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Volker M.

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Insgesamt 395 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2024
Der Untergang von Thornton Hall
Habekost, Britta

Der Untergang von Thornton Hall


weniger gut

Elinda Audley ist auf der Flucht. Ihre Eltern haben sie einem reichen, aber grausamen Adligen zur Frau versprochen, um den maroden Stammstitz der Familie, Thornton Hall, vor dem Ruin zu retten. Doch Elinda verweigert die Ehe und macht sich mit dem professionellen Grand-Tour-Reiseführer Blake Colbert auf eine beschwerliche Reise nach Pompeji. Denn hier hofft sie auch das Schicksal ihres spurlos verschwundenen Bruders David zu klären.

Die Vorankündigung des Romans von Britta Habekost versprach eine spannende Mischung aus Gothic Novel, Krimi und Reiseroman, mit Mystery Elementen und viel historischem Flair. Schon das Jahr 1789 weckt Neugier, als echter Zeitenwende, vor der sich trefflich eine Geschichte entwickeln ließe. Leider wurden meine Erwartungen enttäuscht.

Die Geschichte trägt bei weitem nicht über die üppig bemessenen 587 Seiten. Sie verläuft absolut linear, ohne jede Nebenlinie oder auch nur einem Wechsel der Perspektive. Der Leser ist über den gesamten Zeitraum an Elindas Blickwinkel gefesselt und die als „Mystery“ gedachten Sequenzen wurden der Geschichte erkennbar aufgesetzt. Sie entwickeln sich über 500 Seiten quasi gar nicht weiter und ergehen sich in nahezu identischen Visionen, die aber keine Zielrichtung kennen. Ebenso das „mysteriöse“ Vorleben des Reisebegleiters Blake Colbert: Jede Frage danach blockt dieser zunächst ab, ehemalige Weggefährten bleiben bewusst vage, bis es auf Seite 455 dann völlig unmotiviert aus Blake herausbricht und er seine ach so tragische und dann doch so triviale Lebensbeichte ablegt. Es bleibt völlig im Dunkeln, warum er diese Petitesse nicht früher „gestanden“ hat. Die Charakterzeichnung der Personen ist insgesamt von einer Schlichtheit, die ich eher in einem Julia-Roman auf 50 Seiten erwartet hätte. Dazu passt übrigens auch Britta Habekosts eindimensionaler Stil sehr gut, der noch den letzten Gedanken umständlich erklärt, bis dass es der Dümmste versteht. Die Personen sind niemals Menschen des 18. Jahrhunderts, sondern stammen in ihrer gesellschaftlichen und moralischen Haltung so eklatant aus den Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts, dass es beim Lesen fast weh tut. Nicht unbedingt woke, aber von einem ungezügelten Individualismus, wie es ihn damals schlichtweg nicht gab. Die ideologische Grenze bildet eine konsequente Schwarz-Weiß-Linie: Alle Adligen sind arrogante, dünkelhafte, grausame und gierige Monster. Bis auf eine Ausnahme, aber die hat sich von der adligen Gesellschaft losgesagt und ist natürlich eine selbstbestimmte Frau. Elinda leidet ebenfalls an fortgeschrittenem Feminismus, lässt alle Konventionen hinter sich und besiegt am Ende ihren sadistischen Verfolger. Wie das eben im 18. Jahrhundert so war. Man lernt kaum etwas über die Zeit und ihre Lebensrealität, bis auf die gut recherchierten Reiseumstände auf der Grand Tour (kleinere Fehler im Detail will ich hier nicht ankreiden). Leider sind diese Schilderungen aber oft repetitiv, sehr kleinteilig inszeniert und enden in immer wieder gleichen Diskussionen zwischen Elinda und Blake, was mich auf Dauer wirklich ermüdet hat. Das Paar erlebt auf seiner Tour nach Süden wenig Überraschendes und man kommt sich nur quälend langsam näher. Einzig das überraschende und auch nicht unraffiniert konstruierte Finale hat mich überzeugt. Aber das kam 200 Seiten zu spät.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.09.2024
Aua! Die Geschichte meines Körpers
Hacke, Axel

Aua! Die Geschichte meines Körpers


ausgezeichnet

Axel Hacke ist 67, sein Körper ebenfalls. Man hat gemeinsam eine Menge durchgemacht, aber langsam blättert der Lack. Ich kenne das aus dem eigenen Freundeskreis: Je älter man wird, umso mehr drehen sich Gespräche um die kleinen und großen Wehwehchen, die sich im Lauf der Zeit ansammeln. Für mich ist das eher unangenehm, für Axel Hacke eine Gelegenheit für ein neues Buch. Einmal von Kopf bis Fuß durchchecken, bitte.

Anfangs war ich wirklich irritiert und wusste nicht, ob diese Konfrontation mit Altern, Krankheit und Tod für mich noch als Unterhaltung durchgeht, oder doch eher Folter ist, aber die Zweifel haben sich sehr schnell gelegt. Axel Hackes unnachahmliche Art, die Dinge zu beschreiben, seine kreative Assoziationsfähigkeit und erst recht sein einmaliger Vortragsstil nehmen einem schnell die Berührungsängste, selbst an unappetitlichen Körperstellen. Er vermischt das eigene Schicksal (und notfalls das von Freunden und Bekannten) so geschickt mit Faktenwissen und einer augenzwinkernden Lebensphilosophie, dass gar nicht erst düstere Gedanken entstehen. Dank gesunder Lebensweise haben sich in seinem Körper überwiegend typische Verschleißerscheinungen breitgemacht, deren Auswirkungen zwischen lästig und mild einschränkend pendeln. Es gibt ein paar üble Unfälle und auch „nochmal-Glück-gehabt“-Momente, aber nichts wirklich Kritisches, was nicht zuletzt daran liegt, das Axel Hacke eher am hypochondrischen Ufer lebt. Obwohl er nach eigener Definition kein Hypochonder ist, denn ein echter Hypochonder antwortet auf die Frage, ob er einer sei, mit „nein“, da er sich die Krankheiten ja nicht nur einbildet. Egal, ob diese Definition nun weiterhilft oder nicht, Axel Hacke geht jedenfalls gerne zu seinem Lieblingsinternisten Prof. D., der mit untrüglicher Sicherheit die richtigen Diagnosen stellt und damit sie ihm sein Patient auch glaubt, gleich noch das verfügbare Arsenal technischer Untersuchungsmethoden auffährt. Zum Schluss hat er immer Recht und Hacke und seine Hörer haben viel dazu gelernt. Und es gibt so schöne Diagnosen: Transiente Globalamnesie, Ermüdungsbruch oder der ubiquitäre Schmalzbohrwurm sind Wörter, an denen sich Hacke richtig abarbeiten kann. Krankheiten können eben auch lustig sein. Wobei der Schmalzbohrwurm eigentlich keine Krankheit ist, nur vielleicht bei Menschen, die eine Arachnophobie haben, denn denen ist es in der Regel unangenehm, wenn sie erfahren, dass sie von Zigtausend Spinnentieren besiedelt sind. Ob sie wollen oder nicht. Insofern ist Axel Hackes Hörbuch auch ein bisschen Therapie, denn bei aller Ernsthaftigkeit, die hinter jedem einzelnen Thema steckt, wird doch erkennbar, was die moderne Medizin leistet und welche Möglichkeiten zur Linderung und Heilung bestehen. Nebenbei erfährt man praktischerweise auch noch, wozu einzelne Körperteile dienen, wie zum Beispiel ein Kopf. „Aua!“ ist natürlich kein enzyklopädisches Nachschlagewerk, aber solide recherchiert, pendelnd zwischen Allerweltskrankheiten und echten Kuriositäten. Interessant ist es jedenfalls immer und am Ende ist man mit den eigenen Wehwehchen einigermaßen versöhnt.

Und man hat jede Menge Gesprächsstoff für das nächste Freundestreffen.

(Das Hörbuch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.09.2024
Kintsugi - Reparieren mit Gold
Hackenberger, Britta

Kintsugi - Reparieren mit Gold


gut

Kintsugi, übersetzt „Gold-Verbindung“, ist eine alte japanische Technik zur Reparatur von beschädigter Keramik. Die Scherben werden mit Urushi Lack zusammengeklebt, kleinere Fehlstellen können auch ergänzt werden. Zum Schluss wird der sichtbare Urushi Lack mit den üblichen Techniken vergoldet.
Britta Hackenberger nennt ihr Buch zwar „Kintsugi“, aber was sie dann vorstellt, hat nur am Rand etwas damit zu tun. Sie nutzt moderne Epoxidharze und Zweikomponentenkleber statt Urushi, was zu deutlich schlechteren mechanischen Eigenschaften führt. Die Autorin verweist darauf, dass diese Materialien nicht zu heiß werden dürfen (Urushi Lack ist da völlig unempfindlich), sie dürfen nicht mit harten Gegenständen bearbeitet werden (Messer, Gabel, Löffel sind also tabu) und auch nicht in die Spülmaschine (das darf Urushi allerdings auch nicht). Hier wird sehr schnell deutlich, warum die Projekte, die Hackenberger später im Detail vorstellt, für eine Kintsugi-Reparatur völlig ungeeignet sind: Sie repariert vor allem Teller und Schüsseln, die natürlich mit Besteck in Kontakt kommen. Das sind nun mal europäische Tischsitten, die aber absolut inkompatibel mit Kintsugi sind. In Japan wird die Technik vor allem eingesetzt, um hochwertige Teeschalen zu reparieren, das macht Sinn, bei europäischem Geschirr aufgrund des Nutzungsverhaltens dagegen nicht.

Die Prinzipien für dieses adaptierte Kintsugi sind sehr einfach und schnell erklärt. Nach 30 Seiten beginnen dann Einzelprojekte, die Schritt für Schritt beschrieben werden, unterstützt durch aussagekräftige Fotos. Warum man allerdings nach dem Projekt „Teller“ noch ein Projekt „Kuchenteller“ braucht, hat sich mir nicht erschlossen. Darauf folgt dann das Projekt „Objekt mit mehreren Scherben“. Das sieht alles schon ein bisschen nach Seitenschinden aus. Übrigens nutzt die Autorin, anders als die Japaner, kein Gold, sondern goldfarbenes Metallpulver, das nach einiger Zeit seinen Glanz verliert und stumpf wird.

Wer Kintsugi schon mal gesehen hat, der merkt auch, dass die Variante mit Epoxidharz bei weitem nicht so perfekt wird wie der Urushi Lack, der in vielen Schichten aufgetragen und immer wieder abgeschliffen wird. Hackenbergers Variante bleibt sehr unregelmäßig, wirkt oft knotig und macht insgesamt keinen schönen Eindruck. Vor dem Hintergrund Nachhaltigkeit macht es natürlich Sinn, Dinge zu reparieren, statt sie wegzuwerfen, aber in diesem Fall muss man leider sagen: Es gibt keine Reparatur von Keramik, die dauerhaft die alten Materialeigenschaften wiederherstellt, das weiß jeder Restaurator. Britta Hackenberger kann das auch nicht und dann stellt sich die Frage, ob ein zerbrochener Teller nicht doch besser in den Müll wandert, wenn man ihn weder mit Besteck traktieren, noch heiß spülen darf. Schließlich ist das Hauptziel des japanischen Kintsugi die volle Wiederherstellung der Benutzbarkeit.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2024
Saucen
Wisweh, Gorm

Saucen


ausgezeichnet

Gorm Wisweh ist ein dänischer Fernsehkoch, der sich gegenüber den meisten deutschen Fernsehköchen durch einen geringen Hang zur Selbstinszenierung auszeichnet. Sein Buch „Saucen“ ist eine kompakte Einführung in die Kunst der Saucenherstellung, in dem viele Klassiker aus aller Welt vorgestellt werden, mit einfachen und leicht nachkochbaren Anleitungen. Es sind kalte wie warme Saucen, für festliche Gerichte, aber auch den ungezwungenen Grillabend. Die geschmackliche Vielfalt ist sehr breit, mit Rezepten aus ganz Europa, aber auch Mexiko, Israel und den USA. Im Anhang gibt es eine Empfehlungsliste, welche Sauce zu welchem Gericht passt und auch hier kann man erkennen, wie ausgewogen und vielseitig die Auswahl ist. Da hat sich jemand Gedanken gemacht, um für jeden Topf einen Deckel zu finden.

Die Anleitungen sind meistens textlich, es sei denn, einzelne Schritte sind kritisch und man benötigt dazu einen Bildabgleich (z. B. um Bräunungsgrad oder Konsistenz abzupassen). Alle Rezepte sind einfach nach zu kochen und brauchen keine große Erfahrung, obwohl das natürlich nie hinderlich ist, insbesondere beim Abschmecken. Teilweise bauen die Saucen auch aufeinander auf, wobei dann auf die Grundsauce referenziert und nur die Variation im Detail beschrieben wird. Gut gefallen hat mir, dass der Autor vereinzelt Hinweise gibt, wie man Saucen „retten“ kann, wenn es dann doch schiefgeht. Die Bearnaise ist so ein klassischer Risikokandidat mit Korrekturpotenzial.
Die Abbildungen sind äußerst appetitlich, aber das darf man von einem Kochbuch auch erwarten.

Auf 150 Seiten werden 65 Saucenrezepte erklärt, die man natürlich alle auch im Internet findet, aber da überwältigt mich oft die Menge an Varianten, die ich schwer einschätzen kann. Bei Wisweh findet man nur die „Originale“, wie sie auch in der Kochschule gelehrt werden. Kleine Verfeinerungen und Kombinationstipps gibt es gratis dazu.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2024
Märchen und Erzählungen
Wilde, Oskar

Märchen und Erzählungen


ausgezeichnet

Was mich an Oscar Wilde immer wieder fasziniert, ist sein zeitloser Humor, der auch heute noch fast uneingeschränkt funktioniert. Gerne nimmt er menschliche Schwächen ins Visier, ist dabei aber so charmant, dass man ihm nie böse ist. Seine treffenden Charakterisierungen und Aphorismen werden die Zeiten überdauern, da bin ich sicher.

Wilde war besonders gut in der kurzen Form, weshalb gerade seine Märchen und Erzählungen seit über 100 Jahren immer wieder neu aufgelegt werden. Es gab seitdem keine fünf Jahre, in denen nicht irgendein Verlag ihn „wiederentdeckt hat“.

Die sehr preisgünstige Ausgabe aus dem Marix Verlag nutzt die Übersetzungen der Insel-Ausgabe von 1910 von Franz Blei und Felix Paul Greve, beide damals bekannte Übersetzer aus dem Englischen. Der Vorteil ist, dass ihre Übersetzungen gemeinfrei sind (und damit eine preiswerte Ausgabe erlauben) und dass sie sprachlich auch im Deutschen genau der Zeit entsprechen, in der Wildes Texte entstanden. Der Nachteil ist, dass man den manchmal etwas umständlichen Stil des Schriftdeutschen um 1900 akzeptieren muss, der nicht ganz die Leichtigkeit der englischen Originaltexte besitzt. Es kommt auch zu Bedeutungsverschiebungen, die einige Pointen „versemmeln“, vor allem, wenn sie auf sprachlichen Doppelbedeutungen basieren, die es parallel im Deutschen nicht gibt.

Sehr passend sind die Illustrationen von Heinrich Vogeler, dem bedeutendsten Buchillustrator des deutschen Jugendstil, die den Zeitgeist wunderbar einfangen. Sie werten die Ausgabe, die als Hardcover mit Schutzumschlag auch sorgfältig produziert ist, zusätzlich auf.

Eine preisgünstige, schöne Ausgabe, die es lohnt, Oscar Wilde wieder einmal vom Buchregal auf den Nachttisch zu holen.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.09.2024
LIFE. Hollywood

LIFE. Hollywood


ausgezeichnet

Das LIFE Magazine war ab 1936 das bedeutendste Fotomagazin der Welt mit einer Auflage, die bereits 1940 die Million überstieg. Spezialisiert auf großformatige Fotoreportagen, brachte die Zeitschrift jede Woche die weite Welt in US-amerikanische Haushalte, wobei man sehr auf einen gewissen Glamour-Faktor bedacht war. Hollywood stand nicht zufällig von Anfang an im Fokus, allerdings nicht im Sinn eines aufklärerischen Journalismus heutiger Prägung, sondern LIFE diente als Verstärker für das Bild, das Hollywood von sich selber in der Öffentlichkeit sehen wollte. Der konservative Herausgeber Henry Luce verbot jede Form „sündiger“ Darstellung in seinem Magazin, alles blieb brav und züchtig und wenn etwas nach Rebellion aussah, war das genau geplant und vorher mit dem Marketing der Filmstudios abgestimmt. Drogen, Sex und Ausschweifung, die Triebfedern Hollywoods, blieben außen vor. Eine sich im Badeanzug räkelnde Leinwandschönheit war das höchste der Gefühle.

Trotz (oder gerade wegen?) dieser inneren Zensur wurde das LIFE Magazine zum Schlüsselloch, durch das der Leser hinter die Kulissen Hollywoods zu blicken glaubte und gelegentlich durfte er es tatsächlich ein wenig: LIFE ist der Erfinder des „Making of“, der lancierten Hintergrundstory und war maßgeblich an der Entwicklung des Starkults im klassischen Hollywood beteiligt. Das inszenierte Glamourfoto steht geradezu exemplarisch für das Bild, das wir von dieser Zeit haben und es ist zutiefst geprägt vom Reportagestil des Life Magazine.

Die beiden TASCHEN-Bände „LIFE - Hollywood“ zeigen auf über 700 Seiten Aufnahmen zwischen 1936 und 1972, von denen einige sogar ins kollektive Gedächtnis übergegangen sind. Nach 1972 geriet nicht nur das Studiosystem in die Krise, sondern auch LIFE, das nie wieder die alte Bedeutung erlangen sollte.
Auffällig ist die Geschäftigkeit der auf den Fotos Dargestellten. Müßiggang und Hedonismus sieht man selten, Hollywood präsentierte sich vor allem als eine Traumfabrik hart arbeitender Männer und Frauen, so dass selbst ausgelassene Fröhlichkeit nur im Rahmen von Proben für einen neuen Film geschehen durfte. Jedes Foto zimmerte an einem Mythos, virtuos auf der Klaviatur der Gefühle spielend, was Hollywood bis heute perfekt beherrscht.

Die Textbeiträge fokussieren auf bedeutende Meilensteine der Kinogeschichte, Filme von Hitchcock bis Francis Ford Coppola, wie LIFE sie rezipierte und was hinter den Kulissen tatsächlich geschah. Allüren und Machtkämpfe, kühl kalkuliertes Marketing und künstlerische Höhenflüge, aber auch mächtige Strippenzieher, die Studiobosse, die ihre Stars wie Privatbesitz behandelten.

„LIFE. Hollywood“ zeigt die Filmfabrik, wie wir sie uns wünschen, als perfektes Räderwerk, in dem die Stars so heldenhaft und schön sind, wie wir sie aus den Filmen kennen. Das stimmt zwar nicht, aber irgendwie eben doch.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.09.2024
The Very Best
Christie, Agatha

The Very Best


sehr gut

Die neue Agatha-Christie-Sammelbox ergänzt die bereits erschienenen Sammelboxen mit den Hercule-Poirot- und Miss-Marple-Kurzgeschichten um die bekanntesten Romane der Autorin. Bis auf einen haben sie ebenfalls die beiden Detektiv-Ikonen als Protagonisten, aus dem Raster fällt lediglich „Die Mausefalle“, die ein zum Roman umgebautes Theaterstück ist. Allerdings kommt die „Mausefalle“ literarisch auch nicht an die anderen Texte heran. Sie wirkt fast wie ein Dialog mit eingeschobenen Regieanweisungen, die für Christie so typischen, feinen psychologischen Beobachtungen fehlen weitgehend.

Die Sprecherqualität ist sehr unterschiedlich. Da gibt es wunderbar eingesprochene Texte wie z. B. „16 Uhr 50 ab Paddington“ von Katharina Thalbach, aber auch missglückte wie „Die Mausefalle“ von Oliver Kalkhofe, bei dem leider alles nach überdrehtem Comic Trash klingt. Auch Charlie Hübner ist erkennbar unvorbereitet, macht unzählige Phrasierungsfehler, die zeigen, dass er den Text nicht verstanden hat, aber offenbar war es der Regie ebenfalls egal. Die meisten machen ihren Job dagegen von routiniert gut bis exzellent.

Übrigens sind nicht alle Stücke inhaltlich deckungsgleich mit den berühmten Miss-Marple-Filmen mit Margaret Rutherford. In den Filmen gab es teilweise erhebliche dramaturgische Änderungen. Das Original zu lesen, bietet also immer noch Überraschungen, ganz abgesehen davon, dass Agatha Christie einfach eine gute Schriftstellerin war.

(Das Hörbuch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.09.2024
Geschichte der Textilherstellung
Veit, Dieter

Geschichte der Textilherstellung


gut

Zur Geschichte der Textilherstellung gibt es erstaunlich wenig zusammenfassende Literatur, wenn man bedenkt, dass wir mit diesen Produkten wirklich täglich umgehen. Und das seit Tausenden von Jahren.

Dieter Veit, Mitarbeiter am Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen, hat diese sehr umfangreiche und breit aufgestellte Monografie zum Thema vorgelegt, die sich auf dem schmalen Grad zwischen Allgemeinverständlichkeit und Fachpublikation bewegt. Das ist nicht immer ganz gelungen und stellte mich als Leser öfter vor die Frage nach der eigentlichen Zielgruppe.

Das Buch ist zunächst chronologisch strukturiert, mit Überkapiteln zur Vor- und Frühgeschichte, der Antike, dem Mittelalter, der frühen Neuzeit, gefolgt von Kapiteln zum 18., 19., 20. und 21. Jahrhundert. Schon an dieser Staffelung erkennt man, dass die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert die Textilherstellung grundlegend verändert hat. Textilen wurden zunehmend zur Massenware und allgemeinverfügbar, auch für niedere Stände. Die immer neuen Varianten neuer Maschinen optimieren die Prozesse, führen aber nicht nur zu ökonomischen Verbesserungen, sondern auch zu sozialen Verwerfungen.

Veit ist Technologe, das merkt man vor allem in den historisch/archäologischen Passagen zu Beginn des Buches. Da haben sich einige Ungenauigkeiten und auch Fehler eingeschlichen, die meiner Vermutung nach aus Wikipedia stammen. Im Grab Alexanders konnte man z. B. keine indigogefärbten Wollstoffe finden, weil Alexanders Grab nie entdeckt wurde und Indigo wird auch nicht durch Sonnenlicht, sondern durch Luftsauerstoff oxidiert. Ebenso konnte man in der europäischen Antike nicht mit Tagetes färben, weil das eine mittelamerikanische Spezies ist. Es gibt einige solcher Ungenauigkeiten, die aber vor allem dann passieren, wenn Veit sein eigentliches Fachgebiet verlässt.

Einen wissenschaftlichen Ansatz kann man dem Band nicht absprechen. Veit ist sehr darauf bedacht, stets korrekt zu zitieren und seine Referenzlisten sind ausgesprochen umfangreich. Andererseits taucht Wikipedia für meinen Geschmack zu oft als Quelle auf. Es ist ein exzellenter Startpunkt für jede Recherche, aber als valides wissenschaftliches Zitat schwierig.

Große Teile des Buches sind auch für interessierte Laien gut lesbar, nur verwendet Veit immer wieder technisches Fachvokabular, das er offenbar voraussetzt und das auch nicht über ein Glossar oder geeignete Abbildungen erklärt würde. Man sollte z. B. wissen, was eine Köperbindung, ein S- oder Z-gedrehtes Garn oder eine Drehungshöhe ist, sonst wird man in einigen Kapiteln schlichtweg abgehängt. Oft nutzt Veit auch rein textliche Beschreibungen mit technischem Fachvokabular, wo eine Abbildung mit Bezeichnung der beschriebenen technischen Elemente deutlich anschaulicher gewesen wäre. Dass nicht alle Abbildungen, die für das Verständnis des technischen Funktionsprinzips nötige Größe haben, kommt erschwerend hinzu. Insgesamt ist das Buch sehr umfangreich illustriert, was grundsätzlich positiv ist, aber es gibt unnötige Dopplungen, während an anderen Stellen wie gesagt größere Abbildungen erforderlich gewesen wären.

Insgesamt macht das Buch auf mich einen unausgewogenen Eindruck. Einerseits ist es klar wissenschaftlich-technologisch ausgerichtet, nutzt wissenschaftliche Zitierweise und Fachsprache, andererseits rutscht Veit auch immer wieder in umgangssprachliche Untiefen, die zum Rest nicht richtig passen wollen („Die Kreuzritter waren offenbar nicht die hellsten Kerzen auf der Torte“). Ein wirklich hochinteressantes Thema, aber diese Monografie ist wohl noch nicht das letzte Wort.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 31.08.2024
Reise in ein fernes Land
Christie, Agatha

Reise in ein fernes Land


ausgezeichnet

„Reise in ein fernes Land“ ist ein für Agatha Christie sehr ungewöhnliches Werk. Es ist ein Erlebnisbericht, kein Roman und es handelt von den archäologischen Expeditionen, die sie mit ihrem Mann Max Mallowan zwischen 1935 und 1939 nach Nordsyrien unternahm. An der Grenze zum Irak war Mallowan mit Ausgrabungen der altmesopotamischen Stadtkulturen, z. B. am Tell Brak beschäftigt, an denen Agatha aktiv beteiligt war. Auch nach dem Krieg begleitete sie ihren Mann immer wieder auf Expeditionen, während denen sie viele ihrer Romane schrieb (die nicht zufällig oft im mesopotamischen Kulturraum spielen).

Der Fokus des Buches liegt auf den persönlichen Erlebnissen mit den Menschen und Kulturen vor Ort, die gewonnenen archäologischen Erkenntnisse werden dagegen nicht behandelt. Wie in den Romanen interessiert sich die Autorin besonders für das Zwischenmenschliche, das gerade bei einem Clash of Cultures unerwartete Wendungen nimmt. Christie ist von der arabischen Kultur fasziniert und begegnet ihr mit viel Verständnis, auch bei Gelegenheiten, die unseren Wertmaßstäben in keiner Weise entsprechen. Als roter Faden zieht sich die extreme Gewaltbereitschaft der angestellten Arbeiter durch das gesamte Buch, Messerangriffe sind an der Tagesordnung, es gibt zahlreiche Mordversuche und auch Morde. Betrug, Neid und Missgunst sind eine ständige Herausforderung für Max als Expeditionsleiter, der die Streitigkeiten stets mit einer offenen Brieftasche besänftigt, selbst wenn er weiß, dass er gerade betrogen wird. Bei Vergehen werden die Arbeiter zwar entlassen, am nächsten Tag aber wieder eingestellt, wodurch auch kein Unrechtsbewusstsein entsteht. Agatha Christie beschreibt das alles mit einer Nonchalance, die wohl nur dadurch zu erklären ist, dass die Opfer immer nur aus den Reihen der Arbeiter stammen, die europäischen Expeditionsteilnehmer werden damals noch als Patriarchen und Richter akzeptiert.

Das Buch hat mir erschreckend die Augen geöffnet, weil es meiner Meinung nach bis ins Detail erklärt, was gerade in unserem eigenen Land passiert. Viele der eingewanderten Araber haben ihren archaischen und blutrünstigen Wertecodex offenbar unverändert mitgebracht und leben ihn hier weiter aus, nur haben sie mittlerweile ihren Respekt vor den Europäern verloren. Max Mallowan sagt einmal „Der Tod wiegt hier leicht“, was es ziemlich auf den Punkt bringt. Der Gewalttätigkeit als Ausdruck von Überlegenheit haben wir nichts entgegenzusetzen, außer die Täter mit Wohltaten ruhigzustellen, genau das, was sich auch bei Mallowan als einziges Mittel bewährt hatte. Mit einem Unterschied: Mallowan fuhr am Ende der Grabungssaison wieder nach Hause und nahm die Probleme nicht mit.

Agatha Christie hatte einen gewissen Einblick in die arabische Gesellschaft, die sie zwar faszinierte und vor der sie sich auch kaum jemals fürchtete, aber sie war damals geschützt durch einen klug agierenden Mann und viel Geld. Außerdem sieht sie fast ausschließlich die öffentliche Männerwelt, die Welt der Frauen bleibt ihr, bis auf wenige Kontakte weitgehend verschlossen. Ich muss ihr die unkritische Haltung in gewisser Weise sogar vorwerfen, denn sie idealisiert diese Gesellschaft, indem sie die (wirklich) permanent präsente Gewalt akzeptiert. Letztlich hat auch sie dem nichts entgegenzusetzen gehabt.

Wer das Deutschland von heute verstehen will, der sollte dieses authentische Buch unbedingt lesen.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.08.2024
Hereimspaziert
Gsella, Thomas

Hereimspaziert


weniger gut

Ich kannte Thomas Gsella bisher nur von seinen elegant geknittelten Versen aus dem „Stern“, in perfektem Versmaß und immer mit einer witzigen Pointe am Schluss. Dass er auf noch anderen Hochzeiten tanzt, habe ich zwar geahnt (von irgendwas muss man ja leben), aber dass es so viele sind, wusste ich dann doch nicht. Von der FAZ bis zur Zeitschrift des Dresdner Seenotrettungsvereins reicht sein Netzwerk und entsprechend vielseitig ist sein Oeuvre.

„Hereimspaziert“ enthält, anders als es der Untertitel suggeriert, kaum neue Gedichte, sondern solche, die bereits zwischen 2016 und 2024 irgendwo veröffentlicht wurden. Lose gruppiert in thematisch nicht ganz trennscharfen Kapiteln zeigt Gsella hier seine bemerkenswerte Sprachbeherrschung. Ich war wie gesagt durch die dichterische Kurzform im Stern geprägt, die selten mehr als 12 Zeilen hat, aber er kann auch längere Distanzen.

Unter den Gedichten sind einige, die es locker mit den zeitlosen Werken eines Eugen Roth aufnehmen können. Da wo Gsella von Menschlichem und Allzumenschlichem schreibt, da wo er unpolitisch bleibt, macht das wirklich Spaß. Leider hat er einen unverkennbaren Hang zu einem unreflektierten Steinzeitkommunismus, mit ziemlich platten Angriffen gegen jede Form von unspezifiziertem „Reichtum“ und er vertritt einen moralischen Standpunkt, der nur mit einem völlig ungezügelten Sozialstaat zu realisieren ist, dessen Verantwortlichkeit Gsella auch noch auf die gesamte Welt ausdehnt. Ich habe mir wirklich die Augen gerieben, ob das noch ernst gemeint war oder schon Satire ist. Nein, Gsella meint es wirklich ernst. Das hat mir die Lektüre tatsächlich ziemlich verhagelt, denn den moralischen Überlegenheitsgestus bei gleichzeitig staatlichem Totalversagen habe ich mittlerweile gründlich satt. Da helfen mir auch nicht die vereinzelten Perlen in dichterischer Reimkultur drüber hinweg.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.