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In unserem Alltag sind wir von einer Vielzahl von Gegenständen umgeben. Belanglose Dinge erinnern uns an vergangene Lieben. Exotische Dinge stehen für die Sehnsucht nach der Ferne, alte Dinge verkörpern eine idealisierte Vergangenheit. Von anderen Dingen glauben wir unser Schicksal abhängig. Karl-Heinz Kohl erklärt anhand zahlreicher Beispiele, welche Bedeutung das Verhältnis des Menschen zu seinen Dingen aus der Sicht der Ethnologie und Religionsgeschichte hat. Dabei zeigt sich, daß uns der Objektkult archaischer und außereuropäischer Kulturen vertrauter ist, als wir uns dies selbst…mehr

Produktbeschreibung
In unserem Alltag sind wir von einer Vielzahl von Gegenständen umgeben. Belanglose Dinge erinnern uns an vergangene Lieben. Exotische Dinge stehen für die Sehnsucht nach der Ferne, alte Dinge verkörpern eine idealisierte Vergangenheit. Von anderen Dingen glauben wir unser Schicksal abhängig. Karl-Heinz Kohl erklärt anhand zahlreicher Beispiele, welche Bedeutung das Verhältnis des Menschen zu seinen Dingen aus der Sicht der Ethnologie und Religionsgeschichte hat. Dabei zeigt sich, daß uns der Objektkult archaischer und außereuropäischer Kulturen vertrauter ist, als wir uns dies selbst eingestehen wollen. Bei ihren Entdeckungsreisen nach Westafrika waren portugiesische Seefahrer auf einen merkwürdigen Kult gestoßen: Er galt scheinbar beliebigen Dingen, denen die Einheimischen eine geheimnisvolle Macht zuschrieben. Die Portugiesen bezeichneten die Kultobjekte der Afrikaner als âEURzFetischeâEURoe, und der âEURzFetischismusâEURoe schlug das europäische Denken bald in seinen Bann. DieKirche verurteilte ihn als Teufelswerk, während er für die Philosophen der Aufklärung die Unvernunft jeder Religion bewies. Die Faszination aber blieb: Ob Hegel oder Comte, Marx oder Freud, jeder von ihnen versuchte auf seine Weise, das Rätsel des Fetischismus zu lösen. Der Fetischismus ist auch Ausgangspunkt der brillanten Studie von Karl-Heinz Kohl, die nichts weniger bietet als die seit langem umfassendste Theorie des sakralen Objekts. Das breite Themenspektrum reicht vom Steinkult des Alten Israel über das Bilderverbot der Bibel bis zum Reliquienkult des Mittelalters. Die Heiligen Bündel nordamerikanischer Indianer werden ebenso analysiert wie die Zauberfiguren der BaKongo und die Idole der alten Griechen. Indem der Autor das Schicksal der antiken Kultbilder seit ihrer Wiederentdeckung in der Renaissance verfolgt, gelangt er zu einem überraschenden Schluß: In den säkularisierten Gesellschaften des Westens scheint der Museumskult das Erbe des archaischen Fetischismus angetreten zu haben.
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Autorenporträt
Karl-Heinz Kohl, geboren 1948, ist Professor für Historische Ethnologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität und Direktor des Frobenius-Instituts in Frankfurt am Main. Von 2001 - 2002 lehrte er als Theodor-Heuss-Professor an der New School for Social Research in New York.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2003

Das Dings, das Bums, das Dingsbums
Wir sind alle Fetischisten: Karl-Heinz Kohl erzählt die Geschichte sakraler Objekte
Ein fulminanter Beginn: der Ethnologe Karl-Heinz Kohl erzählt, wie er mit seiner Familie auf der indonesischen Insel Flores mit drei Aluminiumkisten und sechs Koffern ankommt. Mit Staunen verfolgen die Dorfbewohner, wie sich die Fremden ihr Haus mit zahllosen Dingen einrichten. Die Dorfbewohner halten ihre Räume frei und horten ihren geringen Besitz in einem Speicher. Nur bei Zeremonien gelangen die Dinge in allgemeine Sichtbarkeit. Der sorglose Umgang mit Dingen erweckt in den Dorfbewohnern die alte Überlieferung, wonach die westlichen Menschen „ihren Reichtum einem Raub verdankten, der sich vor langer Zeit ereignet hatte. In einem Dorf in der Umgebung hatte ein Mädchen einen Baum gepflanzt, der anstelle von Früchten alle Reichtümer dieser Erde trug. Seefahrer aus dem Westen hatten ihn aus weiter Ferne funkeln sehen, ausgegraben und in ihre Heimat gebracht.”
Der Mythos von einem ursprünglichen Raub, den Kohl berichtet, wird im 19. und 20. Jahrhunderts in Form der Marxschen Theorie erzählt: der Bauch der Reichen nähre sich von der Auspressung der Arbeiter; das Theater der Waren gehorche dem falschen Schein des Fetischismus. Die Ware, vom Nimbus der Begierden umspielt, ist das goldene Kalb, um das die Gesellschaft tanzt. Kapitalismus ist Götzendienst. Im Konsum erweisen wir uns alle als Fetischdiener.
Der Begriff des Fetischismus bildet die Mitte des Buches. Das Wort wurde im 16. Jahrhundert kreiert, um die abergläubische Verehrung von Kultobjekten in afrikanischen Stämmen zu geißeln. Marx gab dem Begriff eine reflexive Wendung: es sind die Europäer selbst, die in der kapitalistischen Ökonomie die Produkte mit lustvoller Verlockung umschmeicheln. Sigmund Freud war dem gefolgt, als er den sexuellen Fetischismus zu einem zentralen Mechanismus des Begehrens machte, der in allen Perversionen leitend und auch der „normalen” Liebe beigemischt sei. Damit war aus einer Kategorie der (denunziativen) Beschreibung fremder Kulturen ein universales Konzept geworden, das die kapitalistische und libidinöse Ökonomie der Objektbeziehungen charakterisierte.
Kohl rekonstruiert die Herkunft des Fetischismus-Konzepts aus der Geschichte „verdrehter” Wahrnehmungen und kultureller Kreuzungen – von den portugiesischen Missionaren und der frühen Religionskritik über de Brosses, Kant, Hegel und Comte bis zu Marx und Freud. In der Magie der Dinge wird eine primitive Form der individuellen oder kollektiven Selbsterhaltung inmitten einer unbegriffenen Umwelt ausgemacht. Fetischismus ist eine hilflose oder betrügerische Strategie zu manipulativen oder apotropäischen Zwecken, ein irrationaler Versuch der Ausdehnung von Verfügungsmacht, der Bewältigung von Angst und der Besänftigung numinoser Mächte. Kohl fügt der Wissenschaftsgeschichte des Fetischismus nichts Neues hinzu.
Obwohl Kohl sein Buch in dieses kulturelle Tableau platziert, vermeidet er jede Berührung mit gegenwartsbezogenen Kulturanalysen. Zu sehr bleibt er auf die historischen Tiefenschichten des Fetischismus konzentriert. Außer von der Genesis des Fetisch-Konzepts aus der Begegnung christlich-kolonialer mit der afrikanischen Kultur, berichtet Kohl von der Entstehung des bildlosen Gottes Israels und der bereits in der jüdischen Bibel geführten Kritik der Idolatrie. Das Bilderverbot fließt ins frühe Christentum ein und bestimmt, nach der Zulassung von Sakralbildern, die Konjunkturen von Bilderkult und Ikonoklasmus. In diesen Kontext gehören der Reliquienkult, die Abendmahlstheologie, die Konsekration von Kirchen, Altären, liturgischen Gegenständen und Gewändern, also die Überführung menschlicher Artefakte in den Status des Heiligen. Devotion erheischen nur die Dinge, die vom Heiligen imprägniert sind. Hier finden wir Ursprünge der europäischen Sammlungen, die in Form von Bibliotheken, Kabinetten und Museen zu Institutionen der Kultur geworden sind. Alle diese Zusammenhänge, auch die Genese der Museen als „Kultstätten der Neuzeit”, die Kohl im letzten Kapitel behandelt, sind bestens erforscht, man kann sie bei Kohl zusammengefasst nachlesen.
Tatsächlich liegen in der Geschichte der heiligen Objekte die Wurzeln für jenen „fetischistischen Wachsbildzauber”, den Aby Warburg in den spätmittelalterlichen Kirchen nicht ohne Abscheu studierte: hunderte Wachsplastiken von Lebenden und Toten und tausende von Pappmaché-Voti füllten die Kirchen und verwandelten sie in heidnische Stätten eines fetischistischen Ahnenkults, der aus Kirchen idolatrische Totenfestungen machte. Warburg erkennt in diesem „Bildzauber” eine „Entladungsform für den unausrottbaren religiösen Urtrieb”.
Es nimmt Wunder, dass Kohl die epochale Umschaltung der Theorie des Fetischismus nicht zur Pointe seines Buches macht. Es bei einer Theorie sakraler Objekte in älteren und außereuropäischen Kulturen zu belassen, ist nicht das, was man unter dem Titel „Die Macht der Dinge” erwarten durfte. Auch seine Objekt-Klassifikation beruht auf den bekannten Forschungen zum Tausch und zur Gabe. Hingegen lässt er die phänomenologische (Heidegger, Schmitz, Waldenfels) wie die soziologisch-psychologische (Baudrillard, Heubach, Tilmann Habermas) Ding-Forschung oder die historischen Studien zur materialen Kultur des Alltags außer Acht. Weil Kohl keine Wissenschaftsgeschichte betreibt, entgeht ihm, wie sehr die Fetischismus-Forschung vom Objekt, das sie konstruierte, überwältigt worden ist. Wenn aber der Fetischismus aus keiner Theorie der Moderne auszusperren ist, kann man nicht mehr die Form der „Grossen Erzählung” wählen, die vom jüdischen Bilderverbot bis zum Museum, von nordamerikanischen Indianerstämmen über afrikanische Minkisi-Kulte bis zu den rituellen Kartographien der Aborigines reicht.
Ohne Zweifel entfaltet Kohl diese „Grosse Erzählung” mit feiner Kenntnis, sprachlicher Eleganz und darstellerischer Ökonomie. Doch weil die Struktur sakraler Objekte sich den modernen Dingbeziehungen aufgeprägt hat, kann man nicht bei der Entstehung der öffentlichen Museen stehen bleiben. Von den Ethnologen haben wir gelernt, dass das Schreiben über fremde Kulturen sich selbstkritisch reflektieren muss. Darum verblüfft es, wenn ein angesehener Ethnologe wie Kohl seine Studie im Gestus der Meta-Erzählung anlegt. Man wäre glücklicher gewesen, den „entzauberten Blick” (Kohl) des Ethnologen auch auf die vertrackten Objektbeziehungen der modernen Kulturen gerichtet zu sehen. Wir wären einer differenzierten Theorie der Moderne einen Schritt näher gekommen. Diesen Schritt aber wollte Kohl, wir wissen nicht warum, nicht gehen.
HARTMUT BÖHME
KARL-HEINZ KOHL: Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte. C. H. Beck Verlag, München 2003. 303 Seiten, 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Was man hat, hat man
Fetischisten sind immer die anderen: Der Ethnologe Karl-Heinz Kohl fragt nach der geheimnisvollen Macht, die wir den Dingen verleihen / Von Kai Michel

Die Dinge haben uns im Griff - und zwar so sehr, daß wir es kaum noch merken. Ob Zeitung, Radio und Fernsehen, ob Auto, Telefon oder Computer: Ohne dieses Zubehör wäre unsere gegenwärtige Lebensform gar nicht möglich. Um so bedeutender die Dinge für uns aber werden, um so bedeutungsloser werden sie an sich: heute gekauft, morgen schon aussortiert und durch das neueste Modell ersetzt.

Da also das Einzelding beliebig austauschbar ist, sind wir, befindet Karl-Heinz Kohl, Professor für Historische Ethnologie in Frankfurt am Main, ständig auf der Suche nach "authentischen" Dingen: Kunstwerken etwa, Antiquitäten, Souvenirs oder Erinnerungsstücke, die ferne Zeiten wachrufen. Wir suchen nach Dingen, die es wert sind, aufbewahrt zu werden, die uns Halt im Alltag geben und in ihrer Dauer Identität stiften sollen. Ganz so, als stecke in uns ein ungläubiger Thomas, als bräuchten wir die Dinge, um wirklich begreifen zu können, daß wir gebildet, daß wir reich sind oder soziales Prestige besitzen. Die Dinge beweisen es. Sie sagen es uns und vor allem den anderen. Ohne die Dinge sind wir nichts.

Sind die Dinge für uns heilig? Ein bißchen säkularisiert vielleicht, aber im Prinzip schon. Dieser Tatsache ins Auge zu sehen fällt nicht leicht. Ein sehr deutsches, ein sehr bildungsbürgerliches Erbe ist es, verächtlich auf die Dinge zu schauen, jeden Materialismus als potentielle Wurzel allen Übels zu betrachten. Deshalb ziehen wir es vor, die Macht der Dinge zu verdrängen.

Fetischisten sind immer die anderen, befindet Kohl, dem es in seinem Buch darum geht, wie Dinge - und zwar vor allem sakrale Objekte - ihre Bedeutung gewinnen. Dafür spannt er ein Panorama auf, das kaum eine Weltregion ausblendet.

Heilig kann prinzipiell alles sein: "Steine sind als Kultobjekte weltweit verbreitet; durch den Akt der Wandlung werden alltägliche Nahrungsmittel wie Brot und Wein in der katholischen Messe zu Verkörperungen des Fleisches und Blutes Jesu Christi; sogar Flugzeuge waren im Rahmen der melanesischen Cargo-Kulte als die magischen Gefährte der wiedergekehrten Ahnen verehrt worden."

Die Gegenstände sind nie Dinge an sich, sondern immer Dinge für uns. Das ist eine prekäre Einsicht: Es hängt nicht von den materiellen Eigenschaften ab, sondern allein von den individuellen oder kollektiven Erfahrungen, die an ein Ding geknüpft sind, ob es als ein das Transzendente verkörpernder Gegenstand angesehen wird.

Ein beliebiger Stein etwa wird zum wichtigsten Kultort des alttestamentlichen Israel. Jakob hatte ihn als Kissen benutzt, während er vor Esau floh, seinem um den väterlichen Segen betrogenen Bruder. Im Schlaf erblickte Jakob eine Leiter, auf der Engel auf- und niederstiegen, als sich ihm Gott offenbarte. Jakob richtete den Stein auf, salbte ihn mit Öl und nannte die Stätte Beth-El. Doch noch war sie nicht viel anderes als nur ein biographisches Objekt. Erst dadurch, daß sich Gottes Verheißung scheinbar erfüllte, erst als aus dem Flüchtling ein vermögender Patriarch wurde, der mit seiner Gefolgschaft nach Beth-El zurückkehrte und dort - wie in Genesis 35, 10 berichtet wird - vor aller Augen eine zweite Offenbarung erfuhr, wird der Stein als sakrales Objekt allgemein anerkannt.

Die Sakralisierung des Steins, so Kohl, ist das Resultat einer Kontingenzerfahrung, und das ist typisch für die Genese sakraler Gegenstände. Die Heiligen Bündel der nordamerikanischen Ojibwa und Shoshonen beispielsweise enthielten Gegenstände wie Tierkrallen, Vogelschwingen, Bergkristalle, aber auch Rasseln und Flöten waren darin verborgen - es kam auf den Auftrag an, den der sich dem Initiationsritual unterziehende junge Mann von seinem Schutzgeist erhalten hatte. Ähnliche Kontingenzerfahrungen am Anbeginn der Entstehung sakraler Objekte zeigt Kohl für die westafrikanischen BaKongo und die australischen Aranda auf. Die Objekte markieren individuelle und im Prinzip zufällige Begegnungen mit Mächten, die als göttlich empfunden werden. Erst soziale Konventionen machen sie zu materiellen Repräsentanten der Religion.

Gerade in der jüdisch-christlichen Religionsgeschichte taucht immer wieder die Verdammung der Idolatrie auf. Sie fußt auf der Vorstellung eines reinen Monotheismus, auf der "Vorstellung eines transzendenten, allmächtigen, allwissenden und allgegenwärtigen Gottes, der sich nicht in ein von Menschenhand gefertigtes Bild zwingen läßt". Jeder Versuch, ihn in materieller Form darzustellen und dadurch Macht über ihn zu gewinnen, gilt als Frevel. Sowohl für das Judentum wie für das Christentum war das eine Strategie, sich abzugrenzen von den sie umgebenden Kulturen mit ihren ebenso überbordenden wie bunten Götterwelten.

Doch die Menschen haben stets Schwierigkeiten mit dieser Abstraktheit, sie brauchen etwas Konkretes, um sich ihres Glaubens zu versichern. Kaum ist Moses auf den Berg gestiegen, da tanzt man schon wieder um das Goldene Kalb herum. Auch der Heiligen- und Reliquienkult des Mittelalters war, so Kohl, ein volkstümlicher Protest gegen einen allzu lebensfernen Gottesbegriff: "In sinnfälliger Weise gelangt in ihm nicht nur die Sehnsucht nach einer Verkörperung des Heiligen zum Ausdruck, sondern auch das Unbehagen an jenem Gefühl persönlicher Ohnmacht und Nichtigkeit, das eine Theologie erzeugen mußte, die Gott in den Rang eines allmächtigen, allwissenden und allgegenwärtigen Wesens erhob." Mit den Heiligen hingegen ließ sich auf menschliche Weise verhandeln.

Nicht nur die Reformation, sondern gerade auch die Aufklärer verdammten solche Praxis und bedienten sich dazu des Begriffs des Fetischismus. Die Nähe des Fetischismus zum katholischen Reliquienkult war früh gesehen worden. Die Einwohnern Guineas machten es wie die "Papisten", die "jährlich an Fronleichnam um ihre Äcker oder Felder gehen, um dieselben vor Unwettern zu segnen", hatte 1606 der schwäbische Wundarzt Andreas Josua Ultzheimer befunden. Um zu erfahren wie ihre Ernte werde, ehrten "sie ihre Fetische oder Teufelsbilder", die nichts anderes seien "als ein Haufen zusammengedrücktes Kotes. Dazu haben sie fast solche Zeremonien wie die Papisten bei ihrer Messe".

Für die Aufklärer war der Fetischismus mehr als nur ein Synonym für die rätselhafte, weil irrationale Verehrung von Gegenständen, er war ein Kampfbegriff gegen die Unvernunft der Religion. Der Fetischismus war für sie die unterste Stufe einer Entwicklung, die noch zu ihrer Zeit den Glauben bestimmte. Wenn Kant gegen das "Fetischmachen" wetterte, gegen den auch im Christentum auftretenden "Wahn", durch "ganz natürliche Mittel eine übernatürliche Wirkung zuwege zu bringen", dann steht er in einer "durch den Protestantismus erneuerten Tradition des alttestamentlichen Prophetismus". Zusammen mit dem Bilderkult und dem Opfer verwarf dieser Protestantismus alle rein äußerlichen religiösen Handlungen und rief statt dessen zu einer Verinnerlichung der göttlichen Gebote auf.

Doch es ist ein Anzeichen für die List der Dinge, daß in den Zeiten der Säkularisation allerorten neue Tempel aus dem Boden schossen, heilige Hallen, in denen die Dinge, die oft gerade aus Klöstern und Kirchen, aus orientalischen Tempeln und afrikanischen Kralen geraubt oder vertrieben waren, eine neue ehrenvolle Heimstatt nahmen. Was von nun an für würdig befunden wurde, in einem Museum aufgestellt zu werden, galt als außergewöhnlicher Gegenstand. Das Museum war - und ist bis heute - die institutionalisierte Form gesellschaftlicher Anerkennung. In "diesen bürgerlichen Tempeln", so befand schon Pierre Bourdieu, deponierte die bürgerliche Gesellschaft, "was sie an Heiligstem besitzt", nämlich die Repräsentanten von Kunst, Geschichte und Wissenschaft. Hier befriedigt man sein Bedürfnis nach einer materiellen Verkörperung des Transzendenten und flaniert andächtig vor den Dingen auf und ab.

Karl-Heinz Kohl: "Die Macht der Dinge". Geschichte und Theorie sakraler Objekte. C. H. Beck Verlag, München 2003. 304 S., 24 Abb., geb., 29,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ludger Heidbrink hat das Buch über die Geschichte und Bedeutung sakraler Objekte mit großem Interesse gelesen und lobt es als "materialreich und fesselnd". Karl-Heinz Kohl habe das "passende Buch" zur "Macht der Dinge" geschrieben, die heute vor allem in der Jagd nach Markenartikeln bestehe, so Heidbrink zustimmend. Auch die These des Autors, die heutigen Museen versuchten den dort gesammelten Objekten ihre "Aura" als sakrale Objekte zurückzugeben und seien deshalb nicht zufällig Kirchen und Tempeln nachgebildet, findet der Rezensent überzeugend. Schade nur, beklagt sich Heidbrink, dass das Buch dort aufhört, wo es "besonders interessant" wird, nämlich beim "Markenfetischismus" und dem Phänomen der Kunstsammler. Hier gibt Kohl jedoch zumindest "Hinweise" darauf, dass beispielsweise der Wunsch nach Markenkleidung an das Bedürfnis geknüpft ist, am "Glanz" des Modeschöpfers teilzuhaben, dass es sich also um eine "soziale Beziehung" handelt, die durch den Erwerb des Kleidungsstücks angestrebt wird, erklärt der Rezensent überzeugt. Darin sieht Heidbrink einen wichtigen Unterschied zur früheren Verehrung sakraler Objekte gegeben, die eben keine soziale Verbindung suchte, sondern die Verehrung des "Wunderbaren" selbst, die im Objekt sowohl verkörpert als auch symbolisiert wurde.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr