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Mit Anfang dreißig hatte Ulrike Meinhof erreicht, wovon andere träumten. Doch 1970 ließ sie dieses Leben hinter sich, um in den Untergrund zu gehen. Von nun an galt sie als "Stimme der RAF" - und als "Staatsfeind Nr. 1". Ein radikaler Schnitt, der bis heute schwer nachvollziehbar scheint. Alois Prinz folgt ihren Lebensspuren, von der Kindheit im Dritten Reich bis zu ihrem Tod in Stammheim. Er lässt dabei Zeitzeugen sprechen und präsentiert schwer zugängliches und bisher unveröffentlichtes Material. Mit gebotener Distanz erzählt er ein Leben, in dem sich die Nachkriegsgeschichte der…mehr

Produktbeschreibung
Mit Anfang dreißig hatte Ulrike Meinhof erreicht, wovon andere träumten. Doch 1970 ließ sie dieses Leben hinter sich, um in den Untergrund zu gehen. Von nun an galt sie als "Stimme der RAF" - und als "Staatsfeind Nr. 1". Ein radikaler Schnitt, der bis heute schwer nachvollziehbar scheint. Alois Prinz folgt ihren Lebensspuren, von der Kindheit im Dritten Reich bis zu ihrem Tod in Stammheim. Er lässt dabei Zeitzeugen sprechen und präsentiert schwer zugängliches und bisher unveröffentlichtes Material. Mit gebotener Distanz erzählt er ein Leben, in dem sich die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik spiegelt und das zugleich fundamentale Fragen politischer Ethik aufwirft. Ein Urteil über den Menschen Ulrike Meinhof überlässt er dabei dem Leser.
Autorenporträt
Alois Prinz, geb. 1958, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie. Er lebt mit seiner Familie in Feldkirchen-Westerham. Im Programm Beltz & Gelberg veröffentlichte er bereits die Lebensgeschichte des Georg Forster "Das Paradies ist nirgendwo".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2003

Tränen der Wut
Wie aus der braven Ulrike Meinhof eine Terroristin wurde
ALOIS PRINZ: Lieber wütend als traurig. Die Lebensgeschichte der Ulrike Marie Meinhof. Beltz & Gelberg, Weinheim 2003. 328 Seiten, 14 Euro.
Gleich zu Anfang seines überaus klugen Buches über die Journalistin und Terroristin Ulrike Meinhof zitiert der Autor Alois Prinz den Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter, der beklagt, bereits das bloße Verstehen-Wollen werde als „Einverständnis mit den RAF-Tätern gewertet”. Tatsächlich ist es so, dass sich auf gefährlichem Terrain bewegt, wer eine Biografie über eine der Protagonistinnen des deutschen Herbstes schreibt. Bis heute existiert dieses Tabu: dass der Versuch einer Einfühlung in die Seele von Terroristen nicht gewagt werden darf, weil das gleichgesetzt wird mit Sympathisantentum.
Und dennoch wagt sich Prinz an eben das: Er ist erkennbar bemüht, den Menschen Ulrike Meinhof zu verstehen – und doch muss das Scheitern des Versuchs attestiert werden, die Motivlage einer so komplexen, anfangs christlich orientierten, lange Zeit von fast schon langweilig-intellektueller Redlichkeit geprägten Frau zu verstehen, die in relativ kurzer Zeit kompromisslos und gewalttätig wird. Prinz schreibt, sie sei für ihn zum Schluss immer undeutlicher geworden, sei als Person trotz intensiver Recherche verschwunden – übrig blieb ein „Netz voller Gedanken, so eng und fest, dass ich sie dahinter kaum sehen konnte”.
Ulrike Meinhof wird oft mit den 68ern in einen Topf geworfen, doch die renommierte Journalistin ist bereits Mitte dreißig, als die Studentenrevolte ihren Höhepunkt erreicht. Sie hat als Kind den Krieg erlebt, beide Eltern sterben nacheinander an Krebs. Das stille und ernsthafte Mädchen wächst bei einer Freundin der Mutter auf, bei der Historikerin und späteren Gründerin der Deutschen Friedens-Union (DFU), der Professorin Renate Riemeck. Sie ist eine für ihre Zeit sehr emanzipierte Frau, die ihre Pflegetochter mit ins hessische Weilburg nimmt und dort an eine katholische Mädchenschule gibt.
Als die junge Studentin Meinhof später Psychologie, Pädagogik, Soziologie und Germanistik belegt und ihre ersten politischen Gehversuche in der Anti-Atombewegung macht, lernt sie Klaus Rainer Röhl kennen, der die Zeitschrift konkret herausgibt. Alois Prinz beschreibt ausführlich, wie lange das Paar brauchte, um sich zu mögen, wie sehr sich Röhl beim Anblick des biederen Mädchens an die Heilsarmee erinnert fühlt. Sie wiederum findet, er sei „ein Brechmittel”. Doch aus der Ablehnung wird Liebe, Ulrike Meinhof bekommt Zwillinge von Röhl, schreibt für konkret. Ein fast mondänes Leben beginnt, das so gar nicht zur Meinhof passen will: Geld, Partys, Drogen, Röhl hat Liebschaften, man streitet, schließlich verlässt sie ihn. „Das Verhältnis zu Klaus, die Aufnahme ins Establishment, die Zusammenarbeit mit den Studenten – dreierlei, was lebensmäßig unvereinbar scheint, reißt an mir.” Zu diesem Zeitpunkt gilt sie bereits als eine der bekanntesten Journalistinnen Deutschlands.
Nach der Ermordung von Benno Ohnesorg und langen Gesprächen mit Rudi Dutschke kommt sie zu dem Schluss, dass der Staat eine scheindemokratische Fassade wahre, dass man durch Regelverletzungen die Ordnungsmächte reizen müsse. „Wirft man einen Stein, so ist das eine strafbare Handlung. Wirft man tausend Steine, ist das eine politische Aktion.” Man müsse, schreibt sie nun, zum Kampf gegen die gesellschaftlichen Mächte übergehen.
Wo ist das stille, spröde, das in sich gekehrte Mädchen geblieben, das den Nonnen in der Schule solche Freude gemacht hatte? Hat Röhl sie zynisch gemacht, haben die Erlebnisse der Studentenrevolte, die rat- und hilflose Repression der Staatsgewalt gegen die Kräfte des Aufbruchs, sie verbittert? Was hat Ulrike Meinhof umgedreht, und wann geschah das? Alois Prinz hat darauf keine Antwort, kann sie vermutlich auch nicht geben. Seine Lesart ist, dass das politische Engagement der Meinhof von tief moralischen Motiven geleitet gewesen sei; sie habe nie einsehen wollen, dass man gegen den „Faschismus nichts tun kann”.
Die Journalistin lernt Andreas Baader kennen, den Prinz als Hallodri, als intelligenten, aber stinkfaulen Kasper charakterisiert, trifft Gudrun Ensslin, und beherbergt die beiden in ihrer Wohnung, als diese nach einer Flucht ins Ausland 1970 vor ihrer Tür stehen. Baader wird verhaftet, Ulrike Meinhof bei dem Versuch, ihn zu befreien, verletzt, steckbrieflich gesucht, taucht unter. Fast klingt es, als sei der Weg in den Untergrund weniger von Überzeugungen als von Zufällen und scheinbaren äußeren Zwängen geprägt gewesen. Noch immer hätten viele Freunde, so Prinz, an ihre „moralische Integrität” geglaubt, hätten Ulrike Meinhof „vor sich selber schützen” wollen. Ihre Pflegemutter schreibt ihr einen offenen Brief: „Du bist anders, Ulrike”. Aber sie ist schon nicht mehr zu erreichen, in ihren Augen gleicht Deutschland einem Gefängnis, die Rolle der in ihm lebenden Menschen ist die von Sklaven. Ihren eigenen Weg nennt sie den „Kampf gegen die Ausbeuter”.
Sie wird zu einem der Köpfe der RAF, verfasst Konzepte, verübt Bombenanschläge, bis sie 1972 festgenommen wird.
Ihren Töchtern schreibt sie aus dem Gefängnis: „Es ist besser, wütend als traurig zu sein.” Als sie 1976 tot in ihrer Zelle gefunden wird, kommen Zweifel daran auf, dass Ulrike Meinhof Selbstmord begangen habe. Prinz registriert diese Zweifel genau und lässt zwischen den Zeilen erkennen, dass er den Selbstmord einer Frau, welche die Wut der Trauer vorzieht, für wenig wahrscheinlich hält.
Der Theologe Helmut Gollwitzer würdigte ihr Leben bei der Beerdigung mit den Worten, sie sei eine Person gewesen, die sich das Leben dadurch schwer gemacht habe, dass sie das Leid anderer Menschen all zu nahe an sich habe herankommen lassen. Und der Verleger Klaus Wagenbach zitierte die Verse von Bertolt Brecht, dass diejenigen, die den Boden für Freundlichkeit bereiten wollten, selbst nicht freundlich sein könnten.
Mit Verweis auf die Ideologie, der Ulrike Meinhof anhing, mit Verweis auf die Bombenattentate, die sie verantwortete, mit Verweis auf jene Menschen, welche die RAF ermordete, mag dieser Blick mit dem Weichzeichner allzu verständnisvoll wirken. Und so könnte man Alois Prinz den Vorwurf machen, dass seine akribisch recherchierte Biografie zu sensibel geraten ist. Er würde vermutlich antworten, dass es die Aufgabe eines Biografen ist, in die Seele seines Sujets zu leuchten, und das Urteil hintanzustellen. Sein Urteil über Ulrike Meinhof muss denn auch der Leser fällen.
CATHRIN KAHLWEIT
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2003

Nur praktisch
Kann man Ulrike Meinhofs Leben der Jugend erzählen?

Eine der frühen Maximen der Roten Armee Fraktion klingt, wenn man nur das Wesentliche wegläßt, wie die Vorgabe für einen stimmungsvollen, aufgeräumten Entwicklungsroman: Ob es richtig ist, hängt davon ab, ob es möglich ist, ob es aber möglich ist, das ist nur praktisch zu ermitteln. Daß dieses Motto nicht über einer Bearbeitung des "Wilhelm Meister" steht, sondern am Anfang eines politischen Manifests, und daß jenes "es", dessen Richtigkeit da von der Möglichkeit abhängt, der bewaffnete Kampf in den Metropolen Mitteleuropas war, macht den ganzen Unterschied zur Lebensweisheit. An diesem sind Leute gestorben.

Was auch immer politische Schwärmerei zwischen Schlageter und Guevara sich darüber vorlügt: Sterben hat nichts mit Konsequenz zu tun oder mit der Relation von Zwecken und Mitteln, sondern ist ihre Verneinung: Jede Entwicklung, jeder Sinn und Zweck werden abgeschnitten. Sterben lehrt nichts, wer etwas anderes behauptet, lehrt Unfug (siehe die, wie sagt man doch: Rezeptionsgeschichte der Leiden Werthers).

Von Jugendbüchern aber wird erwartet, daß man aus ihnen etwas lernen kann. Läßt sich also, wenn man das oben Gesagte im Sinn behält, über Ulrike Marie Meinhof, die aus politischem Anlaß gestorben ist, ein Jugendbuch schreiben? Das gelungene Buch "Lieber wütend als traurig. Die Lebensgeschichte der Ulrike Marie Meinhof" von Alois Prinz zeigt nicht nur, daß das geht, sondern daß es sogar einfach (wenn auch nicht leicht) ist: Man muß eben deutlich machen, daß es das Leben der Dargestellten ist, dem man Gewicht beimißt, nicht ihr Tod - daß es auch anders hätte kommen können und Ulrike Meinhof nicht einen Kompromiß zuviel hätte eingehen müssen, um länger am Leben zu bleiben.

Die traurigste Figur im Geschichtsprozeß ist die des oder der Spätberufenen: "Ulrike Meinhofs Namen verbindet man oft mit der 68er Bewegung, die als ein Aufstand von Studenten, eine Rebellion der jungen Generation gilt", schreibt Alois Prinz. "Dabei vergißt man leicht, daß Ulrike Meinhof damals nicht mehr jung war." Widerstand gegen den Nationalsozialismus konnte sie nicht mehr leisten, der hatte seinen Krieg verloren; an der neuen Bewegung so teilnehmen, wie man an Jugendbewegungen teilnimmt, konnte sie aus dem von Prinz genannten Grund auch nicht, und die militanten Aktionsformen hatten vor ihr andere erprobt; sie kam gerade rechtzeitig, sie begründen zu dürfen.

Das Buch von Prinz teilt mit seinem Gegenstand dieses Moment des Späten, insofern es neben anderem auch eine längst adressatenlose Antwort an jene Kritiker der RAF aus der Linken ist, die im bewaffneten Kampf bloß "anarchistisches Abenteurertum" sehen konnten, das den Staat zu verschärfter Repression einlud. Er war mehr: Er war die Frage an die übrige Linke, wie ernst sie es mit ihrer Politik meine.

Prinz verdeutlicht, daß Meinhofs Weg weniger von der vorhandenen staatlichen Reaktion als von der fehlenden Antwort auf diese sehr berechtigte Frage bestimmt wurde. Katastrophal war, daß sie als Fragezeichen einen apolitischen Todesmut setzte, den sie "Praxis" taufte - Prinz versucht nicht, zu erraten, wie das psychologisch geschah, auch das Ertragen der Nichtbeschreibbarkeit ist eine seiner Künste. Zu jedem historischen oder biographischen Zeitpunkt ist mehr möglich, als praktisch zu ermitteln: Das zeigt er, wo er Leerstellen zeigt. Politik, die "Konsequenz" fetischisiert, zwingt ihre besten Leute, den Unsinn zu glauben, eine Theorie oder Praxis würde dadurch richtiger, daß wer bereit ist, dafür das Leben zu riskieren. Ist Unbeugsamkeit eine Tugend? Er habe sein Rückgrat nicht zum Zerbrechen, sagt Brechts Herr Keuner - ein vorbildlicher Kommunist.

DIETMAR DATH

Alois Prinz: "Lieber wütend als traurig. Die Lebensgeschichte der Ulrike Marie Meinhof". Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2003. 328 S., geb., 19,- [Euro]. Ab 14 J.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Christina Thurner lobt diese Ulrike-Meinhof-Biografie von Alois Prinz für sein "unentwegtes Verstehen-Wollen", ohne die Terroristin Meinhof zu verurteilen oder auch zu verteidigen. Gerade für Jugendliche, die ja "die Ereignisse selbst nicht mehr mitbekommen" haben, ist die Art wichtig, wie sie erzählt werden, findet sie. Hier hält sie Prinz zugute, dass er den Leser regelrecht an die Orte führt, wo Meinhof gelebt und als Journalistin gearbeitet hat, wo sie sich politisch engagierte, wo sie verhaftet wurde und wo sie später starb. Eine gründliche Recherche war für diese Arbeit notwendig, glaubt Thurner. Wie sie findet, beschreibt Prinz die gesellschaftlichen und geschichtlichen Zusammenhänge "jugendgerecht ausführlich" und rüttelt an "festgefahrenen Feindbildern", statt Meinhof als gesellschaftlich verdammte "Antiheldin" in die Geschichte eingehen zu lassen.

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