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Der Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust hat in den letzten Jahrzehnten deutsche Identität und deutsche Politik wesentlich bestimmt. Seit der Einheit weichen Gewißheiten auf und werden Tabus angegriffen. Wohin geht Deutschland?
Deutschland steht an einem Scheidepunkt: Die Folgen der Einheit sind noch nicht bewältigt. Die Kriegs- und Tätergeneration stirbt allmählich. Die internationale Stellung des Landes hat sich geändert. Rechtsradikalismus nimmt dramatisch zu. Das Verhältnis zur Vergangenheit wird heftig debattiert - etwa im Streit um das Holocaust-Mahnmal, in der…mehr

Produktbeschreibung
Der Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust hat in den letzten Jahrzehnten deutsche Identität und deutsche Politik wesentlich bestimmt. Seit der Einheit weichen Gewißheiten auf und werden Tabus angegriffen. Wohin geht Deutschland?

Deutschland steht an einem Scheidepunkt: Die Folgen der Einheit sind noch nicht bewältigt. Die Kriegs- und Tätergeneration stirbt allmählich. Die internationale Stellung des Landes hat sich geändert. Rechtsradikalismus nimmt dramatisch zu. Das Verhältnis zur Vergangenheit wird heftig debattiert - etwa im Streit um das Holocaust-Mahnmal, in der Walser-Bubis-Debatte, in den Auseinandersetzungen um die Bücher von Goldhagen und Finkelstein. Michael Jeismann analysiert die Folgen dieses Wandels für die politische Kultur der neuen Bundesrepublik und ihrer europäischen Nachbarn.
Autorenporträt
Michael Jeismann, geboren 1958 in Münster, Studium der Geschichte, Literatur und Philosophie, Promotion bei Reinhart Koselleck in Bielefeld, seit 1993 Redakteur im Feuilleton der F.A.Z. Veröffentlichungen u.a.: "Das Vaterland der Feinde"; "Obsessionen"; "Ein Jahrtausend wird besichtigt".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2001

Weltinnenpolitik für morgen
Die Koordinaten für Deutschlands Position in der Welt müssen neu bestimmt werden
Bald geht sie wieder los, die Suche nach dem Unwort des Jahres. Einige ältere „Gewinner” unter den Unworten, „Kollateralschaden” etwa oder „Menschenmaterial”, erleben derzeit in Afghanistan ihre Wiedergeburt. Doch wer fragt nach dem (Un)satz des Jahres? Die „taz” ahnt den Sieger offenbar voraus. Unter dem Titel „Hallo, Neue Welt” zitierte sie Publizisten und Politiker mit der Formulierung: „Nichts ist mehr so, wie es war”. Eine Behauptung, die sich nach dem 11. September beinahe in jedem Blatt, Sender und Organ fand.
Dass dieser Satz in seinem universalen Anspruch nicht stimmen kann, ist keine originelle Erkenntnis, doch gibt es kaum etwas Beruhigenderes als die Einordnung der Gegenwart in die Vergangenheit. Die Zukunft mag dann schon noch kommen. Aber welche? Eine Frage, die Michael Jeismann zu beantworten sucht, indem er dem Gestern auf Wiedersehen sagt und die Politik von morgen aus dem Umgang mit der Vergangenheit ableitet.
Bürde als Chance
Jeismann hat sich mit dem Erinnerung an den Holocaust befasst – und damit, wie diese in den vergangenen Jahrzehnten die Identität deutscher Politik bestimmte. Das Verhältnis zur deutschen Vergangenheit wird bis heute heftig debattiert; der Streit um das Holocaust-Mahnmal oder um die Bücher von Daniel Goldhagen und Norman Finkelstein belegen dies. Doch vieles hat sich verändert: Die Tätergeneration stirbt langsam aus; gleichzeitig nimmt der Rechtsradikalismus zu. Die Stellung Deutschlands im internationalen Kontext muss neu bestimmt werden. Jeismann beschreibt, wie sich im öffentlichen Bewusstsein der Neunziger Jahre die Bürde zur Chance wandelte, Vergangenheitsbewältigung nicht bloß als Voraussetzung, sondern als Geschäftsgrundlage und Mittel der internationalen Politik zu begreifen. Als aktuelle Koordinaten für die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus dienen ihm die deutsche Einheit, die Osterweiterung der EU, der Krieg im Kosovo und die europäische Integration. Nach dem Ende der Ost- West-Konfrontation und mit Beginn des Golfkrieges und den Bürgerkriegen im zerfallenden Jugoslawien haben die Probleme der Weltgemeinschaft neue Namen bekommen. „Schurkenstaat” und „Genozid” hielten Einzug in die Rhetorik internationaler Politik. Für beides bot sich das Dritte Reich als historische Analogie an. Aus ihr werden die Kriterien der politischen Bewertung gewonnen.
In einer Zeit, die von neuartigen Herausforderungen in Gestalt religiös-politischer Organisationen und dem Szenario eines Kampfes der Kulturen geprägt ist, bietet der historische Rückgriff eine Orientierung, die, nach Jeismann „universale Gültigkeit” beanspruchen kann. Was im „Kalten Krieg” einmal „der Hauptwiderspruch” genannt wurde und das Gegeneinander der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion bezeichnete, sei heute der moralisch- politische Antagonismus von „Gut” und „Böse”.
Jeismann sieht die Ära einer Weltinnenpolitik anbrechen, die sich nicht mehr auf die staatspolitische Grundlage der späten vierziger Jahre stellen lässt. Nicht staatliche Souveränität oder formelle Staatsgrenzen, sondern menschliches Leid wird in Zukunft den Ausschlag für eine Politik der Intervention geben. Soll die vielzitierte „Globalisierung” in Zukunft politisch eingebettet und eingedämmt werden, wie einst der Krieg im europäischen Kriegsrecht eingedämmt werden musste, dann bedarf es dafür einer Legitimation zur Intervention.
Jeismanns Rückschlüsse aus dem Kosovo-Krieg erscheinen vor dem Hintergrund des „Krieges gegen den Terror” mehr als wegweisend: Die Globalisierung erfordert eine Interventionspolitik allein schon aus Gründen des Weltmarktes. Mit den wirtschaftlichen Interessen der Staaten und der großen globalen Konzerne lässt sich dergleichen jedoch nicht hinreichend begründen. Es unterschlüge auch, dass mit der Globalisierung die Welt in einem Maß untereinander verbunden ist, dass „schwarze Flecken” der Rechtlosigkeit stärker ins Gewicht fallen als zu Zeiten alter Großmachtpolitik. Es kommt teuer zu stehen, wenn man die Probleme erst zu lösen sucht, nachdem sie so gewachsen sind, dass sie über die Grenzen eines Landes hinauswuchern.
Jeismann sieht kein historisches Ereignis, das besser zu den gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten passt als die nationalsozialistische Aggressions- und Vernichtungspolitik. Das Dritte Reich war, so gesehen, der erste „Schurkenstaat” der politischen Moderne. Deshalb ist es in den Augen des Autors eben diese Vergangenheit, auf die man sich heute bezieht. Indem Jeismann skizziert, wie die Vergangenheit im vergangenen Jahrzehnt zu Geschichte wurde, erklärt er zugleich, warum auch das Deutsche als Singuläres schwand. Militärisches Engagement am Hindukusch lässt es kaum mehr fraglich erscheinen, ob das deutsche Selbstverständnis noch durch Abgrenzung geprägt ist oder ob nicht vielmehr die Empfindung von Gleichheit mit dem Rest Europas den Vorrang hat.
Jeismanns großes Verdienst ist es, lange vor dem 11. September ein Essay verfasst zu haben, das Fragen zu beantworten sucht, die sich viele seiner Zunft erst heute zu stellen beginnen. Das erste Kapitel einer Geschichte der Berliner Republik ist geschrieben. Eine rege Debatte ist ihm zu wünschen.
THOMAS SPECKMANN
Der Rezensent ist Historiker und lebt als Publizist in Münster.
MICHAEL JEISMANN: Auf Wiedersehen Gestern. Die deutsche Vergangenheit und die Politik von morgen, Deutsche Verlagsanstalt, München 2001. 214 Seiten, 36 Mark.
Neue Zeiten sind angebrochen in der Bundeswehr: Frauen dürfen in Kampfeinheiten dienen, deutsche Soldaten kämpfen auf fremdem Terrain.
MC> Foto: AP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2001

MICHAEL JEISMANN, Feuilleton-Redakteur dieser Zeitung, hat einen Essay über die Zäsur der Gegenwart und den Abschied von Gestern geschrieben. Er handelt vom Ende der "deutschen Vergangenheit" und ihrem Wiedererscheinen in einer intentionalisierten, politisch gebrauchsfähigen Geschichte von Genozid und Gewalt als Fixpunkt der Weltpolitik: Vom deutschen Gewissen zum Kampf um globalisierte Erinnerung, vom Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß zu Slobodan Milosevic in Den Haag. Es wird gefragt, auf welchen politisch-historischen Grundlagen die supranationale Interventionspolitik steht und welche Rückwirkungen diese auf das Selbstverständnis Deutschlands und Europas hat. Die neue Zeit hat schon begonnen - und mit ihr eine andere Geschichte. (Michael Jeismann: "Auf Wiedersehen Gestern". Die deutsche Vergangenheit und die Politik von morgen. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und München 2001. 214 S., zahlr. Abb., geb., 36,- DM.)

F.A.Z.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Nicht mehr nur Gegenwart und Zukunft sind global, jetzt wird auch die Vergangenheit globalisiert. Besonders auffallend an den jüngsten Holocaust-Debatten sei, schreibt Edgar Wolfrum in seiner Rezension des Buches "Auf Wiedersehen Gestern" von Michael Jeismann, dass ihr Gegenstand nicht mehr deutsches Verhalten und deutsche Taten sind. "Es gibt eine globalisierte Arbeit an der Formung kollektiver Gedächtnisse", stellt Wolfrum fest: Der Holocaust werde im politischen Tagesgeschäft zunehmend "als Grundlage einer gebrauchsfähigen gemeinsamen europäischen Vergangenheit genutzt". Als Beispiel dient hier die Stockholmer Holocaust-Konferenz. Der Rezensent lässt leider etwas im unklaren, ob es sich dabei um seine eigenen schlauen Gedanken handelt oder um Jeismanns. Von Jeismann jedenfalls, soviel wird deutlich, stamme eine "schlüssige" Beschreibung des Wandels im deutschen Geschichtsbild: Das Holocaust-Mahnmal veranschauliche nicht nur, dass die Geschichte des Holocaust inzwischen zum repräsentativen Selbstverständnis der Bundesrepublik gehört, sondern auch das Ende der Befangenheit. Schließlich moniert Wolfrum den assoziativen Stil des Autors: "Als Leser weiß man nicht immer, wo sich der Autor gerade aufhält."

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