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Berliner Seen, verschwiegene Gewässer mit ungeahntem Sog: der ideale Ort, um zu verschwinden oder jemanden verschwinden zu lassen. Ihr Gegenstück, die ausgeleuchtete Öffentlichkeit: eine Theaterbühne als Ort für einen kunstvoll inszenierten Abgang. Drei Novellen.

Produktbeschreibung
Berliner Seen, verschwiegene Gewässer mit ungeahntem Sog: der ideale Ort, um zu verschwinden oder jemanden verschwinden zu lassen. Ihr Gegenstück, die ausgeleuchtete Öffentlichkeit: eine Theaterbühne als Ort für einen kunstvoll inszenierten Abgang. Drei Novellen.
Autorenporträt
Hartmut Lange, 1937 in Berlin-Spandau geboren, studierte an der Filmhochschule Babelsberg Dramaturgie. 1960 erhielt er eine Anstellung als Dramaturg am Deutschen Theater in Ostberlin. Von einer Reise nach Jugoslawien kehrte er nicht in die DDR zurück. Er ging nach Westberlin, arbeitete für die Schaubühne am Halleschen Ufer, für die Berliner Staatsbühnen und am Schiller- und am Schloßpark-Theater. Lange schreibt Dramen, Essays und Prosa. 2003 wurde er für sein Werk mit dem Italo-Svevo-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2007

Blow up am Halensee
Die Untiefen der Existenz: Drei neue Novellen des großen Einzelgängers Hartmut Lange

"Wir können nicht alles, was wahr ist, wirklich sehen, und nicht alles, was wir gesehen haben, können wir der Wahrheit zurechnen." Das ist so ein typischer, vergrübelter Hartmut-Lange-Satz. Er könnte im "Tagebuch eines Melancholikers" stehen, diesem gedankenreichen Bekenntnisbuch aus den Achtzigern mit dem schönen Titel "Deutsche Empfindungen". Doch Lange legt diesen Satz in "Der Hundekehlesee", der ersten seiner drei neuen Novellen, dem Philosophen Wernigerode in den Mund. Dieser See gehört zu den stillen, etwas abgelegenen Gewässern Berlins, sehr geeignet für Geheimnisse. Und an denen lässt uns Hartmut Lange mit sich steigernder Spannung teilnehmen.

In einem Kriminalfilm hieße die banale Frage: Hat Wernigerode seine Geliebte Alima unwissentlich in den Tod im Wasser getrieben, war es womöglich der rachsüchtige jüngere Bruder, oder lebt die morgenländische Schöne versteckt und wider ihren Willen im Schoß ihrer tunesischen Familie? Der Philosoph hat sie dort vergeblich gesucht. Lange belässt es bei vagen Indizien und beunruhigenden Vermutungen. "Grundsätzlich gesehen", lässt er Wernigerode vor seinen Studenten dozieren, "hat der moderne Mensch kaum noch etwas, woran er sich halten kann, und nicht in der Wahrheit, sondern in der Täuschung werden die Untiefen seiner Existenz wirklich berührt." Es gibt hier keine eindeutigen Antworten. Wernigerode taucht wieder in seinen Alltag ein, spielt den ersten Satz der G-Dur-Sonate von Schubert und blättert im Koran, was er, als Alima noch bei ihm war, versäumt hat.

Auch in der zweiten, der titelgebenden Novelle "Der Therapeut" ist Wasser, bleigrau und nebelverhangen, der Unheil verheißende Hintergrund des rätselhaften Geschehens. Der Ich-Erzähler schreibt für eine Zeitschrift über kunstvoll verwilderte Gärten und Parks, während sein Freund die entsprechenden Fotos macht. Ein Anwesen am Halensee verspricht den idealen Stoff für diese Auftragsserie zu liefern: Riesige Rhododendren, eine zerbrochene Bronzeschale, eine armlose efeuumrankte Büste im Stil der Jahrhundertwende, ein Pavillon am See - was sich dem Auge verwahrlost und verlassen bietet, bekommt durch den geheimnisvollen Therapeuten, der in der alten Villa seine Praxis hat, eine geheimnisvolle Bedeutung. Wie der Fotograf in Antonionis Film "Blow up" glaubt der Erzähler einem Verbrechen auf der Spur zu sein. Und obwohl er dazwischen wie verabredet seine Beiträge über italienische Gärten abliefert, lässt ihn das verwunschene Anwesen am Halensee nicht los. War oder ist es der Schauplatz verbotener Sterbehilfe für Lebensmüde, die der Therapeut leistet? Hartmut Lange versteht es, die Spannung bis zum ungewissen Ende durchzuhalten.

Der Rand der Realität und der Tod beschäftigen den inzwischen Siebzigjährigen schon lange. In einer an Kleist geschulten melodischen Sprache kommt er der unterdrückten Angst vor dem Leben nahe wie kein anderer zeitgenössischer Dichter. Auf den verschlungenen Wegen der Philosophie von Hegel über Nietzsche, Schopenhauer zu den Existentialisten versucht er seinen eigenen Weg zu finden. Kein Wunder, dass er nach seiner Übersiedlung in den Westen in den frühen Sechzigern ein Einzelgänger geblieben ist. Vom Literaturbetrieb hat er sich immer ferngehalten. Wenn er dazu aufgefordert wurde, hat er ihn scharfzüngig und unerbittlich kritisiert. "Die Revolution als Geisterschiff", die Sammlung seiner Essays und Kritiken, ist noch heute lesenswert. Dass Kunst sich einen eigenen Wahrheitsgrund schafft, ist Hartmut Langes Resümee und möglicherweise auch sein Trost.

MARIA FRISÉ

Hartmut Lange: "Der Therapeut". Drei Novellen. Diogenes Verlag, Zürich 2007. 148 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.04.2008

Lauter kleine Zweifel
Der Novellist Hartmut Lange schätzt den dezenten Borderliner
Was macht eigentlich die Novelle im 21. Jahrhundert? Die Ode, der Dithyrambus oder das bürgerliche Trauerspiel haben es nicht geschafft, die Novelle dagegen konnte sich eine Nischenexistenz in der Gegenwartsliteratur sichern: Sie versprüht den diskreten Charme des 19. Jahrhunderts und ist doch offen für das neckische Detail aus dem Hier und Jetzt. Grundsätzlich gehört das leicht Verstaubte zur Novelle wie der Schlips zum pensionierten Studienrat, und manchmal kann dieses hartnäckige Festhalten an überkommenen Formen einen interessanten Retro-Effekt erzeugen.
Der Berliner Schriftsteller Hartmut Lange hat diese Form der kalkulierten Verstaubung auch auf den Inhalt seiner Novellen übertragen: Seine Protagonisten sind fast ausnahmslos verschrobene männliche Einzelgänger, deren sanft anschwellende Wahrnehmungsstörungen den Gang der Handlung bestimmen. Auch „Der Therapeut”, Langes jüngster Band einer bereits Jahrzehnte währenden Novellen-Publikationsgeschichte, setzt diese Serie ebenso dezenter wie schrulliger Herren fort: Ein Philosoph, ein Beiträger der Zeitschrift Gartenbaukunst und ein alternder Schauspieler variieren in drei Novellen eine existentielle Erfahrung: Ganz allmählich verschwimmt die Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung, oder vielmehr: die Wirklichkeit gibt sich als immer schon dubiose Veranstaltung zu erkennen, die kein Zurück zu den Sachen mehr zulässt. Der Philosoph, dessen arabische Lebensgefährtin spurlos verschwunden ist, hört plötzlich Blesshühner, wo keine sein können. Den Gartenbau-Schreiber treibt ein leises Weinen um, das aus der Praxis des Therapeuten zu kommen scheint, und der ehemalige Burgtheaterstar glaubt ernsthaft, dass das Publikum ihn persönlich auslacht, wenn er einen lächerlichen Bühnentod stirbt. Diese tragikomischen Gestalten wandern durch eine betont unheimliche Berliner Seenlandschaft: In zwei der drei Novellen ist deren Wasserfläche magisch aufgeladen, raunt man von Verbrechen und tragischen Schicksalen.
So richtig schlimm kommt es allerdings in keinem der Fälle: Hier grinst nicht die nackte Fratze des Wahns. Statt greller Psychosen setzt Hartmut Lange auf die mikroskopisch verrückten, gerade noch harmlosen Sinnestäuschungen seiner Durchschnittsneurotiker. Oder sollten die Geräusche doch real und die verwirrten Phänomenologen im Recht gewesen sein? Lange streut ständig – und leider viel zu deutlich – Zweifel-Signale in seine Prosa, und noch dazu führt der Philosoph gleich zu Beginn das Prinzip der Täuschung „als eine der Grundthesen der Philosophie der Moderne” ein.
Vor allem aber ist es der gediegene, ein bisschen knarzige Tonfall dieser Novellen, der die Abgründe des totalen Realitätsverlusts nur andeutet. Ebenso wie die Sprache immer die Form wahrt, fallen auch die Figuren niemals komplett aus der Rolle. Selbst wenn der Beiträger der Gartenbaukunst nachts durch den Park des Therapeuten schleicht, ist das zwar unerhört, aber es sprengt keine Konventionen. Die Ironie, mit der Hartmut Lange seine Figuren behandelt, orientiert sich viel eher an der Zimmertemperatur des Realismus als an Kleistschen Gefühlskatastrophen. Seine derangierten Herren zaudern ewig zwischen den Welten, und fast wünscht man ihnen, dass ihre kleinen Zweifel sich zu handfesten Erscheinungen auswachsen.JUTTA PERSON
HARTMUT LANGE: Der Therapeut. Drei Novellen. Diogenes, Zürich 2007. 158 Seiten, 18,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Fasziniert zeigt sich Maria Frise von diesen Novellen Hartmut Langes. Sie charakterisiert ihn als "großen Einzelgänger", der einen eigenen Weg geht und sich vom Literaturbetieb fern hält. Wie keinem zweiten zeitgenössischen Schriftsteller gelinge es Lange, der "unterdrückten Angst vor dem Leben" nahe zu kommen. Davon ist für sie auch in den vorliegenden Novellen etwas zu spüren, die ihr ebenso geheimnisvoll wie fesselnd erscheinen. Sie hebt hervor, dass der Autor dabei keineswegs die typischen Mittel des Krimis nutzt, um Spannung zu erzeugen. So bleibe es in der Geschichte "Der Hundekehlesee", in der die Geliebte des Philosophen Wernigerode verschwindet, etwa bei Andeutungen und Indizien, die eine beunruhigende Atmosphäre erzeugen. Besonders gefallen hat Frise auch die "melodische" Sprache, die sie an Kleist erinnert.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Der Meister unter den phantastischen Rationalisten.« Edelgard Abenstein / Deutschlandradio Kultur Deutschlandradio Kultur