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Der Arzt und Schriftsteller Hans Keilson musste 1936 Deutschland verlassen und überlebte den Krieg in Holland, mit gefälschtem Pass und teilweise im Versteck. 1944 schrieb Hans Keilson Tagebuch. Er schildert die Erfahrung des Untertauchens und berichtet von der beängstigenden Entfremdung gegenüber Frau und Kind, einer heimlichen Liebe, von Gedichten und Lektüre, der Angst vor der Zukunft und der täglichen Bedrohung. Dieses Buch, das auch die 46 Sonette enthält, die Hans Keilson wähernd der Niederschrift des Tagebuchs verfasst hat, ist ein persönliches Dokument ersten Ranges, aber auch ein…mehr

Produktbeschreibung
Der Arzt und Schriftsteller Hans Keilson musste 1936 Deutschland verlassen und überlebte den Krieg in Holland, mit gefälschtem Pass und teilweise im Versteck. 1944 schrieb Hans Keilson Tagebuch. Er schildert die Erfahrung des Untertauchens und berichtet von der beängstigenden Entfremdung gegenüber Frau und Kind, einer heimlichen Liebe, von Gedichten und Lektüre, der Angst vor der Zukunft und der täglichen Bedrohung. Dieses Buch, das auch die 46 Sonette enthält, die Hans Keilson wähernd der Niederschrift des Tagebuchs verfasst hat, ist ein persönliches Dokument ersten Ranges, aber auch ein außergewöhnliches historisches Zeugnis darüber, mit welcher Macht und Konsequenz das Klima von Verfolgung und Willkür auch die intimsten Bereiche der Existenz durchdringt.
Das 'Tagebuch 1944' wird von Marita Keilson-Lauritz aus dem Nachlass herausgegeben und kommentiert. Mit einem Nachwort von Heinrich Detering.
Autorenporträt
Hans Keilson wurde 1909 in Bad Freienwalde geboren. Der Arzt und Schriftsteller emigrierte 1936 in die Niederlande, wo er bis zu seinem Tod 2011 lebte. Sein erster Roman 'Das Leben geht weiter' erschien 1933 bei S. Fischer. Die Novelle 'Komödie in Moll' wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und 2010 zum Weltbestseller. Hans Keilson wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, zuletzt mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis, der Moses-Mendelssohn-Medaille, der Humboldt-Medaille und dem »Welt«-Literaturpreis.Literaturpreise:"Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay" der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 2005Moses-Mendelssohn-Medaille 2007

Marita Keilson-Lauritz ist Literaturwissenschaftlerin und lebt in den Niederlanden. Das Thema Homosexualität und Literatur bildet einen Schwerpunkt ihrer Arbeit. Sie ist Herausgeberin des »Tagebuchs 1944« und der »Sonette für Hanna« von Hans Keilson.

Heinrich Detering ist Professor für Deutsche und Vergleichende Literatur an der Universität Göttingen. Über Thomas Mann liegen zahlreiche Veröffentlichungen von ihm vor, u.a. sein Buch »Thomas Manns amerikanische Religion. Theologie, Politik und Literatur im amerikanischen Exil«. Er ist Mitherausgeber der »Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe« der Werke Thomas Manns.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hymnisch bespricht Rezensentin Ina Hartwig das erst jetzt erschienene "Tagebuch 1944" des erst im Alter von hundert Jahren zu Ruhm gekommenen Schriftstellers Hans Keilson. Die Kritikerin liest hier die intensiv und radikal offenherzig erzählte Geschichte Keilsons, der zwischen März und Oktober 1944 getrennt von Frau und Tochter von einer Familie in Delft versteckt wird und eine Liebesaffäre mit der ebenfalls untergetauchten jüngeren Jüdin Hanna beginnt. Gebannt folgt Hartwig den Ausführungen des Autors über die brennende Leidenschaft und den neu entfesselten Liebes- und Lebenstrieb, aber auch den Innenansichten über Skrupel gegenüber Frau und Tochter und vor allem gegenüber der hingebungsvollen Geliebten, welche bei Keilson einen bisher ungekannten Sadismus entfacht. Dieses Werk ist nicht nur ein beeindruckendes historisches Zeugnis, so Hartwig, sondern ein tief bewegendes, emotionales Werk, in dem der Autor sich einer nahezu "Rousseauschen Selbstentblößung" hingibt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.11.2014

Vom Vampirismus des Überlebens
Ein Zufallsfund brachte es ans Licht: Das „Tagebuch 1944“, das der Psychoanalytiker und Schriftsteller Hans Keilson
in seinem holländischen Versteck verfasste, erzählt die Geschichte einer Liebe in den Zeiten der Verfolgung
VON INA HARTWIG
Als Hundertjähriger hat Hans Keilson (1909-2011) noch ein Wunder erleben können, das Wunder der Wiederentdeckung. Sein Werk aus der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der New York Times bejubelt. Ausgelöst durch die amerikanische Übersetzung, überrollten ihn Weltruhm und Nachruhm zugleich, was ihn ziemlich überrascht haben dürfte. „Setzen Sie ihn mit mir auf die Liste der weltbesten Autoren“, schwärmte die Kritikerin Francine Prose. In einem Gespräch, das Heinrich Detering kurz darauf mit Hans Keilson führte, antwortet der auf die Frage, wie es sich anfühle, plötzlich berühmt zu sein: „Es ist ein bisschen spät, aber ich finde es schön.“
  Das anrührende Gespräch findet sich im Anhang des wunderschön, glasklar und knapp, geschriebenen Erinnerungsbüchleins „Da steht mein Haus“, das als Hans Keilsons Vermächtnis gelten darf. Er skizziert darin seine Kindheit als jüdischer Junge in Bad Freienwalde, den ersten Antisemitismus in der Schule, die so unterschiedlichen Eltern, die 1943 in Auschwitz ermordet werden, eine nie verheilte Wunde.
  Es handelt von seiner Rettung durch seine hellsichtige katholische Ehefrau Gertrud, der gemeinsamen Emigration nach Holland 1936, dem Untertauchen und schließlich, nach der Befreiung, von einem erfüllten, arbeitsreichen Leben, auf das er dankbar und voller Trauer zurückgeschaut. Die Autobiografie war gerade erschienen, da starb Hans Keilson in Holland, wo er seit seiner Flucht aus Deutschland als Arzt, Psychoanalytiker und Schriftsteller gelebt und wo er sich heimisch gefühlt hatte. Dort stand „sein Haus“.
  Der S. Fischer Verlag hält sein bis eben als abgeschlossen geltendes Werk, darunter die Romane „Das Leben geht weiter“, „Der Tod des Widersachers“ und „Komödie in Moll“, in erschwinglichen Taschenbuchausgaben zugänglich. Jetzt ist jedoch ein faszinierender Zufallsfund hinzugekommen, das Tagebuch aus dem Jahr 1944. Die gut vierzig eng bekritzelten Seiten eines Heftes in Folio-Format schlummerten in den Tiefen einer Schublade. In ihrem instruktiven Vorwort berichtet Marita Keilson-Lauritz, seine zweite Ehefrau und Witwe, wie sie für ihren schon fast erblindeten Mann etwas suchte und plötzlich dieses Heft in der Hand hielt. Die große Überraschung der Aufzeichnungen, die zwischen März und Dezember 1944 im Versteck bei der tapferen Familie Rientsma in der Wallerstraat in Delft niedergeschrieben wurden: Radikal offen ist darin von der Liebesbeziehung zu einer jungen, ebenfalls untergetauchten Frau die Rede – Hanna. Sie überlebte bei einer anderen Familie in Delft, und Hans Keilson, ausgestattet mit einem exzellent gefälschten Pass auf den Namen Dr. Johannes van der Linden und fließend Holländisch sprechend, besuchte sie in aller Offenheit.
  Er ist Mitte dreißig, lebt (schon aus Sicherheitsgründen) von Ehefrau und kleiner Tochter getrennt und erlebt mit Hanna einen ihm bis dahin unbekannten Rausch. „Mädchen“ nennt er sie, obwohl sie schon Anfang zwanzig ist. Offensichtlich ist er ihr erster Mann. Hanna jedenfalls scheint ein Naturtalent der Hingabe besessen zu haben, wie das Tagebuch nahelegt. Man staunt, wie inmitten der politischen Gefahr – oder gerade deshalb? – der Trieb seinen Egoismus walten lässt, mit einer Energie, die sowohl Ablenkung als auch Überhöhung bewirkt; Libido, Lebenstrieb, im buchstäblichen Sinne.
  Auf der Hingebungswelle surft dann auch Hans Keilsons kreativer Geist; wie entfesselt schreibt er einen ganzen Zyklus von Sonetten über diese Liebeserfahrung nieder, denkt überhaupt viel über Dichtung nach, vergleicht sich selbstbewusst mit Stefan George, Rilke, sogar Shakespeare. Die Sonette, abgedruckt im Anhang, bestehen den Test im Abstand der Jahre jedoch nicht, im Unterschied zu Keilsons klarer Prosa. Sie müssen wohl eher als Symptom eines bemerkenswerten Kraftaktes, eines Dichter- und zugleich Überlebenswillens, gelesen werden. Illusionen und Phantasien von Ruhm vermögen stabilisierend zu wirken, auch das zeigt dieses Tagebuch.
  In dem Moment, da die Liebesbeziehung zu Hanna den sinnlichen Höhenkamm verlässt, drängen die Konflikte in den Vordergrund. Die junge Frau begreift, dass sie eben doch nur die Geliebte sein kann, während die Ehefrau, obzwar weiterhin betrogen, definitiv machtvoll und dominant bleibt für das Seelenleben des untergetauchten Mannes. Voller Sorge äußert das Tagebuch sich über den Zustand der um ein paar Jahre älteren Gertrud in ihrem fernen Quartier („ihre schreckliche Einsamkeit“); immer wieder überwältigen den Schreiber Vatergefühle, die kleine Barbara wächst ja ohne ihn auf. Briefe von Gertrud sind ihm zwar keine Quelle der Freude, dazu scheint die Ehe zu kompliziert gewesen zu sein, aber eine schiere Notwendigkeit. Und tatsächlich brechen die Aufzeichnungen ab, als er im Dezember 1944 doch zu Gertrud übersiedelt.
  Hanna aber übersetzte noch seinen Nachkriegsroman „Komödie in Moll“, der von den Höhen und Tiefen der Untertauchzeit erzählt. Endlich wisse sie, schreibt Marita Keilson-Lauritz in ihrem Vorwort, wer sich hinter dem Kürzel „H. Sanders“ verberge. Ihr Mann hatte von Hanna ebenso wenig gesprochen, wie Hanna offenbar von ihm gesprochen hatte. Sie war nach dem Krieg nach Palästina ausgewandert. Als ihre Kinder jetzt davon erfuhren, dass ihre Mutter in Hans Keilsons Tagebuch die Hauptrolle spiele, reagierten sie geradezu erfreut: „We are actually happy to find that Hanna had a love affair in the middle of this hellish period.“
  So versöhnlich die heutigen Umstände dieser Publikation also sind, es bleibt doch unübersehbar, und das macht dieses Tagebuch überhaupt erst zu einem wichtigen menschlichen und historischen Zeugnis, dass der Schreiber an gefährliche Schichten seiner selbst rührt. Zum einen ist da die Zerrissenheit zwischen zwei Frauen und zwei Bestimmungen (Arzt oder Dichter), zum anderen die zwischen Zuneigung und Zerstörung; der Tagebuchschreiber attestiert sich ein „Doppelwesen“.
  Umgeben von Armut, Enge, unvermeidlichen Spannungen zwischen Gastgebern und Untergetauchten, täglich bedroht von der Gefahr, bei einer Razzia durch die grüne Polizei aufzufliegen (und eine Razzia findet tatsächlich statt, aber Keilsons Versteck bleibt glücklicherweise unentdeckt, er protokolliert das Erlebnis unmittelbar danach): In dieser Gemengelage erforscht sich hier einer in der Tradition Rousseauscher Selbstentblößung.  
  „Mein Gefühl für Hanna ist sehr verändert“, hält das Tagebuch im Juli 1944 fest. „Die ganz große rauschvolle Beglückung ist gewichen einer tiefen, teils fremden und erstarrenden, teils schweren (an Gewicht) Erfahrung. Ihre Traurigkeit und ihre kindliche Unbefangenheit bewegen mich. Das sind die guten Seiten unserer Freundschaft. Schwerer ist für mich das Gefühl zu ertragen, das ich in diesem Maße nicht in mir anwesend geglaubt habe: Sadismus. Die Neigung, sie zu quälen, zu peinigen. Und wenn ich sie erblicke, tut sie mir zugleich wieder so leid, dass ich heulen könnte. Hinzu kommt meine große Suggestibilität für andere Menschen. Ich lebe wie ein Vampir aus anderen.“
  Ein erstaunliches Vokabular für eine zarte Liebesgeschichte! Nicht auszuschließen, dass sich in jenem Vampirismus das schlechte Gewissen ausdrückt, nur dank des Muts und der selbstlosen Unterstützung normaler Holländer überhaupt zu leben, zu überleben. Ein Nichtigkeitsgefühl ist denn auch die Grundmelodie, sobald die erotische Ablenkung aussetzt, ein deprimierendes Nagen ob der eigenen Illegitimität, die womöglich als Versagen in Liebesdingen („Sadismus“) ins Überschaubare heruntergebrochen wird. Auch deshalb ist Hans Keilsons Tagebuch so ergreifend, weil die Emotionen sich wie Eisschollen übereinander schieben.
Gut vierzig eng bekritzelte
Seiten im Folio-Format
schlummerten in der Schublade
Wie entfesselt schreibt Keilson
einen Zyklus von Sonetten
über diese Liebeserfahrung
Als ihn in hohem Alter der Ruhm ereilte, sagte Hans Keilson: „Es ist ein bisschen spät,
aber ich finde es schön.“ Das Bild zeigt ihn im März 2011, kurz vor seinem Tod, in Amsterdam.
Foto: Merlin Daleman / Hollandse Hoogte / laif
  
Hans Keilson: Tagebuch 1944 (und 46 Sonette). Herausgegeben von Marita Keilson-Lauritz. Mit einem Nachwort von Heinrich Detering. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 256 Seiten, 18,99 Euro. E-Book 16,99 Euro.
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ein höchst intimes Tagebuch. Wolf Scheller Hessische/Niedersächsische Allgemeine 20141213