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Niall Ferguson liefert die erste große historische Gesamtdeutung nach der Epochenzäsur 1989. Wer über die tiefgreifenden Konsequenzen des Mauerfalls, über die künftigen Rollen von Wirtschaft und Politik im Kapitalismus etwas wissen will, wird künftig auf dieses Werk nicht verzichten können.Nach dem Erfolg von »Der falsche Krieg« packt Niall Ferguson erneut ein heißes Eisen an: Der demokratische Wohlfahrtsstaat ist für die eigentlichen Gefahren der Zukunft nicht gewappnet. Der freie Markt gilt vielen als die letzte und einzige Möglichkeit, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche…mehr

Produktbeschreibung
Niall Ferguson liefert die erste große historische Gesamtdeutung nach der Epochenzäsur 1989. Wer über die tiefgreifenden Konsequenzen des Mauerfalls, über die künftigen Rollen von Wirtschaft und Politik im Kapitalismus etwas wissen will, wird künftig auf dieses Werk nicht verzichten können.Nach dem Erfolg von »Der falsche Krieg« packt Niall Ferguson erneut ein heißes Eisen an: Der demokratische Wohlfahrtsstaat ist für die eigentlichen Gefahren der Zukunft nicht gewappnet. Der freie Markt gilt vielen als die letzte und einzige Möglichkeit, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Spannungen auszugleichen. Unterdessen ist der Politik die Handlungsmacht abhanden gekommen, das Primat der Wirtschaft diktiert das Geschehen.Ein Buch, das alle Sozialstaats-, Globalisierungs und Parteiendebatten der letzten Jahre kleinmütig und nebensächlich erscheinen läßt. Ein hochexplosives Gemisch aus Polemik, historischer Beschreibung, Scharfsinn und souveräner Urteilskraft. Niall Fergusons bahnbrechende Untersuchung erweist das Gegenteil: Die Politik muß den verlorengegangenen Einfluß zurückerobern, um zukünftige Gefahren für die Demokratie abzuwehren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Kronzeuge Krieg ist unbestechlich
Die Demokratie hat einen Haken, doch am Golde hängt nicht alles: Niall Ferguson mag keine Rechenschieber / Von Michael Jeismann

Es gibt Bücher, die muß man zweimal übersetzen. Einmal von der einen in die andere Sprache. Und ein zweites Mal von der einen in die andere Kultur. Bei Werken aus exotischen Milieus setzt man selbstverständlich voraus, aber der Überraschungseffekt ist nicht gering, wenn man plötzlich entdeckt, daß ein Buch aus dem England unserer Tage ebenfalls der zweifachen Übersetzung bedarf. Dabei klingt der deutsche Titel des neuen Werks von Niall Ferguson vertraut: "Politik ohne Macht. Das fatale Vertrauen in die Wirtschaft". Er erinnert an die Klage, die in Deutschland und noch stärker in Frankreich über den Gestaltungsverlust der nationalen Politik geführt wird, über die Abtretung zahlreicher staatlicher Hoheitsrechte an Privatunternehmen. Die Ökonomisierung der Politik ist eigentlich nichts, was hierzulande eigens erklärt werden müßte. Wenn schon die Bundesdruckerei, die für das Drucken des Geldes zuständig ist, privatisiert wird, dann wird sichtbar, wie stark das Vertrauen in die Wirtschaft tatsächlich sein muß.

Von diesen vertrauten Reibungsflächen zwischen Politik und Wirtschaft handelt der englische Wirtschaftshistoriker und Politikwissenschaftler Niall Ferguson zwar auch. Sein Blickwinkel aber ist dem Kontinentaleuropäer vollständig fremd geworden: Es geht ihm um die Möglichkeiten imperialer Politik im Zeitalter der Globalisierung zwischen "Überforderung" und "Unterforderung". Er stellt den "cash nexus" in Frage, wie es Carlyle einmal in romantischer Resignation genannt hat: die Rolle des Geldes also als wichtigstes Mittel und Ziel der Politik. Die "entscheidende Schlußfolgerung des vorliegenden Buches", so Ferguson schon in der Einleitung, lautet, "daß das Geld ebensowenig die Welt in Bewegung setzt, wie sich Dostojewskis Gestalten in ,Schuld und Sühne' nach Logarithmentafeln richten. Vielmehr waren es politische Ereignisse, vor allem Kriege, die die Institutionen des modernen Wirtschaftslebens wie steuereintreibende Bürokratien, Zentralbanken, Anlagemärkte und Aktienbörsen gestattet haben."

Fergusons Buch ist wie ein mathematischer Beweis formuliert, der aus immer neuen Blickwinkeln und mit immer neuem Zahlenmaterial die einleitende These erhärtet. Das ist ein wenig ermüdend, und doch lohnt sich die Lektüre. Zum einen, weil das ausgebreitete Material durchaus interessant ist und auch manche Kuriosa enthält. So erzählt Ferguson im ersten Kapitel, in dem es um "Aufstieg und Fall des Militärstaats" geht, von weiblichen medizinischen Hilfskräften, die während des Ostfeldzugs angeblich ihre Zähne benutzten, um zertrümmerte Gliedmaßen zu amputieren. Mit einem gewissen Gruseleffekt kalkuliert Ferguson auch in der großen Linie seines Buchs, worin der zweite, wichtigere Grund zum Weiterlesen liegt. Denn er unterzieht viele Annahmen, die im Westen für bare Münze genommen werden, einer Revision.

Dazu zählt der Zusammenhang von politischer Repräsentation und Steuerbelastung, der Glaube, daß Wohlstand Krieg verhindern könne, daß Prosperität Regierungen populär mache oder Wirtschaftswachstum die Demokratisierung fördere. Es handelt sich dabei um jene Glaubenssätze, die das politische Handeln der westlichen Welt mit geprägt haben und in der neoliberalen Doktrin zugespitzt wurden.

Wie ist es also um den Zusammenhang von Demokratie und Wohlstand bestellt? Zunächst werden die optimistischen Theorien Francis Fukuyamas und Amatyra Sens, Tocquevilles und Schumpeters angeführt. Daß Wirtschaftswachstum zur Entwicklung demokratischer Institutionen beiträgt, konzediert Ferguson. Den Umkehrschluß, daß die Demokratisierung auch das wirtschaftliche Wachstum vorantreibe, läßt er nicht ohne Einwände gelten. Er zitiert die globale Langzeitstudie des Ökonomen Robert Barro, die ebenfalls eine Verknüpfung von Wohlstand und Freiheit plausibel macht. Ferguson verweist auf zahlreiche bedeutende Ausnahmen wie Jugoslawien, das vor fünfzehn Jahren ökonomisch sehr viel besser dastand als die anderen mittel- und osteuropäischen Staaten, dessen Demokratisierung aber kaum vorankam.

Dem stehen positive Erfahrungen in sehr armen Ländern wie Papua-Neuguinea gegenüber. Und warum eigentlich waren die relativ wohlhabenden Länder Lateinamerikas in den sechziger und siebziger Jahren alles andere als demokratisch? Auch beim Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskrise und der Entstehung autoritärer, antidemokratischer Bewegungen im Europa der zwanziger Jahre gibt es keinen Determinismus: Die Wirtschaftskrise war in den demokratisch gebliebenen Niederlanden nahezu genauso scharf. Kurzum: Die Welt wird nicht vom Geld allein regiert, und es wäre gerade für die Demokratien ein tödlicher Irrtum zu meinen, der Wohlstand sei die Bedingung ihres politischen Wohlergehens.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Das wirtschaftliche Wachstum kann die demokratische Stabilität untergraben - zumal wenn der Zuwachs an Vermögen in der Bevölkerung zu immer größerer Ungleichheit führt. Daß die "wirtschaftlichen Verlierer" der liberalen Politik die Schuld an ihrer Misere zuschreiben, ist häufig genug belegt. All das spricht in keiner Weise gegen die Demokratie. Es geht nur um ihre richtige Begründung: Wer sich vor allem einen geldwerten Vorteil erhofft, ist schon auf dem Holzweg. Ferguson, der vor rund zehn Jahren eine vielbeachtete Studie über vermeintliche Determinismen am Vorabend des Ersten Weltkriegs veröffentlichte, ist ein beredter Verfechter politischer Tugend, und seine Philippika gegen den denkfaulen Ökonomismus, der die Gewinnmaximierung zum Nukleus von Gesellschaftsbildung wählt, ist wenigstens als Mahnung dringend angezeigt. Ferguson rät den Demokratien, allen voran den Vereinigten Staaten, sich auf jene existentielle Konflikte theoretisch einzustellen, die eben nicht durch Geld zu lösen sind. Damit finden wir uns allerdings auf einem klassischen Feld der politischen Theorie wieder. Und hier hat Fergusons Werk auch einen symptomatischen Wert, der leider gar nicht akademisch ist: Nicht nur die Bedeutung des Krieges und die Rolle des Militärs für die modernen Gesellschaften werden deutlich herausgearbeitet. Es ist der Krieg selbst, der von den Geschichtswissenschaften über die Mediengeschichte bis hin zur politischen Theorie näherrückt, nachdem er als Forschungsgegenstand lange Zeit nahezu tabuisiert war. Und mit jener Skepsis, wie sie Ferguson in hohem Maß zu eigen ist, müssen wir einräumen, daß solche Diskursverschiebungen nicht immer ohne Entsprechung in der politischen Welt blieben.

Niall Ferguson: "Politik ohne Macht". Das fatale Vertrauen in die Wirtschaft. Aus dem Englischen von Klaus Kochmann. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, München 2001. 464 S., geb., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2001

Die unsichtbare Hand
Das Gespenst der Globalisierung geht um in Europa, aber Niall Ferguson hat Vertrauen in die Politik
Über die Wirklichkeit von Gespenstern muss man nicht streiten, aber man kann. Die, die im 19.  Jahrhundert in Europa umgingen, sind auf und davon. Marx und Engels hatten Recht mit ihren Beobachtungen zur Lage der arbeitenden Klassen. Falsch lagen sie mit ihren Prognosen. Das Kommunistische Manifest ist das Protokoll einer Geisterbeschwörung. Wollte man darüber streiten, wie geisterhaft das auf Europa losgelassene Gespenst des Kommunismus tatsächlich war, müsste man sich einer Frage zuwenden: Wie sehr hat das sozialistische Schreckgespenst den Kapitalismus aus der erklärten Gegnerschaft heraus erfolgreich und daher attraktiv werden lassen?
Für Marx und Engels war alles, was vor der klassenlosen Gesellschaft lag, ökonomisch verursacht und ideologisch überformt. Nach ihrem Abgang von der Bühne (es wurde allerdings möglicherweise erst ein Akt des Dramas gespielt), gilt alles als ökonomisch bedingt und deshalb vernünftig. Die Ideologie scheint eingedampft auf das Postulat, der Markt werde in jedem Fall das Notwendige richten. Weil aber in dieser Denkweise das Notwendige aus der Anerkennung des Erwerbstriebs abgeleitet wird, zeigt sich, als unsichtbare Hand, ein zweites Gespenst. Es scheint quicklebendig, es lenkt die Ereignisse der Wirtschaft wie die des politischen Lebens, es ist paradox, weil, wie die Marxsche Logik des Kapitals dem 19. Jahrhundert buchstäblich entsprungen, und es gilt als sakrosankt. Wer wollte die unsichtbare Hand schlagen, der wir alle unsere Reichtümer und Freiheiten verdanken?
Besser, man fügt sich dem Primat der Wirtschaft. Allen Gegenentwürfen fehlt diese bestechende Verkettung von Reiz und Reaktion, diese überaus produktive Wenn-dann-Hypothetik, aus der zum Beispiel Tom Wolfe heute die Antriebskraft für seine Romane gewinnt. Heute noch, muss man wohl sagen, denn auch diese mechanisierte Ästhetik hat ihre besten Tage schon einmal gehabt. Das 19. Jahrhundert hat uns wieder. Es liefert die Grundierung, durch die die grell geschminkte New Economy noch kenntlicher wird, auch in ihren Pleiten. So wie die Startups der Gegenwart auf ihren Datenautobahnen gingen vor 150 Jahren auch die Eisenbahngesellschaften mit ihren Schienennetzen zugrunde und richteten sich dann ebenso schnell wieder auf.
Grundlegende Konflikte darum, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist, scheint es dagegen nicht mehr zu geben.
Die unsichtbare Hand ist kein Mittel, wie noch bei Adam Smith, der strategisch dachte, sondern ein Mysterium. Sie wird von Treuhändern und Gläubigern wie eine Reliquie ergriffen und wie eine Hostie zum Munde geführt. Letzteres verlangsamt manchmal ein wenig die Sprechweise, vor allem, wenn sich herausstellt, dass die Gläubiger eigentlich nur Unternehmensberater und die Treuhänder spin doctors sind. Weil sie aber ihre Reichtümer nicht nur mehren, sondern auch vorzuzeigen verstehen, rührt sich kein Widerspruch, außer in den seltenen Fällen vielleicht, wo der Widerpart der privaten Wirtschaft, der Staat, einmal zu augenfällig abgezockt wurde. In solchen Fällen ist plötzlich vom Anspruch auf das Soziale, von politischem Gestaltungswillen, von Gesellschaft und manchmal sogar von Gemeinschaft die Rede. Um solche Fälle geht es, in epischer Breite, in Niall Fergusons Buch.
Es handelt von der unentwirrbaren Gemengelage, in der sich Wirtschaft und Staat zueinander befinden. Es handelt aber vor allem von den Irrtümern, die daher rühren, dass Menschen in Wirtschaftstheorien wie gängigen Entwürfen von Wirtschaftspolitik in erster Linie als Subjekte wirtschaftlichen Handelns auftreten. Ferguson meidet jede Spiegelung. Weder als Subjekte noch als Objekte wirtschaftlicher Macht und Verfügungsgewalt sieht er die Menschen. Wie der im Februar verstorbene Nobelpreisträger Herbert A. Simon (dessen Schriften er trotz unübersehbarer Nähe nicht erwähnt) sieht er sie keineswegs gefangen im Bannkreis der Ökonomie. Sie handeln auch nicht in jedem Fall nach einem Kalkül, bei dem über den Tag hinausgedacht wurde, so wenig, wie ein König nach einem Kalkül handelt, wenn er, um ein denkbar folgenreiches Vorhaben zu finanzieren, auf eine denkbar folgenreiche Weise die allgemeinen Steuern erhöht. Manchmal entstehen Revolutionen aus solchem Tun, manchmal verändern nur Institutionen und Machthaber ihren Charakter, und manchmal gewinnt das Leben eines Menschen durch sein vermeintlich bedachtes und tatsächlich unbedachtes Vorgehen einen anderen Sinn. Man kann durchaus zu der Frage gelangen, ob wegen solcher Einsichten ein weiteres Buch zum Verhältnis von Wirtschaft, Gesellschaft, Staat und Individuum notwendig gewesen wäre. Ferguson verfügt aber über ausreichend Autorität, literarische Bildung und vor allem über ein immenses Gespür für Kombinatorik.
Ein Feind des Faktischen?
Methodisch streng in der Darstellung, locker in der Erzählweise treibt Ferguson es manchmal recht bunt. Krieg, Frieden und Steuern? Material über Material dazu aufzutürmen, bereitet ihm kaum Mühe. Demokratie und Prosperität? Auf dem Gebiet hat die unsichtbare Hand Unabsehbares geleistet; aber lag das wirklich am Markt? Der Sieg des Westens im Kalten Krieg hat hier einen Protokollführer gewonnen, der sich nicht geniert, übereilte Siegesmeldungen wie das aussehen zu lassen, was sie nur waren: ein Pamphlet. Kaum hat man sich einem solchen von Ferguson angeregten Gedanken aber ergeben, wird man von ihm schon zum nächsten gezerrt. Ein unbestreitbarer Vorzug und Nachteil seines Buchs ist, dass es einen oft recht atemlos macht, und manchmal auch appetitlos, wegen eines von ihm hervorgerufenen Völlegefühls. Assoziieren, sagt man sich dann, ist doch eigentlich ein Mittel der Kunst, und keines der Historiografie. Aber: Wäre er Historiker, suggeriert Ferguson, würde er nicht schreiben, wie er schreibt. Tatsächlich ist er ja einer, der außerdem Anspruch darauf erhebt, als ein Universalgelehrter zu gelten.
Volker Ullrich hat nach dem Erscheinen von Fergusons Studie über den Ersten Weltkrieg, The Pity of War, angemerkt, es handle sich bei ihm, wie bei Giles MacDonogh, der Wilhelm II. unlängst als europäischen Friedenskaiser einführte, um einen aus „einer Garde von Historikern in England, die es mit den Fakten nicht mehr so genau nehmen”. Ein paar ärgerliche sachliche Fehler finden sich auch in Politik ohne Macht. Besonders ärgerlich an ihnen ist, dass sie ihre Existenz offenbar vor allem Fergusons auf schnellen Schnitten beruhender, dem Film entlehnter Erzähltechnik verdanken. Die gelungene Assoziation als der Feind des Faktischen.
Um drei Fragen geht es Ferguson am Ende vor allem: um die nach dem Verschwinden der Sowjetunion auf ihn eher brüchig wirkende Macht der Vereinigten Staaten, um die Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung und um die Zukunft der staatlichen Institutionen. Bei seinen Reflexionen über vergangene und zukünftige Formen der Globalisierung (auch sie hat es, geisterhaft und real gleichermaßen, bereits im 19. Jahrhundert gegeben) gelangt Ferguson mit für ihn nicht immer typischem Understatement zu dem Schluss, das Problem liege darin, „dass eine Herde – insbesondere ohne einen Hirten – dazu neigt, in panischer Flucht davonzujagen”. Der eher schwarze Gedanke führt ihn zur Warnung vor künftigen Kriegen. Aus denen der jüngsten Vergangenheit folgert er, dass, wie im Kosovo zu beobachten, wirtschaftlicher Nutzen kein den Kriegsverlauf allein bestimmender Faktor mehr ist. Das Ausbleiben eines Bodenkriegs gegen Serbien hatte mit einem ganz neuen Phänomen, mit dem der öffentlichen Meinung zu tun. Die Institutionen der Demokratie könnten daraus neue Kraft gewinnen. Sie müssten dazu allerdings mehr als nur den derzeit maßgeblichen homo oeconomicus repräsentieren.
Dass es dafür kaum einen Anlass geben kann, liegt für Ferguson auf der Hand. Die wohl am meisten irritierende Erfahrung, die mit den Nationalstaaten seit dem 19. Jahrhundert gemacht wurde, ist für ihn die, dass die in wirtschaftlicher wie demokratischer Hinsicht erfolgreichsten unter ihnen ihren Zusammenhalt nicht so sehr an einer allgemein anerkannten politischen Ordnung, sondern dem Vorhandensein ethnischer Majoritäten verdankten. Der Staatswille allerdings vermag sich von dieser Ausgangslage zu lösen. Diese Entwicklung führt in neue ethnische Konflikte, an deren Ende das Verlangen nach weiteren Nationalstaaten steht. Wiewohl scheinbar archaisch, beeinflusst dieses Verlangen die staatliche und wirtschaftliche Tätigkeit so sehr, dass es nicht als Ballast aus der Vergangenheit abgetan werden kann. Es ist so gegenwärtig wie sein Gegenstück, die Kommunikationsmittel der Moderne, die das ihre dazu beitragen, dass sich die Konturen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft mehr und mehr verwischen.
Auf fast unauffällige Weise entkoppelt Ferguson die Begriffe Fortschritt und Modernisierung. Moderne ist auch ohne allgemeine Fortschritte denkbar, so, wie Bindung an Traditionen nicht bedeuten muss, das ein Land rückständig ist. Das 19.  Jahrhundert, zeigt sich dabei, ist eben doch auch ganz anders gewesen. Nur seine Philosophen und Ökonomen haben das nie richtig bemerkt.
Immer dann, wenn Ferguson seine Aufmerksamkeit auf Phänomene wie Spiritualität, Traditionsgebundenheit oder simple menschliche Laster lenkt, schickt er zwei Kronzeugen aus der Literatur des 19.  Jahrhunderts ins Feld, Tolstoi und Dostojewski. Beiden ging es um das Verhältnis von Menschen und Macht, und beide haben dazu erschöpfend Auskunft gegeben. Ferguson variiert ihre Einsicht in die Natur des Menschen auf eine, wegen der Fülle des beigebrachten Beweismaterials, manchmal recht erschöpfende Weise.
GERALD SAMMET
NIALL FERGUSON: Politik ohne Macht. Das fatale Vertrauen in die Wirtschaft. Aus dem Engl. von Klaus Kochmann. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart München 2001. 464 S. , 49,80 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Etwas erschöpft bespricht Gerald Sammet das Buch des selbsternannten "Universalgelehrten" Niall Ferguson über die Interaktionen zwischen Wirtschaft, Gesellschaft, Staat und Politik. Dem Autor gehe es vor allem um die Auswirkungen der Globalisierung, die seiner Meinung nach brüchige Vorherrschaft der Vereinigten Staaten und um die Zukunft staatlicher Institutionen. Fergusons Prognosen zur Globalisierung seien eher pessimistisch, seine Einschätzung der wirtschaftlichen Dynamik von Kriegen wie im Kosovo wiederum hoffnungsvoll, da das Phänomen der öffentlichen Meinung für die demokratischen Institutionen neue Kraft schöpfen könne. Sammet merkt kritisch an, dass Ferguson zwar über ein "immenses Gespür für Kombinatorik verfügt. Weil er sich aber gerne von seinen Assoziationen treiben lasse, hätten sich ein paar ärgerliche sachliche Fehler in das Buch eingeschlichen. Auch verursacht die Fülle der "in epischer Breite" zusammengetragenen Information beim Rezensenten ein Völlegefühl. Wie Sammet findet, verfügt der Autor aber über genügend Autorität und literarische Bildung, um die Stofffülle rechtfertigen zu können.

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