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In einem brillanten Essay untersucht der Literaturkritiker und Germanist Heinrich Detering die Rolle des Literaten im Frühwerk Thomas Manns. Literaten - Künstlerfiguren überhaupt - versteht Thomas Mann als Außenseiter, die ihre Position und Legitimation in der Gesellschaft immer wieder in Frage stellen.
In seinem originellen Streifzug durch die frühen Texte gelingt es Heinrich Detering nachzuzeichnen, dass der Literat Thomas Mann seine künstlerische Identität in gesellschaftlich stigmatisierten Gruppen findet: vor allem bei den Frauen und den Juden. Ihnen - und dem Literaten - ist eines
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Produktbeschreibung
In einem brillanten Essay untersucht der Literaturkritiker und Germanist Heinrich Detering die Rolle des Literaten im Frühwerk Thomas Manns. Literaten - Künstlerfiguren überhaupt - versteht Thomas Mann als Außenseiter, die ihre Position und Legitimation in der Gesellschaft immer wieder in Frage stellen.

In seinem originellen Streifzug durch die frühen Texte gelingt es Heinrich Detering nachzuzeichnen, dass der Literat Thomas Mann seine künstlerische Identität in gesellschaftlich stigmatisierten Gruppen findet: vor allem bei den Frauen und den Juden. Ihnen - und dem Literaten - ist eines gemein: "der Ekel vor dem, was man ist." Thomas Mann nimmt dieses Stigma an, indem er sich selbst als weiblichen und jüdischen Schriftsteller entwirft und so zu seiner künstlerischen Produktivität findet.

Heinrich Detering schärft nicht nur unseren Blick auf die Texte Thomas Manns, seine überraschend neue und frische Lesart lädt uns ein - mehr noch: legt zwingend nahe, den jungen Thomas Mann neu kennen zu lernen.
Autorenporträt
Detering, HeinrichHeinrich Detering ist Professor für Deutsche und Vergleichende Literatur an der Universität Göttingen. Über Thomas Mann liegen zahlreiche Veröffentlichungen von ihm vor, u.a. sein Buch »Thomas Manns amerikanische Religion. Theologie, Politik und Literatur im amerikanischen Exil«. Er ist Mitherausgeber der »Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe« der Werke Thomas Manns.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kaum zu glauben, aber Heinrich Detering gelingen tatsächlich neue Lesarten zu Thomas Manns Frühwerk. Und das, so Rezensent Malte Herwig, obwohl die relevanten Faktoren wie Homosexualität und die Darstellung jüdischen Lebens inzwischen ausgiebig erforscht seien. Ein "obskurer" Roman der lesbischen Schriftstellerin Toni Schwabe, skizziert der Rezensent die Urszene der heiklen Zusammenhänge, habe dem jungen Thomas Mann weiland als entscheidende Inspirationsquelle für sein mehr oder weniger offenes coming out gedient - und diese Konstellation habe nun wiederum Heinrich Deterings kühne These inspiriert, Achtung, der frühe Thomas Mann habe sich als deutsche Schriftstellerin inszeniert. Geradezu "aufs brutalste" hätte er seine innere Problematik in seinen Figuren ausgelebt, beispielsweise in der Form einer sadistischen Selbstzüchtigung als "effeminierte Tunte". Heinrich Detering, so der Rezensent, zeige einen unglaublichen Instinkt für verräterische Indizien, mit dem er ein veritables "Entdeckungsbrevier" für wahrhaft neugierige Leser geschrieben habe.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2006

Es zog ihn ganz schön hinan
Heinrich Detering fragt: War Thomas Mann eine Schriftstellerin?

Wer kennt "Die Hochzeit der Esther Franzenius" von Toni Schwabe? Nie gehört? Schon vor einem guten Jahrhundert, als Thomas Mann den Lesern einer Münchner Wochenschrift diese Frage stellte, dürfte nur wenigen das Werk der lesbischen Poetin Toni Schwabe (1877 bis 1951) vertraut gewesen sein.

Daß Thomas Mann sich dennoch intensiv mit ihrem obskuren Roman auseinandersetzte, der mehr oder weniger subtil von gleichgeschlechtlichen und bisexuellen Liebschaften einer jungen Frau erzählt, hat gute Gründe, wie Heinrich Detering in seiner anregenden Studie über Außenseiterfiguren im Werk des jungen Thomas Mann zeigt. Als Lektor im Verlag Albert Langen hatte er einst dafür gesorgt, daß Schwabes Roman erschien, um ihn gleich darauf zum Anlaß eines eigenen essayistischen Künstlerbekenntnisses zum ewig "Ewig-Weiblichen" zu nehmen. Darin feiert der junge Dichter Schwabes "zarte Eindringlichkeit" und "Kenntnis des Leidens" als Ausdruck eines weiblichen Kultur- und Kunstideals und spielt sie aus gegen die modische "Blasebalgpoesie", den Kult um Männerkraft und Schönheit, dem sein Bruder Heinrich damals frönte.

Schwabes Buch kam dem jungen, an sich selbst, der Kunst und einer unglücklichen homoerotischen Liebesbeziehung leidenden Verfasser des "Tonio Kröger" gerade recht, um seine gefühlte Stellung als Außenseiter zu verarbeiten. In einem kaum verhüllten coming out stellt sich Mann in die Reihe der "armen Plebejer und Tschandalas", die dem weiblichen Kunstideal und der "Frau als Künstlerin" huldigen, die "irgendwann einmal zur Führer- und Meisterschaft unter uns gelangen" könne. Vom Außenseiter zum Meister - Detering zeigt, wie die bewußte Identifikation mit Schriftstellerinnen es Thomas Mann ermöglichte, sein Außenseitertum literarisch produktiv zu machen: Das Ewig-Weibliche zog ihn hinan. Der Thomas Mann dieser frühen Jahre, pointiert Detering, präsentiere sich provozierend selbstbewußt "als eine deutsche Schriftstellerin".

Nun ist das Stigma der Homosexualität im Werk seit Karl Werner Böhms grundlegender Arbeit "Zwischen Selbstzucht und Verlangen" (1991) nichts Neues mehr. Auch der ambivalenten Darstellung von Juden bei Mann ist vor einigen Jahren bereits ein ausführlicher Sammelband der Thomas-Mann-Studien gewidmet worden. Aber Detering ist nicht nur ein kluger Stigmatologe, der in seiner kleinen Schrift die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Stigma-Erfahrungen von Juden, Frauen und "Litteraten" aufzeigt - all denjenigen eben, die Mann einmal am Beispiel des Othello als "in irgend einem Sinne ,schwarz'" bezeichnet hat.

Detering, der Thomas Manns frühe Essays in der Großen Kommentierten Frankfurter Ausgabe herausgegeben hat, gewinnt dessen essayistischen Reflexionen neue Einsichten in die frühen Erzählungen ab und zeigt verblüffende Zusammenhänge etwa zwischen Schwabes "Esther" und "Tonio Kröger" auf. Die "konstitutive Ambivalenz" des Stigmas, das Schwanken zwischen Selbsthaß und Stolz all der gebrandmarkten Figuren in den Erzählungen, die Ambivalenz dieser von Detering im Titel so bescheiden wie trocken als "Denkfigur" bezeichneten Idee, zieht sich wie ein roter Faden durchs Frühwerk, vom "Kleinen Herrn Friedemann" über oft unterschätzte Texte wie "Luischen" und "Königliche Hoheit" bis hin zu den "Betrachtungen eines Unpolitischen", diesem wüsten, hin und her lavierenden Pamphlet eines Einzelgängers, der nun wenigstens in Kriegszeiten zur Mehrheit gehören möchte, und sei's auch zu den kulturkonservativen Reaktionären.

Er sei "zugleich ängstlich und tapfer, schamhaft und stolz", urteilt Detering über Thomas Manns Stellung zur Judenfrage, eine Ambivalenz, aus der sich auch der "gewaltige performative Widerspruch" der vermeintlich unpolitischen "Betrachtungen" speist. Detering liest die frühen Erzählungen als Ergebnis des produktiven "Stigma-Managements" eines Autors, der seine inneren Widersprüche aufs brutalste in der Literatur auslebte und sich in seinen Gestalten selbst züchtigte. Während er öffentlich als Verehrer eines weiblichen Kunstideals auftrat, zeichnete er gleichzeitig mit dem armseligen Rechtsanwalt Jacoby in "Luischen" auf sadistisch-triumphale Art das Schreckbild vom bürgerlich etablierten Herrn als effeminierter Tunte.

Was Deterings Buch trotz der gelegentlich aufstoßenden Oberseminar-Vokabel zu einem Lesevergnügen und wahren Entdeckungsbrevier macht, ist sein Spürsinn für das verräterisch Beiläufige, das allzuleicht Überlesene, dessen tieferer Sinn doch unmittelbar plausibel wird, sieht man nur einmal genau hin. So spürt der Germanist nicht nur Anspielungen auf die stigmatisierten Helden in Andersens Märchen nach, sondern entdeckt zahlreiche Verknüpfungen innerhalb des Mannschen Gesamtwerks, ein Blick gewissermaßen in den komplizierten Schnürboden, mittels dessen der Autor die Stigmatisierung seiner Figuren bühnenwirksam im Gesamtwerk inszeniert. Wenn Doktor Sammet in "Königliche Hoheit" erklärt, das Amnion, die innerste Eihaut also, trage die Schuld an Prinz Klaus Heinrichs Verkrüppelung, dann schließt diese medizinisch-sperrige Formulierung so virtuos wie subtil an den berühmten Eingangssatz der Novelle "Der kleine Herr Friedemann" an: "Die Amme hatte die Schuld."

Eine Erlösung all der Beschädigten, mit körperlichem, sozialem oder "rassischem" Makel als Außenseiter Gezeichneten ist schließlich nur über eine gemeinsame Emanzipation möglich, wie Detering an "Königliche Hoheit" zeigt. In Andersens Märchen müssen die Stigmatisierten einander erlösen. Auch bei Thomas Mann kommen Klaus Heinrich und Imma in einer Erlösungsszene zusammen, die sich nicht zufällig an einem sechseckigen Tisch abspielt - sechseckig, gibt Detering zu bedenken, wie ein Eiskristall und damit ein versteckt-verspielter Fingerzeig auf den Eispalast in Andersens "Schneekönigin".

Die Entwicklung vom Gezeichneten zum Ausgezeichneten erfordert vom Einzelgänger eine Hinwendung zu Gemeinschaft und Verantwortung - Deterings Fazit gibt Thomas Manns vermeintlich kitschigem Märchen vom armen Prinzen und der reichen Erbin eine neue Bedeutung im Kontext des Gesamtwerks: Die Wende zum Vernunftrepublikaner und Demokraten aus den zwanziger Jahren ist keine Folge politischer Opportunität, kein radikaler Sinneswandel des vermeintlichen Herzensmonarchisten, sondern hat sich schon mehr als ein Jahrzehnt zuvor angebahnt.

Es ist der Emanzipationsprozeß eines Außenseiters, dem der Germanist mit viel Fingerspitzengefühl hier nachspürt. Wer zweifelt, ob editorische Großtaten wie die Frankfurter Thomas-Mann-Ausgabe heute noch einen Sinn haben, der greife zu Deterings Buch. Es ist der beste Beweis, daß wir noch lange nicht damit aufhören können, über das Werk Thomas Manns nachzudenken.

MALTE HERWIG.

Heinrich Detering: "Juden, Frauen und Litteraten". Zu einer Denkfigur beim jungen Thomas Mann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 200 S., geb., 17,90 [Euro].

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