Als der blinde Musikkritiker van Vlooten eines Tages eine junge Geigerin trifft, ist er sofort von ihr fasziniert. Auch sie verliebt sich, sie heiraten. Aber van Vlooten wird von Eifersucht zerfressen. Als er sicher glaubt, sie habe ein Verhältnis, fasst er einen mörderischen Plan.
Kreutzersonate ist ein Roman über Musik und Liebe, voll innerer Spannung und Leidenschaft.
Kreutzersonate ist ein Roman über Musik und Liebe, voll innerer Spannung und Leidenschaft.
Tolstoi im Herzen, Janácek im Sinn: Margriet de Moors Flugzeug fällt ins Luftloch der Eifersucht
Fluggäste wie dieser stehen bei manchen Gesellschaften auf der schwarzen Liste: Er ist schon beim Start angetrunken, krakeelt, wirft Gläser und Aschenbecher zu Boden, und als die Stewardess und ein anderer Passagier gemeinsam aufräumen, trampelt er auch noch wüst im Abfall herum. Dennoch hört sein Nachbar auf dem Flug nach Bordeaux gebannt zu, als ihm der Querulant die Geschichte seines Lebens anvertraut: Wie er sich als Student in ein Mädchen verliebte, das ihn plötzlich verließ, wie er sich umbringen wollte und bei dem Schuß nur sein Augenlicht verlor, wie er mühsam ins Leben zurückkehrte und seine Begabung als Musikkritiker entdeckte. Jetzt ist er wie sein Nachbar auf dem Weg zu einem Wettbewerb junger Streichquartette. Daß die Begegnung mit einer Geigerin sein Leben von Grund auf verändern wird, ahnt er nicht, daß er sich nach dem einstigen Desaster noch einmal auf eine Liebesgeschichte einlassen kann, scheint ganz unmöglich, daß er aber diese neue Liebe mit seiner Eifersucht später zugrunde richten wird, ist nach dem erregten Auftritt im Flugzeug sofort vorstellbar.
Von jeher gehen Reisen und Erzählen eine feste Allianz ein, seit den "Canterbury Tales" ist überdies die literarische Technik etabliert, nicht nur von, sondern auch auf einer Reise zu erzählen. In Margriet de Moors "Kreutzersonate" bilden zwei Flugreisen den Hintergrund für die Liebesgeschichte, die der Erzähler von dem blinden Musikkritiker Marius van Vlooten erfährt. Die erste bereitet den Boden, die zweite, zehn Jahre später, berichtet vom Verlauf dieser Liaison im Moment ihres Scheiterns: Zwei Wochen zuvor hatte die Geigerin Suzanna Flier wegen van Vlootens unerträglicher Eifersucht die Scheidung eingereicht, und der Erzähler erlebt einen nun vollends unwirschen, vor der Zeit gealterten van Vlooten, der ihn zunächst wüst beschimpft, um ihm dann, aufs höchste erregt, von seiner zerstörten Liebe zu berichten, die schließlich in den festen Vorsatz mündet, Suzanna umzubringen.
Das Vorbild von Tolstois "Kreutzersonate", das schon der Titel nennt, ist unübersehbar, die Erzählsituation ist ähnlich, die erregte Zufallsbekanntschaft auf der Reise, die, rasend vor Eifersucht, in beiden Texten auf Mord sinnt, schließlich der Einfluß, den die Musik - dort Beethoven, hier Janáceks wiederum von Tolstoi inspiriertes Streichquartett "Kreutzersonate" - auf die Figuren ausübt: all dies unterstreicht die Verwandtschaft der beiden Texte. Natürlich erzählt de Moor dennoch eine ganz andere Geschichte, und indem sie den Akzent auf die Ebene der Musik legt, einen Blinden in den Mittelpunkt stellt und daran die Besonderheiten einer solchen Liebe entwickelt, tritt das akustische Erleben in den Vordergrund, um ein reizvolles Eigenleben zu führen und bedeutende Wendungen der Handlung zu evozieren: "Die zwanzig Minuten, während derer Marius van Vlooten das Liebesmotiv von neuem, jedoch mit eigenen, sehr schwer zu steuernden Kräften in seinem Leben zuließ, waren die zwanzig Minuten, in denen das Schulhoff Kwartet eine Kreutzersonate spielte, daß die Fetzen nur so flogen." Und wenn sich später van Vlooten in die Idee verrennt, Suzanna habe ein Verhältnis mit dem Bratschisten ihres Quartetts, so deutet sich dies schon in einer Bemerkung an, die beim ersten Kennenlernen fällt, "daß es im Quartett aber sehr oft die Bratsche sei, die quasi bescheiden, im Spiel verschwindend, als Unruhestifter auftrete".
Der Abstand, den Margriet de Moor zwischen Tolstois Text und den eigenen legt, zeigt sich vor allem in einem Detail, das man als Element eines zeitgemäßen Fortschreibens unterschätzen könnte, bildete es nicht so beharrlich eine wesentliche Struktur des Textes. Diskret durchzieht die Erwähnung von Flugzeugen die Erzählung; sie markieren Wendepunkte der Handlung wie auch im Leben van Vlootens. Als er nach dem Verlust der Sehkraft noch nicht bereit ist, sich der Welt zuzuwenden, liegt er häufig im Liegestuhl auf der Terrasse. "Einmal hörte er um die Mittagszeit hoch am Himmel ein Flugzeug. Das Dröhnen kam näher, bewegte sich aber auch rückwärts und zur Seite, nach unten und nach oben, bis es mit seinen stoßweisen Vibrationen fast den gesamten Luftraum erfüllte. Als hätte er einen Atlas vor der Nase, sah er das Gebiet, über das die Maschine hinwegflog", und nach einer Weile erwächst ihm aus dem Geräusch und der Sehnsucht nach der Ferne mittelbar seine Berufung als Musikkritiker.
Zwei Flugkatastrophen umrahmen die Erzählung, und die Beschäftigung mit dieser Gefahr ist dem Text auf verschiedene Weise eingeschrieben, wenn etwa fast beiläufig von einem Piloten berichtet wird, der wegen Trunksucht gerade noch rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen wird, oder wenn der Erzähler über Havarien nachdenkt: "Dies ist die sicherste Art zu reisen, dachte ich und erinnerte mich gleichzeitig an den Crash in Heathrow vor gut einer Woche."
Aus der üblichen Demonstration der Sicherheitsbestimmungen durch die Stewardess erwächst in diesem zentralen Kapitel ein Gedankenstrom, der sich mit der Liebesgeschichte van Vlootens und Suzanna Fliers beschäftigt. Und indem die Autorin Tolstois ausgedehnte Zugfahrt in eine Reihe von Flugreisen auflöst, indem sie überdies van Vlooten von Beginn an als gar so undisziplinierten Fluggast zeichnet, ein potentielles Sicherheitsrisiko also, deutet sie auf eine Liebesgeschichte voraus, die vor allem durch ihre Intensität gezeichnet ist, ihre selbstgewisse Leichtigkeit, solange der Luftstrom des Vertrauens nicht abreißt, aber auch den fortwährend drohenden Absturz.
Margriet de Moor: "Kreutzersonate". Eine Liebesgeschichte. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Hanser Verlag, München 2002. 144 S., geb., 15,90 [Euro].
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Eine verhängnisvolle Leidenschaft
Kreutzersonate. Eine Liebesgeschichte, verfasst von der niederländische Autorin Margriet de Moor, zeichnet einen Menschen, der mit einer ungezügelten Leidenschaft liebt und dabei sich und die Frau, die er liebt, mehr als nur einmal in die Nähe des Todes bringt. Nicht nur thematisch reiht Margriet de Moor ihr Buch in eine große Tradition, die aus dem 19. Jahrhundert stammt - Die Kreutzersonate ist der Titel einer Novelle von Leo Tolstoi, die von dem tschechischen Komponisten Leos Janácek vertont wurde. Auch stilistisch hält Margriet de Moors Version der Geschichte dem Vergleich mit ihren Vorbildern stand.
Liebe macht blind
De Moors Kreutzersonate erzählt eigentlich zwei Liebesgeschichten. Als Student hatte Marius van Vlooten sich leidenschaftlich in eine Kommilitonin verliebt - und sie sich in ihn. Umso schlimmer empfand er es, als sie nach ihrem Studium verschwunden war - durchgebrannt mit ihrem zukünftigen Mann. Als Marius davon erfährt, nimmt eine Pistole und schießt sich in den Kopf. Marius überlebt, doch seitdem ist er blind. Seine zweite große Liebe, die er Jahre später in der Geigerin Suzanna Flier findet, erlebt er vor dem Hintergrund dieser Beziehung.
Eine Liebe am Abgrund
Das ist die Liebe zu Suzanna Flier in vielerlei Hinsicht. Marius, der inzwischen ein anerkannter Musikkritiker ist, lernt sie als erste Geigerin des Schulhoff Kwartets kennen, als es die Kreutzersonate von Janácek spielt. Sie werden ein Paar, gründen eine Familie. Der Alltag nimmt seinen Lauf; beide sind häufig beruflich unterwegs, wo es ab und an zu kleinen Seitensprüngen kommt, was aber beide nicht stört. Doch dann ist Marius von der Idee besessen, Suzanna könnte seit Jahren ein Verhältnis mit einem Kollegen des Quartetts haben. Er schmiedet einen Mordplan...
Der Zuschauer als Voyeur
Die Kreutzersonate ist nicht nur eine tragische Liebesgeschichte, dieser Roman ist vor allem ein sehr einfühlsames, detailgenaues Psychogramm eines leidenschaftlichen Menschen. Mehrmals treffen sich Marius und die Erzählerfigur, ein junger Mann, der ebenfalls in der Musikszene tätig ist. Und jedes Mal, wenn sie sich sehen, erfährt der Erzähler mehr über Marius´ Leben und seine Beziehungen. So erlebt der Leser diese sehr spannungsgeladene Geschichte aus einer doppelten Distanz - vorgetragen von einem Blinden und übermittelt durch einen neutralen Beobachter.
(Birgit Kuhn)
Ein raffiniert komponiertes, elegant erzähltes Werk. (Kulturspiegel)
Es ist die Geschichte einer brennenden Eifersucht: Zwischen Marius van Vlooten, einem blinden Musikkritiker, und der ersten Geigerin eines Streichquartetts entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte. Die beiden heiraten und haben bald einen Sohn zusammen, doch van Vlooten – der bereits eine unglückliche Liebe durchlitten hat, an deren Ende er einen Selbstmordversuch unternahm, welcher ihn sein Augenlicht kostete – verfällt zusehends dem Wahn, seine lebenslustige junge Frau setzte ihm permanent Hörner auf. Dabei treibt seine Blindheit seine Vorstellungskraft in ungeahnte Abgründe ... Die niederländische Autorin Magriet de Moor erzählt atemlos von den Verwirrungen der Liebe, von Misstrauen, Unverständnis ungezügelter Leidenschaft. Die bereits einmal von Tolstoi erzählte Geschichte spinnt sie geheimnisvoll und unergründlich um – einfühlsam, poetisch und unbedingt empfehlenswert. (www.parship.de)
Kreutzersonate. Eine Liebesgeschichte, verfasst von der niederländische Autorin Margriet de Moor, zeichnet einen Menschen, der mit einer ungezügelten Leidenschaft liebt und dabei sich und die Frau, die er liebt, mehr als nur einmal in die Nähe des Todes bringt. Nicht nur thematisch reiht Margriet de Moor ihr Buch in eine große Tradition, die aus dem 19. Jahrhundert stammt - Die Kreutzersonate ist der Titel einer Novelle von Leo Tolstoi, die von dem tschechischen Komponisten Leos Janácek vertont wurde. Auch stilistisch hält Margriet de Moors Version der Geschichte dem Vergleich mit ihren Vorbildern stand.
Liebe macht blind
De Moors Kreutzersonate erzählt eigentlich zwei Liebesgeschichten. Als Student hatte Marius van Vlooten sich leidenschaftlich in eine Kommilitonin verliebt - und sie sich in ihn. Umso schlimmer empfand er es, als sie nach ihrem Studium verschwunden war - durchgebrannt mit ihrem zukünftigen Mann. Als Marius davon erfährt, nimmt eine Pistole und schießt sich in den Kopf. Marius überlebt, doch seitdem ist er blind. Seine zweite große Liebe, die er Jahre später in der Geigerin Suzanna Flier findet, erlebt er vor dem Hintergrund dieser Beziehung.
Eine Liebe am Abgrund
Das ist die Liebe zu Suzanna Flier in vielerlei Hinsicht. Marius, der inzwischen ein anerkannter Musikkritiker ist, lernt sie als erste Geigerin des Schulhoff Kwartets kennen, als es die Kreutzersonate von Janácek spielt. Sie werden ein Paar, gründen eine Familie. Der Alltag nimmt seinen Lauf; beide sind häufig beruflich unterwegs, wo es ab und an zu kleinen Seitensprüngen kommt, was aber beide nicht stört. Doch dann ist Marius von der Idee besessen, Suzanna könnte seit Jahren ein Verhältnis mit einem Kollegen des Quartetts haben. Er schmiedet einen Mordplan...
Der Zuschauer als Voyeur
Die Kreutzersonate ist nicht nur eine tragische Liebesgeschichte, dieser Roman ist vor allem ein sehr einfühlsames, detailgenaues Psychogramm eines leidenschaftlichen Menschen. Mehrmals treffen sich Marius und die Erzählerfigur, ein junger Mann, der ebenfalls in der Musikszene tätig ist. Und jedes Mal, wenn sie sich sehen, erfährt der Erzähler mehr über Marius´ Leben und seine Beziehungen. So erlebt der Leser diese sehr spannungsgeladene Geschichte aus einer doppelten Distanz - vorgetragen von einem Blinden und übermittelt durch einen neutralen Beobachter.
(Birgit Kuhn)
Ein raffiniert komponiertes, elegant erzähltes Werk. (Kulturspiegel)
Es ist die Geschichte einer brennenden Eifersucht: Zwischen Marius van Vlooten, einem blinden Musikkritiker, und der ersten Geigerin eines Streichquartetts entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte. Die beiden heiraten und haben bald einen Sohn zusammen, doch van Vlooten – der bereits eine unglückliche Liebe durchlitten hat, an deren Ende er einen Selbstmordversuch unternahm, welcher ihn sein Augenlicht kostete – verfällt zusehends dem Wahn, seine lebenslustige junge Frau setzte ihm permanent Hörner auf. Dabei treibt seine Blindheit seine Vorstellungskraft in ungeahnte Abgründe ... Die niederländische Autorin Magriet de Moor erzählt atemlos von den Verwirrungen der Liebe, von Misstrauen, Unverständnis ungezügelter Leidenschaft. Die bereits einmal von Tolstoi erzählte Geschichte spinnt sie geheimnisvoll und unergründlich um – einfühlsam, poetisch und unbedingt empfehlenswert. (www.parship.de)
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der neuen Erzählung der vielbeachteten niederländischen Schriftstellerin Margriet de Moor vermag Dorothea Dieckmann nicht sehr viel abgewinnen. Erzählt wird, informiert Dieckmann, die Geschichte des blinden Marius van Vlooten und seiner Violine spielenden Frau Suzanna. Mehrfach trifft der Ich-Erzähler im Laufe eines Lebens auf den Blinden und lässt sich auf den neuesten Stand des Ehedramas bringen, skizziert die Rezensentin knapp den Inhalt, um sodann in die Kritik einzusteigen. Etwas "schlicht" erzähle die Autorin diese Geschichte einer Liebe, die Sprache sei zu "glatt, klassisch flüssig" und zu stark "symbolisch aufgeladen", schimpft Dieckmann. Da habe auch eine "erfahrene" Übersetzerin wie Helga von Beuningen nicht mehr viel retten können. De Moors "Hang zu sentenziösem Selbstkommentar und pathetischer Patina" kann die Rezensentin einfach nicht schätzen und kommt zu dem Schluss, dass diese Erzählung abgesehen von "solidem Erzählhandwerk" und "manch entwaffnend präziser Beschreibung" letztlich nicht mehr ist als "Katalogprosa" von "ausgemachter bildungsbürgerlicher Plattheit".
© Perlentaucher Medien GmbH
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