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Als die Mauer fiel, waren sie nicht älter als zwanzig. Zwei Jahrzehnte wurden sie von unterschiedlichen Systemen geprägt - andere Werte, andere Feinde, andere Geschichte. Während bei den Älteren die Unterschiede deutlich zu erkennen sind, scheinen sie in der jüngeren Generation weniger sichtbar. An der Oberfläche wirkt alles ähnlich, und doch ist vieles seltsam anders. 23 junge Autoren aus Ost und West fragen, warum sie sich fremd geblieben sind.

Produktbeschreibung
Als die Mauer fiel, waren sie nicht älter als zwanzig. Zwei Jahrzehnte wurden sie von unterschiedlichen Systemen geprägt - andere Werte, andere Feinde, andere Geschichte. Während bei den Älteren die Unterschiede deutlich zu erkennen sind, scheinen sie in der jüngeren Generation weniger sichtbar. An der Oberfläche wirkt alles ähnlich, und doch ist vieles seltsam anders.
23 junge Autoren aus Ost und West fragen, warum sie sich fremd geblieben sind.
Autorenporträt
Jana Simon, geb. 1972, studierte Politologie und Publizistik in Berlin und London. Seit 1998 ist sie als Reporterin beim Tagesspiegel in Berlin tätig. Ausserdem schreibt sie Beiträge u.a. für Geo und Die Zeit. 2001 erhielt sie für ihre Reportagen den Axel-Springer- und den Theodor-Wolff-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.05.2000

Kunstfaser oder Kaschmir
Deutsche Jugend in Ost und West: Pullover bleibt doch Pullover
JANA SIMON, FRANK ROTHE, WIETE ANDRASCH (Hrsg. ): Das Buch der Unterschiede; Warum die Einheit keine ist, Aufbau Verlag, Berlin 2000. 237 Seiten, 29,90 Mark.
Eine Generation nimmt Platz im öffentlichen Leben, doch es ist etwas Besonderes daran: Die knapp Dreißigjährigen, die in Ost- und Westdeutschland groß geworden sind, haben ihre Kindheit zwar in unterschiedlichen Systemen verbracht, die letzten zehn Jahre aber in gleicher Freiheit. Sie alle staunen heute über die Unterschiede, die es zwischen den Ost- und Westgeborenen unter ihnen noch immer gibt. Es scheint, als kämen beide Gruppen nicht so recht ins Gespräch miteinander. Darüber haben sie jetzt ein Buch geschrieben: Dreiundzwanzig Autoren, die zur Wende um die 20 waren, berichten, wie sie sich gegenseitig wahrnehmen. Und sie schildern, „warum die Einheit keine ist”.
Die Autoren erzählen persönliche Geschichten, sie beobachten präzise, ihre Wahrnehmungen sind nicht ideologisch verstellt. Scheinbar nebenbei schildern sie die Besonderheiten im Erwachsenwerden beiderseits der Mauer zwischen 1970 und 1989. Ihre Geschichten stehen gleichwertig nebeneinander, selbstbewusst und offen, niemand nimmt sich zurück. So gewähren die Autoren einen Einblick in das Leben ihrer Generation.
Tatsächlich aber gibt es wohl nur eine wirklich unbefangene Figur in dem Buch: David Wagners österreichische Cousine, die nach Berlin kommt und die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen erforscht. Gegen die Ressentiments ihres westdeutschen Cousins, der keine Bekanntschaften mit Ostdeutschen unterhält, stellt sie fest: „Man unterscheidet sich darin, worin man sich gleicht, zwei Pullover, ob Kunstfaser gehäkelt oder Kaschmir gestrickt, bunt gemustert oder schlicht getönt, bleiben doch Pullover. ”
Ihrem westdeutschen Cousin verhilft sie zu einigen Erkenntnissen: Er hatte Ostlern gegenüber ein schlechtes Gewissen, weil es denen viel schlechter gegangen war als ihm. So hatte man ihm jedenfalls erzählt. Und er beneidete sie (in einer „politpubertären Grille”) um die Veränderungen, die sie erlebt hatten. Ihm selbst war nicht viel passiert: „Als ich acht oder neun Jahre alt war, wechselte die Farbe der Snickers-Verpackung von Rot zu Braun. Und ein paar Jahre später hieß Raider auf einmal Twix. ”
Christian Amend, im Westen gebürtig, geht persönlich dichter ran: Er findet, dass Gespräche zwischen Ost- und Westdeutschen eigenartig verlaufen – anstatt sich ohne Vorbehalte näher kennen zu lernen, katapultierten einzelne Sätze zwei Gesprächsteilnehmer in gegnerische Lager, die dann „Wir” und „Ihr” heißen. Amends Fazit: Man ist nicht nur in zwei Systemen, sondern auch in zwei Jugendkulturen aufgewachsen, die nichts miteinander zu tun hatten. „Man muss dem anderen Fehler erlauben. ”
Implodierte Galaxis
Doch genau daran hapert es: Frank Rothe aus Ostdeutschland erzählt, wie er bei einem Gespräch als Westdeutscher durchging und stolz darauf war, aber nach der Einweihung in die westdeutschen Klischees mit sich selbst nicht mehr ins Reine kam: Als „Überbleibsel aus einer implodierten Galaxis” hatte er sich in dieser Situation angepasst – und nicht rebelliert. Er wollte mal ganz Westler sein. Obwohl ihm ganz sicher nicht alles geglückt ist, hat er Platz genommen im Westen und wird folgerichtig als Exoticum herumgereicht. Er spekuliert über die Frage, wie denn wohl die Westler reagieren würden, käme ihnen die BRD abhanden?
Tatsächlich ist der Unterschied zwischen beiden Seiten vor allem ein emotionaler, eine Gefühlsdifferenz, die an ein verstimmtes Instrument erinnert. Wenn die West-Journalistin Wiete Andrasch, nur weil sie nett ist, in der brandenburgischen Provinz für eine frühere Mitarbeiterin der Aktuellen Kamera gehalten wird, versteht der Leser die ostdeutsche Welt besser – oder gar nicht mehr.
David Wagner kann selbst das erklären: „Westdeutsche sind leicht verunsichert, weil der soziale Ultraschall, mit dem man jede Person sonst ganz automatisch zu durchleuchten versucht, bei sehr vielen Ostdeutschen so wenig anzeigt. Die westdeutsche Eichung erkennt keine ostdeutsche Feinabstufung. ” Seine österreichische Cousine bringt es auf den Punkt: „Ostler sind keine Zonis mehr, aber sie sind auch nicht wie Westler geworden. Sie haben einen Wendigkeitsvorsprung und weniger Ballast bei sich, sie haben schon einmal alles abgeworfen, sich gehäutet. ” Welche blauen Flecke ihre Seelen davongetragen haben, beschreiben die Autoren sehr anschaulich. Beim Buchstabieren derselben Phänomene bilden sie die Gefühlswelt der deutsch-deutschen Einigung ab, die nicht nur für ihre Generation steht.
CORNELIA BULL
Die Rezensentin ist Sprecherin der Gauck-Behörde in Berlin.
Östlich oder westlich oder einfach kultig? Techno-Party in Dortmund.
Foto: dpa
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