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Produktdetails
  • Verlag: Haffmans
  • Seitenzahl: 511
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 676g
  • ISBN-13: 9783251203147
  • ISBN-10: 3251203142
  • Artikelnr.: 25219778
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2001

Ästheten und Athleten
Barbara Belford übersieht die feminine Seite Oscar Wildes

Beliebter als bei den Schönen und Belesenen beiderlei Geschlechts war Oscar Wilde zu Lebzeiten nur bei den Fotografen und Karikaturisten. Auf den Bildern ähnelt der junge Dandy jener wunderschönen Schilfrispe, in die sich der einsame Schwälberich aus Wildes Märchen "Der glückliche Prinz" hoffnungslos verliebt. Mag sie auch gelächelt und ihr zartes Haupt in einer leichten Drehbewegung zur Seite geneigt haben, mit rohem Anbändeln durfte man solchen Gestus nicht verwechseln. Eher sprach daraus eine beherzte Distanznahme, vergleichbar jener, mit welcher der Dichter nach der Premiere des Stücks "Eine Frau ohne Bedeutung" von der Brüstung seiner Loge das jubelnd nach dem Autor verlangende Publikum ansprach: "Meine Damen und Herren, es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Mr. Oscar Wilde nicht im Hause ist."

Hätte es Wilde in der Affäre "Bosie", alias Lord Douglas, ähnlich gehalten, dann wären der Nachwelt einige Biographien erspart geblieben, die Literatur stünde nicht ärmer da, und die langweilige Frage nach der Spiegelung sexueller Vorlieben und Gebräuche des Autors in seinem Werk könnte man getrost den akademischen Gender-Studien überlassen. Die "einzige schändliche unentschuldbare und alle Zeit verachtenswerte Handlung" seines Lebens - so urteilte Wilde über sich selbst - sei die gewesen, "die Gesellschaft um Hilfe und Schutz" gegen Verleumdungen angerufen zu haben. War es allein die verletzte Ehre, die Wilde vor Gericht gehen ließ, oder wollte der erfahrene Vortragsredner ein ästhetisches Experiment riskieren? Der Prozeßverlauf, das Urteil und das Gefängnis überschatteten jedenfalls die letzten fünf Lebensjahre des Oscar Wilde mit hinreichender Tragik, um seinen Biographen fortan die Richtung und den Zielpunkt eines vermeintlich schicksalhaften Verhängnisses zu liefern, auf das Leben und Werk von frühesten Vorzeichen an zuzulaufen schienen.

Die Amerikanerin Barbara Belford, die bereits einige Biographien anderer viktorianischer Zeitgenossen vorgelegt hat, möchte dagegen "eine freundlichere Geschichte" erzählen. Dazu bedient sie sich eines Kniffs, der das vorgebliche Verhängnis umdreht und den tragischen Telos durch den fidelen "Coming out" homosexueller Identitätsfindung ersetzt: "Indem er öffentlich das Recht auf eigene Sexualität behauptete", habe Wilde "die uranistische Leidenschaft" aus der Dunkelheit britischer Internatsstuben in das Licht der Öffentlichkeit katapultiert und darüber "den Grundstein für ein homosexuelles Selbstbewußtsein" in der Moderne gelegt. Wildes Leben, ein authentisches und "fortgesetztes Lehrstück", dem die melancholischen und schmerzhaften Komponenten ausschließlich und willkürlich von außen zugeführt worden wären?

Wildes Kunst wird von Belford in sonderbare Parenthese gesetzt. Zwar hat sie für beinahe jede Lebenslage passende Zitate aus dem literarischen Werk parat, doch mehr als einen Steinbruch zur Gewinnung von Illustrationsmaterial für die Konstruktion einer lebenslangen homosexuellen Identitätssuche fördert sie nicht zutage. Außer am literarischen Unvermögen der Autorin liegt das daran, daß sie Wilde für einen eher mittelmäßigen Schriftsteller hält, der zwar "mit allen Formen des Schreibens experimentiert" habe, ungleich mehr Zeit und Energie aber in die flatterhaften Lebenskünste eines geckenhaften Poseurs investiert habe. Was Belford dem Leben und dem Werk gleichermaßen zugesteht, ist "ein gewisses Genie", wenn sie auch Wildes Leben zum "Triumph der Frivolität über das Genie" erklärt. Nur "manchmal", so räumt sie ein, sei es wohl "auch ein Triumph des Genies über die Frivolität" gewesen, womit die Waage endlich so heftig nach der Seite des Lebens ausschlägt, daß das Werk vollends aus der Schale purzelt.

Nach diesem Muster muß auch der "Dorian Gray" immer wieder zu autopsischen Befunden über die Person des Autors und deren Befindlichkeiten herhalten. Zuletzt läßt Belford den Dorian im Tête-à-tête zwischen dem Oscar Wilde der letzten Exiljahre und dem Baron von Gloeden - dem Fotografen sizilianischer Lustknaben in bizarrer antiker Kostümierung - mitten ins Leben treten, denn "auf ähnliche homoerotische Fotos", so weiß die Biographin, werde "indirekt auch im Dorian Gray angespielt: ,Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle', sagt Lord Henrys Frau zu Dorian. ,Ich kenne Sie ja schon ganz gut von Ihren Fotos her. Ich glaube, mein Mann hat siebzehn Stück davon.'" Das ist arg viel, doch immerhin war hier eine Frau mit im Spiel, während die vielen weiblichen Gegenwarten und Liebesobjekte in Wildes Leben - von der exzentrischen Mutter, der einsamen Ehefrau und der obligaten "Jersey-Lillie" Langtry einmal abgesehen - von Belford leider ungebührlich vernachlässigt werden.

Neues erfährt man in dieser flüssig und streckenweise sogar amüsant zu lesenden Biographie hingegen über Wilde als begehrtes Objekt von Fotografen, über seine Studioauftritte vor der Posiermaschine und über den eitlen Konfektionskult des Dandy. Doch gerade dies hätte die Autorin argwöhnisch machen müssen gegenüber der Exaltierung allzu stereotyper Muster von männlicher Homosexualität, die ihre üblichen Brutstätten in den Internaten und unter den platonischen Männervereinen der Universitäten gefunden haben soll. Unter der plakativen Überschrift "Ästheten gegen Athleten" erschien im Jahr 1881 in einem Wochenblatt eine der unzähligen Karikaturen über den selbsternannten Oxforder "Professor für Ästhetik": Während verbissene Athleten unter Schweiß und Geschrei ihren körperlichen Ertüchtigungen nachgehen, breitet im Vordergrund ein langhaariger, gelockter Oscar Wilde ratlos seine Arme aus: jemand, der ostentativ untauglich ist für die Jagd, den Zweikampf und den Krieg und darauf sogar noch stolz ist. War das vielleicht sein Verbrechen?

Dann betraf der Skandal um Oscar Wilde gar nicht die Homosexualität, sondern Wildes kokette wie stolze Feminität, die es mit dem Geschlecht auch nie so genau nahm, wie es die Gesellschaft verlangte. Nicht dem angeblichen "Päderasten", sondern dem Weib im Manne wurde der Prozeß gemacht, da Dichter und Frauen ohnehin vom gleichen, schwachen Geschlecht sind. Die beste Stelle in Belfords Buch, an der sogar der Autorin einmal leise Zweifel an ihrer Konstruktion zu kommen scheinen, betrifft das homosexuelle Wahrzeichen einer grünen Nelke in Wildes Knopfloch, die seit dem "Coming out" ihres Trägers die Nachfolge der Lilie angetreten haben soll: "Vielleicht", gibt Barbara Belford zu bedenken, "war die grüne Nelke auch einfach nur eine grüne Nelke" und nichts weiter, denn Wilde selbst habe, als er gefragt wurde, was sie bedeute, zur pfiffigen Antwort gegeben: "Überhaupt nichts, und genau das ist es, womit keiner rechnet."

VOLKER BREIDECKER

Barbara Belford: "Oscar Wilde. Ein paradoxes Genie". Eine Biographie. Aus dem Amerikanischen von Susanne Luber. Haffmans Verlag, Zürich 2000. 512 S., geb., 59,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Scharfsinnig und mit kühler Ironie lässt Ulrich Horstmann zwei von drei im 100. Todesjahr erschienen Biographien Oscar Wildes an seinem Wilde-Verständnis und des Dichters eigenen Aussagen auflaufen: Die Wilde-Biografien von Richard Ellerman und Barbara Belford finden keine Gnade vor seinen Augen. Belford will alles besser machen, so Horstmann, was aber nach hinten losgehe: Auch das Elend der letzten Jahre Wildes ordne sie ihrer Prämisse unter, eine "freundlichere Geschichte zu erzählen". Da, wo für die Zeitgenossen der Skandal war, liegt für Belford die Befreiung, für Horstmann nichts anderes als ein "kopfstehender Viktorianismus". Die "homosexuelle Märtyrerkrone", so Horstmann, funkelt, aber auch von ihr fällt kein Licht aufs Werk. Nur Norbert Kohls Wilde-Biografie kann vor den Augen des Rezensenten bestehen.

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