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Presse und Öffentlichkeit reagierten 1903 höchst empört auf die erste Buchausgabe des "Reigen". Ein Prozess wegen "schweren Ärgernisses" nach der Berliner Uraufführung 1920 erhitzte die Gemüter, in den Kammerspielen in Wien brachen Saalschlachten aus. Die jetzt in der Bibliotheca Bodmeriana zu Cologny/Genf entdeckte erste handschriftliche Fassung hat Schnitzler im Winter 1896/97 in großer, eiliger Schrift aufs Papier geworfen. Von den frühesten Korrekturen an war er offenbar bestrebt, möglicherweise anstößige Stellen zu eliminieren, sogar durch Neuformulierung ganzer Szenen, wie die Vorstufen…mehr

Produktbeschreibung
Presse und Öffentlichkeit reagierten 1903 höchst empört auf die erste Buchausgabe des "Reigen". Ein Prozess wegen "schweren Ärgernisses" nach der Berliner Uraufführung 1920 erhitzte die Gemüter, in den Kammerspielen in Wien brachen Saalschlachten aus. Die jetzt in der Bibliotheca Bodmeriana zu Cologny/Genf entdeckte erste handschriftliche Fassung hat Schnitzler im Winter 1896/97 in großer, eiliger Schrift aufs Papier geworfen. Von den frühesten Korrekturen an war er offenbar bestrebt, möglicherweise anstößige Stellen zu eliminieren, sogar durch Neuformulierung ganzer Szenen, wie die Vorstufen zu den letzten zwei Dialogen zeigen. Die Herausgeberin erschließt das neugefundene Material durch einen kritischen Apparat und kommentiert es in ihrer einführenden Studie.
Autorenporträt
Arthur Schnitzler, geb. 15.5.1862 in Wien, versuchte bereits als Neunzehnjähriger seine ersten Dramen zu schreiben. Nach dem Studium der Medizin war er Assistenzarzt an der Allgemeinen Poliklinik und dann praktischer Arzt in Wien, bis er sich mehr und mehr seinen literarischen Arbeiten widmete. 1886 erscheinen die ersten Veröffentlichungen in Zeitungen, 1895 das erste Buch. Bei Arthur Schnitzler bildet stets der einzelne Mensch den Mittelpunkt seiner durchweg im Wien der Jahrhundertwende angesiedelten Stoffe. Er starb am 21.10.1931 als einer der bedeutendsten österreichischen Erzähler und Dramatiker der Gegenwart in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.2004

Vom Tête-à-tête zum Duell
Die Urfassung läßt uns Arthur Schnitzlers "Reigen" neu lesen

Welcher Literaturwissenschaftler träumt nicht davon, statt einem längst "überforschten" Thema den hundertsten interpretierenden Aufsatz zu widmen, dessen Wirkung häufig genug mit der Erfassung durch fleißige Bibliographen endet, einmal einen unbekannten Text ausgraben und veröffentlichen zu können. Der Mailänder Germanistin und Übersetzerin Gabriella Rovagnati ist dieses Glück, bei dem es sich freilich um nichts anderes als das Glück des Tüchtigen handelt, durch Archivarbeiten in der Bibliotheca Bodmeriana in Cologny bei Genf zuteil geworden. Sie ist die wohl reichste europäische Privatsammlung wertvoller Handschriften und alter Drucke. Der Schweizer Martin Bodmer, ehemals Vizepräsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, hat sie im Laufe seines Lebens zusammengetragen und kurz vor seinem Tod in eine Stiftung überführt.

Im vergangenen Winter erst hatte die Bodmeriana mit der Eröffnung eines von Mario Botta entworfenen unterirdischen Ausstellungsraums von sich reden gemacht (F.A.Z. vom 3. Dezember 2003), da kann sie nun mit einer erstrangigen Trouvaille aufwarten. Denn eine solche ist die Auffindung des "Reigen"-Autographs von Arthur Schnitzler aus den Jahren 1897/98 gleich aus mehreren Gründen. War doch ausgerechnet von diesem berühmtesten Werk des Wiener Dichters bisher kein eigenhändiges Werkmanuskript bekannt und hat doch niemand mehr damit gerechnet, daß ein solches noch irgendwo auftauchen würde. Noch weniger hätte man erwartet, daß eine solche Handschrift über abweichende Vorstufen und Korrekturen zu den Texten der berühmten Szenen hinaus bislang völlig Unbekanntes bieten würde. Dabei handelt es sich um verworfene Vorstufen des neunten und zehnten Dialogs (Schauspielerin und Graf; Graf und Dirne).

Genug des Neuen bieten freilich auch - läßt man sich einmal, mit stetig steigendem Genuß, auf die sorgfältige Vergleichung ein - die Textabweichungen zwischen dem veröffentlichten Druck und der Handschrift: Als durchgehende Tendenz fällt dabei etwa die Reinigung von Anzüglichkeiten auf, als hätte der Dichter schon bei der Niederschrift die ganze Skandalgeschichte der öffentlichen Rezeption des "Reigen" geahnt. Gestrichen sind alle Stellen, die das Werk in die Antisemitismus-Diskussion hätten hineinziehen oder als Zeugnisse jüdischen Selbsthasses des Verfassers gedeutet werden können. Für den Druck wieder getilgt ist eine dialogische Ärztesatire, die Inkompetenz und Erotomanie von Medizinern zum Thema hat und als leichtfertige Schelte des eigenen Berufsstandes oder als Selbstkarikatur durch den Laryngologen Schnitzler hätte aufgefaßt werden können.

Auch einen köstlichen, bereits voll ausgearbeiteten Einfall, um den Schnitzler eine Zeitlang den vierten Dialog erweitern wollte, hat er konsequent wieder getilgt, weil dieser die durchdachte Dramaturgie zerstört hätte, jede Szene ausschließlich auf den Dialog zweier Personen zu stellen: Dort hätten nämlich der junge Herr und die junge Frau gerade im Tête-à-tête durch das unvermittelte Erscheinen zweier aufgeregter Freunde des Mannes gestört werden sollen, die diesen unbedingt und sofort als Sekundanten für ein bevorstehendes Duell gewinnen wollten. Die Stelle ist vielleicht eine Reaktion auf die Vorwürfe mancher Offiziere, die Schnitzlers Stück "Freiwild" als Verleumdung des Militärs verstanden hatten. Welche Konsequenzen der Spott auf die Ehre der Offiziere nach sich ziehen konnte, zeigt Schnitzlers Ausstoßung aus dem Offizierskorps nach der Veröffentlichung von "Leutnant Gustl" im Jahre 1901.

Auf manche bedeutsame Veränderung im Kleinen wird der Blick des Lesers behutsam gelenkt: So heißt etwa der Dichter (7. und 8. Dialog) in der Handschrift noch Richard, später ist der Name jedoch in Robert verändert - der einleuchtenden Deutung Rovagnatis zufolge, um die ursprünglich beabsichtigte Anspielung auf Schnitzlers Freund Richard Beer-Hofmann zu verwischen, der 1897 gerade im Begriff stand, durch die Heirat mit Paula Lissy endgültig vom Lebe- zum Ehemann zu mutieren.

Durch Anschaulichkeit in solchen Details gelingt es der Herausgeberin, ihre einführende Studie, obgleich diese ein literaturwissenschaftliches Kabinettstück darstellt, so aufzulockern, daß die Liebhaber der Dichtung sie wie einen Essay lesen können. Die Lebensumstände des Autors zur Zeit der Niederschrift lassen den "Reigen" als ein Werk der Krisen erscheinen: Immer unruhiger schwankte er zwischen der Entscheidung für eine Existenz als Arzt oder als Schriftsteller; der Ohrenspezialist erkannte, daß er selbst an einer fortschreitenden Otosklerose litt, und wußte, was das gerade für ihn als Musikliebhaber bedeutete; immer belastender war Schnitzler seine Unfähigkeit zur Treue geworden: Mizzi I, Mizzi II und viele andere Frauen mehr, bei deren einer, nämlich Marie Reinhard, um diese Zeit eine Schwangerschaft festgestellt worden war.

In einer Gründlichkeit, wie sie bisher nicht möglich gewesen ist, wird die Entstehungsgeschichte nachgezeichnet, werden Angaben in Schnitzlers Tagebuch mit Datierungen in der Handschrift verbunden, wird den Varianten des Werktitels und den wechselnden Genrebezeichnungen nachgespürt, deren früheste "Hemicyklus" lautete. Nicht ein vordergründiger Biographismus regiert hier, sondern Geschichtsschreibung der Literatur und strenge Philologie, ohne welche die editorische Arbeit von Textgewinnung und Variantendarstellung nun einmal nicht möglich ist. Ein paar Fotografien lassen kaum den Aufwand ermessen, den die Transkription von rund vierhundert Blättern erfordert haben muß, auf die Schnitzler mit seiner nervösen, übergroßen Hand jeweils nur wenige, oft schwer lesbare und mehrfach korrigierte Zeilen geworfen hat.

Man liest den "Reigen" hier nicht bloß in einer neuen Edition, man liest ihn neu. Erfreulicherweise hat der Verlag die Ausgabe, in der uns hier das bekannteste Werk eines seiner wichtigsten Autoren aus der Klassischen Moderne zum erstenmal in seiner Urfassung begegnet, auch durch eine ungewöhnlich schöne Buchgestaltung - vom Kolumnentitel bis zum Lesebändchen - angemessen gewürdigt.

HANS-ALBRECHT KOCH

Arthur Schnitzler: "Ein Liebesreigen". Die Urfassung des "Reigen". Herausgegeben von Gabriella Rovagnati. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 298 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.08.2004

Nichts als Verführung
Zur neu entdeckten Urfassung von Schnitzlers „Reigen”
Arthur Schnitzlers „Reigen”, Auslöser des größten Skandals in der deutschen Theatergeschichte, ist im Grunde ein diskret angelegtes Stück. Der Geschlechtsakt, um den herum jeder der zehn Dialoge geschrieben ist, erscheint im Text nur als durchstrichelte Linie; das Interesse richtet sich allein auf das Geschehen davor und danach, auf die Sprachen der Verführung und der Entziehung, die jenseits und diesseits der Leerstelle zur Anwendung kommen. Wenn Schnitzlers Stücke ohnehin immer wieder demonstrieren, dass das Zueinanderfinden der Paare nichts anderes ist als ein Effekt gelungener Rhetorik, der richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt, dann kann man den „Reigen” als konsequenteste Ausprägung dieser dramaturgischen Struktur bezeichnen. Denn Körper und Wörter verhalten sich im Verlauf der Szenen streng kongruent: Solange die Figuren in aufrechter Position verharren, müssen das auch die sprachlichen Zeichen tun; sie formen sich zu Liebesbekundungen und Verführungsreden. Begeben sich die Körper schließlich in die Horizontale, bedarf es keiner Worte mehr - auch die Zeichen befinden sich, in Gestalt der durchstrichelten Linie, in horizontaler Lage.
Das Paradox des Skandals um den „Reigen” bestand immer darin, dass ein Stück der moralischen Übertretung bezichtigt wurde, das die Einhaltung einer Grenze bereits typografisch markiert. Am Originalmanuskript des Textes (noch unter dem Titel „Ein Liebesreigen”), das von der Literaturwissenschaftlerin Gabriella Rovagnati vor kurzem in der Bibliotheca Bodmeriana bei Genf entdeckt wurde, zeigt sich nun, dass Schnitzler während der Entstehung des Stücks gerade auf die Vermeidung jeder unnötigen Freizügigkeit achtete. So ist etwa eine längere Passage des letzten Dialogs, in dem sich die „Dirne” vor dem „Grafen” entkleidet, in der Endfassung gestrichen.
Grundsätzlich kann man an den Korrekturen Schnitzlers erkennen, wie sorgfältig er die Reduktion der Szenen auf das immergleiche Sprachspiel der Verführung vorantreibt. Dies zeigt sich vor allem an zwei Momenten. Zum einen daran, dass er auf jedes Erscheinen eines Dritten verzichtet. In einer geplanten Erweiterung der 4. Szene, zwischen „jungem Herr” und „junger Frau”, klopfen plötzlich zwei Freunde des Mannes an die Tür, um ihn als Sekundanten für ein Duell zu gewinnen. Schnitzler tilgt diesen Einschub wieder, um die strenge dialogische Struktur der Szenen, das mechanische Getriebe der Annäherungen und Entfernungen, nicht zu irritieren. Der Dritte ist zwar immer in Reichweite - als Wachmann im Prater, als Kellner im Chambre Separée - und verstärkt dadurch die Flüchtigkeit der Begegnung, aber ins Geschehen greift er nicht ein.
Zum anderen zeigt sich die Reduktionsarbeit Schnitzlers an der Genauigkeit, mit der er jene Asymmetrie des Begehrens herstellt, die allen Szenen gemeinsam ist. Zu Beginn muss eine Figur die andere zu den Zärtlichkeiten überreden, zum Wechsel vom Sie ins Du, zum ersten Kuss; und nach erfolgreichem Vollzug ist es genau dieselbe Figur, die sich sofort zu distanzieren versucht, die das Du wieder zurücknimmt, während die andere Zutrauen gefunden hat. Man kann an den Korrekturen Schnitzlers ablesen, wie gründlich er jedes Anzeichen einer Begradigung dieses Gefälles ausmerzte, so etwa in der neunten Szene, zwischen „Schauspielerin” und „Graf”, in der die Zögerlichkeit des Grafen immer stärker konturiert wird.
Gabriella Rovagnati ist es zu verdanken, dass die 370 verstreuten Manuskriptseiten des „Urreigens”, im Winter 1896/97 in nur drei Monaten entstanden, den Lesern zugänglich gemacht werden. Dass die Genese eines der meistdiskutierten Theatertexte des 20. Jahrhunderts durch diesen Band nachbuchstabierbar wird, macht das Vergnügen seiner Lektüre aus. Von dem einleitenden Essay der Herausgeberin kann man das leider nicht behaupten. Eine merkwürdig hölzerne Literaturpsychologie kennzeichnet den Tonfall dieses Aufsatzes: So sei etwa der Abend die „Tageszeit, deren Stimmung die Dichter der Jahrhundertwende bevorzugen”; die letzten Worte Marie Reinhards (der Geliebten Schnitzlers) entsprechen „der primären Sehnsucht von Menschen, die sich lieb haben, denen jede auch nur kurze Trennung immer schmerzhaft erscheint”; und der Dichter selbst „hatte - wie jeder Mann seiner Generation - ein Wunschbild von der idealen Frau”. Angesichts der Behutsamkeit, mit der die nachfolgenden Dialoge die Sprachen der Liebe inszenieren, überraschen die etwas groben Diagnosen des Vorworts doch ein wenig. An der Bedeutung dieser Edition ändert das jedoch nichts.
ANDREAS BERNARD
ARTHUR SCHNITZLER: Ein Liebesreigen. Die Urfassung des „Reigen”. Herausgegeben von Gabrielle Rovagnati. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 304 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr erfreut zeigt sich Andreas Bernhard über diesen Band, der die im Winter 1896/96 entstandene Urfassung von Arthur Schnitzlers "Reigen" bietet, die Gabrielle Rovagnati vor kurzem in der Bibliotheca Bodmeriana bei Genf entdeckt hat. Das Vergnügen der Lektüre besteht für Bernhard insbesondere darin, dass der Text die Genese eines der meistdiskutierten Theatertexte des 20. Jahrhunderts nachvollziehbar mache. An dieser Urfassung sei auch zu ersehen, dass Schnitzlers "Reigen", der einen der größten Skandale in der deutschen Theatergeschichte ausgelöst hatte, im Grunde ein diskret angelegtes Stück sei. So demonstriert Bernhard am Urtext, dass Schnitzler während der Entstehung des Stücks darauf achtete, jede unnötige Freizügigkeit zu vermeiden. Einen Schwachpunkt des Bandes erblickt Bernhard im einleitenden Essay der Herausgeberin. Dieser sei von einer "merkwürdig hölzernen Literaturpsychologie" gekennzeichnet. Das ändert seines Erachtens allerdings nichts an der Bedeutung dieser Edition.

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