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Das Reformationsjahrhundert war eine der großen Zeiten deutscher Geschichte mit nachhaltigen Wirkungen. Die vorliegende Bilanz stellt erstmals die gesamte Reformationsgeschichte von ihrer für uns auch aus der Druckerpresse. Ebenso wichtig war die Institutionenbildung in Religion und Politik, zu der neue Forschungsergebnisse vorliegen, die das ganze Geschichtsbild verändern. Von der moderneren Konfessionalisierungsforschung ausgehend bestimmt das Buch Typen und multikulturelle Auswirkungen der Konfessionsbildung. "Staatsbildung - aber wie?" war die andere Frage der beginnenden Neuzeit. Die…mehr

Produktbeschreibung
Das Reformationsjahrhundert war eine der großen Zeiten deutscher Geschichte mit nachhaltigen Wirkungen. Die vorliegende Bilanz stellt erstmals die gesamte Reformationsgeschichte von ihrer für uns auch aus der Druckerpresse. Ebenso wichtig war die Institutionenbildung in Religion und Politik, zu der neue Forschungsergebnisse vorliegen, die das ganze Geschichtsbild verändern. Von der moderneren Konfessionalisierungsforschung ausgehend bestimmt das Buch Typen und multikulturelle Auswirkungen der Konfessionsbildung. "Staatsbildung - aber wie?" war die andere Frage der beginnenden Neuzeit. Die glanzvolle Europapolitik Karls V. und der Aufbau der deutschen Doppelstaatlichkeit gaben Antworten mit institutioneller Zukunft. Das frühmoderne Reich war - gemessen am Entwicklungsstand von Information und Institution - nicht zurückgeblieben, sondern Europas fortgeschrittenster Staat.
Autorenporträt
Professor Dr. Johannes Burkhardt ist Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der frühen Neuzeit an der Universität Augsburg und Direktoriumsmitglied des Instituts für Europäische Kulturgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Chefredakteur Luther
Die Macht der Presse war enorm: Johannes Burkhardt zeigt, daß die Reformation eine Revolution war / Von Michael Jeismann

Der Geschichte schwimmen die Felle davon, hört man klagen. Historische Allgemeinbildung sei verlorengegangen, einzig die Geschichte des Holocaust wecke in Stellvertretung aller anderen Geschichte Interesse und Anteilnahme bis hin zu aktuellem politisch-pädagogischen Engagement. Selbst in diesem Fall aber könne von historischer Perspektive keine Rede sein, das Dritte Reich werde als erratisches Ereignis wahrgenommen, von dem eine mythische Erzählung zu berichten weiß. Genaugenommen also ist der Geschichte die Zeit abhanden gekommen - eigentlich der größte anzunehmende Störfall von historischem Bewußtsein überhaupt. Merkwürdig, wie ruhig nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch die Historiker im allgemeinen diesen Zustand hinnehmen. Gerade so, als hätten diese selbst ebenfalls kein spezifisches Interesse, sondern eben nur einen Broterwerb. Das wäre schlimm. Aber es ist noch schlimmer: Mancher Historiker muß sich sagen lassen, daß er zwar das Handwerkszeug, Fleiß und guten Willen habe - nur leider keine Idee. Keine Idee davon, wie man die Geschichte, die schon so weit abgedriftet ist, wieder zurückholen könnte. Wie man eine Öffentlichkeit nicht bloß ermahnen, sondern gewinnen könnte.

Zugegeben, es war einmal leichter mit der Geschichte. Die allmähliche Verfertigung der Nation im neunzehnten Jahrhundert hatte die Historie mit den großen Tendenzen des Zeitalters verbunden, hatte sie zu einem politischen Faktor ersten Ranges werden lassen, hatte ihr mit dem eigenen Volk einen Helden vor Augen gestellt, dessen Vor- und Frühgeschichte und weiteres Schicksal zu schreiben war - unter reger Anteilnahme des Helden selbst. Auch wo es Protest gegen diese Heldengeschichte gab und andere Protagonisten ins Feld geführt werden sollten, durfte man sich der Aufmerksamkeit nicht nur der gebildeten Stände sicher sein. Und heute? Seitdem die Nation nicht mehr die feste Bezugsgröße der Geschichtsschreibung ist, hat man nach Ersatz für sie gesucht: bei den Arbeitern, den Bauern, den Bürgern, bei Europa oder bei anderen Blickwinkeln. So wichtig und fruchtbar das alles auch war, es wirkt heute so lebendig wie ein Wachsfigurenkabinett - als ob eine böse Fee die Geschichte in einen hundertjährigen Schlaf versetzt hätte. Es ist alles da, aber es bewegt sich nichts.

Einer, der nicht hundert Jahre schlafen muß, bevor ihm wieder etwas einfällt, ist der Augsburger Historiker Johannes Burkhardt. Sein Buch über das Reformationsjahrhundert ist nicht nur viel zu lebendig geschrieben, als daß es lange Schlafpausen benötigte, sondern vor allem ist sein Gegenstand selbst lebendig geworden. Es ist, kurz gesagt, ein Wunder: Der Geschichte ist die Wangenröte ins blasse Antlitz zurückgekehrt. Und wie bei Wundern so üblich, ist das auf den ersten Blick schwer verständlich - und also ziemlich wunderbar.

Burkhardt versucht nicht mehr und nicht weniger, als den Beginn der Neuzeit wiederzufinden - und damit fundamentale Kategorien unseres Kulturverständnisses. Nicht die Entdeckung Amerikas, die erst im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert im Zuge der europäischen Expansion breite Rückwirkungen auf Europa selbst zeitigte, und auch nicht die Reformation als Befreiung von alten Autoritäten, so Burkhardt, schuf die entscheidende Zäsur. Er plädiert dafür, diesen Einschnitt auf das Epochenjahr 1517 zu legen, in dem Luther vermeintlich seine neunundneunzig Thesen an die Kirchtür von Wittenberg nagelte. Das ist auf den ersten Blick altmodisch, konventionell. Aber seine Begründung ist es nicht. Ganz im Gegenteil. Der Einschnitt der Reformation war nämlich deshalb so tief, weil er nicht allein religions-, sondern zugleich auch kommunikationsgeschichtlich war. Das eigentlich Neue an der Reformation war nicht das, was Luther sagte, sondern wie er das Gesagte und Geschriebene verbreitete.

Die Reformation war eine Medienrevolution ersten Ranges, und das eine ist vom anderen gar nicht zu trennen: Das Medium war das Moderne. Nun ist es spätestens seit den Arbeiten von Michael Giesecke keine Neuigkeit mehr, die mediale Logik des Buchdrucks in seiner Bedeutung hervorzuheben. Während aber Giesecke hierbei den Akzent auf systemische Auswirkungen setzt, spürt Burkhardt stärker dem inhaltlichen Zusammenhang zwischen Medium und Reformation nach. Er tut dies mit einer Radikalität, die uns diese Zeit ganz wörtlich als beginnende Neuzeit vor Augen zu stellen weiß.

Neuartig war die reformatorische Öffentlichkeit, in der Medialität und Religionsanschauung zusammengingen. Daß nahezu jedermann sich die Luther-Bibel kaufen und zu Hause lesen konnte - sie kostete anstatt zwanzig Gulden nur noch anderthalb -, war untrennbar verbunden mit Luthers "Religion der Schriftlichkeit", die den Kultus in die Lektüre verlegte: Der Protestantismus war eine moderne "Medientheologie", während der Katholizismus auf die älteren Medien der Liturgie setzte und auf der Buchseite im sechzehnten Jahrhundert vollkommen ins Hintertreffen geriet.

Luther hingegen war der Mann des Mediums schlechthin. Er wußte mit Formaten und Layout umzugehen und gewann auf diese Weise auch dort noch, wo er ohne Medium verlor: So bei der "Leipziger Disputation", in der Luthers Gegenüber, der Theologieprofessor Johann Eck, den gelehrten Streit gewann - nach akademischen Maßstäben. Das stand aber nur im offiziellen Disputationsprotokoll, das in vierundzwanzig Exemplaren an die Sorbonne ging. In der Öffentlichkeit dagegen wurde durch eine tausendfach gedruckte Leipziger Predigt Luthers, die wie das Ergebnis der Disputation wirken mußte und in der die Lehrautorität des Papstes verneint wurde, der Gewinner zum Verlierer - und umgekehrt.

Burkhardt verweist darauf, daß die enge Verbindung von Medium und Religion durchaus in zwei Richtungen konstitutiv gewesen sei. Er weist nach, daß der Druck gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts als Spitzentechnologie mit beschränktem Bedarf in Gefahr stand, zu einer Marginalie zu werden. Mit dem Auftreten Luthers aber erlebte das Druckereigewerbe einen sagenhaften Boom. Und in dem Maß, in dem die Reformation an Boden gewann, wurde absehbar, daß der Druck von Büchern und kleineren Formaten fest zur Neuzeit gehören sollte.

Burkhardt gelingen luzide formulierte Einsichten in die historische Dialektik von Information und Institution, die an nahezu jeder Stelle zum Vergleich mit der Gegenwart herausfordern. Diese Vergangenheit wirkt aber deshalb wie neu und so noch nie gesehen, weil Burkhardt seinen Sinn für das Gegenwärtige einsetzt. Die Pointe seiner Ausführungen zu Landesstaatlichkeit und Reich vor dem Dreißigjährigen Krieg: "Das befriedete Reich lag in einem unbefriedeten Europa", dessen Unfrieden im Reich dann aufgenommen wurde. Vielleicht, so Burkhardt, sei das Reich zu früh entwickelt worden, seine Modernität durch Flexibilität liegt angesichts der heutigen Verhältnisse jedenfalls auf der Hand. Man sieht: Die Geschichte ist noch da, man muß sie nur entdecken wollen.

Johannes Burkhardt: "Das Reformationsjahrhundert". Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517-1617. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2002. 244 S., br., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2003

Am Grab der Zeiten
Johannes Burkhardt weiß, warum wir in Epochen denken
Geschichte in portionsgerechte Jahrhunderthappen aufzuteilen ist eine Erfindung des 16. Jahrhunderts. Zuerst wies die 1520 entstandene Mainzer Chronik des Benediktiners Hermann Piscator die Ordnungszahlen des jeweiligen Jahrhunderts aus. Modellgebend wurde jedoch das Opus Magnum der protestantischen Kirchengeschichte, die „Magdeburger Zenturien”. Um 1600 noch nicht recht im Bewusstsein der Zeitgenossen verankert, gewann die Jahrhundertrechnung im Kontext des protestantischen Jubeljahrs von 1617 an Bedeutung und machte auch unter Katholiken Karriere, so dass man am Ende des 16. Jahrhunderts selbstverständlich davon sprach, am „Grabe des Jahrhunderts” zu stehen.
Kaum ein anderer kennt die Entstehungsgeschichte der modernen Jahrhundertrechung so genau wie der Augsburger Historiker Johannes Burkhardt. In seinem neuesten Buch hat er das Säkulum etwas verschoben und einen zeitlichen Rahmen von 1517 bis 1617 gesetzt. Dieser Zugriff entpuppt sich als ausgezeichneter Einfall, der eine forschungskritische und zugleich spielerisch-szenische Beschreibung dessen erlaubt, was für jene Epoche charakteristisch war.
Wer glaubt, Burkhardt würde diesen seit Generationen von Historikern als „Epoche” gefassten Zeitraum konventionell behandeln, wird eines Besseren belehrt. Bereits im Prolog entlarvt er die Mythisierung Luthers in der prägnanten Interpretation eines sächsischen Kupferstiches zum Jubiläum von 1617 und entfaltet die Signaturen des Reformationsjahrhunderts: Medienrevolution, Konfessions- und Staatsbildung. Burkhardt sucht nach dem Beginn der Neuzeit. Er findet ihn im vermeintlichen Thesenanschlag Luthers, der ein nachgeschobener, medial aufbereiteter Mythos war.
Die Belege dafür, dass die Reformation ein mediengeschichtliches Ereignis par excellence war, sind überzeugend: die 1517 plötzliche eintretende Vervielfachung von Druckerzeugnissen, die fortlaufende, von den Reformatoren gesteuerte Berichterstattung über die Reformationsereignisse und die massenhafte Verfügbarkeit eines autoritativen deutschsprachigen Bibeltextes, der gegen die katholische Amtsautorität ins Feld geführt werden konnte.
Burkhardt reformuliert die Reformationsgeschichte: Medien bestimmten die Agenda der Reformation. Der Protestantismus war eine Medientheologie, während die Katholiken an der alten Liturgie festhielten und im Umgang mit dem Buch wenig Kompetenz zeigten.
Der Revolution aus der Druckerpresse steht eine interessante Begründung des Endes des Reformationsjahrhunderts gegenüber. Nicht Krisen im Reich hätten den Dreißigjährigen Krieg verursacht, sondern vielmehr der Unfriede in Europa. Das frühmoderne Reich war in seiner Institutionalisierung fortgeschritten und konnte konfessionelle Gegensätze und den dynastischen Imperialismus der Habsburger bändigen. Doch wurden diese Konflikte aus dem institutionell unterentwickelten Europa reimportiert. Zu der erfrischend neuen Lesart, in der das Reformationsjahrhundert präsentiert wird, tragen auch die forschungskritischen Teile über Konfessionsbildung und Staatsbildung bei. Burkhardt versteht es, gleichzeitig präzis zu informieren und zu unterhalten. Mit Ausnahme einer Analyse der Rolle der Nachrichtensysteme, die politische Entscheidungen verändern konnten, vermisst man in diesem Standardwerk zum „langen” 16. Jahrhundert kaum etwas. So ist zu hoffen, dass Johannes Burkhardt seiner „Augsburger Zenturie” eine weitere folgen lässt.
ERIC-OLIVER MADER
JOHANNES BURKHARDT: Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung. Kohlhammer, Stuttgart 2002. 244 S., 22,00 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Holla, ein kluges Geschichtsbuch, das neue Erkenntnisse bereithält und den Leser auch noch zu unterhalten weiß! Das Jahrhundert der Reformation ist das Thema des Augsburger Historikers Johannes Burkhardt, er lässt es 1517 beginnen und 1617 enden; was er über diese hundert Jahre zu berichten weiß, ist Eric-Oliver Mader zufolge höchst "erfrischend" und unkonventionell. Burkhardt entlarve schon auf den ersten Seiten den Thesenanschlag Luthers als nachträglichen medialen Mythos, der eben deshalb den "Beginn der Neuzeit markiere. Denn die Reformation ging einher und wurde befeuert durch die Explosion der Medien: die Möglichkeit der Vervielfältigung und weiten Verbreitung von Druckerzeugnissen, die Existenz eines maßgebenden deutschen Bibeltextes; der Protestantismus war also eine "Medientheologie", dem Katholizismus mangelte es an derlei Kompetenz. Ebenso neu sei Burkhardts Interpretation der Ursachen des Dreißigjährigen Krieges, der das "Reformationsjahrhundert" beendete: Nicht die "Krisen im Reich" seien Schuld gewesen, sondern der "Unfriede in Europa". Burkhardt, resümiert Mader, habe einen neuen Standard gesetzt.

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