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sendorra
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 7 Bewertungen
Bewertung vom 02.03.2012
Ausgeliehen
Makkai, Rebecca

Ausgeliehen


gut

Luci Hull lebt im kleinen Städtchen Hannibal und führt ein beschauliches Leben als Bibliothekarin der Stadtbibliothek. Verantwortlich für die Kinderbuchabteilung versucht die bibliophile 26-Jährige Bilderbücher vor Buntstiften zu beschützen, Schulkinder in der freitäglichen Vorlesestunde für Literatur zu begeistern und immer das passende Buch für ihren Lieblingskunden Ian griffbereit zu haben.

Die strengreligiöse Mutter des 10-Jährigen begrenzt die Auswahl seiner Lektüre auf wenige sehr harmlose oder christliche Werke. Der unstillbare Lesehunger des Jungen und seine Wissbegier geben sich damit jedoch nicht zufrieden. Luci versucht ihm so gut wie möglich heimlich zu helfen und verschafft ihm Zugang zu "verbotenen" Büchern.

In der Annahme seiner Eltern, Ian hätte homosexuelle Tendenzen, nimmt das sensible Kind an einer Art Umerziehungsunterricht des berüchtigten Pastor Bobs teil. Geschlechtsgerechte Beschäftigungen sollen ihn auf den Pfad der Tugend bringen. Doch Ian wirkt auf Luci immer unausgeglichener.

Als sie eines Morgens die Bibliothek öffnet, entdeckt sie den ausgerissenen Jungen wie er zwischen den Regalen campiert. Luci will ihn zu seinen Eltern fahren, doch auf der Fahrt nach Hause überzeugt sie der Junge davon, dass es besser wäre weiter zu fahren. Und weiter. Und weiter. Es beginnt eine Roadstory der etwas anderen Art.

=== Meine Kritik ===

Meine Erwartungen an dieses Buch waren groß. Meine Enttäuschung auch. War ich anfangs noch Komplizin der sympathischen Luci mit ihren zerrissenen russischen Wurzeln (väterlicherseits) und ihrem wachen, sarkastischen Blick auf die amerikanische Gesellschaft, entfernte ich mich im Laufe der Geschichte immer mehr von der Entführerin wider Willen.

Wie sie so durch die Handlung schwamm, ohne Ziel und Verstand, machte mich wahnsinnig. Der Weg mag ja das Ziel sein, aber Luci dabei zu begleiten, wie sie auf ihrer Fahrt mit Schicksal, Familiengeschichte(n), Vergangenheit und Zukunft hadert, machte mir auf Dauer einfach keinen Spaß. Zu wenig von ihren Gedanken und Handlungen konnte ich nachvollziehen; immer mehr entfremdete ich mich von der Frau, der ich mich anfangs sehr verbunden fühlte.

Überhaupt passiert 367 Seiten nicht viel. Luci und Ian reisen mit Stopps bei Lucis Eltern und Freunden der Familie durch Amerika. Luci erfährt mehr über die Vergangenheit ihres Vaters, der als junger Mann aus Russland flüchtete, fühlt sich verfolgt von Polizei, Pastor Bob und ihrem schlechten Gewissen. Ian ermutigt sie, immer weiter zu fahren und genießt derweil seine Auszeit von überfürsorglichen, homophoben Eltern.

Makkai schreibt innovativ, spielt mit verschiedenen Stilen, Genres und Kunstgriffen. Zwischen normalem Text finden sich immer wieder experimentelle Passagen, in denen Luci mal nach Kinderbuchart, mal prosaisch, mal ein bestimmtes Buch "zitierend" ihre Situation zusammenfasst. Das ist spannend, erheiternd, charmant. Auch die zahlreichen bibliophilen Anspielungen gefielen mir sehr.

=== Fazit ===

Letztendlich lies mich "Ausgeliehen" aber zwiegespalten zurück. Makkai schreibt mit einer wunderbaren Leichtigkeit und Experimentierfreude. Doch über eine lange Strecke langweilte mich das Geschehen. Die wenig nachvollziehbaren Handlungen und Schlussfolgerungen Lucis verärgerten mich. Nur selten brachten mich die exzentrischen Randfiguren zum Lachen. Freunde von Bildungsromanen, leisen Tönen und selbstzerfleischenden Reflexionen könnten an "Ausgeliehen" aber durchaus ihre Freude finden.

Bewertung vom 05.02.2012
Du sollst nicht sterben / Roy Grace Bd.6
James, Peter

Du sollst nicht sterben / Roy Grace Bd.6


weniger gut

Um Peter James habe ich bisher meist einen Bogen gemacht. Zu groß erschien mir sein Name auf seinen Büchern. Für mich ein Indiz dafür, dass der Autor wichtiger ist, als das Werk. Dennoch schnupperte ich in sein neues Werk "Du sollst nicht sterben". Die ersten Seiten machten mich neugierig. Es beginnt schnell und spannend. Mit flüssigen, einfachen Sätzen führt James Charaktere und Verdächtige ein und eröffnet mannigfaltige Motive und Möglichkeiten. Perfekt als Krimi für zwischendurch. In Hoffnung auf eine kurzweilige Lektüre lies ich mich also auf den Thriller ein.

Starker Start und starke Opfer

Schnell treten die Verdächtigen auf. Interessante, kantige Charaktere. Da macht es Spaß zu knobeln, wer es denn nun sein könnte. Ob das alles nicht viel zu offensichtlich ist. Ob es noch einen Schattenspieler geben könnte. Selbst gegen Ende des Buches schafft es James noch, mit den Vermutungen des Lesers zu spielen.

Positiv auch die Opfer. Die Frauen sind starke Persönlichkeiten, die sich nicht einfach überfallen lassen und schreiend durch die Gegend rennen. Die meisten haben durchaus Köpfchen, sind taff und versuchen ihr Möglichstes der Gefahr zu entkommen.

Zäh und langweilig

Das waren dann aber leider auch schon die Punkte auf der Habenseite. Von wegen „kurzweilige Lektüre für zwischendurch“. Zäh und gelangweilt kämpfte ich mich durch den knapp 400-seitigen Wälzer. "Du sollst nicht sterben" beginnt stark, um dann ganz stark nachzulassen.

Immer und immer wieder wiederholt sich der Autor. Ja, der "Schuhdieb" überfällt nur Frauen, die Designerschuhe tragen. Ja, er plant den Überfall wohl von langer Hand. Ja, er wählt seine Opfer anscheinend in Luxus-Schuhläden aus. Und ja, man könnte ihn wohl wütend machen und zu Fehlern reizen, wenn man in der Presse verlautbaren lässt, dass er einen kleinen Penis hat. Das ist ja alles schön und gut, aber muss das bis in den Showdown in jedem Kapitel wiederholt werden? Nein! Die meisten Leser sind nicht dumm. Die können sich so etwas merken.

Vorurteile aus der Mottenkiste

Auch das Täterbild ging mir gehörig auf die Nerven. Mehr oder weniger deutlich schwingt eine grundsätzliche Verurteilung von sexuell anders Orientierten durch die Zeilen. Fetischisten sind Perverse. Wenn jemand Frauenkleidung trägt, Schuhe und Füße erregend findet, dann ist das nicht normal. Dieser Grundtenor machte mich wütend. Solche Ansichten gehören in die Mottenkiste der Geschichte! Selbst wenn diese Vorurteile bei Polizisten unter Umständen noch verbreitet und somit hier realistisch beschrieben sein sollten.

Genauso wie die Verallgemeinerung, dass alle Frauen Designerschuhe und hohe Absätze lieben. Nur mal so nebenbei…

Gut strukturiert

James unterteilt seinen Thriller in Sequenzen aus der Vergangenheit und dem aktuellen Geschehen. Außerdem fließen ab und zu "Tagebucheinträge" des Täters zwischen die Kapitel ein. Das klingt vielleicht etwas verwirrend, da es aber gut strukturiert ist, findet sich der Leser gut zurecht.

Überhaupt nicht schlimm empfand ich es, die anderen Bände (bis auf das Erste) nicht zu kennen. Ab und an spielt James unnötiger Weise auf einen der Vorgänger an, aber das stört kaum. Für Fans der Serie mögen solche Hinweise interessante Erinnerungen an Erlebtes sein.

Mein Fazit

"Du sollst nicht sterben" bleibt mir als langweiliger, vorurteilsbelasteter Krimi mit starken Täter- und Opfercharakteren und ebenso blassem wie tranigem Protagonisten im Gedächtnis.

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.09.2011
Das verbotene Zimmer
Hayes, Sam

Das verbotene Zimmer


weniger gut

Viele positive bis begeisterte Kritiken habe ich über das dritte auf Deutsch erschienene Werk der Britin Sam Hayes gelesen. Deswegen freute ich mich sehr, als ich "Das verbotene Zimmer" endlich in den Händen hielt. Leider hat der Roman meine Erwartungen mehr als enttäuscht.

=== Geheimnisreicher Einstieg ===

Nina Kennedy führt mit ihrem Mann Mick und ihrer Tochter Josie ein offensichtlich idyllisches Leben. Sie hat gerade einen wichtigen Auftrag als Maskenbildnerin ergattert, wohnt in einem Haus am Meer und führt eine glückliche, leidenschaftliche Ehe. Doch ist dies alles vielleicht zu schön, um wahr zu sein? Was versucht sie zu verbergen?

Frankie Gerrard beginnt ihre neue Stelle als Assistentin der Hausmutter des Mädcheninternats Roecliff Hall. Frankie scheint ein dunkles Geheimnis mit sich zu tragen, reagiert allergisch auf Fragen nach ihrer Vergangenheit. Ihr Verhalten ist seltsam - suchend, forschend und sich versteckend zugleich. Was hat es mit Frankie auf sich?

Die kleine Ava wird von ihrem überforderten, trunksüchtigen Vater im Roecliff Kinderheim abgegeben. In diesem Heim geht nicht alles mit rechten Dingen zu. Kinder werden nachts aus ihren Betten geholt, verschwinden gar für immer. Ava wächst heran und bekommt immer mehr mit. Zu viel?

=== Wirr getarntes, plattes Konstrukt ===

Verwirrt? Kein Wunder! Hayes trickst und druckst herum und verschachtelt ihre Geschichte dermaßen, dass dem geneigten Leser erst recht spät aufgeht, wie platt, durchschaubar, unglaubwürdig und konstruiert das Ganze ist.

Der schnelle Wechsel zwischen Charakteren, Erzählperspektiven und Zeitebenen macht anfangs auch wirklich Spaß. Die einfache Sprache der Autorin lässt sich flüssig lesen. Die Szenenwechsel schüren Spannung. Die Fragen danach, was vorgeht, was wahr und wer wer ist, stellen sich unbändig und machen neugierig.

Recht schwer fällt es allerdings nicht, all das zu verstehen. Und dann ist die Luft raus. Hayes zieht zig Stereotypen aus der Frauenkrimi-Schublade aus dem Hut. Die Geschichte strotzt nur so vor "Überraschungselementen", dummen Charakteren und Oberflächlichkeit. Da bleibt vom anfänglichen Lesespaß nicht viel übrig.

Das ist schade, denn Reizthemen wie (Kindes-)Missbrauch, Scheuklappen, Gruppendynamik, Identitätsverlust, Menschenkenntnis sind spannend und können Augen öffnen und in die Seele treffen. Auch als Krimi.

Bewertung vom 19.09.2011
Irgendwann werden wir uns alles erzählen, 4 Audio-CDs
Krien, Daniela

Irgendwann werden wir uns alles erzählen, 4 Audio-CDs


ausgezeichnet

Auf dem Hof nahe der deutsch-deutschen Grenze scheint die Zeit stehen geblieben. Dabei überschlagen sich die Ereignisse. Es ist Sommer. Der Sommer des Jahres 1990. Beide Seiten des frisch vereinten Deutschlands beschnuppern sich. Die Welt hat sich verändert.

Auch die Welt der sensiblen Maria. Seit einigen Monaten wohnt die 16-Jährige nun schon bei der Familie ihres Freundes Johannes auf dem Brendel-Hof. Die drei Generationen nahmen das Mädchen auf, nachdem Marias alleinerziehende Mutter ihre Arbeit verlor und sie - irgendwie - einen sicheren Hafen suchte. Besonders der Familienvorstand Siegfried gibt Maria als Vaterfigur eine Sicherheit, die sie lange vermisste.

Die Halbwüchsige meidet die Schule. Sie flüchtet sich in die Welt der Literatur, wann immer es die Aufmerksamkeit ihrer Ziehfamilie zulässt. "Die Brüder Karamasow" begleiten sie durch diesen Sommer wie vertraute Weggefährten.

Die Liebe zu Büchern stößt im Dorf auf Unverständnis. Nur der Henner, der Besitzer des Nachbarhofs, soll eine ähnliche Vorliebe für das geschriebene Wort hegen. Das Dorf beäugt den charismatischen Vierzigjährigen misstrauisch. Seine Frau verließ ihn, er trinkt zuviel, er liest. All das passt nicht in die ländliche Idylle.

Doch es passt zu Maria. Und so entwickelt sich - vom Schicksal getrieben - eine übermächtige Liebe. Leidenschaftlich, rastlos, tabu.

Meine Kritik

Langsam, sehr langsam entfaltet sich der Charme der Geschichte. Erst nach ellenlangen, trockenen Beschreibungen des Hofes und der Charaktere bekommt der Leser die Chance die 16-jährige Maria und ihre Welt zu verstehen. Wenn er sich darauf einlässt.

Die Protagonistin erzählt uns das Geschehen dieses turbulenten und doch so trägen Sommers. Durch ihre Augen erfahren wir ihre Vergangenheit und auch die ihrer Familie, die der Brendels, die des Henners. Sie berichtet vom geflohenen Westsohn, den Frieda, die Brendel-Großmutter, nun wieder mit offenen Armen aufnimmt. Von lang vergangenen Affären, vom Dorfklatsch und Gerüchten. Sie lässt uns an ihren ersten Ausflügen in den Westen teilhaben und daran, wie sie die Veränderungen wahrnimmt. Und an ihren Gefühlen, ihrer unbändigen Sehnsucht, ihrer Leidenschaft.

Diese sensible ostdeutsche Lolita mit ihrem altersuntypischen Hang zu Dostojewskis Werken, die so weise ist und dann doch nur ein ganz normaler Teenager in einer schwer zu verstehenden Zeit, sie hat es mir angetan. Ich konnte mich so gut, so gut, in sie hineinversetzen. Genauso in den Henner. Diesen groben, einfühlsamen, impulsiven, verletzlichen Mann. Der so dumm ist - und so klug.

"Irgendwann werden wir uns alles erzählen" handelt nicht von der Wende, sie ist nur Kulisse einer großen Liebesgeschichte und einer Geschichte über das Erwachsenwerden - von Jungen wie Alten. Daniela Krien hat mit einfachen Worten und nüchternen Sätzen ein wertvolles, sinnliches, intelligentes Drama geschrieben, das Anna Thalbach großartig vorliest. Vorsichtig und behutsam schlüpft sie in Marias Haut. Sie liest unaufgeregt und natürlich und sehr glaubhaft.

Wenn ich der Geschichte etwas vorwerfen müsste, dann, dass ich es gerne gesehen hätte, wenn Krien mindestens einen Nebencharakter noch näher beleuchtet hätte. Was hat es mit Alfred wirklich auf sich? Der trunksüchtige Knecht, der vor langer, langer Zeit eine Affäre mit der Frieda hatte. Der vermutete Vater ihres ältesten Sohnes. Ist er so, wie Maria ihn einschätzt? Mein Gefühl sagte mir: 'Nein, so ist er nicht.' Leider bleibt es offen. Was aber auch in Ordnung ist. Im Leben bleibt eben einiges im Unklaren.

"Irgendwann werden wir uns alles erzählen" ist ein intensives, wertvolles, sinnliches Abenteuer für Menschen, die sich auf den einfachen, anfangs langatmigen Erzählstil einlassen. Dann hallt es nach und begleitet den Leser/Hörer noch ein Stückchen seines Weges, während er über das Erlebte nachsinnt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.08.2011
Tod im Schärengarten / Thomas Andreasson Bd.2
Sten, Viveca

Tod im Schärengarten / Thomas Andreasson Bd.2


weniger gut

Das ansprechende Cover und der unprätentiöse Titel von Viveca Stens zweitem Schärenkrimi "Tod im Schärengarten" gefielen mir sehr gut. Und da schwedische Krimis als sichere Bank im Krimidickicht gelten, dachte ich mir, dass es bestimmt nett zu lesen wäre. Aber leider stellte sich dieser Gedanke als trügerisch heraus.

Da ich wirklich keine Ahnung hatte, machte ich mich erstmal schlau, was denn Schären sind: kleine Inseln in Skandinavien. Stens Krimis spielen auf diesen Inseln. Und so ist "Tod im Schärengarten" auch schon ihr zweiter Schärenroman. Oder besser der zweite Fall von Thomas Andreassons. Der Erste war mir unbekannt. Aber das stellte sich als für das Verständnis des zweiten Bandes als nicht relevant heraus.

=== Die Geschichte ===

Der Mord am Vorsitzenden der Königlich Schwedischen Seglergesellschaft zu Beginn der größten Hochseeregatta Nordeuropas ist ein Skandal an dem Kommissar Thomas Andreasson und das Team der Kriminalpolizei schwer zu knabbern hat. Die Highsociety Schwedens lässt sich nicht gerne in die Karten schauen. Privat macht dem Cop die eingeschlafene Liebesbeziehung zur viel jüngeren Tochter seines Chefs zu schaffen.

Auch seine beste Freundin Rechtsanwältin Nora Linde hat private Probleme. Hat sie doch letztes Jahr von einer guten, alten Nachbarin, die nebenbei auch ein paar Leichen im Keller hatte, ein Haus geerbt, dass ihr Ehemann nun so schnell wie möglich vergolden möchte. Geld oder Liebe - immer wieder eine schwere Entscheidung. Obwohl Nora ihren Kopf voll mit Sorgen hat, gelingt es ihr aber doch, ihrem besten Freund bei seinem Fall mit ihrem juristischen Know-hows unter die Arme zu greifen.

=== Meine Kritik ===

Sten presst 91 Kapitel auf 362 Seiten, das sind unter vier Seiten pro inhaltsschwachem Kapitel. Damit hat das Buch das perfekte Maß für die Klo-Bibliothek. Ein Kapitel pro Sitzung, oder - bei Bedarf - auch mal fünf.

Die Story ist mau und an den Haaren herbeigezogen. Die Charaktere flach, dumm, unsympathisch. Der Schreibstil simpel. Die Protagonisten zerkauen alle Situationen und Sachverhalte bis der Leser das Geschehen auch mit einem Strohhalm aufsaugen könnte. Denken muss hier wirklich niemand. Und wer doch den Fehler macht, der ist der Erzählung immer schon einige Schritte voraus.

"Tod im Schärengarten" taugt vielleicht als Sommerlektüre für eingefleischte Schwedenkrimifans, wenn sie wirklich mal den Kopf ausschalten möchten. Allen anderen kann ich dieses Buch definitiv nicht empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.04.2011
Clockers
Price, Richard

Clockers


gut

Langsam erreicht der Hype um die hoch gelobte Fernsehserie "The Wire" das deutsche Publikum. Richard Price schrieb fünf Folgen der Kultserie, die in Baltimores Drogenmilieu spielt. In Amerika berühmt, gelang ihm durch den "The Wire"-Bekanntheitsschub mit seinem Roman "Cash" letztes Jahr auch der große Durchbruch in Deutschland.

Man kramte in den Schubladen und fand das Buch "Clockers", das der Bertelmann Verlag schon 1992 unter dem Namen "Söhne der Nacht" auf Deutsch veröffentlichte. Spike Lee verfilmte den Roman Mitte der 1990er mit Harvey Keitel in der Hauptrolle. Für die Drehbuch-Adaption wurde Price zusammen mit Lee 1995 sogar für den Oscar nominiert. "Clockers" gilt als Grundlage für die TV-Serie "The Wire".

Nun schreiben wir das Jahr 2011 und kaum jemand erinnert sich an dieses Werk. So erfreut uns der Fischer Verlag dieses Frühjahr mit einer hübsch gebundenen Ausgabe von Price drittem Roman aus dem Jahre 1992. Diesmal unter seinem Originaltitel.

Price Geschichten spielen im Drogenmilieu. Plaudern realistisch aus den Nähkästchen von Dealern, Polizisten und Kollateralcharakteren. So auch "Clockers".

Strike, ein aufstrebender junger Dealer, befehligt eine Crew von Clockers, schwarze Kids, kaum im Teenageralter, die im New Yorker Vorort Dempsey Ampullen mit Drogen verkaufen. Selbst fast noch ein Kind, kämpft Strike mit Gewissenbissen, dem Traum auszusteigen und dem Drang mehr Geld zu scheffeln.

Rocco arbeitet für die Staatsanwaltschaft, genauer, für die Mordkommission. Nur noch sechs Monate trennen ihn von seiner Pensionierung...was dann? Als der junge Victor Dunham ein Geständnis für einen Mord an einem Dealer gesteht, versteht er die Welt nicht mehr. Mitten im Morast aufgewachsen ist Victor doch ein guter Junge; Vater von zwei Kindern, respektvoll, sauber und gläubig. Besessen davon, Victors Unschuld zu beweisen, riskiert Rocco seine eigene Glaubwürdigkeit.

Strike, Rodney, Rocco und Victor sind die wohl wichtigsten Charaktere dieser umfangreichen Milieustudie. Tatsächlich platzt der Roman aber durch eine enorme Fülle an Figuren und Sub-Storys aus allen Nähten. Die Zahl der vorkommenden Personen und der angeschnittenen Nebenstränge wirkt erschlagend. Viele sind für die Handlung nicht relevant, sollen wahrscheinlich zur Stimmung beitragen und den Protagonisten Tiefe verschaffen. Leider stiften sie mehr Verwirrung, als dass sie zur Atmosphäre beitragen.

Price walzt die Befindlichkeiten der Protagonisten aus, weist immer und immer wieder auf ihre Dämonen hin. Das ist langweilig und bei der x-ten Wiederholung einfach nur ärgerlich. Klar will ich wissen, wie Strike und Rocco gestrickt sind, will erfahren, dass es durchaus Gemeinsamkeiten gibt und das es eine klare Einteilung in "Schwarz" und "Weiß" nicht geben kann - aber das geht auch kürzer. Die 800 Seiten sind einfach zuviel. Zu viele Menschen, zu viele Probleme, zu viele Schauplätze, zu viele Hintergründe.

Kämpft sich der Leser allerdings durch dieses Zuviel, hält er die Längen und unnötigen Wiederholungen aus, dann sitzt er am Ende vor einem interessanten Porträt des menschlichen Denkens und Fühlens. Price Blick auf Motivation, Ursache und Wirkung ist erstaunlich. Und fühlt sich deprimierend wahr an. Authentisch.

Räuber und Gendarmen können nicht ohne einander, sind sich ähnlicher als sie denken. Jeder ist verzweifelt und zerfressen von Selbsthass. Niemand ist nur gut oder böse. Alles ist offen und jeder für seinen Weg verantwortlich. Das sind keine neuen Erkenntnisse. Im Kontext des inneramerikanischen Drogenkriegs, in diesem Extrem, aber sehr plastisch und schockierend.
Drogen, Morde, Cops, Dealer, Kleinkriminelle, Süchtige, Rassismus - das ist der Stoff, aus dem Price seinen Milieuschinken webt. "Clockers" ist ein Buch für Menschen, die epische Werke über die amerikanische Kriminalrealität mögen.

Bewertung vom 16.03.2011
Blaue Augen
Harris, Joanne

Blaue Augen


ausgezeichnet

B.B. betreibt eine Internetseite, auf der die Nutzer die Möglichkeit haben, Blogs zu schreiben, öffentlich, wie privat. Die Blogs handeln (wie die URL schon verrät) von bösen Buben. B.B. schreibt als "blauauge" selbst auf seiner Seite. Er schreibt über seine bösen Taten. Und die Mitglieder seiner Community laben sich an seinen morbiden Geschichten und Geständnissen, regen sich auf oder spekulieren über den Wahrheitsgehalt. Sicher vor den Augen seines Publikums führt er auch ein privates Online-Tagebuch. Und durchwühlt hinterrücks und geheim die privaten Einträge seiner User.
Die Einträge enthüllen nach und nach, wer hinter Blauauge steckt. Sie beleuchten eine lang vergessene Vergangenheit, verborgene Familiendramen, miefigen Kleinstadttratsch und wahre Tragödien. Realität und Wahrheit verweben sich dabei in den geposteten Geschichten. Was ist wahr? Was pure Fiktion? Wer ist wer?

Ich war sofort gefesselt. Schon nach dem ersten "Eintrag" wollte ich wissen, wie es weiter geht. Wollte erfahren, wer sich hinter den Usernamen der Kommentatoren versteckt und was sie als nächstes posten. Blauauge, der nach seinen eigenen Angaben mörderische Blogger, hat mich fasziniert. Mit dem Geständnis seiner Taten. Und dessen Widerruf. Alles nur erfunden? Alles nur Wunschvorstellung? Schon schnell stellte sich mir die Frage, was denn nun wahr ist, was erfunden, wo Realität und Fiktion zusammenlaufen. Wer ist blauauge wirklich? Was ist überhaupt wirklich? Was kann man glauben, in der großen weiten Welt des Netzes?

Es fällt mir schwer den Inhalt zusammenzufassen. Schnell hätte ich zuviel verraten. Die Story hinter den Blog-Einträgen ist verworren, vielschichtig, kommt nur nach und nach zu Tage - wenn überhaupt.
Der Leser erfährt nur das, was der Protagonist und die Userin namens Albertine in ihrem elektronischen Tagebuch festhalten. Lauter Geschichten in einer Geschichte. Immer wieder abgewandelt, so dass die Frage nach der Wahrheit immer lauter wird. Die Einträge, die nicht öffentlich sind, vermitteln dem Leser dabei immer wieder das Gefühl, doch zu wissen, was da passiert, passiert ist, passieren wird. Doch das Ganze hat mehr als nur einen doppelten Boden.

Die Themen, die dieses Buch anschneidet, sind grausam. Der Überbegriff "Kindesmisshandlung" bietet sich an, doch ist er zu oberflächlich, zu abgegriffen. Es geht um Mütter, die zu ehrgeizig, zu fordernd sind, die zu hohe Ansprüche stellen und auf verschiedenste Arten grausam agieren. Es geht um Kontrollsucht, den Drang besonders zu sein, zu gefallen, sich anzupassen. Es geht um Menschen mit Schwächen und um Menschen mit speziellen Begabungen. Und ganz besonders geht es um Schuld und darum, dass so Vieles im Leben nur Schein ist.
Womit wir beim das Buch beherrschenden Medium des Internets wären. Die meisten, die sich im Netz tummeln, meinen, sie wären anonym. Versteckt hinter ihrem flirrenden Bildschirm. Erzählen Dinge, die sie sonst nie erzählen würden. Wahre, Unwahre. Harris spielt wunderbar mit den Mechanismen der Internets. Und ganz im Sinne des schwer einzuschätzenden Mediums ist das Ende ist offen - zumindest in meinen Augen. Vielleicht ist es das aber auch nicht. Denn: "Nichts ist je zu Ende."

Ich habe die 491 Seiten verschlungen. Habe mich gefragt, was das soll, wo das Ganze hinführt. Hab mich veräppelt gefühlt und auf's Glatteis geführt. Harris entwirft ein spannendes Psychogeflecht. Fragt danach, wozu Menschen fähig sind und warum. Die Auflösung, wenn es denn eine ist, macht Sinn. Wenn es keine ist, auch.
Der Verlag sagt, es wäre ein Thriller. Das ist durchaus berechtigt. Wohler fühle ich mich allerdings mit der Einordnung als Drama. Falls Morde geschehen, dann sind sie eigentlich nicht das, was zählt. Die Bedeutung liegt in den Motiven und in dem, was sie auslöste. Im Menschlichen, im Zwischenmenschlichen.
Ein intensives, verworrenes, packendes Leseerlebnis, mehr Drama als Thriller. Absolut zu empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.