Marktplatzangebote
13 Angebote ab € 2,43 €
  • Gebundenes Buch

Eigentlich ist Schönbergs 4. Streichquartett Opus 37, an dem Berghoff unermüdlich probt, nicht gerade geeignet, seinen ohnehin angespannten Geisteszustand zu beruhigen. Ebensowenig wie die Tatsache, daß seine Frau Elisabeth mit den Töchtern zu einer Erholungsreise aufgebrochen ist, die kein Ende nehmen will. Als dann plötzlich – Traum eines jeden Geigers – eine wertvolle Mittenwalder Geige in seiner verlassenen Wohnung steht, nimmt ein Alptraum seinen Lauf.

Produktbeschreibung
Eigentlich ist Schönbergs 4. Streichquartett Opus 37, an dem Berghoff unermüdlich probt, nicht gerade geeignet, seinen ohnehin angespannten Geisteszustand zu beruhigen. Ebensowenig wie die Tatsache, daß seine Frau Elisabeth mit den Töchtern zu einer Erholungsreise aufgebrochen ist, die kein Ende nehmen will.
Als dann plötzlich – Traum eines jeden Geigers – eine wertvolle Mittenwalder Geige in seiner verlassenen Wohnung steht, nimmt ein Alptraum seinen Lauf.
Autorenporträt
Hartmut Lange, geboren 1937 in Berlin-Spandau, Studium an der Filmhochschule Babelsberg. 1960 Anstellung als Dramaturg am Deutschen Theater in Ostberlin. Nach einer Reise nach Jugoslawien Wechsel nach Westbelin, Arbeit für die Schaubühne am Halleschen Ufer und in den 70er Jahren für die Berliner Staatsbühnen sowie als Dramaturg und Regisseur am Schiller- und Schlosspark-Theater. Der Autor lebt als freier Schriftsteller in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2001

Der Largo-Verweigerer
Quartettquerelen: Hartmut Lange verschreckt seinen Ersten Geiger

Der erste Roman von Hartmut Lange erschien im Jahr 1982 - "Selbstverbrennung" war eine düstere Parabel über die scheinbare Aporie von Vernunft und Glauben, ausgetragen in Gesprächen zwischen einem Philosophen und einem Pfarrer in tiefster DDR-Provinz, die schließlich dazu führten, daß der Mensch mit einem metaphysischen Bedürfnis ausgestattet sei und ohne den Glauben nicht auskomme.

Damals hatte der Hacks-Freund Lange die DDR schon längst verlassen und seine Karriere als Dramatiker, zu dem er in der DDR ausgebildet worden war, hinter sich. Der marxistische Realist war bereits mit seinem 1962 entstandenen ersten Stück "Marski" angeeckt, weil es die gesellschaftlichen Antagonismen nicht beim Klassengegner, sondern in der DDR offenlegte. Lange siedelte 1965 nach West-Berlin - erst ein Jahr später konnte "Marski" in Frankfurt am Main uraufgeführt werden.

Seit dem Erstling publiziert Lange in schöner Regelmäßigkeit alle Jahre Erzählungen und vor allem Novellen; er ist einer der wenigen Erzähler, die sich der Novelle angenommen haben. Vermutlich entspricht die strengere Form der Novelle mit ihrer dramaturgischen Konstruktion, die auf einen erzählerischen Höhepunkt hinzielt, dem ausgebildeten Dramatiker. Manche seiner Novellen könnte man sich durchaus als theatralisierte Kammerspiele vorstellen - es scheint, als sei die Novelle der Schauplatz eines Dramatikers geworden, dem die Bühne abhanden gekommen ist.

Mit der Form änderte sich auch das literarische Klima in den Büchern des Schriftstellers Lange. Die Veränderung des Bewußtseins, die er im Roman "Selbstverbrennung" beschrieb, hat auch ihren Autor ergriffen: Aus dem vernunftgläubigen marxistisch-realistischen Dramatiker wurde ein Erzähler, bei dem die metaphysischen Farben intensiver wurden, ohne daß dabei seine Sprache zu raunen begann. Klar und, wie ein Kritiker damals treffend schrieb, in "detailgenauer Gemächlichkeit", entwickelt Hartmut Lange so seine novellistischen Szenarien.

Zuletzt in der Novelle "Das Streichquartett". "Es begann damit, daß Berghoff eine Aufnahme aus dem Jahre 1937 mitbrachte. Er zog einen CD-Player aus der Aktentasche, dazu zwei kleine Kopfhörer, die er herumreichte, und er bestand darauf, daß man erst einmal, statt zu proben, das verkratzte Archivmaterial zur Kenntnis nehmen sollte." Ein veritabler Bühnenauftritt. Berghoff leitet ein professionelles Quartett, das sich für eine neue Tournee vorbereitet und dort, neben Beethoven, Brahms und Schubert, auch das Streichquartett Nr. 4 opus 37 von Arnold Schönberg spielen will. Dieses Streichquartett entstand 1936 und wurde vom berühmten Kolisch-Quartett, das mit Schönbergs Quartetten sehr vertraut war, am 9. Januar 1937 in Los Angeles zur Uraufführung gebracht. Es folgt der Zwölftonmethode und gilt als Schönbergs klassischstes Quartett: viersätzig, schreibt es traditionelle Formen fort wie Sonate und Rondo und habe, so Schönberg selbst, sehr viel von Mozart gelernt. Es ist übrigens das letzte Streichquartett, das Schönberg geschrieben hat, und wurde, so Kolisch nach einigen Aufführungen, erfolgreich wie ein Schlager.

Die strenge Form des Quartetts entspricht der strengen Form der Novelle. Aber dies ist nur eine äußerliche Feststellung. Mit Bedacht hat Lange ja gerade dieses Quartett ausgesucht, um es gleichsam zum Leitmotiv seiner Novelle zu machen. Genau werden einige Proben geschildert, in denen Lange die Bewegungen der Musik gleichsam nacherzählt. Aber was mehr hat dieses Quartett mit dieser Novelle zu tun?

In ihrem Mittelpunkt steht der erste Violinist Berghoff, genauer die Geschichte seiner Verunsicherung. Sie hat mehrere Quellen. Sie entsteht, während das Quartett den Schönberg einstudiert. Berghoffs Violine klirrt. Als er in einer Anzeige eine wertvolle alte Mittenwalder Geige entdeckt und sie kaufen will, gibt es wegen des Preises Einwände seiner Frau. Als er das den Kollegen erzählt, bietet einer, Stern, ihm an, darüber vermittelnd mit Berghoffs Frau zu sprechen. Berghoff wird mißtrauisch. Der Kauf unterbleibt. Dann reist Berghoffs Frau mit den beiden Kindern in die Ferien - und taucht nicht wieder auf. Und Berghoff findet eines Tages die Geige in seiner leeren Wohnung auf dem Vertiko - ein heimliches Geschenk seiner Frau?

Rätselhaft entwickelt sich die Erzählung. Berghoff wird immer merkwürdiger. Während der Tourneen des Quartetts tut er zwar alles, damit seine Frau zu den Konzerten kommt, reserviert Zimmer und Plätze - aber Elisabeth erscheint nicht. Berghoff wird unzuverlässig, bei einer Aufführung des Schönberg-Quartetts verweigert er beim Largo das Spiel, und er wird immer unerträglicher. Als er den Verkäufer der Mittenwalder Geige, einen Augenarzt, aufsucht, sagt ihm der, zwei Männer hätten die Violine gekauft - nicht also Elisabeth? Das Gespinst der Novelle wird immer verwirrender, die Logik einer Kriminalhandlung, die hinter dem Ganzen stecken könnte, wird freilich nicht recht erkennbar. Monate vergehen, Berghoffs Familie aber taucht bis zum Ende nicht wieder auf. Und Berghoff verkommt immer mehr, schließlich lebt er im gerümpeligen Keller einer Fabrik, in deren Räumen das Quartett zu üben pflegt. Bis - nun, bis sich das Ganze auflöst und in einem Knalleffekt endet.

Ein bißchen fragwürdig freilich ist, wie Lange das Schönberg-Quartett funktionalisiert. Einerseits ist seine Verarbeitung in den Novellentext flüchtig und bloß oberflächlich. Andererseits setzt Lange die Schönbergsche Musik - als atonale Musik und somit Ausdruck der Moderne wohl insgesamt - zur Charakterisierung seines labilen Helden etwas denunziatorisch ein, so, wenn Berghoff "den Tag verflucht, an dem ich die Archivaufnahme mit dem Kolisch-Quartett aus der Tasche gezogen habe" und meint, Brahms oder Schubert seien "dem Leben hilfreicher" und man müßte "die ganze zweite Wiener Klassik verbieten. Sie haut einem geradezu die Beine vom Boden", er also "Schönbergs Musik für seinen augenblicklichen Zustand verantwortlich" macht - was immerhin der Cellist von Rosen kontert mit der Bemerkung "Schönberg hat mit Deinem Privatleben nichts zu tun", um aber schließlich doch ein "absolutes Schönberg-Verbot" zu verfügen.

Wenn man Langes Novelle in Kenntnis ihres überraschenden Schlusses noch einmal liest, wird erkennbar, daß er einige Erzählfäden nicht zum Plot, zum Knoten hin also, knüpft, sondern einfach hängen läßt. Beim ersten Lesen fällt das nicht auf, es sind erzählerische Verunsicherungsmittel, die das schillernde Bild, das sich verdüsternde Ambiente dieser Novelle herstellen, sind also durchaus akzeptabel; denn anders ließ sich der Überraschungscoup am Schluß wohl nicht vorbereiten. Und der wird hier auch nicht verraten.

HEINZ LUDWIG ARNOLD

Hartmut Lange: "Das Streichquartett". Novelle. Diogenes Verlag, Zürich 2001. 137 S., geb., 34,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So richtig deutlich wird nicht, ob dem Rezensenten Heinz Ludwig Arnold diese Novelle nun tatsächlich gefällt oder ob ihn nur die Konzeption des Stückes beeindruckt. Jedenfalls lobt Arnold den Autor und "ausgebildeten Dramatiker" Hartmut Lange für seine strenge und stringente Arbeit an dem Format der Novelle allgemein und findet den Knalleffekt, mit dem "Das Streichquartett" endet, gut vorbereitet. Wie der Autor mit Schönbergs Streichquartett umgeht, findet der Rezensent allerdings nicht gerade gelungen. Ihm missfällt der Umstand, dass die atonale Musik "zur Charakterisierung seines labilen Helden etwas denunziatorisch" eingesetzt wird und die Verarbeitung der Musik in den Novellentext "bloß oberflächlich" geschehen ist.

© Perlentaucher Medien GmbH