Produktdetails
  • Gewicht: 610g
  • ISBN-13: 9783034012058
  • ISBN-10: 3034012055
  • Artikelnr.: 38396702

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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lukas Zürchers Studie über das Engagement der Schweiz in Ruanda bietet Philip Rosin einen Einblick in die von nationalem Prestigedenken und Eigeninteresse gesteuerte eidgenössische Diplomatie im Fall Ruandas. Der Text, der laut Rosin sowohl historische Analogien zwischen den beiden Ländern sichtbar macht, als auch die Sonderstellung der Schweiz in Ruanda, scheint dem Rezensenten zwar weder die innenpolitischen Debatten ausführlich zu dokumentieren noch Ruanda in die schweizerische Entwicklungshilfe einzuordnen, beklemmend wirkt das Buch auf Rosin dennoch, weiß er doch um den Fortgang der ruandischen Geschichte, den Zürcher ebenfalls nicht behandelt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wilhelm Tell in Afrika?
Engagement der Schweiz in Ruanda bis in die 1970er Jahre

Im Rahmen der Missionstätigkeit der katholischen "Weißen Väter" kamen seit Beginn des 20. Jahrhunderts vereinzelt auch Schweizer nach Ruanda. Während des Zweiten Weltkriegs stieg dann der Bedarf nach "neutralen" Missionaren, die bei ihrer Reisetätigkeit keinen Einschränkungen unterworfen waren. Die Schweizer Geistlichen stiegen in Schlüsselpositionen auf. So übernahm der Walliser Maurice Fellay 1945 die Leitung des größten Priesterseminars im südlichen Afrika in Nyakibanda. Der Schweizer Priester André Perraudin wurde 1959 Erzbischof von Kabgayi und Oberhaupt der katholischen Kirche des Landes.

Die herausgehobenen Positionen von helvetischen Geistlichen waren ein wichtiger Grund dafür, dass Ruanda nach seiner Unabhängigkeit 1962 zum Schwerpunktland der Berner Entwicklungshilfe auserkoren wurde. Daneben hatte sich bei den in Ruanda tätigen Schweizern bereits ein verklärtes Bild des Gastlandes entwickelt, das auf Analogiebildungen zur Schweiz aufbaute: Kleine Gemeinschaften, Seen, Berge und Kühe ließen auch in Bern manchen Entscheidungsträger von einer afrikanischen Schweiz träumen. Besonders verhängnisvoll war die historische Analogie, wonach die ruandische Bevölkerung dabei sei, sich ebenso von ihren Feudalherren (gemeint waren die Tutsi) zu befreien wie dereinst die Eidgenossen von ihren Vögten.

Hatten die "Weißen Väter" das rassische Konstrukt von Hutu und Tutsi zunächst mit hervorgerufen und durch eine enge Bindung an die herrschenden Tutsi befördert, so waren sie seit den 1950er Jahren bemüht, die Diskriminierung der Hutu zu beenden. Hutu-Anführer Kayibanda, der in der Schulverwaltung der "Weißen Väter" gearbeitet hatte, erschien in diesem Lichte gar als ein afrikanischer Wilhelm Tell. Die Schweiz war in den ethnischen Unruhen, vor deren Hintergrund sich die Umkehrung der Machtverhältnisse hin zu den Hutu und die staatliche Unabhängigkeit vollzog, von Beginn an nicht neutral, sondern Partei. Zunächst schien Bern damit gut zu fahren, schließlich bestanden enge Verbindungen zu den neuen Machthabern um Präsident Grégoire Kayibanda. Auf seinen Wunsch hin entsandte die Schweiz einen persönlichen Berater an den Präsidentenpalast, den Diplomaten Hans Karl Frey. Ihm folgten bis 1975 weitere vier Berater nach.

Abgesehen von den ehemaligen belgischen Kolonialherren befand sich die Schweiz in Ruanda somit in einer Sonderstellung. Allerdings profitierte sie nicht davon. Es kam - wie Lukas Zürcher zeigt - zu einer Art Komplizenschaft mit dem 1973 gestürzten Kayibanda, dessen Regime die immer wieder aufflammenden Gewaltwellen gegen die Tutsi billigte oder förderte. Schweizer Diplomaten und Entwicklungshelfer verlegten sich aufs Beschwichtigen und Ignorieren. Das außenpolitische Prestige und das innenpolitisch umstrittene Konzept der Entwicklungshilfe durften durch die Gewalt im Schwerpunktland nicht in Misskredit gebracht werden. Die innenpolitischen Debatten werden im Buch leider nur angedeutet, es fehlt eine Einordnung in die schweizerische Entwicklungshilfe.

Darüber hinaus wurden die massiven Probleme beim medienwirksam beworbenen größten Entwicklungsprojekt in Ruanda, der landwirtschaftlichen Genossenschaft Trafipro, die aufgrund von Misswirtschaft und Korruption mehrmals vor der Insolvenz bewahrt werden musste, der schweizerischen Öffentlichkeit weitgehend verschwiegen. Selbst als bei Gewalttaten Anfang der 1970er Jahre nun auch Schweizer selbst ins Visier gerieten, kam es in Bern nicht zu einem Umdenken. Zu groß waren die politische Abhängigkeit und Komplizenschaft zu dem geförderten Entwicklungspartner geworden. Nicht primär Hilfsleistungen für die ruandische Bevölkerung, sondern nationales Prestige und Eigeninteresse bestimmten das Handeln helvetischer Entscheidungsträger in Bern und Kigali.

Lukas Zürcher hat eine gelungene Studie zu den Fallstricken der Entwicklungspolitik vorgelegt, die - abgesehen von teils überlangen Zitaten - gut lesbar ist. Dass sich bei der Lektüre trotzdem Beklemmung einstellt, liegt an der Schilderung der wiederkehrenden Gewaltausbrüche und im Wissen um den Genozid des Jahres 1994, der nicht mehr behandelt wird, dessen historische Ursachen jedoch anklingen.

PHILIP ROSIN

Lukas Zürcher: Die Schweiz in Ruanda. Mission, Entwicklungshilfe und nationale Selbstbestätigung (1900-1975). Chronos Verlag, Zürich 2014. 378 S., 47,50 [Euro].

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