugten ihn die Argumente des Autors als nachvollziehbar, wenn er sich durch die Arbeit auch vor allem daran erinnert sieht, wie fragil scheinbar so sichere Werte wie "Ordnung und Freiheit" sind.

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