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Ein authentischer Erfahrungsbericht: eine Kindheit am Rande der Gesellschaft
Wir sind die Summe der Erfahrungen, die wir machen. Für ein Hartz IV-Kind zählen aber auch die, die es nicht macht: wie Familienurlaub, Klassenausflug, Musikunterricht oder einfach mal ein Eis essen gehen. Für Undine Zimmer war das die Realität. In einem ganz eigenen, souveränen Ton erzählt sie davon, was das tatsächlich bedeutet: von ihren Eltern, die als "nicht integrierbar in den Arbeitsmarkt" gelten, von mitleidigen Lehrern, verständnislosen Sachbearbeitern, der Furcht, bloßgestellt zu werden und dem ständigen…mehr

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Produktbeschreibung
Ein authentischer Erfahrungsbericht: eine Kindheit am Rande der Gesellschaft

Wir sind die Summe der Erfahrungen, die wir machen. Für ein Hartz IV-Kind zählen aber auch die, die es nicht macht: wie Familienurlaub, Klassenausflug, Musikunterricht oder einfach mal ein Eis essen gehen.
Für Undine Zimmer war das die Realität. In einem ganz eigenen, souveränen Ton erzählt sie davon, was das tatsächlich bedeutet: von ihren Eltern, die als "nicht integrierbar in den Arbeitsmarkt" gelten, von mitleidigen Lehrern, verständnislosen Sachbearbeitern, der Furcht, bloßgestellt zu werden und dem ständigen Gefühl, nicht dazuzugehören. Jenseits aller Klischees gibt sie einen Einblick in eine Welt, über die zwar viel geredet wird, aber von der kaum wirklich jemand etwas weiß. Ein einfühlsamer und authentischer Bericht, der zeigt, dass Chancengleichheit und Klassenlosigkeit in Deutschland immer noch unerreichte Ziele sind.

"Träumen kostet Mut, wenn dir keiner Hoffnung macht. Und es bleibt immer diese Angst, dass ich trotz aller Anstrengung versagen und das Leben meiner Eltern leben werde."
Undine Zimmer
Autorenporträt
Undine Zimmer, geboren 1979, studierte in ihrer Heimatstadt Berlin Skandinavistik, Neuere Deutsche Literatur und Publizistik. Sie schrieb nach Stationen u.a. bei der "Zeit" und "AVIVA-Berlin" als freie Journalistin für verschiedene Publikationen. Für ihre Reportage "Meine Hartz-IV-Familie", erschienen im "Zeit-Magazin", war sie 2012 in der Kategorie Essay für den Henri-Nannen-Preis nominiert. Sie lebt in Berlin und Reutlingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013

Vermarktetes Innenleben

Undine Zimmer stellt ihre Hartz-IV-Familie vor und veranschaulicht dabei, dass Armut auch fehlender Glaube an die Bildungs- und Aufstiegschancen ist.

Von Florentine Fritzen

Im Epilog führt die Autorin ihre Hauptpersonen noch einmal zusammen. Das liest sich pseudoszenisch: Die Mutter, Tee nachschenkend und Hefezopf hinstellend, geht mit der Tochter kurz vor der Drucklegung das fertige Manuskript durch. Just in diesem Moment ruft der Vater auf dem Handy an und sagt auch etwas zum Thema des fast fertigen Werks. Schließlich blättert die Tochter, immer noch bei Kamillentee, in allerlei soziologischer Literatur, die sie für ihre Recherchen verwendet haben will, die in dem weitgehend autobiographischen, kaum analytischen Text allerdings nicht vorkommt. Das ist sie also: Undine Zimmers Hartz-IV-Familie. Mutter, Vater und Kind - wobei das erwachsene Kind vom Jahrgang 1979 das Buch geschrieben hat.

Die Eltern leben schon lange nicht mehr zusammen. Der Vater hat der Tochter einmal gesagt, dass er die Mutter nie wirklich geliebt habe. Der Leser weiß am Ende der Lektüre dieses "authentischen Erfahrungsberichts", wie der Verlag das Genre nennt, auch manches andere über diese drei Menschen. Es ist mehr, als er wissen möchte. Die Autorin scheint das zu spüren. Im Epilog gesteht sie ihrer Mutter: "Wenn ich lese, was ich geschrieben habe, dann fühle ich mich auf einmal sehr verletzlich." Trotzdem hat sie das alles in den Druck gegeben und pünktlich zum Erscheinungsdatum in einer Miniserie mit Auszügen und Autorinnen-Fotos in der "Bild"-Zeitung für ihr Werk geworben.

Diese Frau macht es dem Leser nicht leicht. Ihr Buch hat einen interessanten Kern, aber viel überflüssige Schale drum herum. Zimmers Thema ist ihre Herkunft aus einem Milieu, das sie selbst weder als Unterschicht noch als prekäre Verhältnisse noch als Armut bezeichnet sehen will. Denn all das waren aus Sicht ihrer Familie immer andere. Am ehesten umschreibt es wohl die wiederkehrende Formulierung: "Wir haben wenig Geld." Die Eltern bezogen Sozialhilfe. Trotzdem lernte die Tochter Klarinette, ging zum Ballett und bekam hin und wieder eine Leckerei, weil die Mutter sich das alles vom Munde absparte. Das ist dicht beschrieben, es sind die starken Stellen dieses Werks, über das die Autorin in einem Interview sinngemäß sagte, es seien ihre gesammelten Erfahrungen aus 30 Jahren.

Allerdings nicht nur jene, bei denen sich der Zusammenhang zum Thema "Meine Hartz-IV-Familie" unmittelbar erschließt. Zimmer beschreibt auch im Detail, was ihre Oma einst kochte. Sie berichtet davon, wie sie selbst mit 16 nach Schweden zog, um eine Schule ihrer Freikirche zu besuchen, die sich dann als Sekte entpuppte. Sie berichtet, dass sie im Studium Prüfungsangst hatte, morgens manchmal nicht aus dem Bett kam, nur die Wand anstarrte und dass sie die psychologische Beratungsstelle der Uni besuchte. Sie erzählt, dass ihr übergewichtiger Vater immer schuldbewusst schaut, wenn er Marzipankartoffeln verschlingt, und dann "Hach, ich bin einfach eine schreckliche Naschkatze" sagt. Die Relevanz dieser Passagen bleibt im Dunkeln. Zugleich versucht der Leser, selbst Zusammenhänge herzustellen - denn warum sonst sollte ihn das Leben dieser drei Menschen interessieren, wenn nicht als Hartz-IV-Erfahrungsbericht? Hat die Fresssucht des Vaters mit dem Frust im Jobcenter zu tun? Suchte Undine Halt in der Freikirche, weil sie sich zu Hause nicht geborgen genug fühlte? War ihre Herkunft aus einer Familie von Nichtakademikern schuld an ihren Versagensängsten im Studium? Undine Zimmer bleibt die Antworten schuldig. An einer Stelle stellt sie mit Blick auf einen Brief an ihre Mutter von 1998 fest: "Wenn ich das heute lese, frage ich mich, ob denn unsere Familie, abgesehen von der finanziellen Situation, so anders war als andere?". In anderen Passagen finden sich Kausalitäten, die aber bestenfalls eindimensional erscheinen. Etwa die Vermutung, die Mutter habe nie einen Job bekommen, weil sie Fragen stelle, nachdenke, ausdauernd und gründlich sei, das, was sie mache, auch verstehen wolle. "Und diese Art von ,gesundem Menschenverstand' ist bei Hartz-IVlern keine besonders geschätzte Eigenschaft."

Der Text basiert auf einem Essay der Autorin für das "Zeit"-Magazin, der vor einigen Jahren erschien. In diesem Text sitzt nahezu alles, er bietet die richtige Dosis Innenschau. Das Buch dagegen walzt Szenen und Themen aus. Wie nebenbei erwähnt die Autorin in der Kurzversion eine Reise des gehbehinderten, verbitterten Vaters auf Google Earth - ein starkes Bild. Die Langversion beschreibt dagegen, in die Heimat welches Bekannten aus welchem fernen Land der Vater kürzlich gereist ist und wie genau er seine Google-Earth-Reisen plant. All das ist für den Leser, der längst verstanden hat, Ballast. Dass Undine Zimmer sich unter vermeintlich gesellschaftsfähigeren Menschen unbehaglich fühlt, ist ebenfalls bald klar. Aber dieser Topos kehrt immer wieder - und fängt irgendwann an zu nerven.

Trotzdem bleibt das Buch im Gedächtnis haften. Das hat nicht nur mit der unfreiwilligen Nähe zu tun, die es schafft, sondern auch mit einer Erkenntnis, die sich wie ein roter Faden durch das Gewirr der Erzählungen schlängelt. Undine Zimmer veranschaulicht am eigenen Beispiel, dass Armut mehr ist als finanzieller Mangel. Es ist auch fehlender Glaube an Bildungs- und Aufstiegschancen. An einer Stelle schreibt sie: "Es ist so viel leichter, sich mit einem Job als Kellnerin zu identifizieren."

Undine Zimmer: Nicht von schlechten Eltern.

Meine Hartz-IV-Familie.

Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2013. 256 S., 18,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wenn man den ganzen Ballast mal weglässt, die gänzlich unanalytischen autobiografischen Erzählungen der Autorin über die Fressattacken des Vaters, über die Kochkünste der Oma und die eigene Unlust im Studium, bleibt ein gut sitzender Text mit der richtigen Dosis Innenschau, meint Florentine Fritzen, also eigentlich der Essay, auf dem das Buch basiert. Leider hat das Ganze nun 256 Seiten und nervt die Rezensentin mit einer Nähe zu dieser Hartz-IV-Familie, die sie gar nicht will. Endlich zum Kern vorgestoßen erkennt die Rezensentin allerdings, dass etwas haften bleibt von der Lektüre. Die Ahnung nämlich, dass Armut nicht nur einen Mangel an finanziellen Mitteln bedeutet, sondern auch den Mangel an Glauben an Bildungs- und Aufstiegschancen.

© Perlentaucher Medien GmbH
Der Satz 'Wir haben kein Geld' kann ein ganzes Leben prägen, sagt [...] Undine Zimmer. Sie erzählt klug, berührend und kein bisschen larmoyant von dieser Prägung. Chantal Louis Emma, September/Oktober 2013