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Der russische Dichter Jewgeni Jewtuschenko, 1933 in Sibirien geboren, wurde zur Leit- und Kultfigur einer ganzen Generation. Er protestierte gegen die Berliner Mauer und den Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag. Mitreißend erzählt der Unangepasste und "politisch Unzuverlässige" aus seinem an Skandalen und skurillen Begebenheiten reichen Leben. Von besonderem Interesse sind seine Porträts berühmter ihm befreundeter Zeitgenossen wie Boris Pasternak, Dimitri Schostakowitsch oder Anrdej Sacharow, Pablo Picasso, Federico Fellini, Heinrich Böll, Graham Greene, Che Guevara oder Robert Kennedy.

Produktbeschreibung
Der russische Dichter Jewgeni Jewtuschenko, 1933 in Sibirien geboren, wurde zur Leit- und Kultfigur einer ganzen Generation. Er protestierte gegen die Berliner Mauer und den Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag. Mitreißend erzählt der Unangepasste und "politisch Unzuverlässige" aus seinem an Skandalen und skurillen Begebenheiten reichen Leben. Von besonderem Interesse sind seine Porträts berühmter ihm befreundeter Zeitgenossen wie Boris Pasternak, Dimitri Schostakowitsch oder Anrdej Sacharow, Pablo Picasso, Federico Fellini, Heinrich Böll, Graham Greene, Che Guevara oder Robert Kennedy.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2000

Der Lyrikbeauftragte
Jewgeni Jewtuschenko erzählt sein Leben · Von Viktor Kriwulin

Der Dichter Jewgeni Jewtuschenko genießt in Russland und Deutschland große Bekanntheit. Man kennt seinen Namen, doch seine Gedichte kaum. Sein Name ist vom Nimbus der Skandale umgeben, die sich vor vierzig Jahren vor dem Eingang zum Polytechnischen Museum zugetragen haben. Dort erdröhnten mutig Jewtuschenkos Verse, die uns heute verblüffend trivial und schwülstig anmuten. Das gesellschaftliche Echo auf diese Gedichte war stärker als sie selbst. "Ein Dichter ist in Russland mehr als ein Dichter." Wer hat diesen Aphorismus Jewtuschenkos nicht wiederholt und dabei vergessen, dass das Echo leicht verhallt, sobald sich die Akustik ändert. Diese Veränderung wurde in Russland registriert, als Ende der sechziger Jahre niemand mehr so recht Jewtuschenkos Stimme hören wollte. Sie wurde zum Exportartikel für die Slawisten und "Freunde der Sowjetunion" im Westen.

Wie der auferstandene Majakowski tauchte Jewtuschenko Ende der fünfziger Jahre in Europa auf. Wie dieser bezeichnete er sich als den "ersten Lyrikbevollmächtigten der UdSSR" und hatte in dieser Eigenschaft eine erstaunliche Ausstrahlung. Er war ein charmanter, aufrichtiger, junger Mann, der eher wie ein Schauspieler wirkte, der große Fußballer mimt, als ein Dichter. Er gab sich demokratisch, und zugleich belegte das Pathos, mit dem er seine Gedichte von der Bühne deklamierte, dass Sowjetrussland eine revolutionär schöpferische Energie zu entfesseln vermochte. Die Wirklichkeit sah in unserem Land anders aus. Durchschaute er, dass er nur ein Rädchen im Uhrwerk der sowjetischen außenpolitischen Propaganda war? Ja und nein. Wenn es nicht zu merken war, dass er manipuliert wurde, dann merkte er es tatsächlich nicht. Dafür liebten ihn die linken Intellektuellen und die demokratischen Senatoren in Amerika. Als sein politischer "Meta-Auftrag" plötzlich offenkundig war, begehrte er auf. Seine Auflehnung war nicht stark, aber es kam zu einem Skandal.

Ein echter russischer Skandal zeichnet sich dadurch aus, dass jeder, der daran beteiligt ist, seinen Anteil an der Schuld empfindet, der wahre Schuldige jedoch nicht identifiziert wird. Mal ist Chruschtschow schuld, weil er den Dichter Jewtuschenko und den Bildhauer Ernst Neiswestny angebrüllt hat. Mal entpuppt sich Jewtuschenko als ein so hochgradiger Hysteriker, dass er sofort nach dem allerhöchsten Anpfiff nach Sibirien fährt, um ein Poem über die Baustellen des Kommunismus zu schreiben. Diese Skandale haben sich dann zur Biografie (und Bibliografie) des sowjetischen Dichters zusammengefügt. Seine Biografie ist der Text, der seine Gedichte umrahmt - in Randnotizen zum realen Leben des Dichters und Anmerkungen zu den letzten Jahrzehnten des sowjetischen Imperiums. Seine Biografie ist reicher und gehaltvoller als seine Gedichte und sogar als sein Leben.

Der Dichter Jewgeni Jewtuschenko, dessen Bücher im Laufe eines halben Jahrhunderts wohl in alle Sprachen der Welt übersetzt wurden und wohl in allen Ländern der Welt erschienen, schreibt in Wirklichkeit sein Leben lang an einem einzigen Text, den er umarbeitet, modernisiert, erweitert und wendet. Es ist der Text seiner eigenen Biografie. Seit 1962, als Jewtuschenkos erste "Vorzeitige Biografie" im "Stern" abgedruckt wurde, sind zig Fassungen der "Lebensbeschreibung eines Dichters, der mehr ist als ein Dichter" in verschiedenen Sprachen erschienen. Die letzte, vollständigste und widersprüchlichste Fassung ist kürzlich auf Russisch herausgekommen. Jetzt kann sich auch der deutsche Leser in sie vertiefen. Schon der Titel "Wolfspaß" (Pass mit einem Vermerk über politische Unzuverlässigkeit) verweist auf die Position, die der berühmte sowjetische Lyriker der sechziger Jahre in der Literatur, im Leben und in der Geschichte gerne einnehmen würde: die Position des Steppenwolfs in einer Schakalherde. Er hätte es gern, dass man ihn als den ewigen Paria und Mann von Welt sähe, der frei von historischen oder räumlichen Zwängen des Seins ist. Andererseits wird er bis heute das Gefühl nicht los, dass das unermessliche Land just mit seiner Stimme spricht und das Echo dieser Stimme über den Erdball getragen wird. Dieses Land existiert nicht mehr, der Dichter aber lebt weiterhin dort und spricht zu dessen schattenhaften Bürgern. Dabei versucht er, seine unwirkliche Gegenwart an seiner wirklichen Vergangenheit zu messen. Über dem Kern des Buches - den Ereignissen der fünfziger und sechziger Jahre - liegt die trübe Luft der neunziger Jahre, als Jewtuschenkos große kulturpolitische Geste nur noch als Selbstparodie aufgefasst wird.

Seine Gabe, auf Kundgebungen aus dem Stegreif "bürgerliche" Gelegenheitsgedichte zu verfassen, die einst seine Zuhörer faszinierte, erscheint dem Massenpublikum der neunziger Jahre als etwas Archaisches, Unzeitgemäßes und beinahe Spaßiges. Der Dichter aber, der am 20. August 1991 sein jüngstes politisches Elaborat vom Balkon des Weißen Hauses deklamiert, ist weiterhin vom Zauber seiner eigenen Stimme gebannt. Er ist überflüssig geworden, jedes Wort von ihm ist wertlos, da das symbolische Kapital, das seine Aussagen zu Sowjetzeiten abdeckte, zusammen mit dem Rubel seinen Wert verloren hat. Doch er lebt, gekreuzigt zwischen zwei Epochen. Er lebt in einem schizophrenen, zerrissenen Raum und macht traurige Versuche, die Leitlinie seines eigenen Lebens zu entdecken und seinen Erfolg von einst angesichts der neuen Epoche zu rechtfertigen. Voll Inbrunst erinnert er sich an die Leichtigkeit, mit der die Menschen zur Zeit von Chruschtschows illusionärem Tauwetter miteinander umgingen. Da zeigt es sich, dass der Polit-Literat Jewtuschenko den Tauwetter-Schock nicht verwunden hat und auf den seinerzeit gefährlichen, aber lukrativen Themen seiner Jugend herumdrischt: Stalins Begräbnis und die Erschießung der Juden in Babi Jar, Freiheit und Tyrannei, Parteibürokratie und aufmüpfiger Künstler, ideologisch risikolose Liebe zum "kleinen Mann" und romantisches Kokettieren mit der eigenen Begabung als Liebhaber der Frauen. Er bemüht sich um ein ehrliches Bild von sich selbst, sieht sich aber nicht, sondern entgleitet sich gleichsam, da er Angst hat, die Wahrheit über das eigene Ich aufzudecken. Er versteckt sich in den sechziger Jahren vor den Neunzigern, die ihn bedrängen.

Aus diesem Grund hat seine Biografie nichts von einer Beichte, die die "Geschichte der menschlichen Seele" wiedergibt, wie Abélard, Rousseau oder Tolstoi dieses Genre verstanden. Es sind auch keine Memoiren, in denen der Autor von der Warte des Beobachters aus ein Fragment der Geschichte schildert, das er miterlebt hat. Jewtuschenko nimmt nur eine Zwischenposition ein. Er ist der Mediator zwischen den eigenen flüchtigen Eindrücken von der Wirklichkeit und der Welt der "großen Ideen", die er als liberale Klischees, von klein auf internalisierte ästhetische Stereotypen und einfache moralische Axiome, übernommen hat.

Er war ein gutherziger junger Mann, der vielen Menschen Mitgefühl und Hilfe entgegenbrachte. Die Kehrseite dieser Offenheit war seine Oberflächlichkeit. Sie rettete ihn, wenn es um gefährliche Dinge ging. Durch seine Oberflächlichkeit hielt er sich über Wasser, konnte er mit der Zensur spielen und sowohl mit Komsomol- und Parteifunktionären wie auch mit Dissidenten befreundet sein, denen er gleichermaßen fremd blieb. Er blieb sich selbst fremd, besaß eine Art innere Bremse, die es ihm nicht gestattete, eine Idee logisch durchzudenken oder einem emotionalen Impuls hemmungslos nachzugeben. Er lebt und schreibt so, als wäre die Psychoanalyse noch nicht entdeckt worden, als hätte der Mensch kein dunkles Seelenleben, als würde alles von äußeren Dingen entschieden. Deshalb darf man seiner neuen Biografie nur zum Teil glauben. Sie ist glaubwürdig, wenn es um die tastbare Wirklichkeit geht. Jewtuschenko ist ein trefflicher Erzähler. Er weiß viele Geschichten aus dem Leben und hat Tausende von Menschen kennen gelernt. Leider interessierte er sich nur für sich selbst, und die Galerie der Prominenten in seinem Buch, die Porträts von Chruschtschow und Che Guevara bis zu Edward Kennedy und Boris Jelzin, von Picasso bis Scholochow und Gabriel Marquez gleichen einer Serie von Gruppenaufnahmen, auf denen immer nur eine Person in die Kamera lächelt und alle anderen keine Notiz davon zu nehmen scheinen, dass sie fotografiert werden. Diese Person ist der Autor.

Die besten Seiten des Buches beschreiben seine Kindheit, das Panorama des menschlichen Strudels auf dem Trubnajaplatz am Tag von Stalins Begräbnis sowie Chruschtschows Empfang der Intelligenzija. Doch die einprägsamen, bildhaften Episoden und Szenen bilden leider nicht die Hauptschicht seiner Biografie. Jewtuschenko will ein großer, weiser Wortkünstler sein, das Epizentrum des geistigen Lebens. Im Vorwort nennt er sich sogar selbst so, er bezeichnet sich nicht als Egozentriker, sondern als "Epizentriker", der die Jugend belehren möchte. Doch da tritt seine fundamentale Unwissenheit zutage, die unter den Gedichten verborgen ist. Sobald er über die Geschichte spricht, macht er Fehler. Beginnt er zu philosophieren, so fühlt sich der Leser erst recht peinlich berührt. Jewtuschenko wird zu oft pathetisch und unterbricht die lebensechten Alltagsszenen mit Gemeinplätzen und süßlichen Schilderungen der russischen Natur.

Den traurigsten Eindruck hinterlassen seine Versuche, sein eigenes Verhältnis zur Macht zu rechtfertigen. Fast ein Drittel des Buches gilt seinen Erfahrungen mit der Zensur. Jewtuschenko ist davon überzeugt, dass des Dichters Leistung darin besteht, einen Funken Freiheit durch die Zensur bis zum Leser zu schleusen. Generator für diesen Funkenschlag ist die Zensur. Kann ein Dichter aber Überbringer der Freiheit sein, der sich bewusst auf die Zensur einlässt und Teil des staatlichen Literaturapparats geworden ist? Jewtuschenkos Buch beweist, dass er es nicht sein kann. Wie trefflich er als Mensch gewesen sein mag, wie viele gute Gedichte er geschrieben haben mag - seine literarische Position wird beim heutigen Leser kaum Sympathie wecken.

Aus dem Russischen von Annelore Nitschke.

Jewgeni Jewtuschenko: "Der Wolfspaß". Abenteuer eines Dichterlebens. Aus dem Russischen übersetzt von Thomas Reschke. Verlag Volk & Welt, Berlin 2000. 368 S., geb., 48,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Liebevoll, aber auch spöttisch schreibt Beatrix Langner über die Memoiren dieses "großen Jungen mit der Schiebermütze". Sie schildert seine Verdienste als Kritiker des sowjetischen Systems noch vor Solschenizyn und vor allem auch, dass er als einer der ersten über antisemitische Säuberungen in der UdSSR aufklärte. Spaß äußert sie an Jewtuschenkos "glänzenden Dialogen" und an der recht anarchistischen Weise, in der der Dichter über Zeitgenossen herzuziehen scheint. Am Ende ihrer Kritik verweist Langner auf Jewtuschenkos kleine Hommage auf Viktor Pelewin, den neuen Star der russischen Literatur, die nur in der deutschen Ausgabe des Buchs enthalten sei.

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