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Produktdetails
  • Verlag: Beck
  • Seitenzahl: 214
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 350g
  • ISBN-13: 9783406466083
  • ISBN-10: 3406466087
  • Artikelnr.: 08904272
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2001

Baut Weißkohl an!
Leise rieselt die Anekdote: Elias Khoury erzählt aus Beirut

Wer Geschichten liebt, kommt hier weniger auf seine Kosten als vielmehr auf die Rechnung. An jedem Ereignisfaden haften fünf oder sechs Nebenereignisse - nach wenigen Seiten hat man den Überblick verloren. Das hat seine Gründe, denn von Anfang an liegt ein rätselhafter Todesfall vor. Die Leiche des Gemüsehändlers Ibrahim Nasar ruht seit drei Tagen auf dem Bett, seine Geliebte steckt halbnackt im Schrank. Ihr Geschrei treibt das ganze Beiruter Stadtviertel zum Gerüchtestricken zusammen. "Die Geschichte begann so", heißt der stereotyp wiederkehrende Kapitelanfang - und dieses Anfangen will gar nicht mehr aufhören. Je länger man am narrativen Knäuel dieses Romans zupft, desto mehr zerfasert das Ganze, so daß man sich schließlich fragt, ob die Sache überhaupt, wie der Romantitel verspricht, auf einen geheimnisvollen Kern hinausläuft oder ob die Fäden sich zuletzt einfach verlieren.

Elias Khoury, Literaturchef der Beiruter Zeitung "An-Nahar" und einer der führenden Intellektuellen seines Landes, ist jedoch ein viel zu listreicher Autor, als daß er sich dergestalt einwickeln ließe. Er jongliert mit dem Geheimnis wie mit einem Spielball, den er inmitten zahlloser Einwürfe aus Literaturgeschichte, Religion, Philosophie und aus der kriegsbewegten Landesgeschichte von 1860 bis 1975 durch den chronologisch zerstückelten Erzählraum wirbeln läßt. Wohl ist da jener seltsame Brief, der die Tante des damals zehnjährigen Ibrahim kreischend zu Boden fahren und alle Auswanderungspläne der Familie Nasar nach Kolumbien platzen ließ: Jakob Nasar sei tot, stand da geschrieben. Nein, nicht Jakob, der Vater Ibrahims, sondern ein gewisser Santiago, wie er in der "Chronik eines angekündigten Todes" von Gabriel García Márquez auf dem Dorfplatz mit einem Schlachtermesser abgestochen wurde.

Namen sind Schicksale. Und da die Namengebung, wie uns der Autor Khoury über seinen Erzähler ausrichten läßt, im modernen Roman ohnehin ein Problem darstellt, muß sich dazu doch irgendein Zusammenhang konstruieren lassen. Stichwort: Fremdsein. Schließlich war das Opfer Santiago Nasar bei Márquez ein Fremder im Land, während umgekehrt etwa bei Albert Camus in "L'Étranger" der französische Mörder ein Fremder unter den Arabern Algeriens war. Der Gemüsehändler Ibrahim Nasar wiederum "war kein Fremder in Beirut, doch er lebte wie ein Fremder". So komplex sind nun mal die Dinge in dieser Welt. In diesem Roman sind sie überdies auch reichlich ermüdend.

Nichts hängt hier zwingend oder auch nur einleuchtend zusammen. Der Roman enthält manch treffende Bilder und Episoden, wenn etwa der über der aufgedunsenen Leiche Ibrahim Nasars mühsam vernagelte Sarg entgegen den Anweisungen des griechisch-orthodoxen Paters nicht mehr geöffnet werden kann und wegen des Bürgerkriegs auch noch in einer konfessionell anders geweihten Erde beigesetzt werden muß. Das Anekdotenmuster ist aber so kleinteilig zwischen die drei Hauptfiguren - neben Ibrahim Nasar dessen Geliebte Norma Abd al-Masih und deren zweiten Liebhaber Hanna as-Salman - gespannt, als wollte der Roman mit jedem Satz neu den narratologischen Taktwechsel schlagen, der keine Entwicklung, keinen Spannungsaufbau, keine Beschleunigung und Verzögerung mehr kennt. Vorab der Schuhmacher Hanna as-Salman driftet in einer vollkommenen erzählerischen Schwerelosigkeit bald als Schuster, Gefängnisinsasse, Folteropfer, Todeskandidat, Familienvater, sexueller Nimmersatt und Drogenhändler umher.

"Baut Weißkohl an!", läßt ihm der Drogenchef ausrichten: Kohlkopfsetzlinge, in die Haschisch gestreut wird, bevor sie sich im Wachstum schließen, und dann per Flugzeug nach Ägypten exportiert werden. Was bei den Kohlköpfen glückt, mißlingt im Roman: Immerfort rieseln die Anekdoten heraus. So verpufft auch das Geheimnis um das mutmaßliche Gold im Familiengrab der Nasars als Spannungsmittel. Es versinkt wie alles übrige dieses Buchs auch im gleichförmigen Rieseln der Mutmaßungen über eine Figur, die keine sein will. Ibrahim Nasars Geschichte sei gar keine Geschichte, klärt uns der Erzähler auf, sondern nur eine Notiz über Leben und Tod: In einer Geschichte müsse nämlich der Autor Namen finden für seine Helden und Schicksale - "in der Notiz über Ibrahim stand jedoch der Name am Anfang, und der Held versank hinter den vielen Schicksalen um sich herum". Schade um ihn. Nicht einmal seine Spur konnte von Khoury ausfindig gemacht werden.

JOSEPH HANIMANN

Elias Khoury: "Der geheimnisvolle Brief". Roman. Aus dem Arabischen von Leila Chammaa. Verlag C. H. Beck, München 2000. 215 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Martin Krumbholz kann sich für den Roman nicht begeistern. Zuviel "Geheimniskrämerei" wird ihm in der Dreiecksgeschichte betrieben. Es bleibe unklar, worauf der Autor denn eigentlich hinaus will, moniert der Rezensent in seiner kurzen Besprechung.. "Ungeschickt" findet er es, dass Khoury Marquez zitiert, denn damit fordere er den Leser zum Vergleich mit dem kolumbanischen Schriftsteller heraus, dem er nicht das Wasser reichen könne. Der Rezensent hätte sich statt der "erzählerischen Redundanz" mehr "naive Fabulierlust" gewünscht, attestiert aber dem Autor immerhin eine gewisse "Raffinesse".

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