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In "Süßes Gift" richtet Chabrol sein Augenmerk auf Marie-Claire "Mika" Muller - die stets kontrollierte und freundliche Erbin einer Schokoladenfabrik, die just (und zum zweiten Mal) den introvertierten Pianisten Polonski geheiratet hat und dessen Sohn Guillaume eine fürsorgliche Stiefmutter zu sein versucht. Das fein säuberlich eingespielte Familiengefüge droht jedoch ins Wanken zu geraten, als mit der attraktiven, erfahrungshungrigen Jeanne eine junge Frau auftaucht, die düstere, vergessen geglaubte Erinnerungen wachruft. Dies betrifft vor allem Mika, die sich auf einmal intensiver um Jeanne…mehr

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Produktbeschreibung
In "Süßes Gift" richtet Chabrol sein Augenmerk auf Marie-Claire "Mika" Muller - die stets kontrollierte und freundliche Erbin einer Schokoladenfabrik, die just (und zum zweiten Mal) den introvertierten Pianisten Polonski geheiratet hat und dessen Sohn Guillaume eine fürsorgliche Stiefmutter zu sein versucht. Das fein säuberlich eingespielte Familiengefüge droht jedoch ins Wanken zu geraten, als mit der attraktiven, erfahrungshungrigen Jeanne eine junge Frau auftaucht, die düstere, vergessen geglaubte Erinnerungen wachruft. Dies betrifft vor allem Mika, die sich auf einmal intensiver um Jeanne kümmert, als dieser lieb sein kann...

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2001

Ein Spinnennetz aus Schokolade
"Süßes Gift": Claude Chabrols Film erzählt aufs neue meisterlich von Bosheit, Gier, Betrug und Tod

In der letzten Einstellung dieses Films sieht man die Mörderin weinen. Sie sei ein Nichts, ein bloßes Anhängsel, hat Mika zuvor ihrem Ehemann André erklärt, sie berechne alles, selbst Gefühle - "anstatt zu lieben, sage ich: ,ich liebe dich', und die Leute glauben mir" -, und wie zur Bestätigung haben wir noch einmal ihre Augen gesehen, die so hart sind wie Glas; doch nun weint sie, zusammengekauert auf der Netzdecke, dem wollenen Spinnennetz, das sie gestrickt hat in den Tagen des Unheils, und eine Träne rollt aus ihrem linken Auge, kalt und rein und einzeln, während ihr Gesicht, das Gesicht Isabelle Hupperts, völlig ungerührt bleibt - und wenn es ein Museum der filmischen Einstellungen gäbe, dann müßte diese Aufnahme darin zu sehen sein, denn sie gehört zum Besten, was das Kino Claude Chabrols zu bieten hat, sie ist die Essenz dieses Kinos, das so kühl und schlicht und dabei so rätselhaft ist wie die Träne auf dem Antlitz von Mika, der Mörderin.

Seit dreiundvierzig Jahren dreht Chabrol Filme. Andere Regisseure machen in diesem Zeitraum eine Entwicklung durch. Nicht so Chabrol. Von "Le Beau Serge" (1958) bis heute ist er der geblieben, der er war. Sein Kino mußte nicht reifen, es kam erwachsen auf die Welt. Das ist seine Stärke und seine größte Schwäche. Chabrols Blick staunt nicht; er kennt schon alles, was er sieht. Wo andere mit der Kamera das Leben entdecken, hat Chabrol sich bereits mit ihm arrangiert. Von den Rebellen der Nouvelle Vague ging er als erster zur Tagesordnung über. Während Godard, Truffaut, Rivette versuchten, ihr Kino den Arbeitern zu erklären, drehte Chabrol seine bürgerlichen Meisterwerke: "Die untreue Frau", "Das Biest muß sterben", "Der Schlachter". Zehn Jahre später, als niemand mehr an sein Talent glaubte, erschienen "Die Phantome des Hutmachers" (1982). Seitdem besitzen Chabrols Filme, von seltenen Abstürzen ("Dr. M") abgesehen, eine gleichbleibende Qualität, die ebenso beruhigend wie gespenstisch ist. Man weiß, was einen erwartet, wenn sich für "Süßes Gift" der Vorhang hebt. Aber dann staunt man doch wieder über die zweiundfünfzigste Variation der immergleichen Melodie, des ewigen Lieds von Bosheit, Gier, Betrug und Tod.

Am Anfang sieht man eine standesamtliche Hochzeit. Die Beamtin leiert ihren Text herunter, die Ringe werden getauscht, und jemand flüstert, es seien dieselben wie vor Jahren, als die Schokoladenfabrikantin Mika Muller (Isabelle Huppert) und der Pianist André Polonski (Jacques Dutronc) schon einmal verheiratet waren. So steht auch die Geschichte im Zeichen der Wiederholung und des Tauschs. In der nächsten Einstellung sind wir in einem Restaurant am Ufer des Genfer Sees, wo die junge Jeanne (Anna Mouglalis) von einer schwatzhaften Freundin ihrer Mutter erfährt, daß sie als Baby mit Polonskis Sohn vertauscht worden sein soll. Das seien alles Ammenmärchen, beruhigt Jeannes Mutter ihre Tochter, doch das Mädchen will es genau wissen und fährt zu der Villa in einem hochgelegenen Vorort von Lausanne, in der Mika, Polonski und dessen aus früherer Ehe stammender Sohn Guillaume (Rodolphe Pauly) zusammenleben. Jeanne will Pianistin werden, im übrigen ist sie bezaubernd, und so erhält sie nicht nur Einlaß, sondern auch das Versprechen, wiederkommen zu dürfen, um sich unter Polonskis Anleitung auf einen wichtigen Klavierwettbewerb vorzubereiten.

Das Musikstück, das Jeanne und Polonski gemeinsam üben, ist der Trauermarsch von Liszt, und so wirkt bald jede Einstellung dieses bei schönstem Frühlingswetter aufgenommenen Films mit einer Ahnung von Bitterkeit und Betrübnis getränkt, die gleich einem schleichenden Gift in die Bilder tröpfelt. Als Mika einmal in einem schwarzen Kleid die Stufen zu ihrem Heim emporsteigt, während von drinnen die ersten Töne der "Funérailles" erklingen, sieht man die Botschaft: Dies ist ein Totenhaus. Jeanne freilich, die ein Foto von Polonskis bei einem Unfall gestorbener Exfrau Edith betrachtet, sieht zunächst nur eine Spiegelung im Glasrahmen des Bildes. Mika, so scheint es, hat absichtlich die für ihren Stiefsohn bestimmte Schokolade verschüttet. Als Jeanne ihrem Freund Axel, der im Chemielabor ihrer Mutter arbeitet, eine Probe der Flüssigkeit zur Untersuchung mitgibt, stellt sich heraus, daß der Trunk mit einem Schlafmittel versetzt war. Auch Edith war seinerzeit am Steuer ihres Wagens eingeschlafen und verunglückt.

"The Chocolate cobweb" (Das Spinnennetz aus Schokolade) heißt ein Roman der amerikanischen Autorin Charlotte Armstrong, den Chabrol für "Merci pour le chocolat" - so der Originaltitel seines Films - bearbeitet hat. Das Schokoladenmotiv hat der Regisseur beibehalten, doch in zwei wesentlichen Punkten hat er die Vorlage verändert: Er verlegte die Handlung von Los Angeles in die Schweiz; und er machte aus der männlichen Hauptfigur, im Roman ein Maler, einen Musiker. Beides, die Musik und die Landschaft, ist für Chabrol essentiell. Mit demselben Basiliskenblick, mit dem er die französischen Departements eins nach dem anderen in Schauplätze seiner Phantasie verwandelt hat, betrachtet er nun die Schweizer Seelandschaft, und siehe, sie erstarrt zur Seelenlandschaft der Schweizer: die Weinreben wie mit dem Lineal gestutzt, die Straßen sauber und leer, die Häuser leblos vor Gediegenheit.

Nur die Serpentinenstraße, die von Lausanne zum Ort des Geschehens hinaufführt, zieht einen Riß durch die indifferente Schönheit des Landes. Auf dieser Straße ist einst Mikas Rivalin gestorben, und nun soll auch Jeanne hier umkommen. Doch der schüchterne Guillaume hat sich die Filmkassetten, die ihm seine Stiefmutter geschenkt hat - Fritz Langs "Geheimnis hinter der Tür" und Jean Renoirs "Nacht an der Kreuzung" - nicht vergeblich angeschaut und steigt zu Jeanne in den Wagen. So macht das Kino aus uns allen Kenner.

Mehr als alles andere ist "Süßes Gift" ein Film für Isabelle Huppert. Seit den großen Zeiten Stéphane Audrans hat Chabrol mit keiner Schauspielerin auf ähnlich symbiotische Weise zusammengearbeitet. Die quecksilbrige Kälte Hupperts, die jederzeit in biestige Aggressivität umschlagen kann, ist hier zu steinerner Ruhe eingekocht. So geht und schaut eine Frau, die Zeit hat und deren Pläne mit der Unerbittlichkeit eines Uhrwerks funktionieren. Als ihre Strategie außer Takt gerät, ist sie verloren. Eines Nachts, auf halbem Weg in der Geschichte, sieht man sie im Bett liegen und grübeln, ein Schimmer erhellt ihr Gesicht, ihre Augen blicken ins Leere, dann folgt eine Rückblende zu ihrer ersten Tat. Diese Einstellung ist so altmodisch, daß sie lachhaft wirkte, wäre sie nicht mit einer Leichtigkeit inszeniert, die man nur klassisch nennen kann. Chabrols Kino hat sich nicht entwickelt, aber es hat sich verfeinert bis zu dem Punkt, an dem das Einfachste und das Raffinierteste eins sind. In "Süßes Gift" ist dieser Punkt erreicht.

ANDREAS KILB

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