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Produktdetails
  • Verlag: Ammann
  • 2000.
  • Seitenzahl: 860
  • Deutsch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 1328g
  • ISBN-13: 9783250500056
  • ISBN-10: 3250500054
  • Artikelnr.: 09337595
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.1997

Die Regierung der Seelen
Der große Vermittler Karl Dedecius und sein Panorama der polnischen Poesie · Von Harald Hartung

In "Eindrücke aus dem Theater", einem ihrer schönsten und ergreifendsten Gedichte, schildert die polnische Nobelpreisträgerin Wis¢awa Szymborska die "Auferstehung vom Schlachtfeld der Bühne" nach dem Fallen des Vorhangs: "das Ziehen des Dolchs aus der Brust, das Lösen der Schlinge vom Hals". Tröstliche Kunst! Denn anders als auf dem Theater werden in der brutalen Realität die Dolche nicht aus der Brust gezogen, die Schlingen nicht vom Hals gelöst, blickt das Opfer nicht selig dem Henker ins Auge.

Ingeniös benutzt die Dichterin die ehrwürdige Theatermetapher, um die brutale Realität der Geschichte zu pointieren. Und welche Geschichte wäre brutaler als die polnische? Aber auch welche Poesie leidgeprüfter, leiderfahrener als die polnische? So daß Szymborskas Kollege Adam Zagajewski 1982 die äußerste Zuspitzung riskiert: "Wirklich leben können wir nur in der Niederlage." In jener Niederlage, aus der dann der Triumph der Poesie erwächst.

Das alles hat in Polen Tradition, wie schon Heinrich Heine wußte: "Wenn Vaterland das erste Wort des Polen ist, so ist Freiheit das zweite." Aber Vaterland und Freiheit blieben für die Polen lange Zeit eine Sache der Hoffnung und Imagination, kurz die Sache der Dichter. Diese hatten, wie es der polnische Klassiker Adam Mickiewicz ausdrückte, die "Regierung der Seelen" auszuüben.

Kein anderes Volk war so sehr auf diese stolze wie elend machende Kompensation angewiesen. Was das Elend angeht, so endet ein jüngerer Dichter, Andrzej Bursa, sein "Dankgebet" mit dem einzigen Vorwurf an Gott: "Warum hast du mich zum Polen gemacht?" Und Ernest Bryll steigert die polnische Selbstkritik zur Selbstbezichtigung: "Auch das muß man den Polen ohne Umschweif sagen: / Ihr lebt wie ein Vampir vom Blut von euresgleichen." Zwei Zitate, die zeigen, daß die Blüte der polnischen Lyrik aus einem tieftraurigen Grund kommt. Zwei Dichternamen zudem, die auch dem interessierten Lyrikleser kaum bekannt gewesen sein dürften.

Es sei denn, er nimmt die beiden Lyrikbände zur Hand, mit denen Karl Dedecius sein enormes, auf sieben Teile angelegtes "Panorama der polnischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts" eröffnet. Mit diesem Unternehmen, darf man etwas pathetisch sagen, krönt er sein Lebenswerk. Und so hat er, der einzige Karl Dedecius, nicht bloß das Recht, sondern quasi die Pflicht zur Monumentalität. Keiner hat mehr für die Vermittlung der polnischen Literatur getan als er. Ihm verdanken die großen Lyriker - Herbert, Rózewicz, Wis¢awa Szymborska - ihre deutsche Präsenz und ihren europäischen Ruhm. Seine Übersetzungen haben uns auch die Namen der jüngeren Dichter Polens eingeprägt. Nun gibt er seine Summa: "zehn Kapitel mit je zehn Dichtern für die zehn Jahrzehnte des Jahrhunderts". Er nennt das bescheiden eine "Auswahl" und entschuldigt sich bei jenen Poeten, die er in diesem weitgesteckten Rahmen nicht unterbringen konnte.

Die beiden Bände imponieren durch ihr pures Volumen. Niemand wird tausend Gedichte in einem Zug lesen. Er wird sich aber vielleicht fragen, ob eine schmalere, dafür zweisprachig angelegte Auswahl nicht sinnvoller gewesen wäre. Zumal Dedecius selbst ein Argument dafür liefert, indem er die sprachliche und kulturelle Differenz der beiden Völker betont und meint: "Die Polen tanzen auf ihren Versfüßen durchaus nach eigenen Rhythmen und Melodien: Mazurkas, Notturnos, Polonaisen, Revolutionsetüden." Warum also - bis auf eine Handvoll Ausnahmen im ersten Band - der Verzicht auf die Originale? Vermutlich aus Gründen der Verkäuflichkeit. Hauptsächlich aber, weil es Dedecius auf die größtmögliche Fülle ankam. Und wirklich kann man sich keine nationale Anthologie vorstellen, die reichhaltiger und informierender wäre.

Ich hätte noch eine andere Begründung. Die Anthologie ist ja nicht bloß Extrakt eines Jahrhunderts polnischer Poesie, sondern auch Resultat einer individuellen Lebensleistung. Sie ist die "Ausgabe letzter Hand" - wie Dedecius mit humorvollem Unterstatement bemerkt. Sie ist Vermächtnis eines dichterisch Begabten, der seine Fähigkeiten ganz in den Dienst der Vermittlung stellte. Eines Artisten, für dessen Virtuosität es keine Hindernisse in Vers und Reim zu geben scheint.

Diese Einfühlung und Versatilität beweist Dedecius vor allem im ersten Band, der überwiegend Dichter bringt, die in tradierten Formen arbeiten. Da gelingen ihm dichterische Äquivalente, die nicht wie übersetzt klingen, sondern als deutsche Gedichte zu lesen sind - Entsprechungen zu Jugendstil und Expressionismus, Klänge wie von Dehmel, Lasker-Schüler oder dem jungen Trakl. Übersetzung wird Anverwandlung fremder Tradition. Dedecius dichtet für uns gleichsam eine polnisch-deutsche Poesie der Mazurkas, Notturnos, Polonaisen.

Der Eros der Vermittlung beflügelt ihn auch bei der Übertragung der Neutöner. Er überträgt getreulich, was die "Krakauer Avantgarde" oder die Wilnaer "Katastrophisten" schufen. Man meint gar einen polnischen Patriotismus zu spüren, wenn Dedecius den Surrealisten Aleksander Wat (1900 bis 1967) mit einer Aufzeichnung zu Wort kommen läßt, in der - gegen André Breton - die Erfindung der "écriture automatique" beansprucht wird.

Überhaupt wird, wer kein Polonist ist, die informative Fülle begrüßen, und wer Polnisch kann, wird für die Hinweise auf Quellen und Originalausgaben dankbar sein. Hilfreich sind die Sacherläuterungen, informativ die konzisen Kurzbiographien. Sie sprechen von dem Preis, den viele der Dichter für ihre Poesie zahlen mußten.

Daß Poesie ein lebensgefährliches Metier sein kann, belegen vor allem die Biographien der zwischen 1860 und 1920 geborenen Dichter. Wie viele abgebrochene Werke, wie viele zerstörte Leben. Hier nur wenige Beispiele: Józef Czechowicz wurde 1939 von einer deutschen Bombe getroffen. Wladyslaw Sebyla wurde 1940 Opfer des Massakers in Katyn. Felicja Kruszweska starb 1943 bei einer Razzia bei Radom, Krzysztof Kamil Baczyn_ski und Tadeusz Gajcy fielen im Warschauer Aufstand.

Auch über die dem Grauen Entronnenen sprechen die Daten deutlich genug: Stanislaw Jerzy Lec überlebte nur, weil es ihm gelang, aus dem KZ zu fliehen. Viele Dichter waren im Untergrund tätig; so Bie_nkowski, Bialoszewski und Herbert. Anna _Swirszy_nska und Tadeusz Rózewicz nahmen am Warschauer Aufstand teil. Andere wie Slonimski, Tuwim und Wierzy_nski emigrierten. Und wohl alle hätten wie Witold Wirpsza fragen können: "Wie verwertet man literarisch einen zerbrochenen / Lebenslauf . . ., damit die Fragmente / Zusammenpassen und nutzbar / Werden für künftige Leser?"

Ästhetisch gedacht ist das eine rhetorische Frage. Das Wunder der Poesie geschieht immer auch gegen die Geschichte. "Man überwindet alles, auch die Kataklysmen", heißt es in Bie_nkowskis "Einführung in die Poetik". Der Emigrant Czeslaw Milosz, Analytiker des "Verführten Denkens" und Nobelpreisträger von 1980, kann 1986 in dem Gedicht "Café Greco" ein erstaunlich gelassenes Fazit ziehen: "Wir haben vieles gesehen, vieles erfahren./ Staaten zerfielen, Länder gingen zugrunde./ Chimären des Menschengeistes umzingelten uns,/ Menschen kamen um oder wurden gefangengenommen./ Mich aber wecken im Morgengrauen die Schwalben Roms,/ Das läßt mich fühlen, wie kurz alles ist, wie leicht/ Man sich löst. Wer ich bin, gewesen bin,/ Ist nicht mehr wichtig . . ."

Den jüngeren Dichtern Polens blieben zumeist die schrecklichsten Erfahrungen erspart. Sie wuchsen auf im "Hinterhof der Imperien", dies übrigens ein Ausdruck von Milosz, den Julian Kornhauser zum Motto nimmt. Auch die Nachgeborenen erfuhren - in den Zeiten der Repression wie im Impuls von Solidarno_s_c - die "Gnade des Schmerzes" (Bronislaw Maj). Doch merkwürdig viele Poeten leben immer noch oder wieder außer Landes. Einige, halbwegs privilegiert, lehren an amerikanischen Universitäten. Glückliche Dichter? Der jüngste in Dedecius' Anthologie ist Artur Szlosarek, Jahrgang 1968. Er freut sich darüber, verreisen zu können, um zu studieren und - "eine bessere Zigarette zu rauchen". Sein Gedicht trägt den Titel "Provisorium". Damit hat diese gewaltige und wundersame Anthologie einen offenen Schluß.

,Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts". Herausgegeben und übersetzt von Karl Dedecius. Ammann Verlag, Zürich 1996. Zwei Bände in Schuber, 894 und 909 S., geb. Bei Abnahme des Gesamtwerks 148,-DM; Subskriptionspreis bei Einzelabnahme 168,- DM.

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.12.2000

Ein Ort mitten im Weltall
Rundblick, Tendenzen, Porträts: Karl Dedecius hat sein großes „Panorama der polnischen Literatur” abgeschlossen
Stanislaw Przybyszewski, zunächst als „der geniale Pole” gepriesen, später als graphoman abgestempelt, war die zentrale Symbolfigur der anbrechenden Moderne in Polen. 1892 schrieb er seine ersten Essays unter dem Titel „Zur Psychologie des Individuums”. Darin entwickelte er eine physiologische Begründung des Dekadenten als Genie und verknüpfte diese mit einer Geschlechtermetaphysik. Androgynie-Konzepte, hysterische Sprach- und Körperbilder verbanden sich mit männlichen Allmachtsfantasien, wie sie dann zehn Jahre später Otto Weininger in Geschlecht und Charakter” formulierte. Theorien dieser Art fielen in einer von dekadentem Lebensgefühl, Nervosität und Erotik angefüllten Atmosphäre auf fruchtbaren Boden. Kazimierz Przerwa-Tetmajers Liebes- und Künstlergedichte drückten ähnliche Stimmungen aus – Evviva l’arte! lautete seine Losung. Mit Przybyszewski und Tetmajer war das Fin de siècle nach Polen gekommen.
Hundert Jahre danach hat die polnische Literatur ganz andere Probleme – wie in den meisten vormals sozialistischen Ländern befindet sich die Literatur nach der Wende auf der Suche nach ihrem Platz und ihrer Funktion in einer Gesellschaft, die zunächst einmal die Orientierung verloren hat. Einerseits fühlten die jungen Autoren zu Beginn der 90er Jahre den „Druck der Wende”, wie Dedecius schreibt, andererseits waren sie gezwungen, eine eigene Stimme zu finden, die sich von ihren politisch engagierten Vorgängern unterschied. Viele wählten den Rückzug ins Private.
Der persönliche Blick
Was zwischen Tetmajer und Przybyszewski um 1900 und der Epoche des „Transit” am Ende des 20. Jahrhunderts liegt, versucht der letzte Band des groß angelegten „Panoramas der polnischen Literatur”, selbst „Panorama” benannt, zu beschreiben. Die sowohl Dekadenz wie auch Expressionismus umfassende Epochenbewegung „Junges Polen”, die die Literatur bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bestimmte, die neoklassizistische Gruppe „Skamander” und die Avantgarde-Bewegungen in der Zwischenkriegszeit (die Krakauer Avantgarde, die Wilnaer Katastrophisten, zu denen auch Czeslaw Milosz zählte, sowie die Futuristen und die Formisten), Krieg, Tauwetter, die Generation 68 – dies sind einige der Stationen der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Auf 860 Seiten erzählt Dedecius ihre Geschichte, wobei er sich selbst als Leser dieser Literatur positioniert, sie in seine Lektüreerfahrungen einbettet: „Ende 1959, von meiner ersten Polen-Reise nach dem Kriege heimgekehrt, hatte ich im Gepäck die Früchte meiner 10tägigen Recherchen, neugeknüpfter Bekanntschaften. Bücher von besonderem Gewicht. Gedichte von Rósewicz, Herbert, Szymborska und die Freundschaft mit Lec, den ich bereits schriftlich kannte. ”
Ist dieser persönliche Blick auf die Bücher zum einen das Verführerische, das dem „Panorama” die wissenschaftliche Schwere nimmt, so ist er zugleich auch das Problem, das man damit hat. Das Ergebnis ist eine merkwürdige Mischform von persönlichen Erinnerungen und einer Literaturgeschichte, so dass das Panorama sich nicht richtig für seinen Leser entscheidet – ist es ein Buch für Laien oder eins für Spezialisten? Denn eine Literaturgeschichte ist keine Bettlektüre, nichts, was man sich zur Unterhaltung mit in die Ferien nimmt, sondern ein Nachschlagewerk, das Spezialisten benutzen. Und zur Benutzung ist diese persönlich gefärbte Literaturgeschichte nicht so richtig geeignet – Zitate werden nicht nachgewiesen (zumindest nicht so, dass man sie finden könnte), der Ton ist zu plaudernd, die Information zu persönlich. In seinem Vorwort erläutert Dedecius das „Panorama”-Konzept: „So fügen sich die Texte im ,Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts‘ zu einem Gemälde, aus dem die Geschichte, ihre Abläufe, ihre Volksnähe, ihre Konflikte zwischen dem konservativen Bauerntum und der exzentrischen Intelligenz der Städte, zwischen Armut und Adel, Krieg und Frieden, Stadt und Land einsehbar werden. ” Die Gefahr bei einem fast 900 Seiten langen Panorama liegt jedoch darin, aufgrund des Rundblicks die Details aus dem Blick und sich in Oberflächlichkeiten zu verlieren.
Porträts”, ein weiterer Band der Panorama”-Reihe, hat genau die Qualitäten, die man beim Panorama” vermisst. Hier handelt es sich um ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk zu den wichtigsten polnischen Autoren und Autorinnen dieses Jahrhunderts, diesmal mit ausführlichen Bibliografien zu jedem Beitrag – es ist also durchaus zum Benutzen geeignet. Von dem 1949 geborenen Janusz Anderman, der seit Beginn der 90er Jahre vor allem Filmdrehbücher schreibt, bis zu Jerzy Zulawski (1847 – 1915), der als erster polnischer Science-fiction-Autor gilt, reicht der dicke Band. Alle 229 Autoren und Autorinnen, deren Texte in den anderen Bänden der Reihe abgedruckt sind (in „Poesie”, „Prosa” oder „Pointen”), sind hier erfasst.
Mit dem „Panorama” und den „Porträts” ist Dedecius’ gewagtes Projekt, ein ganzes Jahrhundert polnischer Literaturgeschichte in seinen verschiedensten Facetten darzustellen, abgeschlossen. Sein Leben lang hat Dedecius sich mit der Vermittlung der polnischen Literatur befasst – als Leiter des Polen-Instituts in Darmstadt, als Herausgeber der Reihe „Polnische Bibliothek” bei Suhrkamp und nun eben im „Panorama der polnischen Literatur”, die sich leicht als Summe seines Lebens deuten lässt. Auch wenn der letzte Band, Panorama”, die Bedürfnisse seiner Leser aus dem Blick verliert – das Großunternehmen ist auf jeden Fall beeindruckend und ermöglicht die Bekanntschaft mit einer Kultur, die den meisten aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse eher fremd sein dürfte.
Mit sieben Thesen zum spezifisch Polnischen der polnischen Literatur beschließt Dedecius sein „Panorama” – der nationale Charakter der polnischen Literatur, die Wechselwirkung zwischen Westlichem und Östlichem mögen tatsächlich spezifisch polnisch sein. Doch wenn Dedecius die polnische Literatur als „eine Literatur von auffallend starken Individualitäten” bezeichnet, ihr eine besondere „Vitalität und Effektivität” zuschreibt, dann kommen einem doch Zweifel, was die Nützlichkeit solcher Beschreibungen betrifft. Die polnische Literatur ist ganz einfach eine Literatur von höchstem Rang.
Schritt über die Schwelle
Davon zeugen übrigens auch die jungen polnischen Autorinnen, die in Dedecius’ Panorama noch nicht enthalten sind. Dedecius’ Überblick endet historisch mit Artur Szlosarek (Jahrgang 1968), einem Grenzgänger zwischen Polen und Deutschland: „schon das zweite dritte jahr lebe ich / außerhalb der grenze des landes, in dem ich das sprechen / zu lernen hatte, die sprache meines landes reizt / die gehörnerven der neuen nachbarn. ” Ist Szlosarek noch mit dem Übergang befasst (vom postsozialistischen Polen nach Europa, vom 20. ins 21. Jahrhundert), so scheinen die jungen polnischen Autorinnen, die im Augenblick zumindest in Deutschland den Markt polnischer Literatur beherrschen, bereits Bestandteil des neuen Jahrtausends zu sein, eines Jahrtausends, das die Grenzen von Raum und Zeit schon überschritten hat. (Marta Kijowska hat die wichtigsten von ihnen in der Literatur-Beilage der SZ zur Frankfurter Buchmesse 2000 vorgestellt) Olga Tokarczuks preisgekrönter Roman Ur und andere Zeiten” steht exemplarisch für diese Haltung. Denn Ur, so lautet der erste Satz, „ist ein Ort mitten im Weltall”. Und mit dem polnischen Ur, das überall und zu jeder Zeit ist, ist auch Polen für diese jungen Autorinnen überall und immer. Und Dedecius’ Verdienst liegt darin, dass er dieses Polen auch zu uns gebracht hat.
SCHAMMA SCHAHADAT
PORTRÄTS. Hrsg. von Karl Dedecius unter Mitwirkung von Manfred Mack. 4. Abteilung des Panoramas der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts. 1056 Seiten.
PANORAMA. Ein Rundblick von Karl Dedecius. 5. Abteilung des Panoramas der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts. 860 Seiten.
Ammann Verlag, Zürich 2000. Subskriptionspreis bis 31. 12. 2000 pro Band 84 Mark, danach 98 Mark.
Karl Dedecius als Dolmetsch und Dichterfreund: Hier bei einer Lesung der Lyrikerin und Nobelpreisträgerin von 1996 Wyslawa Szymborska.
Foto: Jürgen Bauer
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In einer Doppelbesprechung rezensiert Stefanie Peter zwei Bände, die die insgesamt siebenbändige Edition "Panorama der Polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts" vervollständigen.
1.) Karl Dedecius (Hrsg.): "Panorama. Ein Rundblick zu Texten und Tendenzen (Bd. 5)" (Ammann Verlag)
Nach Ansicht der Rezensentin hat Dedecius, der "große Vermittler polnischer Literatur in Deutschland", hier nicht nur ein Geschichte der polnischen Literatur des vergangenen Jahrhunderts herausgegeben, sondern gleichzeitig auch eine Autobiografie verfasst. Dies wertet Peter keineswegs negativ, auch wenn sie einräumt, dass bisweilen ein wenig Eitelkeit dabei im Spiel ist. Doch insgesamt entsteht durch dieses ungewöhnliche Verfahren ihrer Meinung nach eine Literaturgeschichte von besonderer Lebendigkeit, die gleichzeitig von fundiertem Fachwissen getragen wird. Und so kann man bei der Lektüre, wie der Leser erfährt, immer wieder von persönlichen Erlebnissen des Herausgebers mit vielen polnischen Schriftstellern lesen - "aus der Sicht eines Freundes". Gut gefällt der Rezensentin darüber hinaus, dass Dedecius auch Schriftsteller berücksichtigt, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen kaum bekannt oder inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Bedauerlich findet Peter an diesem Band lediglich, dass der Leser nur wenig über das "Klima der damaligen Zeit" erfährt. Doch angesichts der sonstigen Qualitäten falle dieser Mangel kaum ins Gewicht.
2.) Karl Dedecius (Hrsg.): "Porträts (Bd. 4)" (Ammann Verlag)
Peter weist darauf hin, dass dies das erste Lexikon über polnische Autoren des 20. Jahrhunderts in deutscher Sprache ist. Zufrieden stellt die Rezensentin dabei fest, dass die Artikel nicht nur ein Werkverzeichnis aufweisen, sondern auch "einschlägige Titel polnischer und deutscher Sekundärliteratur" aufweisen. Auch die Tatsache, dass nicht allein Schriftsteller, sondern auch andere Persönlichkeiten (etwa Philosophen) berücksichtigt werden, hebt sie dabei positiv hervor. Bei der Auswahl der Schriftsteller selbst hat die Rezensentin allerdings Kritik anzumelden. So zählt sie einige Literaten auf, die ihrer Ansicht nach unbedingt hätten erwähnt werden müssen. Dass dies nicht geschehen ist, liegt ihrer Vermutung nach darin, dass einige dieser Schriftsteller möglicherweise "zu weit ins einundzwanzigste hineinragen". Dedecius selbst habe schließlich gesagt, dass jüngere Schriftsteller von einer "kommenden Generation bearbeitet werden müssen". Zum Schluss sendet die Rezensentin noch ein großes Lob an das Lektorat, dem sie besondere Sorgfalt bei den Daten bescheinigt.

© Perlentaucher Medien GmbH
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